Kino: Überlegungen zu „Kick-Ass“ – Hilfe! Es ist ein Teeniefilm!

„Kick-Ass“, USA/GB 2010. Regie: Matthew Vaughn


Wie kam eigentlich das Gerücht in die Welt, bei Matthew Vaughns Kino gewordenem Superheldencomic handele es sich um eine Parodie oder überhaupt ein Werk der Genre- und Selbstreflexion? Vermutlich wird es keinen 18jährigen auf der Welt geben, der „Kick-Ass“ nicht sofort in seine Top5-Liste der begeisterndsten Kinoerlebnisse aufnehmen wird. Vaughns Film ist witzig, schnell und hinreißend in der Eleganz, mit der er Teeniedramatik, spätpubertäre Wildheit und absurdeste Gewalteinlagen jongliert.

Aber eine Parodie? Als solche müsste „Kick-Ass“ die Superheldenmotivik auf Kollisionskurs mit der Realität bringen und humoristische Funken schlagen, wo dabei Allmachtsfantasien zu Bruch gehen. „Kick-Ass“ jedoch macht genau das Gegenteil: er feiert den Sieg der Superheldenlogik über die Realität. Mit parodistischen Elementen kokettiert der Film gerade am Anfang, geht aber letztlich kaum weiter als z.B. „Spider-Man“, etwa, wenn sich (wieder einmal) ein Nachwuchssuperheld beim Üben den Fuß verknackst.

Es geht in „Kick-Ass“ um den Schüler Dave, dessen einziges Talent nach seinen eigenen Worten darin besteht „von Mädchen komplett ignoriert zu werden“. Weil er im Alltag Zivilcourage vermisst und es allgemein für eine ausprobierenswerte Idee hält, beschließt er eines Tages als maskierter Rächer Kick Ass um die Häuser zu ziehen. Gleich sein erster Einsatz bringt ihn schwer verwundet ins Krankenhaus. Erst als er in den bizarren Waffennarren Big Daddy und Hit Girl weitaus professionellere Verbündete findet, kann er den Kampf gegen den städtischen Drogenpaten Frank D’Amico aufnehmen.

Übermäßig originell erscheint der Plot zunächst nicht. Was macht Vaughn also anders? In mancherlei Hinsicht haben Comicadaptionen die großen Literaturverfilmungen abgelöst. Kaum eine erfolgreiche Graphic Novel oder Comicreihe, die nicht ihren Weg ins Kino fände. Um das Geschichtenerzählen oder echtes Interesse an den Figuren geht es dabei allerdings nur in Ausnahmefällen. In erster Linie stehen Comics für die publikumswirksame Bekanntheit eines Szenarios mit einem Portfolio audiovisuell gut adaptierbarer Attraktionen. Die Initiationserzählung des Helden variiert dabei hingegen nur im Bereich von Nuancen, und erst in Fortsetzungen darf man auf eine über das Erwartbare hinausgehende Handlung hoffen. Dieses ebenso straffe wie erfolgreiche Gerüst lässt wenig Raum für eigene Schwerpunktsetzungen der Regisseure und Autoren, und im Ergebnis gleichen die Versuche, Subtilität in die Effektspektakel zu schmuggeln, den Tricks, mit denen die Hitchcocks und Curtiz’ den rigiden Hays-Code zu umgehen versuchten.

Diese Zwischenräume zwischen den orgiastischen Prügeleien kostümierter Vigilanten bieten Platz für Porträts narzisstischer Industrieller („Iron Man“), für die Entfaltung eines Polizeithrillers („The Dark Knight“) oder eines Ensemblestücks über Diskriminierung („X-Men“). „Kick-Ass“ verhält sich im Grunde wie das unabhängig produzierte Punk-Gegenstück zum eher zahmen Konsensriesen „Spider-Man“. Vergleiche mit den Musikindustriebegriffen „major“ und „indie“ liegen nahe, nur das hier eben die enormen Produktionskosten den üblichen Weg vom Nischen- in den Mainstreambereich auf den Kopf stellten.

Ohne ein großes Studio im Rücken (oder Nacken) sowie eingestuft als nicht jugendfrei (zumindest in Übersee) kann sich „Kick-Ass“ nun mit in ihrer Beiläufigkeit erfrischenden Drastik um Teenagerthemen kümmern. Da wird masturbiert, gevögelt und geflucht, dass es eine Freude ist, doch gerade dadurch wirkt „Kick-Ass“ bei allen sonstigen Überzeichnungen ziemlich realistisch im Sinne von: normal. Halbstarke verhalten sich hier mal tatsächlich wie Halbstarke und sind dabei nicht halb so unsympathisch wie man es befürchten könnte. Auch jenseits der Zwanzig macht es noch Spaß, Dave bei seinen hilflosen Anbandelungsversuchen mit seiner Mitschülerin Katie zuzusehen.

Alle naturalistischen Anwandlungen kommen natürlich zum Erliegen, wenn der heimliche Star von „Kick-Ass“ die Bühne betritt. Hit Girl, gespielt von der zum Zeitpunkt der Dreharbeiten erst elfjährigen Chloë Moretz („(500) Days of Summer“), ist eine Kampfmaschine von solcher Wucht, dass wohl selbst Quentin Tarantinos Braut die Kleine zur Mäßigung anhalten würde. Nicht so ihr Filmvater, den Nicholas Cage in seiner (abgesehen von Werner Herzogs „Bad Lieutenant“) motiviertesten Vorstellung seit Jahren gibt.

Gerade, dass Vaughn nicht das mit einer wesentlich interessanteren Hintergrundgeschichte ausgestattete Hit Girl zur Hauptperson von „Kick-Ass“ macht, zeigt, dass es ihm weniger um eine Parodie als eben um einen Teeniefilm ging. Denn wo Hit Girl in ihrer Freizeit die Vorteile einer schusssicheren Weste am eigenen Leib ausprobiert, da genießen die anderen jungen Vigilanten im Einsatz vor allem, mit einem getunten Mustang durch die Stadt zu brausen und der Zahl ihrer Facebook-Freunde beim Wachsen zuzusehen.

Neben „The Dark Knight“ ist „Kick-Ass“ jedenfalls der in seinen actionfreien Szenen bis dato funktionstüchtigste Comicfilm. Und sollte er sich längerfristigen Kultstatus erwerben können, so dürfte dies weder an seinen wiewohl toll inszenierten Kampfeinlagen liegen noch an einer wie auch immer beschaffenen Metahaltung zum eigenen Genre, sondern einfach daran, dass Matthew Vaughn mit „Kick-Ass“ einen unprätentiösen, extrem unterhaltsamen Teenagerfilm vorgelegt hat. Kein Stück weniger. Aber auch nicht mehr – vielleicht abgesehen von Hit Girl.

Cord Krüger


„Kick-Ass“, USA/GB 2010.
Regie: Matthew Vaughn. Drehbuch: Matthew Vaughn, Jane Goldman (nach dem Comic von Mark Millar und John Romita Jr.). Kamera: Ben Davis. Musik: Marius De Vries, Ilan Eshkeri, Henry Jackman, John Murphy. Produktion: Adam Bohling, Tarquin Pack, Brad Pitt, David Reid, Kris Thykier, Matthew Vaughn.
Darsteller: Aaron Johnson (Dave Lizewski / Kick Ass), Mark Strong (Frank D’Amico), Chloë Moretz (Mindy Macready / Hit Girl), Nicholas Cage (Damon Macready / Big Daddy), Christopher Mintz-Plasse (Chris D’Amico / Red Mist), Lyndsy Fonseca (Katie).
Verleih: Universal.
Länge: 117 Minuten.
Kinostart: 22.04.2010.