Im Postklassischen Wunderland – Tim Burtons Reimaginationen von „Sleepy Hollow“ bis „Alice“
von Andreas Rauscher
1. Der Micky Maus-Club schlägt zurück
Zwar zählt Tim Burton zu den prominentesten Absolventen der Disney Studios, doch seine Ästhetik definiert sich meistens als deren anarchisch-dialektische Antithese. Anstelle mit versöhnlichem Zuckerguss-Kitsch überzogen falsche Kompromisse einzugehen, behält er die Widersprüchlichkeit der Gesellschaft im Auge. Die Fluchtbewegungen der Phantastik entfernen sich bei ihm nie so weit von der Realität, dass man darüber vergessen würde, aus welchen Gründen die Gegenwelten zur repressiven Tristesse des Alltags entworfen wurden. Er stilisiert sich selbst als einer jener Außenseiter, denen von Anfang an seine Sympathien galten. Nachdem er sich von der Disney Factory emanzipiert hatte, sammelte er im Lauf der Jahre ein familienähnliches Ensemble um sich. Statt in Hollywood zu bleiben, flüchtete er sich in den Londoner Nebel, durch den der Protagonist seines neo-expressionistischen Kurzfilm-Debüts „Vincent“ (1982) streifen wollte. Das von ihm neben Terry Gilliam als zweitem prominenten amerikanischer Auteur des phantastischen Films bezogene Exil in England erschien nicht nur nach der immer leicht zur Romantisierung tendierenden Logik des Autorenfilms naheliegend. Immerhin bildete der europäische Horrorfilm der 1960er Jahre einen zentralen Bezugspunkt der filmhistorischen Koordinaten seines Oeuvres.
Umso erstaunlicher erscheint es, dass der vom filmischen Expressionismus und dem surrealen Humor Federico Fellinis ebenso wie von den Illustrationen des Kinderbuchautors Dr. Seuss und den romantischen Horror-Märchen Mario Bavas beeinflusste Tim Burton für seinen neuesten Film „Alice in Wonderland“ ausgerechnet zu jenen Disney Studios zurückkehrt, deren Stil er wenige Jahre zuvor noch mit kulturindustrieller Fließbandarbeit verglich. Sein Resümee zur Arbeitserfahrung bei Disney könnte auch von dem Kulturkritiker Theodor W. Adorno stammen, der in der „Dialektik der Aufklärung“ dem Trickfilm vorwarf, er habe seinen anfänglichen Status eines „Exponenten der Phantasie gegen den Rationalismus“ (Adorno 1988, 146) zu Gunsten eines „Siegs der technologischen Vernunft über die Wahrheit“ aufgegeben. Burton verglich die Arbeit bei Disney mit einem militärischen Drill: „It was like being in the Army; I’ve never been in the Army, but the Disney programme is probably about as close as I’ll ever get […] Disney and I were a bad mix. For a year I was probably more depressed than I ever was in my life […] What’s odd about Disney is that they want you to be an artist, but at the same time they want you to be a zombie factory worker and have no personality.” (Salisbury / Burton 1995, 7-10)
1994 kehrte Burton bereits einmal zu Disney zurück, um gemeinsam mit dem Regisseur Henry Selick („Coraline“, 2009) den Stop Motion-Animationsfilm „Nightmare Before Christmas“ zu drehen, dessen Anfang der 1980er Jahre für das Studio angefertigte Entwürfe und somit auch das Copyright in den Kellern des Dornröschenschlosses schlummerten. Auf den ersten Blick erscheint die aktuelle Zusammenarbeit bei „Alice in Wonderland“ ähnlich motiviert wie die damalige Zweckgemeinschaft. 2011 will Burton ein auf Spielfilmlänge ausgedehntes Remake seines ebenfalls aus der Zeit bei Disney stammenden Kurzfilms „Frankenweenie“ (1984) drehen. Über die genaueren Konditionen tauscht man sich bei einer gepflegten Tasse Tee in der „Alice in Wonderland“-Sektion Disneyworlds aus. Immerhin wurde die berühmte Lewis Carroll-Vorlage von diesem Studio bereits in den frühen 1950er Jahren als Trickfilm adaptiert und in den späten 1960er Jahren, zumindest für College-Vorführungen, wieder aus dem Verkehr gezogen. Niemand sollte auf die Idee kommen, eine Wasserpfeife rauchende Raupe mit der damaligen Psychedelic-Kultur in Verbindung zu bringen. Heute bewirkt der gleiche Tatbestand, „smoking caterpillar“, neben der ebenfalls in der Begründung der Motion Pictures Association of America erwähnten „fantasy violence“ und den „scary images“ lediglich ein, der Freigabe ab 12 entsprechendes, PG-Rating.
2. Through Disney’s Looking Glass and what Tim Burton found there
Die Rückkehr Tim Burtons von seiner Reise durch die fremden Gefilde des internationalen Autorenkinos ins selbst ernannte Magic Kingdom passt von der Seite Disneys durchaus in die aktuelle Firmenpolitik. Nachdem die im Jahrzehnteabstand flüchtig aufblitzende Kreativität, die zeitlose Klassiker wie „The Jungle Book“, „Fantasia“, das von Carl Barks geschaffene Entenhausen der Donald Duck-Comics, die Mäusepolizei oder die Old School-Virtual Reality von „Tron“ hervorbrachte, in den letzten Jahren vergeblich auf sich warten ließ, setzte man nicht mehr auf die fordistische Fließbandarbeit, sondern begann im großen Stil einzukaufen. Sowohl der renommierte, seit zwei Jahren um ein eigenes Studio erweiterte Marvel-Verlag, der in den 2000er Jahren mit „X-Men“ (seit 2000) und „Spider-Man“ (seit 2002) eine neue Ära der ambitionierten Comicverfilmungen einleitete, als auch das mit Abstand innovativste Animationsfilmstudio Pixar, dessen digitale Trickfilme lebendiger, menschlicher und intelligenter als der Output der meisten Hollywood-Studios erscheinen, wurden von Disney erworben. Das Studio bewies in einem spektakulären Coup, dass es nicht nur die Kulturindustrie-These Adornos nach wie vor mustergültig erfüllen, sondern auch einem weiteren Klassiker der Frankfurter Old School, Herbert Marcuses Begriff der repressiven Toleranz zu neuer Aktualität verhelfen konnte.
Sowohl bei den „Simpsons“, in deren ersten Kinofilm (2007) sich Bart mit aufgesetzten Mäuseohren als „mascot of an evil corporation“ (ausnahmsweise spielt er damit trotz der treffenden Beschreibung nicht auf seinen eigenen Arbeitgeber Fox an) ausgab, als auch in den seit 2001 produzierten „Shrek“-Filmen bildeten die Disney-Studios eine willkommene Zielscheibe als Inbegriff einer jegliche Kreativität unterdrückenden Prüderie und eines rigoros verordneten Biedersinns. Die beste Taktik, das angekratzte Image zu sanieren, bestand darin, der Kritik ein domestiziertes Forum zu bieten und sich gelegentlich um Selbstironie zu bemühen. Das perfekte Sinnbild für diese Strategie findet sich in Tim Burtons „Alice in Wonderland“, wenn das an das Disney-Firmenlogo erinnernde Märchenschloss einfach in zwei Varianten präsentiert wird. Die Guten, angeführt von der seit den hauseigenen „The Princess Diaries“ (2001) plötzlich von der Prinzessin zur White Queen beförderten Anne Hathaway, erscheinen leicht verpeilt und bemüht ‚gutmenschenhaft’. Die Bösen unter der launischen Herrschaft der gewohnt brillanten Burton-Lebensgefährtin Helena Bonham Carter als Red Queen lassen zwar die Köpfe rollen, aber im Unterschied zu „Sleepy Hollow“ (1999) wird kein romantischer oder interpretatorischer Mehrwert gewonnen.
Die Minderwertigkeitskomplexe der Schurken erscheinen psychologisch nachvollziehbar, sie erreichen jedoch weder die tragische Dimension der Gegenspieler in „Batman Returns“ (1992) noch die destruktive Kreativität der anarchischen Außerirdischen aus „Mars Attacks“ (1996). Disney gönnt sich mit der White Queen eine dezent selbstparodistische Version der eigenen Aushängeschilder, die keine wirklich dialektischen Lesarten zulässt, dafür sind die Schurken einfach doch zu böse und müssen in ihre Schranken verwiesen werden. Statt die für Burton typische Offenheit fortzusetzen, die tradierte Genrekonzepte bewusst in Frage stellt, werden die anfangs angedeuteten Ambivalenzen zu Gunsten bewährter Eindeutigkeiten aufgegeben.
Die Reintegration Tim Burtons in den Disney-Betrieb bedeutet für das Studio nur marginale Veränderungen. Die Heimkehr des einst verstoßenen Individualisten passt ebenso gut zur neuen Firmenpolitik wie die tendenziell anti-autoritären Ansätze Pixars, die Beschäftigung von androgynen Piraten, die wie der Grandseigneur aller Rock’n’Roll-Enfant Terribles Keith Richards aussehen und gelegentlich sogar von diesem selbst gespielt werden, oder das bessere Verständnis für kiffende Raupen. Man sollte sich keine allzu großen Illusionen über Disneys neue Toleranz machen, denn diese ist, sobald die Ergebnisse nicht stimmen, nach wie vor repressiv: Das aus Prestigegründen während des Indiestream-Booms gehaltene Miramax-Label wurde Anfang 2010 geschlossen. Das Anliegen der ursprünglichen Betreiber Harvey und Robert Weinstein, den Namen ihres ehemaligen Vertriebs von Disney zurück zu kaufen, scheiterte daran, dass keine Einigung hinsichtlich des Preises für die wohl doch nicht ganz so wertlos erachtete Marke erzielt werden konnte.
Irritierend erscheint an dieser Situation nicht so sehr die Firmenpolitik Disneys. Diese hat sich seit jenen Tagen nicht verändert, in denen man aus Angst vor falschen Assoziationen die Zeichentrick-Version von „Alice in Wonderland“ vom Campus-Kino fernhielt, nur um nach dem kommerziellen Erfolg von Bands wie Jefferson Airplane auf einmal doch die psychedelischen Qualitäten des Films zu entdecken. Verstörend stimmt dabei, dass bei genauerer Betrachtung die Entwicklung durchaus mit einigen Tendenzen in Burtons Oeuvre innerhalb der letzten zehn Jahre korrespondiert.
3. Post-Classics Illustrated
Die Rahmenbedingungen von „Alice in Wonderland“ bilden zwanzig Jahre nach Burtons erstem Blockbuster die exakte Umkehrung zu „Batman“. 1989 überraschte der mit „Pee-Wee’s Big Adventure“ (1986) und „Beetlejuice“ (1988) bereits positiv aufgefallene Nachwuchs-Regisseur mit einer bildgewaltigen Comicverfilmung. Hinter dem millionenschweren Erfolg und dem flächendeckenden Marketing ließen sich die individuellen Obsessionen und Themen eines Auteurs der „Urban Fantasy“ erkennen. Diese Variante der Fantasy flüchtet sich nicht in testosterongeschwängerte, archaische Sword-and-Sorcery-Schlachtplatten oder pathostriefendes, klassizistisches Schicksalsgeraune, von dem nicht einmal ein talentierter Regisseur wie Peter Jackson in „The Lord of the Rings“ (2001-2003) lassen konnte. Stattdessen ermöglichen realitätsbezogene Anhaltspunkte eine gesellschaftskritische Lesart und eröffnen utopische Gegenmomente zu real existierenden Machtverhältnissen. Zu den beispielhaften Vertretern dieses zu Hybriden tendierenden Subgenres zählen auch der Regisseur Terry Gilliam oder der Schriftsteller und Drehbuchautor Neil Gaiman.
In „Batman“ gestalteten sich die Grenzen zwischen Superheld und Superschurke in ihren neurotischen Exzessen bereits fließend, um sich im Sequel „Batman Returns“ schließlich weitgehend aufzulösen. „Alice“ beraubt hingegen die Schach-Metapher Lewis Carrolls um ihre spielerische Komponente und präsentiert ein Disney-kompatibles Gefecht zwischen Gut und Böse. In den „Batman“-Filmen dekorierte Burton eine Blockbuster-Produktion so lange gezielt um, bis daraus ein postmodernes Pastiche aus individuellen stilistischen Vorlieben und angeeigneten Motiven wurde. Für „Alice in Wonderland“ schmücken sich die Disney Productions hingegen mit ihrem prominentesten Problemfall, um ihn als Innenausstatter für ein in der restlichen Architektur von ihnen konstruiertes Event-Movie zu gewinnen. „Batman“ deutete, nicht zuletzt durch Tim Burtons Vorliebe, sich auf Grund von visueller Faszination in einer Story-World zu verzetteln, einen amerikanischen Pop-Mythos subversiv um und beförderte parallel zu den Graphic Novels von Alan Moore und Frank Miller ungewöhnliche Lesarten. Das von der Disney-Veteranin Linda Woolverton verfasste Drehbuch zu „Alice in Wonderland“ zimmert einen Klassiker des absurden Humors auf „Narnia“-Maßstäbe zurecht und verleiht jeglichem Nonsens einen überdeutlich ausformulierten tieferen Sinn. Die „Batman“-Filme waren ein Musterbeispiel für die einfallsreiche Umsetzung einer innovativen filmischen Postmoderne. „Alice in Wonderland“ funktioniert hingegen wie auch schon Gore Verbinskis „Pirates of the Caribbean“-Trilogie (2003-2007) in erster Linie als postklassischer Abenteuerspielplatz, der trotz aller charmanten Doppelcodierungen und reizvollen Attraktionen nach Möglichkeit in genau jenem Zustand verlassen werden soll, in dem er vorgefunden wurde. Glücklicherweise kümmert sich Burton nicht lange um diese Anweisungen und entwirft eindrucksvolle Installationen rund um die vorgefundenen Standardsituationen. „Alice in Wonderland“ zählt trotz aller inhaltlicher Kritik zu den optischen und schauspielerischen Höhepunkten des bisherigen Kinojahres. Dennoch erscheint er weitaus musealisierter als die anderen Burton-Filme und das gerade nicht im positiven Sinne, wie es das Aufeinandertreffen von Theme Park und bildender Kunst in der Burton-Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art nahe legen würde, sondern als klassizistisches Wachsfigurenkabinett.
Die Filmtheoretiker Thomas Elsaesser und Warren Buckland weisen in ihren Untersuchungen zum postklassischen Kino darauf hin, dass sich dieses weniger durch einen Bruch mit den klassischen Formen sondern häufig sogar durch einen exzessiven Klassizismus auszeichne (Elsaesser / Buckland 2002, 61). Bis Ende der 1990er Jahre bestand die wesentliche Stärke von Tim Burton genau darin, die Spielregeln des Klassizismus so offensichtlich auszustellen, dass er sich in subversiven Camp mit berührenden melancholischen Untertönen verwandelte. Ganz im Sinne des postklassischen Kinos als einem selbstbewussten Spiel mit dem Wissen um die eigenen Genreformen und Repräsentationsmechanismen (vgl. Thanouli 2009, 24) ermöglichen die Filme Burtons durch ihren visuellen Einfallsreichtum und die beiläufige Erfüllung narrativer Hollywood-Konventionen eine Vielzahl an Auslegungen. Wie David Lynch und Quentin Tarantino schlägt Burton eine Brücke zwischen den ästhetisch verwandten, inhaltlich jedoch, wie Jens Eder in dem Band „Oberflächenrausch“ (vgl. Eder 2008, 33) anschaulich erläutert, konträren Strömungen des postklassischen Mainstreams und des postmodernen Autorenfilms. Seine Comicverfilmungen bieten persönliche Interpretationen bekannter Pop-Mythen und lassen sich, zumindest im Fall des ersten „Batman“, dennoch international als Blockbuster vermarkten. „Edward Scissorhands“ gestaltet sich als postmodernes Kunstmärchen und funktioniert dennoch als gegenwartsbezogener Märchenfilm, in dem in einer Umkehrung der Disney-Polaritäten das verwunschene Schloss Geborgenheit bietet und die kleinbürgerliche Vorstadt sich als wahrer Ort des Grauens erweist. Das Biopic „Ed Wood“ (1995) über den angeblich „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“ glänzt mit intertextuellen Anspielungen sowie filmhistorischen und formalen Querverweisen, entwirft dabei aber zugleich eine eigene Auslegung des traditionellen Auteur-Begriffs, wenn Ed Wood sich in einem nicht historisch, aber emotional vollkommen akkuraten Treffen mit Orson Welles austauscht.
4. The Joy in Repetition / Reimagination
Neoklassisches World-Building wie in Peter Jacksons „King Kong“ (2005) oder James Camerons „Avatar“ (2009), dessen bezugsfertige Architektur die Bruchstellen des zusammengefügten Patchworks verschwinden lassen will, war bei Tim Burton lange Zeit nicht vorstellbar. Es schlich sich in seine Filme durch die Hintertür ein, die sonst schauerromantischen Nachtgestalten aller Art vorbehalten war. Zwar befindet sich Burton in „Alice in Wonderland“ noch denkbar weit davon entfernt, sich auf die Starrheit eines illustrierten Klassikers, wie sie einige der „Harry Potter“-Filme bieten, einzulassen. Er hat inzwischen jedoch seine eigene Form der postklassischen Illustration geschaffen, die im Idealfall eine bekannte Vorlage umdeutet, unter weniger glücklichen Umständen diese wie in einem Theme Park-Ride lediglich mit originellen Bildern versieht. Erstere Variante findet sich in „Sleepy Hollow“ (1999), letztere bestimmt die Reimagination des „Planet of the Apes“ (2001). Beide Filme bilden Vertreter des postklassischen Kinos, bis zu einem gewissen Grad beziehen sie postmoderne Brüche und selbstreferentielle Ansätze ein, folgen insgesamt aber einer klassischen Dramaturgie. Der Held muss sich in einer außergewöhnlichen Situation bewähren und seine bisherigen Grenzen auf der Reise durch eine fremde, geheimnisvolle Welt überschreiten.
„Sleepy Hollow“ kombiniert gekonnt die Ästhetik der auf symbolische Landschaftsmalerei und Lichteffekte spezialisierten Hudson River School des 19. Jahrhundert mit dem artifiziellen Charme der Hammer-Horrorfilme und der Arbeiten Mario Bavas aus dem europäischen Genrekino der 1960er Jahre. Burton drehte den Film in seiner späteren Wahlheimat England und inszenierte die realen Außenaufnahmen wie Studiokulissen. Dadurch verknüpft er nicht nur die Verfilmung einer berühmten literarischen Vorlage mit der von dieser geprägten Geschichte des Horrorfilms. Er kehrt als direkten Gegenentwurf zu einer der Werktreue verpflichteten Tradition der Qualität die Sympathieverteilung der Geschichte von Washington Irving um. Den ebenso leichtgläubigen wie maßlos arroganten Ichabod Crane macht Burton zu einer potentiellen Identifikationsfigur, deren rationales Weltbild durch die Begegnung mit einem kopflosen Reiter erschüttert wird. Während in der gleichnamigen Kurzgeschichte dessen nächtlicher Angriff als lustiger Streich auf Kosten des abergläubischen Crane entlarvt wird, erweist sich in Burtons Film die vermeintliche Schauermär überraschend als wahr. Dem bildverliebten Credo „Seeing is believing“ setzt Burton ein abgeklärtes „Truth is not always appearance“ entgegen. Die malerische Fassade der klassischen Literaturadaption gestaltet sich als doppelbödiges Spiel. Die Handlung der Vorlage wird aufgegriffen, nur um nach ihrem ursprünglichen Ende eine andere Wendung zu nehmen. Die Gruselfarce verwandelt sich in ein schauerromantisches Märchen und im letzten Drittel sogar in eine Kriminalgeschichte, die wiederum von den Spielregeln des Horrorfilms heimgesucht wird. Der Übergang zwischen den verschiedenen Genreelementen erscheint durch das visuell stimmige Konzept des Films und die schauspielerischen Leistungen von Johnny Depp und Christina Ricci stilistisch nahtlos. Michelle Le Blanc und Colin Odell halten in ihrer Einführung treffend fest: „The key to Burton’s approach with his film projects lies in the way he takes an established genre and twists it.” (Le Blanc / Odell 2001, 9). Eine vergleichbare Strategie findet sich in dem auf einem osteuropäischen Märchen basierenden Stop Motion-Animationsfilm “The Corpse Bride” (2005), in dem das Reich der Toten weitaus einladender und farbenfroher als die triste Welt der Lebenden erscheint. Die Handlung nimmt eine klassische Auflösung, die ästhetischen Zuordnungen des traditionellen Hollywood-Animationsfilms werden jedoch systematisch auf den Kopf gestellt.
Leider vergaß Burton in der für 20th Century Fox realisierten Neuverfilmung des dystopischen Science-Fiction-Klassikers „Planet of the Apes“ (2001) trotz eines Plot Twists am Schluss des Films ähnlich einfallsreiche Wendungen in den restlichen Film einzubauen. Der Film entwirft bildverliebt eine detailreich ausgestaltete imaginäre Welt und skizziert als Reimagination eine interessante Alternative zu gängigen Remake- (und inzwischen auch Reboot-) Konzepten. Burton löst sich von der Handlung der ersten Verfilmung von Franklin J. Schaffner und deren Fortsetzungen (1968-1975). Wie in „Alice in Wonderland“ finden sich die stärksten Momente des Films in der Erarbeitung neuer Blickwinkel auf vertraute Szenen, wie etwa in der dynamischen Begrenzung des Sichtfeldes beim ersten Auftritt der Affenkommandos, die einen gezielten Kontrast zu den weitläufige Totalen des Original bildet. Burton reimaginiert eindrucksvoll die Bildwelten der Vorlage, für eine durchgehend fesselnde Neuauslegung des Stoffes erschöpft sich der Film jedoch zu sehr in der tradierten Struktur eines konventionellen Hollywood-Spektakels. Die postklassischen Illustrationen zum auf einen neuen Anstrich wartenden Klassiker erwiesen sich als kommerzieller Misserfolg. Burton wandte sich daraufhin folgerichtig einem kleineren, autobiographischen Projekt zu.
5. Die Notwendigkeit des unzuverlässigen Erzählens – „Big Fish“
Der nach einer Romanvorlage des Schriftstellers Daniel Wallace und einem Drehbuch des neuen Burton-Regulars John August entstandene „Big Fish“ (2003) gestaltet sich als eine der persönlichsten Arbeiten Tim Burtons, der darin den Tod seines Vaters verarbeitete. Der Protagonist des Films hat sich, genau wie der Regisseur selbst, aus der erdrückenden amerikanischen Vorstadt nach Europa abgesetzt. Als ihn und seine Frau die Nachricht erreicht, dass sein schwer kranker Vater Edward (Albert Finney in einer fulminanten Altersrolle) im Sterben liegt, begeben sie sich auf einen Familienbesuch in die amerikanische Provinz nach Alabama, der zugleich zu einer Reise in eine unzuverlässig erzählte Vergangenheit wird. Denn im Unterschied zu klassischen Generationskonflikten hat sich die Rollenverteilung in „Big Fish“ umgekehrt. Der fabulierfreudige Vater erzählt ständig abenteuerliche Geschichten, die wiederum sein Sohn als Erzähler des Films aufgreift und die er am Ende selbst weiterführen muss. Sein Charakter, dessen schillernde Abenteuer mit Riesen, Werwölfen und siamesischen Zwillingen in Rückblenden mit Ewan McGregor in der Rolle des jungen Edward ausgestaltet werden, entspricht weitaus stärker einer typischen Burton-Figur als der zugeknöpfte und etwas spießige Sohn.
Während andere Regisseure sich hinsichtlich des Schauplatzes, des Ensembles und der Thematik sicher in die Gefahrenzone des Norman Rockwell-inspirierten Kleinstadt-Kitsches begeben würden, vermeidet Burton durch die leicht zurückgenommenen, aber durchgehend präsenten Märchenelemente jegliche reaktionäre Verklärung. „Big Fish“ greift eine ganz klassische Geschichte auf, präsentiert diese aber gefiltert durch das Bewusstsein für Genrecodes und die offeneren Erzählstrukturen des postklassischen phantastischen Films. Das unzuverlässige Erzählen erschöpft sich bei Burton weder im kniffligen Rätselspiel, was der Protagonist wann tatsächlich getan hat, noch in der funktionellen Charakterisierung des alten Vaters als suburbanem Paradiesvogel. Vielmehr bietet es eine mögliche Annäherung an das einst verhasste Suburbia, um auf der Grundlage der Phantastik für die Zukunft ein gegenseitiges Verständnis, das in „Edward Scissorhands“ noch gänzlich utopisch erschien, zu befördern. Zwischendurch gönnen sich Burton und das eingespielte Ensemble um ihn amüsante episodenhafte Ausflüge in die Genrebereiche des Horror-, des Spionage- und des Fantasy-Films. Wie in den Filmen von Terry Gilliam und Guillermo Del Toro erscheint der Umgang mit dem Phantastischen bei Tim Burton durch die Rückkopplung an die Realität erwachsener, ohne deswegen den Spaß an ausgefallenen Charakteren und faszinierenden Gegenwelten zu verlieren. In den Filmen dieser drei Regisseure wird fast immer deutlich gemacht, welche persönliche und gesellschaftliche Motivation für die Flucht durch den Spiegel, ins Kaninchenloch oder in das Dickicht des direkt um die Ecke von Suburbia liegenden Märchenwalds, in dessen Zentrum sich das geisterhafte Phantombild zur Vorstadtidylle findet, führt. „Big Fish“ erscheint wie die konsequente Zusammenführung der seit „Edward Scissorhands“ dominanten Burtonschen Themen mit der verschrobenen Idylle von David Lynchs „Straight Story“ (1999). Die folgenden Spielfilm-Arbeiten gestalteten sich zwar durchgehend überzeugend, aber weniger risikofreudig. Burton kultivierte die selbst geschaffene, postklassische Nische mit Adaptionen genau jener Stoffe, denen er einen eigenen, mittlerweile vorhersehbaren Twist verleihen konnte.
6. Adaptionen zwischen Schokoladenfabrik und Friseursalon
Zum Start von „Sweeney Todd“ Ende 2007 verkündeten die Cahiers du Cinema begeistert, dass einer ihrer favorisierten Auteurs endlich mit einem beachtlichen Knalleffekt auf sein vertrautes Metier zurückgekehrt sei. Dabei hatte Tim Burton sein Areal wirklich nie verlassen, sondern es lediglich in unterschiedlichen Formen arrangiert. Wie in der Roald Dahl-Verfilmung „Charlie and the Chocolate Factory“ (2005) geht es in seinen neueren Filmen in erster Linie um die Geschmacksvarianten und Verfeinerungen des Auteur-Gourmets. Im Gegensatz zu „Big Fish“ begibt er sich aber nicht wirklich auf riskantes Terrain, sondern pflegt die von Publikum und Kritik geschätzten Idiosynkrasien.
Wie Jean-Luc Godard in seinem Spätwerk immer wieder Videoarbeiten rund um den Genfer See dreht und Claude Chabrol seit Jahrzehnten die kriminellen Abgründe der Bourgeoisie erkundet, so widmet sich das aus Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Soundtrack-Komponist Danny Elfman und einer ganzen Reihe von assoziierten Mitgliedern wie Christopher Lee und Michael Gough bestehende Tim Burton-Ensemble regelmäßig wie ein auf Pop Art-Grand Guignol spezialisiertes Schauspielhaus der Aufführung entsprechender Vorlagen.
Die familienfreundliche Matineevorstellung präsentiert die Abenteuer von Charlie, einem Kind aus armen Verhältnissen, der in „Charlie and the Chocolate Factory“ ein goldenes Ticket für den Besuch in der Schokoladenfabrik des geheimnisvollen Sonderlings Willy Wonka gewinnt. Johnny Depp spielt den Citizen Kane der Schokoladenindustrie als stets leicht neben sich stehenden Exzentriker. In seinem dunkelroten Dandy-Outfit erscheint er nicht wie Gene Wilder in der ersten Verfilmung des populären Kinderbuchs aus den 1970er Jahren als verschmitzter Entertainer, sondern tritt als skurrile und schadenfrohe Mischung aus Michael Jackson und Freddy Krueger in Aktion.
Die Abendvorstellung an der Grenze zum Midnight Movie belegt hingegen „Sweeney Todd“. Das 2007 nach einem Musical von Stephen Sondheim entstandene Schauerstück verbindet die urbane Londoner Legende des dämonischen Friseurs von der Fleet Street mit vergnüglichen Gesangseinlagen. In ihrem artifiziellen Charme ergänzen sich die Welten des Musicals und des europäischen Sixties-Horrorfilms. Das Blut spritzt tiefrot wie in den Filmen von Mario Bava, die Kehlen werden mit präzisem, rhythmischen Timing zum parallel montierten Liebeslied des in die zweite Reihe der Protagonisten beförderten jugendlichen Helden durch- und gegengeschnitten und die bürgerlichen Opfer des Friseurs landen wie in den Midnight-Burlesken der 1970er Jahre in der Pastete. Die Rückblenden und Traumvisionen heben sich wie in „Sleepy Hollow“ durch den Einsatz greller, betont künstlicher Farben vom tristen Grau des bühnenartigen Londons ab. Doch im Vergleich zu den früheren Burton-Filmen wirken weder das Erscheinungsbild der als Außenseiter stilisierten Figuren noch die Akzentverschiebung unter den Handlungsträgern vom idealistischen Pärchen der Bühnenversion hin zu den kaputten, natürlich von Johnny Depp und Helena Bonham Carter gespielten Freaks oder die Tatsache, dass die wenigsten der Schauspieler singen können, besonders revolutionär. Vielmehr gehören die postklassischen Brüche zu ebenso sympathischen wie sicher zu erwartenden Inszenierungsmerkmalen des Regisseurs. Die Vorstellungen im kleinen Grand Guignol-Theater in der europäischen Filiale Hollywoods liefen mit anderen Worten so gut, dass die Späher des Magic Kingdoms der Disney Productions wieder Interesse an dem ehemaligen Dissidenten bekamen.
7. Die Phantome des Hutmachers
Der von Disney als Event-Movie produzierte und mit einem spektakulären, Tim Burton durchaus zu gönnenden Erfolg am Startwochenende angelaufene „Alice in Wonderland“ vollführt eine weitere Reimagination, dieses Mal eines Stoffes, der sowohl für Tim Burton als auch für Terry Gilliam grundlegend prägend war. Doch wie bereits eingangs erwähnt bildet „Alice in Wonderland“ die genau Umkehrung zu den „Batman“-Filmen: Es geht nicht darum, dass ein Auteur subversive Inhalte in ein standardisiertes Hollywood-Format schmuggelt, sondern sein Prestige soll davon ablenken, dass im Unterschied zu der experimentierfreudigen Batman-Alice-Variante „Arkham Asylum“ von Grant Morrison oder dem Videospiel von American McGee lediglich weit geöffnete Türen eingerannt werden. Burton hat mit seiner Geschichte über die Rückkehr der an der Schwelle zum Erwachsensein stehenden Alice in die Phantasiewelt ihrer Kindheit an jener Stelle künstlerischen und kommerziellen Erfolg, an der Steven Spielbergs Peter Pan-Hommage „Hook“ 1991 kläglich scheiterte. Aber diese Leistung sollte nicht überbewertet werden, denn Robin Williams Betroffenheitsclownerei zählt zu den extremsten Tiefpunkten in Spielbergs gesamter Laufbahn.
Johnny Depp tritt erneut als Burton-Alter Ego in Aktion. Auch wenn es in „Alice in Wonderland“ wahrscheinlich gar nicht so direkt beabsichtigt war, erinnert die Situation des zu seinem alten Arbeitgeber Disney zurückgekehrten Tim Burton an den in Fesseln gelegten Verrückten Hutmacher am Hof der launischen Red Queen. Helena Bonham Carter wäre als diese unter anderen Bedingungen wahrscheinlich wie die Batman-Schurken eine Empathie auslösende Gegenspielerin und nicht einfach nur die schauspielerisch hervorragend umgesetzte, aber dramaturgisch kaum entwickelte Update-Version der bösen Stiefschwestern aus den klassischen Disney-Filmen. Mia Wasikowska hätte als Alice das Potential zu einer typischen Burton-Heldin. Zumindest legen diesen Eindruck die gelungenen ersten zwei Drittel des Films nahe.
Die Rückkehr ins Wunderland wird mit der Suche nach der verlorenen Kindheit verknüpft. Doch bevor diese Perspektive weiter vertieft werden kann, schlägt der kulturindustrielle Kasernenhofton Disneys wieder durch und befördert das gesamte Ensemble auf ein überdimensionales Schachbrett. Die Referenz an den zweiten Alice-Band „Through the Looking Glass“ hätte die Grundlage für eine wunderbar absurde und skurrile Kombination aus narrativen und ludischen Elementen abgeben können. Doch trotz eines Gastauftritts von Christopher Lee als Stimme des Ungeheuers Jabberwocky aus dem gleichnamigen Lewis Carroll-Gedicht beschränkt sich der Showdown auf eine phantasielose Schlacht in der Tradition der „Narnia“-Filme, die als reaktionäre Fantasy im unmittelbaren Gegensatz zur um Ambivalenzen und progressive Umcodierungen bemühten „Urban Fantasy“ stehen. Der Epilog bemüht sich scheinbar um einen emanzipatorischen Ansatz. Alice weist den zudringlichen Prinz Flatulenzproblem, mit dem sie vermählt werden sollte, zurück und steigt stattdessen in die Firma ihres verstorbenen Vaters ein, um eine Handelsreise nach Asien anzutreten. Sehr wahrscheinlich stammt dieses Ende nicht vom Burton-Ensemble, sondern aus der Feder der routinierten Drehbuchautorin Linda Woolverton. Mit ihren Skripts zu den Erfolgsfilmen „The Lion King“, „Mulan“ und „Beauty and the Beast“ konnte sie sich bereits ihren Premium-Platz im Micky Maus-Club sichern, in dem man Tim Burton nach wie vor nur den Grinsekatzen-Tisch überlässt.
Die spannende Ausgangidee, dass Alice als junge Erwachsene mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert wird, gerät im Verlauf des Films in den Hintergrund. Weder wird deutlich, weshalb die Bewohner Wonder-Underlands verzweifelt nach ihr suchten, noch kommt ihrem früheren Besuch als Kind eine dramaturgische Bedeutung zu. Mia Wasikowska bildet eine Bereicherung der Burton-Clique, doch leider schießt jedes Mal, sobald sie beginnt ein eigenes Profil herauszubilden, das Drehbuch quer und versucht sie wieder in die Parade der Disney-Helden einzugliedern. Im Magic Kingdom gibt es leider nur eine geduldete Dissidenten-Rolle, und diese ist bis in alle Ewigkeit Donald Duck vorbehalten. Am Ende steht eine Alice, die zwar ihre anfängliche Passivität hinter sich gelassen hat, deren neu gewonnene Ziele sich aber problemlos mit den Prinzipien des Neoliberalismus ergänzen. Mit Engagement in Sachen Gender-Issues hat diese Auslegung nicht mehr viel zu tun, vielmehr mit einer Aktualisierung der klassischen Disney-Prinzessinen. Es ist zwar durchaus verdienstvoll, dass diese durch den Einsatz von Linda Woolverton und anderen inzwischen kein Korsett mehr tragen müssen, die Etiketten des viktorianischen Zeitalters hinter sich lassen und erste Schritte in Richtung 20. Jahrhundert unternehmen dürfen. Statt sich tatsächlich um ausdifferenzierte Heldinnen zu bemühen, richten die Disney Studios aber lieber den Blick zurück auf die musealisierten Konflikte der von ihnen gerne heraufbeschworenen guten alten Zeit, in der es bereits als aufrührerisch galt, wenn man der alleinstehenden, schrulligen alten Tante sagt, dass es sich bei ihrem vergeblich erwarteten Märchenprinzen lediglich um einen imaginären Freund handelt.
Tim Burton und sein Ensemble, inklusive der ihrer „Princess Diaries“-Rolle durch eine Reihe ambitionierter Independent-Filme wie „Havoc“ (2005) längst entkommenen Anne Hathaway, waren in Filmen wie „Batman Returns“, „Mars Attacks“ und „The Corpse Bride“ schon einmal weiter. Sobald das für nächstes Jahr angekündigte Remake des Debüt-Kurzfilms „Frankenweenie“ (1984), dessen Rechte immer noch bei Disney liegen, abgeschlossen ist, sollten sie schleunigst die Flucht zurück in den Londoner Nebel ergreifen, und wenn nicht dorthin dann zumindest wieder ins benachbarte Warner Studio. Der ausdauerndste aller Majors des Classical Hollywood hatte nicht nur mit anarchischen Trickfilmen um Bugs Bunny und Co. schon immer das traditionelle Gegengift zum Disney-Kitsch produziert. Warner finanzierte mit „Pee-Wee’s Big Adventure“, den beiden ersten „Batman“-Teilen und „Mars Attacks“ jene innovativen und subversiven Spektakel, in denen Tim Burton mit voller Unterstützung Hollywoods dessen Inneneinrichtung während einer wüsten Verfolgungsjagd per Fahrrad demolierte, den Weg für die gebrochenen Helden-Neurotiker des neueren Comicfilms bereitete und das Mobilmachungspathos des „Independence Day“ (1996) zurück auf den Schrotthaufen der Filmgeschichte beförderte. Trotz aller charmanten Einfälle, die das Burton-Ensemble in den Reimaginationen bekannter Klassiker an den Tag legt, sie laufen langsam Gefahr zur von Disney geduldeten Mad Tea Party unter dem Protektorat von Johnny Depps Jack Sparrow zu werden. Die Burton-Filme der letzten zehn Jahre bilden eine visuell opulente und erzählerisch produktive Phase seiner Filmographie, jetzt wäre es aber an der Zeit, die anarchische Spielfreude der frühen Filme aus einer anderen Perspektive neu zu entdecken, bevor er ganz zum postklassischen Illustrator von Mickeys Gnaden wird.
Literatur:
Theodor W. Adorno / Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main 1988.
David Butler: Fantasy Cinema. Impossible Worlds on Screen. London 2009.
Jens Eder (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre. 2. Auflage. Hamburg 2008.
Kristian Fraga: Tim Burton – Interviews. Jackson (Mississippi) 2005.
Colin Odell / Michelle Le Blanc: Pocket Essentials – Tim Burton. Harpenden 2001.
Mark Salisbury: Burton on Burton. London 1995.
Eleftheria Thanouli: Post-Classical Cinema. An International Poetics of Film Narration. London, New York 2009.