DVD: "Die innere Sicherheit" - Gefühlte Auberginen

Deutschland 2000. Regie: Christian Petzold


Entstanden als Zusammenarbeit zwischen Preview Production, ALIVE AG und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, feiert die DVD Edition „Momente des Deutschen Films“ Meisterwerke der deutschen Filmgeschichte. Die erste Staffel der Reihe zeichnet mit ihren zehn DVDs deutsche Lebenswelten von der Weimarer Republik über die Nachkriegsjahre bis hin zum geteilten und wiedervereinigten Deutschland.
Anfangend mit Fritz Langs „Frau im Mond“ verfolgt „Momente des deutschen Films“ Kardinalpunkte der deutschen Filmgeschichte bis hin zu Christian Petzolds Film aus dem Jahr 2000 „Die innere Sicherheit“, der ein Jahr später mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Mit einem programmatisch doppeldeutigen Titel wendet sich Petzolds Film von der typischen Darstellung der RAF im Film ab, auf Glamour, Starbiographie und inszenierte Darstellung verzichtend, und richtet stattdessen einen Autorenblick auf die Menschen hinter den zu Stiletiketten gewordenen ehemaligen Akteuren der radikalen Linken.
Im Zentrum des Geschehens steht Jeanne(Julia Hummer), ein Mädchen, das mit seinen Eltern in Portugal lebt. Schon die ersten Einstellungen des Films zeigen sie als isoliertes Kind, sehnsüchtig nach Kontakt mit Gleichaltrigen, nach der Welt um sie herum, nach Leben. Ihre Familie befindet sich jedoch auf der Flucht und es ist zunächst unklar, welche Gründe dahinter stecken. Von der Polizei entdeckt, werden sie gedrängt, nach Deutschland zurückzukehren. Nach und nach wird durch indirekte Indizien deutlich, dass es sich um ehemalige RAF Mitglieder handelt, die ihre alten Kontakte in Deutschland aufsuchen, um sich von ihnen helfen zu lassen. Doch Jeanne lässt allmählich das Kind in sich zurück und entwickelt eine eigene Persönlichkeit. Eine, die Fragen stellt, die sich ein eigenes Leben wünscht, die den hektischen Rhythmus der Familie nicht mehr annehmen will.

Viel von der Außenwelt bekommt man im Film nicht mit. Die kleine Familie um Hans (Richy Müller) ist zu sehr konzentriert auf das eigene Überleben, zu sehr verloren in das reflexive Handeln, das automatisch einsetzt beim kleinsten Zeichen von Gefahr. Das Maschinelle an ihrem Leben wird ununterbrochen im Film vorgeführt: Umzüge werden mit einer Genauigkeit geplant, die sie fast zu Banküberfälle macht, geschlafen wird der Reihe nach, weil einer immer Wache halten muss, die Kleidung wird möglichst unauffällig gehalten. So entpuppen sich während des Films die Intimität und die Nähe zu den Charakteren als Beweismittel ihrer Oberflächlichkeit, als Zeugen ihrer Involution unter dem Druck der Politik und der Geschichte. Denn mit Ausnahme von Jeanne sind sie komplett bezugslos zur Welt um sich herum oder zueinander. Notwendigerweise verstrickt in Denkstrukturen der Vergangenheit, werden sie schließlich doch zu den Etiketten, die als grafische Vorlage den Vorspann charakterisiert haben, und genau diese Transformation befindet sich im Focus von „Die innere Sicherheit“. Es herrscht ein permanenter Ausnahmezustand, und nichts Weiteres findet mehr Raum in diesen Leben.

Wie üblich für Petzold lässt sich der Film nicht durch die Dialogebene erzählen, zur Instanz in dieser Hinsicht werden vielmehr die Bilder. So wird die Stimmung in dieser Familie von Flüchtlingen, vor allem die Stimmung von Jeanne in ihrer Rolle als werdende Erwachsene, zum Erzähler. Schlüssig dabei ist, dass Jeanne noch ein Kind ist. Sie nimmt die Lebensart ihrer Eltern an und verhält sich konform, ohne sie wirklich zu verstehen. Das Wissen ihrer Eltern übernimmt sie in angepasster Form in ihrer eigenen Welt: sie weiß, dass man auf einer deutschen Schule nichts mehr lernt, „die sind total fertig“. Oder dass man schweigen muss, wenn man schwach wird, um den Anderen aus der Fassung zu bringen.

Durch Jeannes Blick wird die Sehnsucht nach einem eigenen Zuhause spürbar. Mit großer Finesse inszeniert Petzold die Erzählung über eine Villa zu einem mentalen Besuch des Mädchens in diesem Haus. Ebenso prägnant wirken auf sie die kurzen Besuche bei den alten Kameraden ihrer Eltern, die, obwohl nur flüchtige Momente ihres Lebens, wie all ihre Bekanntschaften mit anderen Menschen außerhalb der Familie sie aus der ewigen Flucht im weißen Volvo der Familie herausreißen. Sogar der Moment, in dem sie ihren Freund zum Beischlaf auffordert, ist so bedeutungsgeladen, dass die Sexualität hinter ihrem Einstieg in einem Bett, in dem jemand dauerhaft schläft, in den Hintergrund tritt.

"Die innere Sicherheit" lässt sich vielleicht am besten als eine Tunnelfahrt in einem weißen Volvo beschreiben, den Blick nur nach vorne gerichtet, ständig auf die lauernde Drohung vorbereitet, ohne Vorstellung des Ziels, ohne unnötige Gespräche, und als einzige Anweisung die Stimme der Vergangenheit hörend, wie sie rhythmisch mit „rechts“ und „links“ auf die Richtung weist.

Die DVDs von „Momenten des deutschen Films“ sind in eleganten, an Buchrücken erinnernden Digisleeves verpackt und verfügen über umfassende Booklets. Als Bonusmaterial gibt es zu jeder der DVDs Interviews mit den Kinoredakteuren der FAZ, geführt vom Filmhistoriker Hans Helmut Prinzler. Zu „Die innere Sicherheit“ beinhaltet das Booklet eine umfangreiche und tiefgehende Kritik des Films, eine sehr knappe Biographie Christian Petzolds sowie einen Artikel über die Entstehung von „Die innere Sicherheit“. In den unter den DVD-Extras zu findenden Interviews besprechen Hans Helmut Prinzler und Verena Lueken die Komplexität und Klarheit in Petzolds Filmen und stellen Interpretationsansätze, Motivik und Stil des Films vor.

Ciprian David




Regie: Christian Petzold. Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki. Kamera: Hans Fromm. Musik: Stefan Will.
Darsteller: Julia Hummer, Barbara Auer, Richy Müller, Bilge Bingül, Günther Maria Halmer.
Extras: Interviews, Booklet mit Essays.
Produktion: Florian Koerner von Gustdorf, Michael Weber
Verleiher: Al!ve AG
Start: 8.2.2010


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