Filmfest München: Geschichte(n) vom Bauernhof - "Ende der Schonzeit", "Der Verdingbub", "Wuthering Heights"
1942. Ein Jude flieht. Ein Bauer liest ihn auf und versteckt ihn. Seine Frau wird und wird nicht schwanger. Die Folge: Ein unmoralisches Angebot.
In ihrem Debütfilm "Ende der Schonzeit" spielt Franziska Schlotterer eine derbe Situation durch; dass der Film nicht platt wirkt, dass das Dreiecksverhältnis nicht konstruiert wirkt, macht die Qualität des Filmes aus. Denn die Charaktere sind stark: Bauer Fritz ist wortkarg, gefühlsungewohnt, knorrig; seine Frau Emma scheu, eingeigelt, in sich gekehrt. Doch beide treibt Großes um, tief im Inneren, und sie merken es nicht einmal. Bis es zu spät ist. Bis Albert da ist. Bis Fritz merkt, dass er mit diesem illegalen Juden, dem Hilfsarbeiter auf dem Hof, eine Möglichkeit hat, endliche einen Erben zu bekommen. Wie er die Kuh zum Stier führt, führt er Albert Emma zu. Und wird unmerklich, allmählich innerlich aufgewühlt. So wie Emma, die nie richtig Frau war, ihre Weiblichkeit entdeckt, die Zärtlichkeit des Aktes, so etwas wie eine nie gekannte Liebe, die sie nicht mehr missen möchte. Albert, ständig bedroht, spielt das Spiel mit, wird unentbehrlich für Fritz wie für Emma; und weiß doch, dass sein Überleben von diesen abhängt.
Ein bäuerliches Melodram vor dem Hintergrund der Nazidiktatur - und es ist hoch anzurechnen, dass nicht die üblichen Nazibilder kommen, dass vielmehr der politische Hintergrund eher als Katalysator für eine private Katastrophe wirkt, die so ähnlich vielleicht auch unter anderen Umständen sich hätte abspielen können. Und dass das von allem isolierte Beziehungsgeflecht auf diesem Hof zugleich doch tief zurückgekoppelt ist, tief verwurzelt in der Zeit, in der es spielt; nicht nur durch eine Rückblendenstruktur - das Nachforschen in einem Kibbuz Jahrzehnte später -, sondern auch in dem Spiel um Sex und Liebe, um Versteck und Verrat.
Lediglich: zu symbolisch, zu metaphorisch ist der Film erzählt, mit zuvielen Spiegelungen der Handlung: vom unfruchtbaren Apfelbaum, der bei guter Pflege wieder austreibt, bis zum Schlüssel, den der Bauer nicht ins Loch stecken kann wirkt der symbolische Überbau zu gewollt, zu unnatürlich. Und vor allem: Die Sprache ist nicht authentisch - wenn eine Geschichte auf einem Schwarzwaldhof spielt, ist Dialekt unabdingbar.
Dialekt, den Katja Riemann perfekt lernte für den Schweizer Film "Der Verdingbub": Berner Schwyzerdütsch wird hier gesprochen, auf dem einsamen Hof der Bösigers, wo Waisenkind Max als Verdingbub hingesteckt wird: als Pflegesohn und Arbeitskraft, gegen Kostgeld für die Bauernfamilie. Eine Praxis, die in der Schweiz bis in die 1970er Jahre üblich war: Wer keine Eltern mehr hatte, oder wer Halbwaise und einigermaßen mittellos war, wurde von Behörden und Kirchen an Bauernfamilien vermittelt, wo sie oft genug als Leibeigene schuften mussten, körperlicher und seelischer Missbrauch inklusive. Markus Imboden nimmt dieses Thema für seinen in der Schweiz höchst erfolgreichen Film - ein grandioses, heftiges, emotionales Drama.
Max und Berteli - sie werden zu den Bösigers gesteckt, wo Armut herrscht und die Bäuerin das Heft in der Hand hat. Verhärmt, verkantet, erstarrt ist sie, gefangen in einem armseligen Leben, rau, anpackend, und böse: Katja Riemann glänzt in dieser Rolle, ohne hervorzustechen, weil das ganze Ensemble unglaublich packend spielt, als hätten sie ein Lebtag auf einem Bauernhof gelebt. Stefan Kurt als trauriger, verstockter, verkrochener Bauer, der mit Kartoffelfäule und Hagelschäden zu kämpfen hat und sich an den Alkohol verliert. Und Sohn Jakob: Der hasst Max, den der Bauer ihm als Arbeiter vorzieht; und er begehrt Berteli, in deren Zimmer er nachts einsteigt... Die Behörden schauen weg, Hauptsache, die Kinder sind untergebracht; und Hauptsache, der Max hält ein bisschen länger als der Vorgänger, der nach nur sechs Monaten gestorben ist.
Die Realität des Hofes, die Armut, das Isolierte kitzelt Imboden klug hervor, zugespitzt und detailreich, auf den Punkt und mit vielerlei alltäglichen Kleinigkeiten, die den Film reicher machen, echter. Man merkt: Hier hat man sich tatsächlich aufs Bauernleben eingestimmt, was bei Schlotterer mitunter fehlt. Und der Wahrhaftigkeit des Erzählten ist der Traum entgegengesetzt, Max' Ziehharmonikaspiel, seine Sehnsucht nach Argentinien, wo sie den Tango spielen, den er mal im Radio gehört hat, wo alle reich sind und Pferde haben, wo alles aus Silber ist... Eine Märchenhaftigkeit, in die der Film transzendiert, die nochmals eine weitere Ebene eröffnet; und sich verstärkend mit dem Realismus verbindet.
So etwas wie ein gewollter, stilisierter Realismus ist der Ansatz von Andrea Arnold in ihrer Adaption von Emily Brontës "Wuthering Heights": Harsch und karg ist das Leben auf den stürmischen Höhen von Yorkshire, und Arnold intensiviert diese Atmosphäre durch den unbedingten Anschein von Direktheit, durch wacklige, unscharfe, oft extrem dunkle Bilder einer Kamera, die den Figuren scheinbar spontan folgt und sie einfängt in dem, was sie grad so tun. Eine Ästhetik, die auf Unmittelbarkeit zielt, darauf, ein direktes Gefühl für das Leben zu erzeugen. Aber natürlich, das ist das Problem: man irritiert damit auch, stößt den Zuschauer emotional zurück; auf merkwürdige Weise soll man eingebunden werden und wird gerade dadurch ausgeschlossen, weil man die Unübersichtlichkeit eines Lebens in der Enge eines von Familie und Knechten bewohnten Farmhauses leibhaftig erlebt; und der Film dadurch selbst unübersichtlich wird.
Was für ein Leben: Da wächst nichts außer Heidekraut, das Haus aus grobem Stein zusammengesetzt, mit labyrinthischen, dunklen Gängen und Zimmern, und hierher bringt der Hausherr einen dunkelhäutigen Jungen, den er gefunden hat, nimmt ihn als Pflegesohn auf. Sein Sohn hasst den Neuankömmling, die Tochter ist fasziniert von diesem Heathcliffe, eine Art Teenagerliebe, aus der die Obsession einer Liebe wird, die sich niemals erfüllt. Melodram pur - gefilmt im beschriebenen Stil, der in seinem Willen zur Unmittelbarkeit sich dem Fühlen des Zuschauers verschließt. Todsünde eigentlich für ein Melodram: Dass nie ein Gefühl für die Liebe zwischen den Hauptfiguren entsteht, die nur Behauptung bleibt.
Catherine und Heathcliffe gehen spazieren, und er wird dafür ausgepeitscht. Sie laufen im Spaß zum weit entfernten Nachbarhaus, und er wird dafür beschimpft, gedemütigt und geschlagen. Sie macht ihn fein fürs Abendessen, und er wird dafür geprügelt. Was Akte der Liebe sein sollen, wirkt ungewollt eher als Akte der Dummheit; die beiden lernen's nie, sich entweder zu verbergen oder sich offen füreinander zu bekennen. Später dann, sie ist inzwischen anderweitig verheiratet, sehen sie sich wieder, an dieser Stelle des Films soll der Same der Liebe aufgehen; der leider niemals gepflanzt wurde. Und so gerät es eher zur lächerlichen Pose, wie die beiden aneinander leiden, und dass sie aus Kummer stirbt, wirkt eher prätentiös. Dass daraufhin er sie auf dem Totenbett liebkost, sieht vielleicht nur aus Versehen so aus, als würde er die Leiche vögeln.
Ein Gespür für das Leben auf der kargen Farm stellt sich auch nie ein, trotz all des Bemühens von Arnold. Wovon leben die dort eigentlich? Einmal sieht man sie Torfstechen; ansonsten sind sie damit beschäftigt, Trockenmauern aufzubauen, um - ja was: Den Wind davon abzuhalten, das Heidekraut zu zerstören? Der Hof ist eher eine Hütte, Schlamm überall, immer Nebel und Nieselregen, immer Wind und Wolken, immer kalt und klamm. Ein paar Pferde, viele Hunde. Einmal wird ein Schaf geschlachtet. Doch was arbeiten die dort genau? Was tun die anderen, unten im Dorf, die viel schönere Häuser - verputzt und gestrichen - haben? Und warum wird nicht einfach mal der Vorplatz vor dem Hauseingang geplättelt, damit man nicht gleich in den Matsch tritt? So sehr will Arnold ein Gefühl für das Leben dort erzeugen, dass es hintenrum schon wieder unglaubwürdig, ja fast albern wird. Und weder die Geschichte, so wie sie erzählt wird - mit einer Liebe, die man niemals spürt - noch der Ort, an dem sie spielt - mit der übertriebenen Stilisierung, die irgendwie das Literarische auf ein Gefühl des Echten herunterbrechen will, und dabei doch nur im Unechten verbleibt - können überzeugen.
Harald Mühlbeyer