Filmfest München – Schlussbetrachtung mit Coppolas "Twixt", Friedkins "Killer Joe" und anderem Zeug
Man mag es kaum glauben: Von Francis Ford Coppola ein guter,
unterhaltsamer Film! Keine aufgeblasene Prätention wie seine letzten – treulich
auf dem Münchner Filmfest gezeigten – Filme „Jugend ohne Jugend“ und „Tetro“,
Filme ohne Sinn und Verstand und Struktur. Sinn und Verstand fehlen auch in
„Twixt“, doch immerhin gibt es Struktur; und immerhin lässt Coppola Sinn und
Verstand absichtlich hinter sich in seiner Story über einen heruntergekommenen,
daueralkoholisierten Schriftsteller in einem Kaff, wo Träume, Literatur und ein
Serienmörder ihr Unwesen treiben. Val Kilmer spielt diesen Hall Baltimore,
aufgedunsen und verloren. Das Böse steckt in einem Sieben-Uhren-Turm, der
niemals die richtige Zeit anzeigt, in einem Camp von Goth-Jugendlichen, in den
Schwarz-Weiß-Träumen von Hall Baltimore, der zudem Edgar Allen Poe begegnet;
und mit dem örtlichen Sheriff (Bruce Dern) an einer Serienmord-True-Crime-Story
arbeitet, die er dringend seinem Verleger verkaufen will, hätte er nur ein
bombensicheres Ende... Coppola verquirlt alles miteinander, auch noch eine
tiefe Schuld, Streit mit der Ehefrau, Untaten der Vergangenheit, dazu eine
Poetik von Poe und Philosophieren über die Zeit, und weil das alles so schön
selbstreflexiv ist, und so schön witzig, und dann doch zu einem Ende führt,
auch wenn Hall Baltimore nicht mehr daran glauben mag, hat Coppola sein
Kreativitätskonto, das er mit seinen letzten Filmen hoffnungslos überzogen hat,
nun zumindest wieder ausgeglichen.
William Friedkin hat mit „Killer Joe“ einen dunkle, witzige,
absurde und drastische Neo-Noir-White-Trash-Thriller hingelegt: Matthew
McConaughey spielt die Titelrolle, ein Cop und Killer, angeheuert, um die
Mutter von Chris (Emile Hirsch) zu töten, im Einverständnis mit dessen Vater
(Thomas Haden Church); und weil man erst nach Fälligkeit der Lebensversicherung
bezahlen kann, lässt man Joe die jungfräuliche Dottie, Chris’ Schwester, als
Pfand. Natürlich geht alles den Bach runter in diesem Sumpf von Geld und Sex
und Gewalt, Schulden, Hass und fadenscheinige Familienbande. Wie Friedkin das
zeigt, ist in der dramaturgischen Dynamik beispielhaft, und zeugt von seinem
souveränen Umgang mit den Genreversatzstücken, die er locker in Witz umwandeln
kann, ohne von der Spannung zu lassen: Etwas aufbauen, um es dann einzureißen,
etwa der Beginn, eine Gewitternacht mit enormen Schatten an der Wand, Chris,
wie er verzweifelt an einer Wohnbaracke klopft, lasst mich rein, lasst mich
rein, seine Stiefmutter (Gina Gershon) öffnet unten ohne, und er muss erstmal
dringend aufs Klo. Und natürlich andersrum: Wie plötzlich, aus dem Nichts, der
Exzess beginnt, eine perverse ultrabrutale Oralsexszene mit einem frittierten
Hühnchenschlegel, bizarr, böse, verstörend, dann die Travestie eines friedlichen
Familienabendessens, dann ein finaler, ebenfalls ungeahnter Gewaltausbruch...
Man könnte auch von den wiederkehrenden Motiven ganz
verschiedener Filme sprechen, die diesem Festival einen schönen Flow gaben:
Immer wieder ein brutaler Unfall als Impuls und Katalysator der Handlung, in Jacques
Audiards „De Rouille et d’os“ etwa, in dem Marion Cottillard bei ihrer Wal-Show
von einem Orca angegriffen wird und im Folgenden, beinlos, von einem Security-Mann in
Obhut genommen wird, zwischen Pflege, Liebe und Management von dessen ultrabrutalen
Kampfsport-Wettkämpfen – starke Charaktere in einem starken Film, der immer
wieder unvorhersehbar ist, und immer wieder unglaublich emotionale, packende
Szenen hervorbringt. Unfall auch in Toke Constantin Hebbelns „Wir wollten aufs
Meer“, bei dem man glaubt, dass nach 20 Minuten schon August Diehl aus dem Film
rausfällt. Aber weit gefehlt: Er, mit seinem Schicksal im Rollstuhl hadernd,
nimmt den einfachsten Weg, wird Stasimann und baut einen komplexen Verrat an
einem Freund (Alexander Fehling) und dessen vietnamesischer Freundin auf. Ein
spannender Film aus der DDR der 80er Jahre, der glücklicherweise keine
Erkenntnisse über den Unrechtsstaat liefern will, sondern ein reines Filmdrama,
mit Historie als verstärkendem Hintergrund, aber nicht als Grund für die
Geschichte. Unfall auch in „Trishna“ – der Vater im Sekundenschlaf fährt den
überlebenswichtigen Lieferwagen zu Schrott, fällt selbst wegen Verletzung aus –
materielle Sorgen, die Trishna ins Hotel (und in die Arme) von Jay führen.
Oder, anderes Thema: In „The Grief Tourist“ von Suri
Krishnamma ist Hauptfigur Jim besessen von historischen Serienkillern, deren
Tatorte er touristisch besucht, sondern wird in seiner Imagination auch von
einem, Carl Marznap, heimgesucht, der ihm Untaten einflüstert... In seiner
Porträtierung einer verlorenen Seele ganz gut, verliert sich Krishnamma
zunehmend in „überraschenden“ Auflösungen, mit denen Film wie Figur nur
verlieren können. Doch den inneren Schmerz, der sich mehr und mehr in Wahn
hineinsteigert, vermag der Film wirksam zu vermitteln: Jim ist eine der Travis-Bickle-Figuren,
die immer wieder beim Filmfest auftauchten, mit unbändigem Hass auf die
Gesellschaft, wie auch Woody Harrelsen in Oren Movermans „Rampart“, ein Cop,
der die ganzen Kriminellen so satt hat, die mit juristischen Tricks gleich
wieder rauskommen, ein Anhänger der alten Schule von L.A.-Polizeibrutalität,
die er als Tradition hochhält, eine Art Dinosaurier der harten Gangart, die
sich wenig um Rechte kümmert, wenn nur die richtigen richtig bestraft werden.
„Taxi Driver“ auch in Jan-Ole Gersters „Oh Boy“, einem komischen,
existentiellen Episodenfilm um Tom Schilling, der mal von seinem Kumpel
mitgenommen wird, der, auf Berlin gemünzt, seiner Abscheu Luft verschafft,
diesen Sermon aber auf ironische Weise direkt stieht, wörtlich zitiert und
eigentlich gar nicht so meint.
Die Übermacht multinationaler Konzerne zeigt sich auf eine
ganz bestimmte Weise in diversen Filmen, genauer gesagt: in allen, in denen ein
Laptop vorkommt. Denn immer, immer ist jeder tragbare Computer von Apple. Egal,
ob sich die Figuren ihn sich so, wie der Film sie darstellt und in ihrem
sozialen Milieu verortet, leisten können oder nicht. Apple hat das Monopol auf
Film-Laptops, sprich: Apple hat so viel Geld, dass sie sich in jedem Film
präsentieren lassen können; sprich: vor einigen Jahren noch war ab und zu auch
ein Dell zu sehen, die sind jetzt verschwunden, Dell ist wohl dem Untergang
geweiht; sprich: wer ein Apple-Produkt kauft, unterstützt direkt die internationale
Filmproduktion, Filmförderung mal ganz anders. Sprich: Apple, super, fuck yeah,
Apple für alle!
Das Filmfest München war schön. Eine Menge sehr guter Filme,
kaum Ausreißer nach unten; dennoch freuen wir uns, dass es vorbei ist. Denn nun
sind wir vor dem Filmfesttrailer verschont, der vor jedem Film lief. Eine Frau,
offenbar Libellenelfe, entsteigt einem Bergsee, im Stil von Bierwerbung
(Filmfestsponsor ist eine weltbekannte Biermarke), vielleicht auch von
Mineralwasserreklame (die digital eingemalten Wassertropfen um das Fabelwesen
deuten es an), zugekleistert mit der Musik einer Kopie eines drittklassigen
„Herr der Ringe“-Epigonen; dann kommt etwas aus ihrem Bauch raus, das wohl der
Gallenstein ist, und irgendwie ist es dann zu Ende, und man steht ratlos und
zunehmend genervt da. Und weiß, dass fürs nächste Jahr noch Potential zur
Verbesserung da ist.
Harald Mühlbeyer