Kinotipp: FOUR LIONS


Zur Erinnerung bzw. als Kino-Tipp: Am kommenden Donnerstag, dem 21. April startet die brillante Satire FOUR LIONS in den deutschen Kinos. Es ist die Geschichte von erst vier, dann fünf, dann wieder vier (einer sprengt sich zwischendurch aus Versehen in die Luft) islamistischen Selbstmordattentätern in England, die schnellstmöglich den Märtyrertod sterben wollen. Dabei stellen sie sich bei allem Elan und einiger Bauernschläue recht tölpelhaft an - und können sich eigentlich lange nicht mal auf ein Ziel einigen (das "Internet" schlägt der eine mal vor).

Zwischen Aberwitz, Bissigkeit und Nonsens, aber bisweilen auch erschreckend anrührend lässt FOUR LIONS von Christopher Morris einem das Lachen oft im Halse stecken bleiben, konfrontiert mit Terroristen-Klischees und kontert sie bisweilen auf recht unangenehme, weil bequeme Stereotype provozierende Weise.

Unser Partnerdienst Terrorismus & Film hat hier einiges zu FOUR LIONS zu bieten, inklusive einer Besprechung (HIER).

Vöslauer - Der Film!

Manchmal hilft alles Recherchieren oder Selbstausdenken nichts - da muss man sich einfach auf seine Medienpartner verlassen, sprich: auf die Pressemitteilungen, die uns über Auf- und Durchrüttelndes informieren. Eine solche Bombe, wie sie uns über unseren Verteiler erreicht hat, wollen, ach was: können und dürfen wir Ihnen nicht vorenthalten; ehrlich, wir haben es versucht, geht einfach nicht:

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Liebe Presse- und Medienvertreter,

anbei erhalten Sie die Pressemitteilung zum Launch der neuen Vöslauer Kampagne 2011/12, die ganz auf das Medium Film setzt. Im Zentrum der Kampagne steht ein 6-minütiger Kurzfilm mit der Hauptdarstellerin Nora von Waldstätten und dem renommierten Model Carmen Maria. Die prominenten Protagonistinnen rücken die Herkunft der Premium Mineralwassermarke, das Thermalbad Bad Vöslau, authentisch und spannend in den Fokus.

Umgesetzt wurde das innovative Filmprojekt von der namhaften britischen Regisseurin Anthea Benton, die die einzigartige Kulisse des Thermalbads Bad Vöslau eindrucksvoll in Szene setzte. Die spektakulären Aufnahmen unterhalb der Wasseroberfläche wurden in einem Wassertank in London produziert und parallel von der international renommierten Unterwasser-Fotografin Zena Holloway in Bildsujets festgehalten.

Der Film und die gleichnamige Filmwebsite www.voeslauer-derfilm.com sind ab sofort online und bieten neben der spannenden Kurzfilmgeschichte viele spannende Features.


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P.S.: Für alle die, die nicht wissen, wo Bad Vöslau ist: Wir tun's auch nicht.

achtung berlin 2011: Zur Eröffnung

An den letzten warmen Tagen in Berlin

… hatte das Festival achtung berlin new film award 2011 noch nicht angefangen, im Gegenteil, pünktlich zum Start war es wieder grau, kühl und feucht, ehe heute nun erneut die Sonne scheint und das Thermometer steigt. Aber der Titel dieses Beitrags sollte schon was Hübsches geborgt aus einem Lied von Element of Crime sein, und das passt ja auch wieder irgendwie zum Wetter zum Beginn des Festivals, so (obacht, übler Kalauer!) sven-regnerisch wie der ausfiel (ich hab Sie gewarnt!).

Doch egal: Seit Dienstag, dem 13. April feiert sich hier die Filmszene Berlin-Brandenburgs selbst. Was natürlich kein reiner Lokalevent ist, weil hier nun mal Spielfilme gedreht und an einer solchen Veranstaltung gezeigt werden, die mit für das deutsche Kino stehen, weil in Berlin die Filmhochschulen sind wie die HFF in Babelsberg und die dffb am Potsdamer Platz. Schauspieler, jung und alt, Regisseure, Produzenten leben hier, schauen mal rein ... Berlin brummt, wem sag ich das, und das nicht nur wonnig bärig wie das Wappentier im Winterschlaf. Auch wenn – so Festival-Mitleiter und -begründer Hajo Schäfer gerade beim Mittag meinte, das Aufbruchklima des Anything Goes in der Hauptstadt rauer wird (oder abklingt): Die Mieten ziehen an, Gentrifizierung – Gutbetuchte vernobiliesieren Kieze ...

Doch trotz aller Weltläufigkeit Berlins ist gerade das achtung berlin Fest ein sympathisches Durchschnaufen und Sich-mal-locker-Machen nach all dem Trubel der Berlinale oder dem Nationalglamour der Marke Deutscher Filmpreis. Das fängt schon damit an, dass das junge, mit viel Herzblut geleitete und organisierte Filmfest mit seinen Veranstaltungen ein Feierabendfestival ist: Bis auf das Wochenende beginnen die Veranstaltungen gemütlich um 18 Uhr, die Wettberbslangfilme erst um 20 Uhr.

Auch dank der Abspielstätten wie dem Babylon als „Zentrale“ hat achtung berlin nichts Podsdamerplatziges und Sonyzentrales, sondern stehen eher für das Urigen, Bodenständige, das alte und erfahrungssatte, auch etwas vergilbte und vergammelte Berlin mit (s)einer ordentlichen Portion Osten. Das meiste spielt sich jenseits des „Alex“ ab, Rosa-Luxemburg-Platz, wo das „Babylon“ in unmittelbarer Nähe zur Parteizentrale der „Linken“ liegt, und nach dorthin ist es quasi genauso weit wie zum Filmtheater im Friedrichshain und zum Kino International – gemessen von meinem von Plattenbauten umzingelten Hotelzimmer mit Blick auf den Fernsehturm aus.

Im Kino International in der sehr breiten, sehr sozialistischen Karl-Marx-Allee fand die Eröffnung statt. Es ist eine dieser originellen Schachteln am Rande des Prospekts mit seinem schon nicht mehr moribundem, sondern zeitgefrorenem Charme einer vergangenen Epoche. Trotz rotem Teppich hatte die feierliche Eröffnung etwas verlorenes an dieser stets zu „leeren“ Straße, insbesonder als gegen halb eins dann zum Zapfenstreich geblasen wurde und man durch die feuchtkalte Nacht zwischen den Wohnblöcken nach Hause irrlichterte.

Drinnen freilich war es rappelvoll gewesen, im Lichtspielsaal unter der Wellendecke, und die Moderatorin verriet lustig, dass der hübsche Goldflittervorhang gerade noch rechtzeitig aus der Wäsche kam. Da wurde noch hinsichtlich der passenden gigantischen Waschmaschine gefrotzelt (leider von mir, aber nur still und im Kleinen), aber bald schon wurde es ernst.



Zum Auftakt: der Kurzfilm LOVE LOVE LOVE YEAH von Peter Jeschke. Zehn Minuten lang, gewidmet dem jungen Hauptdarsteller Leon Palamarciuc, der vor kurzem überraschend verstorben ist. Der Film ist eine kleine Miniatur, und gerade in seiner Länge, mit dem fast schon allzu Dahingeworfen.Sein, das schon an der Grenze nur zur Idee, zur Einzelszene kratzt, ist er gelungen: Zwei beste Freunde, der eine hat was spontan mit der heiß geliebten Freundin des anderen, nachts auf dem Disco-Klo, noch als zwei Unbekannte, ohne, dass sie voneinander über ihre Dreiecksverbindung wissen. Bis sie sich alle am Wochenende zu einem Ausflug aufmachen. Nichts wird da aufgelöst, kommt er heraus, der Film hört fast abrupt auf, kaum das ein Konflikt ausdefiniert ist. Aber was LOVE LOVE LOVE YEAH mit einer teilweise träumerischen Stimmung mitgibt, verlegt mehr von (s)einer Folgestory über Loyalität und Freundschaft in den Kopf des Zuschauers, die Idee eines Films mit größerer Souveränität und Potential, als es manch anderer weitererzählter Kurzfilme in Gänze beinhaltet. Gerade als Anriss besticht LOVE LOVE LOVE YEAH.



Gute Laune machte vielen auch der Langfilm DIE LETZTE LÜGE von Jonas Grosch (RESISTE! AUFSTAND DER PRAKTIKANTEN), doch wie viel Gutmütigkeit und Heimvorteil dabei war, sei dahingestellt. Es ist natürlich eine gute Idee, das Publikum nicht gleich mit den Bleigewichten deutscher Sozial- und Befindlichkeitsdramen zu tracktieren.

Aber, pardon, leider etwas, ein bisschen, furchtbar misslungen ist DIE LETZT LÜGE gleichwohl. Natürlich nicht völlig, und allein schon gilt es zu loben, dass und wie ihn Grosch mit seiner / einer Hauptdarstellerin Katharina Wackernagel im Alleingang finanziert hat, ohne Sender, ohne Förderer. Die Idee ist fein, die Schauspieler auch gut aufgelegt und sichtlich spielfreudig. Der Film selbst weiß auch gar nicht wohin mit sich und seiner Beschwingtheit. Das Problem ist nun aber, dass das Drehbuch und vor allem die Figuren missraten sind – so sehr, dass man gar nicht mal sonderlich von Figuren (geschweige denn: „Charaktere“) reden mag. Manchmal mitredende Redakteure und Produzenten noch nicht des Teufels ...

Worum geht’s? An Ostern freuen sich Lucy (Wackernagel) und Peter (Sebastian Schwarz) auf ein nettes Fest ohne Familie. Dann aber steht Ole (Leander Lichti) vor der Tür, mit dem Lucy nach einem Seitensprung eine heimliche (Chat-)Affäre hat, wobei wiederum Ole von Peter wiederum keine Ahnung hatte. Prompt wird der ausgebremste Besuch zum unverbindlichen Jugendfreund und vor allem zum Koch erklärt wird. Weil – und das ist ein der vielen so dahingeschnodderten Informationen und wirren Hintergründe, die irgendwann, vielleicht, Sinn ergibt –: Ole hat Lucy beim Gebärdensprachkurs kennen gelernt. Und dass, irgendwie, wäre dann schon verdächtig …

Dann kommt noch die junge Ina (Maria Burchhard), mit der wiederum Peter ein geheimes Verhältnis hat und die schwanger von ihm ist, schließlich noch Lucy stumme Schwester, die von ihrem Rockabilly-Freund verlassen wurde (was Grund gibt, die Band „The Busters“, die einige Songs zum Film beigesteuert haben, auch mal vor der Kamera auftreten zu lassen). Und noch ein Armin (Lenn Kudrjawizki) trudelt ein, aber wie der genau jetzt mit Lucy und / oder Peter verbandelt ist, macht der Film sich zu erklären schon gar nicht mehr die Mühe. Auch nicht, warum Lucy provokant von seinem Trauma am Tisch erzählt (seine Frau hat mit seiner Fußballmannschaft gebumst, ihm daher den Sport verleidet), dann plötzlich Tränen in den Augen hat ... War sie die Gattin? Der Himmel weiß es, uns braucht es nicht interessieren, der Erzählung ist es schließlich ansonsten auch egal.

Ein bisschen Screwball-Comedy und Musical will DIE LETZTE LÜGE sein; ab und an brechen die Schauspieler (in Playback) in Gesang aus, tanzen ein bisschen steif durch eine kleine Shownummer. Das ist wirklich hübsch und frisch.

Enervierend ist nur, dass Grosch nicht nur ein Händchen für seine Figuren hat, sondern die Notwendigkeit offenbar nicht erkennt, überhaupt mal welche zu erfinden, anzubieten und ihnen treu zu bleiben. Dieses Chargen-Manko war bei der turbulenten Komödie POLNISCHE OSTERN, für die Grosch zusammen mir Regisseurin Monika Anna Wojtyllo ebenfalls das Drehbuch schrieb, noch kein Problem, gar ein ganz eigener Reiz, weil sich Klischeefiguren und Nationalsstereotype sich in der Road-Movie-Ethnoposse gegenseitig ergänzten und auch aufhoben.

In DIE LETZTE LÜGE ist das jedoch fatal, nicht nur, weil die Schauspieler, so lustig ihnen zumute ist, notgedrungen auf Sparflamme agieren: Der Film, der seinen Beziehungsreigen dann doch zu ernst nimmt, um sich ganz und gar und wirklich ausgelassen dem Abstrusen, Überdrehten oder auch nur dem Selbstparodistischen hinzugeben, braucht nun mal ein halbwegs funktionierendes, ernst zu nehmendes Personal, eines, das nicht widersprüchlich ist und willkürlich mit Attributen ausgestattet.

Die Figuren geben kein Stück, agieren und reagieren selten nachvollziehbar oder wenigstens konsistent. Sie reden irgendwas, wobei die Dialoge zwischen deftigem Schlagabtausch, Witzchen rein fürs Publikum und anstrengenden dürftigen philosophischen Tendenzen über Art und Wesen der Liebe mäandern – selbstzweckhaft, unglaubhaft und, so beschleicht einen immer wieder das Gefühl: unverstanden abgeschaut. „Eher schlafe ich unter einer Brücke, als dir weiter zuzuhören“ – so oder ähnlich formuliert es Ina an einer Stelle, und es ist kein gutes Zeichen für einen Film, wenn einem dabei so sehr und wider Willen aus dem Herzen gesprochen wird.

Wenn Peter und Ina ein geheimes Gespräch führen, platzt Ole rein – und fängt an sich auszuziehen, um eine Bad zu nehmen. Warum auch immer. Und dass ihn in der Drüber-und-drunter-Situation Ina von da an voller Ekel einen Perversen schimpft, derweil Pimmelfotos und ein Riesen-Holzpenis ansonsten für schenkelklopfende Erheiterung herhalten, ist sowenig einsichtig wie ausgegoren. Was vielleicht auch daran liegt, dass der LETZTEN LÜGE bei aller propagierten Libertinage und bemühten Frechheit ein altbackener oder wenigstens einfallsloser Geist in Sachen modernem Beziehungsreigen innewohnt.

So harsch das klingt: Es ist vor allem, wegen all der Liebe, all der Mühe und auch dem Können (z.B. in Hinblick auf Matthias Hofmeisters Kameraarbeit oder tollen Songs) weniger ärgerlich als schlichtweg schade. Und dass und wie es ähnlich und doch eben ganz anders geht, zeigt z. B. Zoltan Pauls UNTER STROM, der auch nicht „langweiliger“, „wichtiger“ oder „tiefgründiger“ ist und sein muss.

Zeitgleich mit der Kinoauswertungstour, die DIE LETZTE LÜGE durch Land führte und die nun bei achtung berlin als Auftakt endet, ist der Film auf DVD erschienen. Kein schlechtes Konzept. Als innovatives Auswertungsmodell, weil die DIE LETZTE LÜGE mochten, gleich durchs kühle April-Berlin mit nach Hause nehmen konnten – derweil die anderen dem lustigen Trauerspiel wohl nicht mehr so schnell begegnen werden.

(zyw)

Filmfest Dresden 2011: Zusammen einsam im Nationalen Wettbewerb

"Niemand weiß, wie lange so eine Verbiesterung andauert" analysiert der Kleine seine getrennten Eltern - reifer als es von einem Kind erwartet wird. Was ist, wenn ich mich auf einmal alleine um meine Eltern kümmern muss und nicht meine Eltern um mich? Oder was, wenn ich auf einmal der Letzte bin, weil ich aus Versehen die Welt zerstörte? Der erste Teil der auserlesenen Kurzfilme im Nationalen Wettbewerb vereint Filme, die sich mit „Einsam sein“ und „Einsam werden“ beschäftigen.



Anthony Vardoux' „Yuri Lennon’s landing on Alpha 46“ macht den Auftakt. Yuri Lennon landet auf einem der Jupitermonde, um die Quelle von auf der Erde empfangenen Signalen ausfindig zu machen. Der erste Abschnitt enthält eine einzige Einstellung, die das Minenspiel des Raumfahrers hinter dem transparenten Visier erkennen lässt, auf dem sich mal mehr, mal weniger deutlich der Bildschirm spiegelt. Scherzend geht der Astronaut den Anweisungen nach, die er von seinem weit entfernten Team auf der Erde erhält. Doch dann wendet sich das Blatt: Auf einmal ist er es, der die Verantwortung in der Hand hält: Die ganze Welt in seiner Hand. Seine Erklärungsversuche über Funk scheitern am Unverständnis seines Teams. Das Publikum hält den Atem an. Plötzlich ist es vorbei, keine Welt, kein Team zum Blödeln und keine Zukunft. Stille! Allein sein. Anthony Vardoux baut einen mitreisenden Spannungsbogen auf, dessen Wendepunkt erreicht ist, sobald Astronaut Lennon die Verantwortung in der Hand hält. Er scheitert und wird einsam.

Ähnlich ergeht es dem gutmütigen Rentner Wolfgang in „Betten-Seifert ist tot“ von Thomas Krauslach, der sich um seine nörgelnde, kranke Frau kümmert und ihr ausnahmslos jeden Wunsch erfüllt. Gefangen in einer Welt, die durch die Krankheit bestimmt ist, schafft er sich Freiräume: Die überhitzte Wohnung verwandelt er mit einem Pflanzenbestäuber für ein paar Minuten in einen Dschungel. Diese ausdrucksstarken Szenen, die Ausschnitte aus dem alltäglichen Leben des Ehepaares zeigen, erwecken ein Schmunzeln im Publikum. Da stört es auch gar nicht, dass die Schauspieler Klaus Manchnen und Astrid Polak etwas aufgesetzt und theatralisch sprechen. Im Gegenteil, es passt zu der einfachen Welt des alten Ehepaares. Doch dann geht es Wolfgangs Allerliebster schlechter. Ein Krankenhausbesuch kommt für sie nicht in Frage und so bekommt Wolfgang - wie zuvor Yuri - eine ordentliche Portion Verantwortung aufgeladen. Den letzten Wunsch der Ehefrau erfüllen oder lieber gegen die Einsamkeit kämpfen und den lebensrettenden Notruf tätigen? Er bleibt ihr treu und wird einsam.



Und bei dem Kleinen in dem Animationsfilm „Der Kleine und das Biest“ von Johannes Weiland und Uwe Heidschötter? Der weiß in seiner kindlichen Reife, dass es sehr lange dauert bis diese Verbiesterung zu Ende ist. Ein Biest als Mutter zu haben ist anstrengend, man kann nicht ordentlich mit ihm spielen, es blamiert einen und es schubst einen nachts aus dem Bett. Die Situationen sind treffend, humorvoll und kurzweilig dargestellt. Doch mit seiner kindlichen Sorglosigkeit meistert der Kleine die einsame Phase, in der er viel Verantwortung trägt, gelassen. Nach langer Zeit ist es einfach vorbei. Die grimmige Mutterfigur mit Hörnern verwandelt sich in eine junge menschliche Mutter mit Kleid und Eigeninitiative.

Manchmal jedoch spielt das Leben ganz anders. So auch in „Uwe+Uwe“ von Lena Liberta. Der griesgrämige LKW-Fahrer Uwe, gespielt von einem überzeugenden Samuel Weiss, darf plötzlich nicht mehr alleine sein. Uwe weist jeden, der ihm in die Quere kommt, mit seiner verletzenden Ehrlichkeit von sich. Doch nicht jeder lässt sich davon abschrecken. In kurzen knackigen Szenen erzählt der Kurzfilm, wie Uwe zum Helfen gezwungen wird. Dadurch bekommt er schließlich das, wovon er gar nicht wusste, dass er es sich wünscht: Gesellschaft, Freunde und sogar eine Familie. Ein dynamischer Film, der beim Kurzfilmpublikum für viele Lacher sorgte.

Was ist also wenn ich plötzlich einsam werde? Diese Frage mussten sich die Kinozuschauer im gut besuchten Lang-Saal der Dresdner Schauburg nicht stellen. Ein engagierter Moderator führte durch das Programm und Saalbetreuer kümmerten sich darum, die Abstimmungskärtchen für den Publikumspreis unter das Volk zu bringen. Diese Prämierung ist mit 2.000 Euro dotiert und wird Samstag verliehen. Wir sind gespannt auf das Ergebnis, denn schon der erste Teil des Nationalen Wettbewerbs zeigte, dass die Wahl nicht leicht werden wird.

Christine Arnsmeyer

Start des Filmfest Dresden 2011


Auf dem internationale Kurzfilmfestival heißt es „Film ab - Klappe die 23.“

Wenn der gelbe Teppich ausgerollt wird, dann wird in der Dresdner Neustadt der kleine Film ganz groß beim sechstägigen Internationalen Kurzfilmfestival 2011.

Dresden, 12. April 2011, 19 Uhr: In der Schauburg schiebt sich die Menge langsam über den frisch ausgelegten gelben Boden in Richtung des großen Kinosaals in der oberen Etage. Das Licht geht aus, ein Kurzfilm flackert über die Leinwand. Spot an. Durch die zweistündige Eröffnungsveranstaltung führt der Moderator souverän, wenn auch mit großem DIN-A4-Spickzettel.


Zahlen und Fakten

Die Organisationsspitze des 23. Filmfest Dresden ist deutlich weiblich dominiert: gleich drei Leitungsdamen stehen dem Moderator Rede und Antwort. Wie es sich gehört, wird den über sechzig Förderern, der Stadt Dresden, den Teilnehmern und den Mitarbeiter gehuldigt. Mit Preisen im Wert von 63.000 Euro gehört das Kurzfilmfestival zu einem der höchstdotierten in Europa - vielleicht hat sich das rumgesprochen: Dieses Jahr bekam das Filmfest mit 2.555 Beiträgen so viele Einsendungen wie noch nie, davon 1639 aus dem Ausland. Nach einem monatelangen Sichtungsmarathon hat das Auswahlkommitee rund 300 Filme ins Programm aufgenommen. Im internationalen und nationalen Wettbewerb konkurrieren 76 Filme. Insgesamt sieben Jurys verfügen über die Goldenen Reiter und die damit verbundenen Preisgelder. Anders als im letzten Jahr gibt es wieder jugendlichen Wind im Preisgericht – gleich zwei Jugendjurys wurden auf den nationalen bzw. internationalen Wettbewerb angesetzt.

Es gibt was zu feiern

Damit die Filmhungrigen während der Eröffnungsveranstaltung nicht vom Fleisch fallen, gibt’s zwischendrin immer wieder einen Dosis ausgewählter Kurzfilm aus dem Wettbewerb sowie den 28 Sonderprogrammen. Diese Einspieler bieten gemäß Katrin Küchler von der Festivalleitung „einen kleinen Vorgeschmack auf all das, was die Besucher sechs Tage und fünf Nächte lang in den Festivalkinos erwartet.“

Neu sind beispielsweise drei Veranstaltungsteile zum Thema „Fotofilm“.
Jubilieren können dieses Jahr zwei Veranstaltungen, die sich über mehrere Jahre im Festivalprogramm gehalten haben: Zum einen feiert „Focus Quebec“ sein fünfjähriges Bestehen; hier werden die Festivalbesucher mit den aktuellen Filme aus der französischsprachigen Provinz Kanadas versorgt. Zum anderen begeht das Austauschforum „Perspektiven für jungen Animationsfilm“ seinen zehnjährigen Geburtstag. In diesem Projekt, das parallel und im Rahmen des Festivals stattfindet, treffen in diesem Jubiläumsjahr 40 Drehbuchautoren, Produzenten und Filmemacher aus insgesamt 16 Ländern zusammen. Sie alle sind Vertreter der Teilnehmer von den bisherigen Austauschforumsjahrgängen und werden an Workshops teilnehmen und selbst Initiative für gemeinsame Projekte ergreifen, die mit einem Förderpreis belohnt wird.

In erster Linie, so betonen die Organisatoren, sei das Festival für das regionale und angereiste Publikum und erst in zweiter Linie für Leute vom Fach gedacht. Bevor am Samstag das Tanzbein auf der Festivalparty geschwungen wird, werden die Preisträger in einer Zeremonie bekannt gegeben. Mit den gekürten Filmen auf der Leinwand wird das Festival am Sonntag ausklingen. Doch bis dahin, werden noch viele Füße über die gelben Teppiche der Neustadt den Weg ins Kino finden.

Raphaela Helbig

Countdown bis FILMZ - "Die Halbstarken" in der "FILMZ des Monats"-Reihe

Bis FILMZ, das Festival des deutschen Kinos, im November Mainz wieder zu einer weit beachteten Filmstadt macht, zeigen die FILMZ-Macher in Kooperation mit dem Mainzer Residenz&Prinzess-Filmtheater monatlich einen deutschen Filmklassiker: der "FILMZ des Monats" soll die Vorfreude steigern und die Filmgeschichte lebendig halten.

Am Mittwoch, 4. März, läuft um 20 Uhr ein Kassenschlager der 50er Jahre: Mit "Die Halbstarken" hatte Horst Buchholz 1956 seinen Durchbruch als widerspenstiger Rebell - er galt als deutscher James Dean und wurde in Ost- und Westdeutschland zum Jugendidol.
In "Die Halbstarken" spielt Buchholz den jungen Freddy Borchert, Anführer einer kriminellen Jugendgang in Berlin. Zufällig trifft er seinen Bruder Jan wieder, den Freddy nicht mehr gesehen hat, seitdem er das spießig-autoritäre Elternhaus verlassen hatte. Jan bittet den Bruder um Geld, Freddy willigt ein, doch der geplante Postraub misslingt. Weil Freddys Ansehen unter den Bandenmitgliedern nun stark angeschlagen ist, überredet ihn seine verschlagene Freundin Sissy (Karin Baal), in eine Villa einzubrechen...

Regisseur Georg Tressler gibt mit „Die Halbstarken” einen fesselnden und authentischen Einblick in die Gefühlswelt der Jugendlichen zur Zeit des Wirtschaftswunders.


Die weiteren Filme der Reihe, jeweils im Residenz&Prinzess-Filmtheater:

Mittwoch, 1. Juni, 20.00 Uhr: "Zur Sache, Schätzchen" (R: May Spils, 1968)

Mittwoch, 6. Juli, 20.00 Uhr: "Alice in den Städten" (R: Wim Wenders, 1974)

Mittwoch, 3. August, 20.00 Uhr: "Angst essen Seele auf" (R: Rainer Werner Fassbinder, 1974)

Mittwoch, 7. September, 20.00 Uhr: "Nordsee ist Mordsee" (R: Hark Bohm, 1976)

Mittwoch, 5. Oktober, 20.00 Uhr: "Die unendliche Geschichte" (R: Wolfgang Petersen, 1984)

Mittwoch, 2. November, 20.00 Uhr: "Nosferatu – Phantom der Nacht" (R: Werner Herzog, 1979)

Mittwoch, 7. Dezember, 20.00 Uhr: "Die Feuerzangenbowle" (R: Helmut Weiss, 1944)

Achtung Berlin!


Mit der Eröffnung am Dienstag, 13. April, im Kino International findet es bis zum 20. April in der Hauptstadt zum siebten Mal statt: das Filmfestival achtung berlin – new berlin film award.

Vor allem im Babylon, im Neuköllner Passage Kinos und im Filmtheater am Friedrichshain werden Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme aus Berlin und Brandenburg präsentiert.

Das bunte Rahmenprogramm beinhaltet u. a. Werkstattgespräche zu Praxisthemen wie Verleihverträgen, zu dem, was Filmemacher mit ihren fertigen Filmen anfangen können und: ein Kameraworkshop.

Nicht nur, aber besonders „berlinerisch“ ist der spannende und drägende Gegenstand der Diskussionsrunde am Montag (18.30 Uhr) im Babylon: Unter dem Titel „Multikulti als Auslaufmodell? - Filmische Annäherung an die fremde Heimat Deutschland“ trifft der Berliner Innensenator E. Körting, die Grundsatzreferentin für internationale Angelegenheiten des Senats S. Chebli und A. Sadi, ehemaliger Direktor der Rütli-Schule, auf Filmemacher wie „Gangsterläufer“-Regisseur Christian Stahl, deren (Dokumentar-)Filme sich der jungen Migrantengeneration zwischen Zukunftsträumen und harter Realität widmen.

Screenshot Online ist mit seinem Redakteur Bernd Zywietz vor Ort und wird das eine oder andere vom achtung berlin Festival berichten.

Mehr Informationen, darunter natürlich auch zu den Filmprogrammen gibt es natürlich auch unter www.achtungberlin.de.

Sidney Lumet ist tot


Er war einer der Großmeister, die das US-Kino vom Fernsehen her kommend aufmischten - und es noch vor den New-New-Hollywood-Rebellen prägte (diesen gar den Weg bereiteten) und es zu einem anspruchsvollen "Kunstkino" machten, ohne dabei jenes packende Erzählen aufzugeben, das bis dahin und heute noch weltweit in seinen Bann schlägt.

Sidney Lumet ist heute im Alter von 86 Jahren in Manhattan gestorben. Nicht alle seiner über fünfzig Filme waren Gold - aber was zählt das schon, angesichts ewig aktueller und wichtiger Klassiker (darunter Bitterböses, Scharfzüngiges, Kalt-Tragisches) wie:

- Twelve Angry Men / Die zwölf Geschworenen
- The Fugitive Kind / Der Mann in der Schlangenhaut
- The Pawnbroker / Der Pfandleiher
- Serpico
- Dog Day Afternoon / Hundstage
- Network
- Family Business / Ehrbare Ganoven


Aber auch weniger bekannte, noch heute tief unter die Haut gehende Werke finden sich, wie Fail Safe (Angriffsziel Moskau), The Offence (Sein Leben in meiner Gewalt) oder zuletzt Before the Devil Knows You're Dead (Tödliche Entscheidung).

Er hat sie alle gehabt, die großen Schauspieler, oft mehrfach, Anouk Aimée, Henry Fonda und William Holden, Richard Burton und Omar Sharif, Al Pacino und Marlon Brando, Dustin Hoffman und Faye Dunnaway, Albert Finney, Paul Newman, Sean Connery, Anne Bancroft, Charlotte Rampling, Gene Hackman, Susan Sarandon und Jeff Bridges, Richard Gere, Sharon Stone und Don Johnson und Philip Seymour Hoffman. Im Zweifelsfall steckte er einen ganzen Batzen gleich zusammen, in einen Zug, für einen Mord im Orientexpress. Ingrid Bergman bekam dabei einen Nebendarsteller-Oscar. Lumet selbst war fünfmal von der Academy nominiert und ging immer leeer aus - "nur" einen für das Lebenswerk gab es, 2005.

Immer sind seine Filme Schauspielerfilme, doch auch wie er die Kamera lebendig sein ließ, sich verkannten, selbst Darsteller sein ließ, zum Beispiel in The Pawnbroker oder dem Kammerspiel Fail Safe, der vielleicht gerade auch seiner Reduktion und Lakonik wegen erschreckendsten, verstörendsten Vision von der Atomkriegsapokalypse, das war dynamisch und atemberaubend, vor allem in ihrer damaligen Zeit.

Wortkarg sind sie manchmal, Lumets Filme, man denke an den maulfaulen jüdischen Pfandleiher (Rod Steiger) in The Pawnbroker, den die Bilder der Vergangenheit anfallen wie die bösen Hunde der Nazi-Lager. Oder der Beginn von Serpico. Freilich: Von dem Drehbuchratgeber-Gebot, man solle möglichst wenig die Figuren reden lassen, schließlich sei der Film ein visuelles Medium, davon hat Lumet nichts gehalten, und die mitunter langen Dialoge gaben ihm Recht: auch redende Menschen können uns im Kino fesseln, packen.

Aber von Twelve Angry Men bis Before the Devil Knows You're Dead war da auch immer ein gewisser Argwohn angesichts der Worte, ob Small Talk oder Liebesschwur, Kollegengespräch oder Erpresserbotschaft. Immer war da etwas Vorgebliches, Performatives, Rituelles. Auch: etwas Verzweifeltes. Die um ein Menschenleben debattierenden Geschworenen und die Anwälte vor Gericht in The Verdict und Find Me Guilty. Der hysterische Fernseh-Wahnsinn rund um den TV-Prediger, dessen Abrechnung mit der neuen Medienwelt von so problemlos ausgeschlachtet wird wie Linksterroristen sorgfältig die Vertragsrechte für ihren Anschlag der Woche für die Kameras sichern (in Network). Die Decodierarbeit in dem Psychoanalyse-Drama Equus oder die Lügengeschichten der Kollektivmörder im Orientexpress. Die Bomberpiloten in Fail Safe, die sich nicht mehr von ihrem Angriffsziel durch Beschwörungen abbringen lassen dürfen, und ein beherrschter US-Präsident, der sachlich über das nukleare Ausradieren New York mit seinem russischen Gegenpart verhandelt und entscheidet - als Kompensation für Moskau - um einen globalen totalen Atomkrieg abzuwenden, den ohnehin nie einer gewollt hat, auch der Computer nicht, der lediglich seiner eigenen Sprachlogik folgt...

Kommunikation war in den Filmen Lumets immer eine Notwendigkeit, um miteinander und mit sich selbst auszukommen, aber sobald sie den Mund aufmachten, musste man Lumets Figuren ganz genau zuschauen, um zu sehen, was sie wirklich meinten und nicht-sagten. So betrachtet waren es stets Schauspielerfilme, die Filme Sidney Lumets, aber sie dienten immer ihrer Story, waren in diese sorgfältig und fest eingebunden. (Entsprechend war Lumet immer eher ein Mike Nichols, gar ein kleiner Kubrick als ein Scorsese, ein Altman).

Es behauptet sich oft und leicht, aber es stimmt: Mit Sidney Lumet ist einer der ganz großen Regisseure des Kinos gestorben und - nach u.a. Sidney Pollack - vielleicht der Letzte einer erzählerisch und ästhetisch ganz besonderen Generation, die ihr Können einem Medien-, Filmkunst- und Kulturwandel als Handwerk abgetrotzt und zur Kunst weiterentwickelt hat, eine Generation die immer noch den Ton zwar nicht mehr an- aber (unhörbar eindringlich wie bei einer menschlichen Hundepfeife) vorgibt.

Bernd Zywietz

DVD: Helge Schneider live - „Komm hier haste ne Mark!“

Während Nordafrika und Gesamtarabien erwacht, aufsteht und dabei gähnt und pupst; während Japan zum Land der untergehenden Atomsonne wird; während die Nachbeben des fernöstlichen Gesamtfiaskos bis in die hiesigen Wahlkreise spürbar ist: Während sich also die Welt im Grab umdreht, bleibt Helge Schneider, wie er singt und lacht. Davon zeugt nun endlich, endlich die erste Live-DVD dieses Mannes, der seine Finger in die Stigmata der Zeit legt, um dort zu heilen. Oder was auch immer.

„Komm hier haste ne Mark!“, diese generöse, sozialgönnerhafte Attitüde des selbstlosen Gebens, war jedenfalls der Titel seiner 2010er Tour, die an sich kaum zu unterscheiden war von denen davor – „Akopalüze Nau“ oder „Wullewupp Kartoffelsupp“ oder wie sie alle hießen – oder von der danach, die derzeit läuft: „Buxe voll“. Es ist ja nicht so, dass das allabendliche Programm der Tourneen in den letzten Jahren, ja: fast schon im letzten Jahrzehnt innovativ gewesen wäre, dass konzeptuell Neues geboten würde – im Gegensatz zu den 90ern, wo er auch mal mit selbst zusammengestellter Bigband oder als Rockgruppe unterwegs war; ganz abgesehen vom Kulttrio „Hardcore“. Nein: der Konzertablauf hat sich gefestigt, geht nach klarem Schema vor, auch wenn das Bandpersonal geringfügigen Änderungen unterworfen ist. Überraschungen, was den Ablauf eines Schneider-Konzertes angeht, sind nicht zu erwarten, man weiß, was man bekommt. Und die Frage ist, was man daran findet.

Schlicht alles. Man bekommt Antworten auf nie gestellte Fragen – wie lange braucht Nena zum Schminken? Wie klein ist Peter Maffay? Wozu braucht ein Star sein pinkes Einstecktuch? Und weshalb ist der Platz in der ersten Reihe leergeblieben? –, und zudem bekommt man Fragen auf nie gegebene Antworten, denn sein Teekoch Bodo ist meist auf stummes Nicken und Kopfschüttel beschränkt: „Wie geht’s zuhause? Mutter gesund, Vater auch? Backt Vater noch Kuchen? Kann er nicht, ne. Oh, doch, ahso, is auch Konditor, ne? […] Und, wie war die Erziehung? Hat sie gefruchtet bei dir? Nää, ne. Und Schule? Eins? Fünf? Mhmm. Glaubst du, dass das irgendwen interessiert hier, dein Privatleben?“

Und da kommen wir dahin, wo wir das Besondere finden. Helge Schneider macht es sich einfach: immergleiche Form seiner konzertanen Abendgestaltung mit immergleichen Instrumenten, immergleichen Perücken, immergleichen Handpuppen und (fast) immergleichen Bandmitgliedern garantieren ein Minimum an Vorplanung, und diese festgelegte – weil aufs Optimale hin getrimmte – Form garantiert wiederum freiestmögliche Inhaltsgestaltung. In einem guten Topf kann man alles kochen, und ein stabil gefertigter Krug kann auch ein paar Mal mehr zum tiefen Brunnen des Flachsinns gehen. Vom von Bodo dargereichten Holztee – aber kein echtes Holz, sondern Laminat, gebraucht, mit Käsegeschmack, vom magischen Dreieck zwischen Bad, Küche und Schlafzimmer, wo man immer so lang warten muss – bis zu den virtuellen Gastauftritten von Herbert Grönemeyer – „Der Mensch ist Mensch, weiler, wallawalla lebt und walla, weiler, wallawalla dumme Sachen macht“ – und Udo Lindenberg – „Hömma Helge, biste jetz ganz übergeschnappt? Was is denn los mit dir?“ – zeigt die DVD mit 90 Minuten Hauptkonzert und nochmal an die 30 Minuten Zusatzboni das, was einen Auftritt von Helge Schneider ausmacht.

Aufgenommen wurde im Admiralspalast in Berlin im März 2010, und insbesondere die ersten 50 Minuten scheinen tatsächlich ungeschnitten das Geschehen vor der Pause in einem typischen – das heißt: unglaublich witzigen – Helgekonzert wiederzugeben. Nach der Pause, Helge steckt jetzt nicht mehr im blauen, sondern im beigen Anzug, finden sich sicht- und spürbare Schnitte; und am Ende zerfasert das Ganze mit voller Absicht. Ein normales Schneiderkonzert dauert entweder zwei Stunden oder zweieinhalb Stunden; Teil 2 der DVD ist ein Best-of davon, und am Ende unterbricht Helge – in einer nachgedrehten Szene, die in einem Holz-Gartenschuppen spielt und „Virtuelles Konzertende; Zugabe (digital)“ betitelt ist – sein eigenes Melodica-Solo in einem pseudofranzösischen Chanson: erstmal ist Schluss, wir schalten nach außerhalb zum Master of Ceremonies im Schuppen, und erst danach geht es irgendwie weiter, „auch das ist von mir selber ausgedacht“, sagt Schneider, und kommt damit direkt auf den Punkt seiner Show.

Womit Schneider per DVD das tut, was er bei seinen Live-Auftritten vermeidet: er bricht die Form auf, stellt dem Ablauf ein Bein. Was der ganzen Auftrittsaufzeichnung einen ungeheuren, ungeahnten Mehrwert verschafft. Zum ungeheuren Witz des Showinhalts kommt noch der Witz der Präsentation per DVD – allein dem Hauptmenü könnte man stundenlang zusehen, wie Schneider im Garten versucht, ein altes Honda-Motorrad zu starten. Dabei ist die Liveshow selbst schon auf Kante genäht: dadurch, dass Schneider ein eingespieltes Team um sich herum hat, dadurch, dass die Form einigermaßen gefestigt ist, kann er inhaltlich treiben, was er will, und begibt sich haarscharf an den Rand des Witzigen, da, wo ein paar Schritte weiter die Leere klafft. Sprich: Auf der Bühne kann er sich selbst so treiben lassen, wie er will, kann sich auf sein genauestes Gespür für Timing und effektive Publikumsansprache verlassen und sich auf kurzfristige Gedankenassoziationen einlassen. Die er auch immer wieder im Lauf des Abends neu vom Boden der Gags aufliest: Peter Maffay zum Beispiel, der ganz klein ist und eine per Zeigefinger imitierte Warze im Gesicht trägt, oder Nena, die er wunderbar im „Fitze Fitze Fatze“-Song parodiert. Die beiden tauchen immer wieder auf, leitmotivisch, durchaus mit verletzenden Bemerkungen bedacht – „ach, neinnein, haha, wenn Nena hier ist, schöne Grüße, blablabla“: Herr Schneider weiß nicht nur, sich zu benehmen, indem er seine kleinen Boshaft-Bonmots galant wieder zurücknimmt, nein: er ist auch ein Meister des Einschleimens: Ich seid das beste Publikum, das ich je hatte, gestern war furchtbar, morgen sollen auch wieder solche Experten kommen, aber heute toll. Was eingedenk der beständigen Ironiewolke, in die sich Schneider einhüllt, ex negativo bedeutet: Es ist ihm alles scheißegal. Er macht sein Ding.

Was einen richtigen Künstler ausmacht: Er bemüht sich, mit seiner Kunst sich selbst zu überraschen. Zum zuvor mit der Band Abgesprochenem mischen sich spontane Einfälle, kleine Gedankenhopser, die auch immer wieder ins Leere laufen; und natürlich hat sich Schneider über die Jahre ein unermessliches Repertoire an komischen Versatzstücken, an kleinen Aperçus, an witzigen Kleinbauteilen zugelegt, die er in immer neuer Reihenfolge und in immer neuen Kombinationen aneinanderkonstruiert. Man darf nicht vergessen: Was Schneider macht, ist eigentlich Jazz, übertragen auf verbale Komik. Aufgrund von eintrainierten Läufen, von lockeren Standards, von eingeprägten Grundelementen ergeben sich immer neue, improvisierend zusammengesetzte Storyfiguren, in denen sich spielerisch Satire und Lästereien mit Absurdem und Unsinnigem zu wunderbaren Clownereien mischen. Allein die Einleitung zu „Fitze Fitze Fatze“ ist jedes Geld der Welt wert, wie er von den Läusen im Kindergarten seines Nachwuchses zu den Promiblättern wie Bunte und Gala kommt – „Ich lehne es ab, in diesen Gazetten zu erscheinen“ – und das Wesen der Prominenz paradox erfasst – „Viele Stars sind so berühmt, dass man ihren Namen nicht kennt“ – und sich in einem kleinen Zwischenspiel die Vorderzähne am Mikrophon ausschlägt, wie er von Cher auf Clearasil kommt (inklusive kleiner Fäkalienkunde), eine lustige Anekdote mit Christina Algiluerrerra darbringt („die mit Popo wackelt“), wie er dann ankündigt, wen er alles parodieren wird – Tina Turner, Joe Cocker (visuell), Nena und absurderweise Gus Backus („Kennt keiner, kann ich ganz gut, aber kennt keiner, aber kann ich ganz gut“) – allein aus diesen paar Minuten könnte man eine ganze Abhandlung über Helge Schneider formen, und, ob Sie’s glauben oder nicht: genau das tue ich gerade.

Helge Schneider bewegt sich frei innerhalb des festen Rahmens seines Konzertes, hat sich dort einen unendlich großen Spielraum geschaffen, in dem er sich assoziativ, improvisierend, mit irrlichternder Komik austoben kann. Das ist es, was man bei seinen Konzerten spürt, die Freiheit, die von der Bühne abstrahlt, eine Freiheit im Witz, die nur auf sich selbst angewiesen ist, und die höchst erfolgreich auf ausverkauften Tourneen durch die Republik wandert.

Die DVD nun ermöglicht es, quasi mikroskopisch diese Methode Schneider zu beobachten: Emblematisches Bild dafür ist etwa auch Sergej Gleithmann, Schneiders Begleiter seit Jahrzehnten, der im Hauptprogramm der DVD einen Zwei-Sekunden-Auftritt als Löwenmensch – mit unter die Sonnenbrille hochgeklemmtem ZZ Top-Bart – hat. „Na, das habt ihr jetzt nicht erwartet“, sagt Schneider, und kommentiert damit auch den Irrwitz, Gleithmann anderthalb Stunden hinter den Kulissen zu halten für eine höchst kurze Gastrolle. Im Bonusmaterial taucht er dann nochmals auf mit einem Ausdruckstanz, aus dem bezeichnenderweise mittendrin weggeblendet wird.

Damit auch wirklich jeder die Möglichkeit hat, Herrn Schneider zu verstehen, enthält die DVD türkische und englische Untertitel; und wer gedacht hätte, die Komik Schneiders sei typisch deutsch und unübersetzbar, sieht sich getäuscht. Ein Stück – das „Radiospektakel Nordpol“ gibt es sogar neben der deutschen Live-Originalversion in türkischer und englischer, von Schneider selbst eingesprochener Synchronisation. Und für die Intelligenzbestien unter Schneiders Publikum hat sich in der Vorab-Filmausschnitt-Promotion niemand anderes als Alexander Kluge dazu herabgelassen, anhand von Fananfragen ein grandioses Werbeinterview mit Helge Schneider zu führen, in dem Kluge fast sieben Minuten lang Helges ironische Verweigerungshaltung gegenironisch in – wie von ihm gewohnt – höchste, weitschweifendsten Gedankentiefen überführt, uhttp://www.blogger.com/img/blank.gifm von Schneider metaironisch nochmals übertrumpft zu werden.

Harald Mühlbeyer


Helge und Band: „Komm hier haste ne Mark! – Live“. Mit Helge Schnhttp://www.blogger.com/img/blank.gifeider, Sandro Giampietro (Gitarre), Jochen Bosack (Klavier), Rudi Olbrich (Kontrabass), Pete York (Schlagzeug), Sergej Gleithmann (Dingsbums), Bodo Oesterling (Teekoch).http://www.blogger.com/img/blank.gif
Länge: insgesamt ca. zwei Stunden.
Label: Sony / Roof Music.


Helge Schneiders Live-Auftritt können Sie bequem in unserem Amazon-Shop kaufen: Als DVD und als Blu-Ray.

DER SANDMANN wird zum SOMMERSANDTRAUM - kommt aber immerhin ins deutsche Kino


Der Publikumspreisträgerfilm des diesjährigen Max Ophüls Preises, Peter Luisis charmant-skurrile "Fantasykommödie" DER SANDMANN kommt in die deutschen Kinos. Neue Visionen bringt uns den schweizerischen Film allerdings unter dem Titel EIN SOMMERSANDTRAUM. Ist jetzt auch nicht der Hit, aber passend zum Starttermin: 21. Juli 2011.

Unsere Kritik zu DER SANDMANN / EIN SOMMERSANDTRAUM finden Sie irgendwo HIER.