Hofer Filmtage 2015 - Retrospektive Christopher Petit – "Radio On" (1979)

Christopher Petit - nie gehört, diesen Namen. Nie gesehen, dieses Werk. Aber wenn einer in seinem Text im Programmheft gleich einen Witz erzählt, dann ist das von vornherein sympathisch: "Wie viele Regisseure sind notwendig, um eine Glühbirne zu ersetzen? – Antwort: Vier. Nein, drei. Fünf. Eindeutig fünf, aber drei wären vielleicht besser." Das zielt wohl ziemlich genau auf die Inszenierungsweise von Petit hin (dessen Name man übrigens nicht französisch, also nicht mit stummem t ausspricht): Der vor allem weiß, was er nicht will, wie er selbst sagt, nämlich keine Dinnerszenen, bei denen die Protagonisten über ihre Gefühle und über die Beziehungen untereinander reden. Nein: Petit will von Anfang an das Fragmentarische, was Psychologisierung und Erklärung angeht. Konsequenterweise hat er sein Debüt "Radio On" von 1979 angelegt entlang des Soundtracks, David Bowie etwa singt in der Anfangsszene "Heroes" bzw. auf deutsch "Helden", später beispielsweise Kraftwerk, auf englisch mit "Radioactivity".

"Radio On" wurde von Wim Wenders koproduziert, von dessen Road Movies Filmproduktion, und dieser Name passt zum Film, der vornehmlich im Auto spielt, unterwegs. In langen, ausgedehnten Einstellungen, in aufreizender Langsamkeit. Gedreht in herausragendem Schwarz-Weiß von Martin Schäfer, der zuvor Assistent von Robby Müller gewesen war: Viel Dunkel, viel hell, große Kontraste. Dazu: provozierend wenig (erklärender) Dialog, dafür immer wieder ausführliche Stories mit Gelegenheitsbegegnungen, die der namenlose Mann unterwegs trifft.

Zu Anfang hatten wir David Bowie, dabei eine nervöse Handkamera, die durch eine Wohnung spaziert, wir sehen einen handgeschriebenen Zettel: "We are the children of Fritz Lang and Werner [sic] von Braun". Der Link zwischen den 20ern und den 80ern – das ist ein Statement, das nicht weiter erläutert wird. Wir enden die Sequenz mit einem Mann in der Badewanne, das Radio läuft – "Helden" jetzt als On-Screen-Musik –, und dann zu einem Typen im Auto, von dem wir allmählich mitbekommen, dass er der Protagonist ist. Zum Geburtstag bekommt er von seinem Bruder ein Päckchen mit zwei Kraftwerk-Musikkassetten. Zuhause eine Frau, mit der er nicht redet. Beide gelangweilt, gefühlsarm. Der Mann arbeitet als DJ beim Radio, Musik scheint sein Leben zu sein, aber es macht ihm nicht offensichtlich Freude, so, wie wir uns ja auch nicht freuen, dass Blut durch unsere Adern fließt. Irgendwann zuhause ein Anruf, wir hören das Gespräch im Off, als sei es nicht wichtig: Der Bruder ist tot, der Mann fährt nach Bristol. Kein Gespräch mit der Frau. Dafür eine lange Autofahrt. Ein schottischer Soldat, in Irland eingesetzt, der nun desertieren will. Den der Mann als Anhalter mitnimmt und dann wieder stehen lässt. Im Radio Nachrichten von IRA-Terror, von Geiselnahme, von einer Polizeirazzia gegen einen Pornoring. Die Welt scheint verloren. Irgendwann trifft der Mann auf Sting – ja: der Police-Sting in seinen jungen Jahren! –, der wohnt in einem Wohnwagen hinter einer Tankstelle und spielt Gitarre. Singt "Three Steps to Heaven", philosophiert über Eddie Cochran, der nach einem Auftritt in Bristol im Auto tödlich verunglückte. Am Ende der Episode steht Sting an der Zapfsäule, die Gitarre in der Hand, die Akkorde spielend, ein Bild für junge Götter. Der Mann hat fünf Pfund bezahlt, die er zuvor aus der Tankstellenkasse geklaut hat.

Ist das eine Reise zu sich selbst, wie es das Roadmovie-Genre normalerweise verlangt? Das kann man nicht sagen, weil man nicht weiß, wer der Protagonist ist, was sein Selbst sein könnte. Lethargisch lässt er sich durchs Leben treiben. In Bristol trifft er auf zwei Frauen aus Bayern – Zugeständnis an die deutschen Co-Produzenten, mit künstlerischem Mehrwert: Die eine hasst Männer und ist alsbald aus dem Film verschwunden, die andere sucht ihre Tochter, die mit dem Ex-Ehemann in England wohnt und – Hommage an Wenders – Alice heißt. "Ich dachte, wir würden miteinander schlafen. Aber das werden wir nicht", stellt sie irgendwann fest, auf deutsch und auf englisch, und das verwundert kaum, weil nichts passiert. Auch nicht innerlich – oder vielleicht doch, aber im Verborgenen, irgendwo unter dem Soundtrack. Dann eine großartige Szene am Abgrund: In einem Steinbruch fährt der Mann nahe an den Felsabriss ran, legt Musik ein, doch eine fast kafkaeske, zumindest existenzialistische Situation: Das Auto, das schon vorher gerne gemuckt hat, springt nicht an. Und vorne gähnt der Abgrund, da, wo man die Anlass-Stange einstecken muss. Und zurückschieben im Leerlauf geht wegen nach vorne abschüssigem Gelände nicht… Feststecken. Kein Ausweg. Ein Bild, das irgendwie alles auf den Punkt bringt, auch wenn man nicht wüsste, wo der Punkt ist; und auch nicht merken würde, dass dieser Punkt etwa abschließen könnte.


Harald Mühlbeyer