BERLINALE 2013: gloriose GLORIAS

Kleiner Schnellschuss vor dem nächsten Film: GLORIA von Sebastián Lelio mit einer hinreißenden Paulina Garcia. Sie spielt die Titelfigur, eine geschiedene Endfünzigerin in Chile, die wir zu Beginn noch mit ihrer übergroßen Plastikbrille nach Anschluss suchen sehen. Gloria ist einsam, jedoch niemand, der entweder je gelernt hat, Spaß im Leben zu haben oder es mittlerweile vergessen hat. Linkisch, naiv aber nie denunziatorisch und dabei mit leisem, treffsicheren und genau beobachtenden Humor begleitet der 1974 geborene Lelo diese sozial unsichere und doch so sehnsüchtige Frau, wie sie ihrem erwachsenen Sohn auf den Geist geht, bei ihrer Tochter die Jogaklasse besucht - und schließlich auf einer der Ü-40-Veranstaltungen einen Gefährten findet. Doch Radolfo kommt nicht los von seinen Töchtern und seiner geschiedenen Frau, sodass sich Gloria versucht, sich in der zweiten Reihe einzurichten.


Ganz großes Kino mit kleinem Gestus und gewöhnlicher Geschichte ist es, wenn der Film mit leicht gesetzten, unaufdringlichen oder einsichtige Symbolismen Glorias Alltag zeichnet, ihr Changieren zwischen Hemmung und Lebensgier, ihre Suche nach Nähe, einem Halt oder den Zugang zu einem neuen Leben und einem ebensolchen Ich. Wie sie die kurzen Freunden des Joints entdeckt, zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und kleinem Zorn sich mit ihren Gefühlen und ihrer Selbstvorstellung (sowie der Nachbarskatze) arrangieren lernt. Eine, wenn nicht gar die berührendste und ganz unsentimentale Szene, wie der gesamte Film mit dezenter Handkamera intim, aber unaufdringlich gefilmt: Gloria bringt ihre Tochter zum Flughafen, wo diese ein neues Leben in Schweden erwartet. Nein, die Tochter will nicht von Gloria zum Gate begleitet werden, so verabschieden sie sich kurz in der Parkzone. Gloria fährt davon - und stellt das Auto eilig auf dem Parkplatz des Airports ab, hastet suchend durch die Warte- und Abflughalle, um versteckt, aus der Ferne noch einen Blick auf die junge Frau zu erhaschen und dort, heimlich, ihren Tränen freien Lauf zu lassen.

Ganz einfach erzählt, unspektakulär und doch so treffend weiß Drehbuchautor und Regisseur Lelio die Figur und ihr Inneres samt Leben drumherum zu beschreiben, dass man nicht anders kann als GLORIA völlig ins Herz zu schließen, spätestens, wenn sie am Ende ein wenig zu sich selbst findet, Gelassenheit lernt - auf einer Hochzeit ist sie es am Schluss, die eine Tanzofferte ausschlägt. Um dann doch, ein wenig ungelenk, ein klein bisschen peinlich loszutanzen zum Song "Gloria" vom Umberto Tozzi, alleine und ganz sie selbst.

Viele Kritiker waren begeistert; offensichtlich auch angetan: Berlinale-Jury-Mitglieder Tim Robbins, hinter dem ich saß, und Andreas Dresen, der mit WOLKE 9 sich selbst der Liebe und dem Sex im Alltag (vor der Bebilderung scheut sich auch GLORIA nicht und gewinnt in der sinnlichen Darstellung der reifen Körper).

GLORIA - ein herzlicher Anwärter auf den Goldenen Bären, zumindest aber auf den Silbernen - für eine hinreißende, nuancierte Paulina Garcia.

zyw