Filmfest Dresden 2011: Am Ende...
Wenn alles vorbei ist...
Am Ende bleibt oft nichts oder eben nur Unerwünschtes, auch bei vielen Kurzfilmen in Dresden. Drei Animationsstücke, sozialkritische Kommentare zu den Themen Fehlentwicklung, Zerstörung – oder Weltuntergang.
Im lettische „Norit Krupi“ (übersetzt: Kröten schlucken) von Jurgis Krason gliedert sich die Bevölkerung einer Stadt in die rundköpfigen Intellektuellen und die eckköpfigen Realisten. Der Film startet mit einer schockierenden Szene: Der Sohn einer der intellektuellen Familien stürzt kreischend ins Wohnzimmer und wälzt sich auf dem Boden. Er zeigt seinen Eltern die rechte Gesichtshälfte, auf der anstelle des Ohres ein riesiges, blutendes Loch klafft. Die Quadratköpfe haben es ihm abgerissen. Was tun? Zur Polizei gehen? Selbst zurückschlagen? Für die Eltern ist die Lösung mit dem geringsten Aufwand eindeutig die beste. Ein fehlendes Ohr, was macht das schon? Aus eigener Erfahrung wissen sie, dass es ein Mittel gibt, das den Schmerz vergessen lässt. Der Vater läuft zum Arzneischrank und holt dem Sohn eine Kröte, die er nur schlucken muss.
Nun kann der Sohn lachend seinen Peinigern, den eckköpfigen Realisten gegenüber treten. Denn er weiß, dass er vermeintlich schlauer ist: Für Schmerzen, egal ob physischer oder psychischer Art, hat er das perfekte Heilmittel: schleimige, grüne, dicke Kröten, die er nur hinunterwürgen muss. Die Lösung scheint perfekt zu sein. Es ist eine Win-win-Situation: Die Peiniger können weiter ihren Spaß haben und die Gepeinigten empfinden es nicht als Schmerz. Doch wie es so oft im wahren Leben ist: Das Gleichgewicht bleibt nicht lange ausgewogen. Die Peiniger fangen an, das Krötenschlucken zu unterstützen, um ihre eigenen Interessen besser umsetzen zu können. Das ist der Anfang vom Ende. Wer hat Schuld? Die Intellektuellen, die sich nicht wehrten? Die Eckköpfe, die provozierten?
„Norit Krupi“ funktioniert komplett ohne Dialoge. Allein die Bilder reichen aus, um Gewalt, Teilnahmslosigkeit, Passivität und Angepasstheit sarkastisch darzustellen. Biedermann und die Brandstifter lassen grüßen …
Auch in dem halbanimierten „Pixels“ von Patrick Jean enstpringt das Unheil dem Eckigen: Ein alter Fernseher explodiert und setzt eine Horde pixeliger Ufos frei, die das „echte“ New York bombardieren. Alles was sie treffen wird zu einem Pixelhaufen. Pacman frisst die U-Bahnstationen auf und mit den Hochhäusern wird Tetris gespielt. Doch das reicht noch nicht: Eine tickende Pixelbombe explodiert und verwandelt alles in riesige Bildquadrate. Bis zum bitteren Ende. Ist das eine medienkritische Warnung? Können wir den gestarteten Prozess der Technisierung nicht mehr stoppen, den Einbruch des Virtuellen in das Reale? Oder will der Regisseur nur eine nette, aufwendig umgesetzte Fantasie präsentieren, die beim Publikum mit seiner Kombination von analog-fotografischen Aufnahmen und „digitaler“ Invasion und Zerstörung auf jeden Fall zu Lachern und Begeisterung führt(e)?
Die Warnung, die Max Hattler mit „Spin“ ausspricht ist hingegen klar, aber ebenso wohlbekannt: Krieg führt nur zu Tod, wie harmonisch und schön er auch immer aussehen mag. In dem vier-minütigen Animationsfilm tanzen Plastiksoldaten synchron im leeren schwarzen Raum zu Tanzmusik aus den 1930ern, Musik, die zum Mitwippen anregt, zu der die Füße nicht stillstehen können. Und nach einigen schönen Formationen fangen die Soldaten mit dem Krieg an.
Die Tanzmusik unterlegt nun nicht mehr ihre Formationen, sondern das gegenseitige Erschießen der Krieger. Zusätzlich wird auf brutale Computerspielewelten hingedeutet: Ein Soldat, der einen anderen tötete, springt wie im Computerspiel „Super Mario“ über ihn.
Weltuntergangsfilme warnen oft vor zu viel Technisierung, zu viel Gewalt, vor zu wenig verantwortungsbewusstem Handeln in dieser Welt. Ich würde mir jedoch mal etwas Neues wünschen, etwas Konkreteres und Weiterführendes, beispielsweise Handlungs- und Änderungsempfehlungen.
Immerhin, Jurgis Krasonans allegorischer „Norit Krupi“ verweist darauf, dass eine Lösung nicht so einfach ist (wie hätten die rundköpfigen Intellektuellen anders handeln sollen)? Jeder Weg hat Vor- und Nachteile, zu wenig Gewalt kann sogar ähnlich schlecht sein wie zu viel. Warum allerdings widmen sich eigentlich so wenig Filme der Grandwanderung zwischen diesem „zu viel“ und dem „zu wenig“?
Christine Arnsmeyer