Im Kino: „Männertrip“ - Niveau ist keine Handcreme

„Männertrip“ / “Get Him to the Greek” (USA 2010). Regie: Nicholas Stoller. Kinostart: 2.9.2010.


Aaron Green (Jonah Hill) hat 72 Stunden, um den englischen Rockstar Aldous Snow (Russell Brand) von London nach Los Angeles zu eskortieren. Dort soll ein Live-Konzert im Greek Theatre das Comeback des abgestürzten Extremkünstlers sichern – sowie den finanziellen Fortbestand des Plattenlabels Pinnacle Records. Eigentlich ein recht simpler Auftrag, den selbst ein so tollpatschig unbeholfener Anfänger, wie Jonah Hill ihn nur spielen kann, nicht vermasseln könnte: Get him to the Greek.

Hätte die Sache nicht diesen einen winzigen Haken: Aldous Snow ist der so ziemlich narzisstischste, rücksichtsloseste, sexbesessenste und >weitere den Charakter negativ beschreibende Superlative bitte hier einfügen< Rockstar, den es je gegeben hat. Und das in einer Welt, in der die Rockerzunft sowieso schon als der wohl skrupelloseste und hinterhältigste Menschenschlag gilt, der je unter der Sonne wandelte – so zumindest (ausgerechnet) Sean „P. Diddy“ Combs alias Sergio Roma, CEO von Pinnacle Records. Statt also brav am Flughafen auf den gebuchten Flieger zu warten, wird sich ordentlich abgeschossen – im Wettlauf mit der Zeit schleppt der Musiker den naiven Praktikanten fast drei Tage lang von einem Party-Absturz zum nächsten. Erlebt Aaron da gerade eine harte Zerreißprobe für sein integer monogamisches Leben mit seiner Freundin Daphne (Elisabeth Moss, „Mad Men“) oder wirklich die Zeit seines Lebens?

Produziert von Judd Apatow („Jungfrau (40), männlich, sucht”, „Beim ersten Mal“, „Superbad“, „Wie das Leben so spielt“), dem Meister der liebevollen Bromance mit Peniswitz, wird auch in „Männertrip“ nicht an derben Zoten, schmerzlichen Peinlichkeiten und regelmäßigen Grenzüberschreitungen gegeizt. Am Ende des immer tiefergehenden Niveau-Limbos steht jedoch nicht die Geschmacklosigkeit dem Film im Weg, sondern seine Inkonsequenz: Statt übermäßigen Gekotzes wird zwischendurch derart viel an Moralin verkleckert, dass man den Film mit einem leicht säuerlichen Beigeschmack verlässt. Nichtsdestotrotz bleibt die Hervorhebung der apatow’schen Kernthese erhalten: Niveau ist keine Handcreme.


It’s Time for Africa!


Irgendwo in Afrika: Schwarze Guerillakämpfer mit Sonnenbrille, schwarzem Barrett und einem breiten Patronengurt über der Brust liefern sich ein erbittertes Schussgefecht im blendenden Sonnenlicht. Vereinzelte Dorfbewohner in gewohnt ärmlicher Kleidung suchen Schutz zwischen den Trümmern ihrer zerstörten Häuser. Ein Trupp afrikanischer Stammeskrieger läuft unmotiviert durch den Kugelhagel – halbnackt, samt Kriegsbemalung, Schild und Speer. Waka waka eh eh. Doch was ist das? Inmitten dieses Konglomerats diskriminierender Klischeebilder erscheint plötzlich eine strahlende Gestalt. Ein Alien? Der Messias? Shakira? Fast: Aldous Snow. Mit seinem wehenden weißen Mantel, der nackten Brust und obskuren Goldschmuck ist er als „african white space christ“ zu den Menschen gekommen, um von Krieg, Armut, Hunger und all dem anderen Elend zu singen, welches den schwarzen Kontinenten so sehr beutelt:

“I have crossed the mystic desert
To snap pictures of the poor
I've invited them to brunch
Let them crash out on my floor.

[…]

All these blowjobs in limousines
What do they matter
What do they mean
To the little African child
Trapped in me.”


In einer nächsten Einstellung des Musikvideos zu Snows neuestem Song „African Child“ holen afrikanische Hebammen ein schwarzes Neugeborenes aus dem Unterleib des Rockstars heraus – Aldous Snow hält sein befreites inner african child in den Händen. Wen wundert es da noch, dass eben jene Hitsingle als größter Flop des Jahrzehnts von Kritikern vernichtet und in der Presse als "the worst thing to happen to Africa since the apartheid” verschrieen wird?

Aldous wundert‘s. Er hatte es doch nur gut gemeint, wollte über die schlimme Situation in Afrika aufklären. Er hatte nämlich diese Bilder im Fernsehen gesehen. Doch irgendwie will ihn keiner verstehen. Schon immer scheint er in seinem eigenen Kosmos zu leben, einem durch und durch aldouszentrischen Kosmos. Nach dem Flop von „African Child“ gerät sein Universum vollkommen aus den Fugen: Er fängt wieder an zu trinken, wird drogenabhängig, lässt bei den MTV Video Music Awards wortwörtlich den Larry raushängen und pinkelt Kurt Loder ins Studio.


I am Jesus


Bereits 2008 machte der englische Komiker Russell Brand in der Darstellung des durchgeknallten Aldous Snow in der ebenfalls von Apatow produzierten Komödie „Forgetting Sarah Marschall“ auf sich aufmerksam (Der wunderbare deutsche Verleihtitel „Nie wieder Sex mit der Ex“ machte es einem zuweilen nicht gerade leicht, diesen Film glaubwürdig weiterzuempfehlen, weshalb der Autor im weiteren Verlauf der Kritik auch dem Originaltitel den Vorzug gibt). Der damals gerade wegen eines skandalösen Telefonstreiches aus der BBC entlassene Radiomoderator Brand erwies sich dabei als die ideale Ergänzung zur unangepassten Apatow-Familie. Nun hat der beliebte Charakter endlich seinen eigenen Film bekommen – in Fachkreisen schimpft man so etwas ein Spin-Off. Doch entgegen der eigentlichen Natur des Spin-Offs (man denke nur an verzichtbare Meisterwerke der Filmgeschichte wie die Ewoks-Spin-Offs zu den Star Wars-Filmen oder Filme wie „Catwoman“, „Electra“ oder „The Scorpion King“) hat dieser Charakter einen eigenen Film verdient: Mit dem Hedonismus eines Dorian Gray und der Anarchie eines Ledgerianischen Jokers gibt Brand die perfekte Persiflage des charismatischen und völlig abgehalfterten Musikers, der von seinen Fans trotz seinen ausgeprägten Allüren geradezu als Gott verehrt wird. Dabei verfährt er mit seinem Starimage nicht so bescheiden wie die Beatles: Statt „more popular than Jesus“ behauptet der Künstler mit dem gigantomanischen Ego in seinem gleichnamigen Song überzeugt: I am Jesus.

Während bei „Forgetting Sarah Marschall“ noch die einzelne Künstlerpersönlichkeit im Fadenkreuz der Satire stand, wird bei „Männertrip“ gleich auf ein gesamtes Milieu geschossen: dem Musikgeschäft. Dabei spielt der Soundtrack des Films selbst – wer hätte es gedacht – eine integrale Rolle. Insgesamt 19 Songs wurden für den Film geschrieben, nicht wenige unter der Beteiligung von „Forgetting Sarah Marschall“-Autor und Hauptdarsteller Jason Segel („How I Met Your Mother“). 14 Songs durfte Russell Brand mit Snows fiktiver Band „Infant Sorrow“ selbst aufnehmen. In diesen Liedern und einigen dafür produzierten Musikvideos, die im Laufe des Films immer mal wieder auftauchen und zum Teil auch im Internet komplett einzusehen sind, gestaltet sich das parodistische Potenzial des Films aus: Neben Songs, die die provokant-taktlose Selbstinszenierung mancher Musiker aufs Korn nehmen („African Child“, „I Am Jesus“), sind es vor allem Songs wie „Inside of You“, „Gang of Lust“, „F.O.H.“, „Bangers, Bean and Mash“ oder „Riding Daphne“, die offenlegen, worum es in 70% der aktuellen Chartsongs wirklich geht. Obwohl dabei Snows Song „F.O.H.“, „fucking on heroin“, in seiner Ausdruckskraft wohl als unerreicht unter seinen Werken zu gelten hat, ist es interessanterweise ausgerechnet seine Ex-Freundin, die model-turned-singer Jackie Q (Rose Byrne), die den Rockstar an Sexbesessenheit und explizitem Inhalt übertrifft: Als Parodie auf die Spearses, Aguileras, Katy Perrys, Lady Gagas und all die anderen Fabrikaten der Musikindustrie steht sie mit ihrem tendenziösen Song „Ring ‘Round“, einem recht deutlich codierten Plädoyer für den Analsex, ihren Vorbildern in punkto übersuggestiv sexualisierte Musikvideos und lächerliche Lyrics mit recht eindeutig zweideutigen Implikationen in nichts nach. Der einzige Unterschied ist, dass Jackie Q konsequentermaßen den letzten Schritt geht und am Ende ihres Songs noch einmal (un)nötigerweise das direkt ausspricht, worüber sie die ganze Zeit gesungen hat, damit es auch der letzte Idiot versteht: I’m talkin‘ about my asshole.

Um die Parodie zu überleben, muss man selbst zur Parodie werden – Rapper/Musikproduzent/Schauspieler/Modedesigner Sean Combs in der dem eigenen Leben nicht ganz unähnlichen Rolle des Musikmoguls Sergio Roma: „Wurde dein Verstand schon mal gefickt?”


Smoking, Drinking, F***king – Puking


Manchmal hat es den Anschein, als ob bei jeder Filmkritik zu einer Apatow-Produktion der Verfasser am Ende noch einmal dazu angehalten ist, darauf hinzuweisen, dass die dargebotene Komik des Films nicht jedermanns Sache (geschweige denn Geschmack) sei. Der Verfasser dieser Kritik möchte sich jedoch an dieser Stelle ganz klar von dieser Handhabung mit Nachdruck distanzieren und stattdessen folgenden Gedanken anführen: Vielleicht brauchen wir genau solche Filme, die uns zeigen, dass wir bei aller Geschmacklosigkeit, mit der wir mehr und mehr über die Medien täglich konfrontiert werden, überhaupt noch eine Schmerzgrenze haben, die verletzt werden kann. Gott sei Dank.

Wem da noch plumper Analwitz und drink’n’puke-Humor trotz allem als zu würdenlos erscheinen sollte, der hat David Hasselhoff noch nie beim Burgeressen zugesehen:

http://www.youtube.com/watch?v=-EXtxbn2ye0


Simon Born



GET HIM TO THE GREEK
Regie: Nicholas Stoller. Drehbuch: Nicholas Stoller, Jason Segel (characters). Kamera: Robert Yeoman. Musik: Lyle Workman. Produzenten: Judd Apatow, David Bushell, Rodney Rothman, Jason Segel, Nicholas Stoller.
Darsteller: Russell Brand (Aldous Snow), Jonah Hill (Aaron Green), Elisabeth Moss (Daphne Binks), Rose Byrne (Jackie Q), Sean “Diddy” Combs (Sergio Roma), Colm Meaney (Jonathan Snow).
Verleih: Universal Pictures
Laufzeit: 109 Min.
Kinostart Deutschland: 02.09.2010