Im Kino: "Humpday"
Seit ein paar Tagen in den deutschen Kinos, auf Screenshot schon seit exground 09 nachzulesen: Lynn Sheltons Männerfreundschaftskomödie "Humpday".
Martin Urschel schrieb in der exground-Berichterstattung:
Mitten in der Nacht klingelt es an der Tür - Ben (Mark Duplass) kriecht aus dem Bett, seine Frau ist noch halb am Schlafen. Wer da laut polternd die Nachtruhe stört, völlig aufgekratzt, ist Bens Jugendfreund Andrew (Joshua Leonard).
Die beiden haben sich einige Jahre nicht gesehen. Ben ist zum "Square" geworden, lebt ein durchschnittlich-solides bürgerliches Leben mit seiner Frau, Andrew versucht sich erfolglos als vagabundierender Künstler, scheint viel Sex zu haben, ist aber Single.
Die Wiederbegegnung der beiden Männer ist so körperlich, so zärtlich, dass der Zuschauer - und die Ehefrau (Alycia Delmore), die mittlerweile dazugestoßen ist - sich fragen muss, was für eine Freundschaft diese beiden Männer wohl einmal geführt haben.
Andrew zieht kurzentschlossen für ein paar Tage bei dem Ehepaar ein. Immer wieder gibt es zwischen den Macho-Späßen der zwei Freunde kleine Momente von Homo-Erotik, wenn sie sich zum Beispiel beim Basketball spielen um den Ball prügeln und so lange auf der Straße umherwalzen, dass die Kinder aus der Nachbarschaft große Augen bekommen.
Bei einer Party, besoffen, schließen die alten Freunde eine Wette ab: Sie werden für das örtliche Art-Porn-Festival einen Beitrag filmen. Und zwar als Hauptdarsteller eines heterosexuellen Schwulenpornos.
Das ist nur eine dumme Partywette, die man am Morgen danach getrost vergessen kann, so scheint es - aber die beiden Männer wollen keinesfalls zurücktreten von der Abmachung, auch als sie wieder nüchtern sind.
Der Film bezieht seine Spannung vor allem aus der Frage: Tun sie's oder tun sie's nicht? Dahinter liegt aber noch eine andere Frage, die etwas ernster ist: Warum überhaupt wollen sie "es" denn eigentlich tun?
Die Regisseurin Lynn Shelton, die auch das Drehbuch geschrieben hat und selbst mitspielt, verhandelt in ihrem zweiten Film "Humpday" Fragen nach der Geschlechtsidentität ihrer männlichen Hauptfiguren in Zeiten des Neoliberalismus. Was heißt Männlichkeit? Was heißt Hetero, was Homo für diese (amerikanischen!) Figuren? Zwar gibt sich Andrew als aufgeschlossener Bohemian, aber als die zwei Frauen, mit denen er ins Bett steigt, ihm einen Dildo unter die Nase halten, kann er nicht anders als fliehen.
SPOILER IM NÄCHSTEN ABSCHNITT:
Es stellt sich heraus, dass der solide Ben, sosehr er seine Frau liebt, sich einmal in einen Mann verguckt hat. Mit dieser Erfahrung geht er so schamvoll um, dass es kaum überrascht, dass zwischen den zwei Männern schließlich nicht viel passiert, als sie sich im Hotelzimmer für die Kamera ausziehen.
Ein Kuss auf den Mund - "war doch gar nicht so schlecht ... gut war es eigentlich auch nicht ... eigentlich war es schlecht ..." - ein paar ungelenke Umarmungen und dann ein langes, langes Gespräch. Lynn Shelton zeichnet präzise die Emotionskurven nach, das Hin und Her, die Beklemmung, die totale Abwesenheit von Erotik. Die beiden Männer, die gar nicht so sicher waren, ob nicht doch etwas Schwules in ihnen steckt, kommen am Ende zu der Einsicht: Wir sind zu heterosexuell, um miteinander zu schlafen. Zu absurd scheint schon der Gedanke.
Es bleibt offen, ob die beiden, trotz ihrer oberflächlich aufgeschlossenen Haltung, einfach doch zu prüde, zu verklemmt, zu angstvoll waren, um das sexuelle Potenzial ihrer Freundschaft auszuprobieren - oder ob sie tatsächlich so durch und durch Heteros sind, wie sie sich gerne sehen wollen. Man könnte argumentieren: Die ersten Szenen des Films widerlegen Letzteres.
SPOILER ENDE
Die Gender-Thematik wird nicht bis ins Letzte konsequent durchgespielt, aber das ist auch gar nicht so schlimm, denn die eigentliche Qualität des Films liegt in seiner leichtfüßigen Art zu erzählen. Die Kamera (Benjamin Kasulke) wirft fast dokumentarisch anmutende, unaufdringliche Handkamera-Blicke auf die Figuren. Zu keinem Zeitpunkt verliert man als Zuschauer den Überblick und doch lebt der Film von zahlreichen Doppeldeutigkeiten. Auf eine wunderbar einfache, durchsichtige Weise saugt der Film uns in seine Welt voller skurriler Alltags-Momente, so energiereich und witzig inszeniert, dass die Zeit im Flug vergeht.