Der Gangsterfilm in neuen Bildern - "Public Enemies"

von Elisabeth Maurer

Regie: Michael Mann. Drehbuch: Ronan Bennett, Ann Biderman, Michael Mann. Kamera: Dante Spinotti. Musik: Elliot Goldenthal. Produzenten: Kevin Misher, Michael Mann.
Darsteller: Johnny Depp, Christian Bale, Marion Cotillard, Billy Crudup.
Verleih: Universal Pictures
Laufzeit: 140 min
Start: 6.8.2009


1933, mitten in der amerikanischen Depressionszeit, hielt der Bankräuber John Dillinger die Polizei und das neugegründete FBI in Atem. J. Edgar Hoover erklärte ihn zum ersten Staatsfeind Nr.1 der USA.

Michael Mann zeigt die vierzehn Monate von seiner Freilassung nach neun Jahren Gefängnis bis hin zu seiner Erschießung. Zuerst befreit Dillinger (Johnny Depp) seine Freunde aus der Haft, dann führt er sie nach Chicago, wo sie mehrere Banken ausrauben. Dort trifft er auf Billie (Marion Cotillard), in die er sich augenblicklich verliebt. Verbissen gejagt von dem FBI-Agenten Purvis (Christian Bale) wird er kurzzeitig inhaftiert, doch gelingt ihm wiederum die Flucht. Aus Liebe zu Billie verläßt er nicht das Land, sondern geht zurück nach Chicago, wo aber auch Agent Purvis auf ihn wartet.

Kurz vor seinem Ende betritt Dillinger unbemerkt die Räume des Sonderkommandos des FBIs, das mit seinem Fall betraut ist. Für ihn ist es ein Gang in sein eigenes Museum. Hier wird ihm sein Leben vor Augen geführt, auch das nahende Ende. Der Zuschauer sieht auf den Pinnwänden die Stationen aus Dillingers Leben, die ihm der Film bisher präsentiert hat. Dabei versuchte der Film aber nicht wie ein Museumsbesuch zu wirken. Mann setzt HD-Technik und Handkamera ein, um die Aufnahmen möglichst realistisch und unmittelbar aussehen zu lassen. Die Bilder sagen aus, daß hier keine nostalgische Verklärung der Vergangenheit geboten werden soll. Sie bilden fast immer ausschließlich Reales und Gegenwärtiges ab, es gibt keine Rückblenden, keine inneren Bilder, die Kamera bleibt immer sehr dicht bei den Figuren. Die Vergangenheit des Charakters interessiert nicht, Dillinger selbst stellt seinen persönlichen Hintergrund gegenüber Billie als unrelevant dar. In welchem Zustand das Land sich zu dieser Zeit befand, wird nur an wenigen einzelnen Szenen deutlich. Auch die Verehrung, die Dillinger noch zu Lebzeiten von der Bevölkerung erfuhr, spielt keine Rolle. Sein Ikonenstatus wird dem Zuschauer durch die Wirkung des Films und der Figur auf ihn selbst klar. Mann zeigt dem Zuschauer das, was seiner Meinung nach Dillinger ausmachte, dies sind die Taten und Vorkommnisse dieser wenigen Monate.

Der Film ist ein Statement für die Vorzüge der modernen Filmtechnik. Auch auf Handlungsebene findet eine Thematisierung von Umbrüchen statt. Dillingers Outlawleben wird der neuen Organisation des Verbrechens mit Hilfe neuer Techniken, hier Telefonen und landesweiter Vernetzung, gegenübergestellt. Das FBI bietet neue Möglichkeiten der Polizeiarbeit mit neuester Ausrüstung wie Abhöranlagen und Befugnissen über Staatsgrenzen hinaus. Die Erfindung des Tonfilms fasziniert die Menschen, auch Dillinger, der kurz vor seinem Tod sein Leben im Kino in der Filmhandlung von „Manhattan Melodram“ (W.S. Van Dyke, 1934) gespiegelt sieht – der Gangster in einem Gangsterfilm besucht einen Gangsterfilm.

Der klassische Gangsterfilm, der sich zu Dillingers Lebzeiten entwickelte, entwirft meist ein Porträt eines Gangsters und zeigt die Geschehnisse aus seiner Perspektive, dabei liegt die Betonung auf der Rauheit, Härte, Rastlosigkeit und Beweglichkeit seines Lebens. Genauso verfährt Mann bei der Darstellung Dillingers, und er entscheidet sich für die neue Optik, weil sie es ihm gestattet, eben diese Motive so einprägsam wie bisher kaum möglich ausdrücken zu können. Der Film ist also eine Weiterentwicklung des klassischen Gangsterfilms, wie sie nur die moderne Technik hervorbringen konnte.

Dass die HD-Aufnahme teilweise das Make-Up der Darsteller, vor allem bei Johnny Depp, sichtbar werden lässt, und die Bilder manchmal zu sehr wie Aufnahmen mit der Amateurvideokamera wirken, schwächt leider in einzelnen Szenen die Wirkung des Realismus und der Gegenwärtigkeit. Trotzdem ist es ganz besonders die innovative Optik des Films, die im Gedächtnis bleibt. Im Vergleich zu derzeit üblichen computergenerierten Weichzeichnungs- und Sepiafiltern bei der Darstellung vergangener Zeiten werden hier neue Möglichkeiten deutlich. Diese erlauben eine Annäherung an eine Ikone, die zumindest auf Bildebene dem Zuschauer ein bisher so selten gesehenes aktuelles und realistisches Porträt liefert.