Dem Schicksal ein wenig nachhelfen - mit Kleine(n) Tricks
von Markus Reuter
Kleine Tricks (Sztuczki, Polen 2007)
Produktion, Drehbuch und Regie: Andrzej Jakimowski. Kamera: Adam Bajerski. Musik: Tomasz Gassowski.
Darsteller: Damian Ul (Stefek), Ewelina Walendziak (Elka), Iwona Fonalczyk (Mutter), Thomasz Sapryk (Fremder am Bahnhof).
Verleih: Kool
Länge: 95 Minuten
Start: 23.07.2009
Ein polnischer Film in deutschen Kinos – das ist gefühlt ungefähr so lange her wie der politische Umbruch in Osteuropa nach 1989. Und wenn sich doch manchmal Filme polnischer Regisseurinnen und Regisseure auf Kinoleinwände in Deutschland verirren, handelt es sich meist um deutsch-polnische Koproduktionen. Wobei der offizielle Kinostart von Malgoska Szumowskas „33 Szenen aus dem Leben“ („33 szeny z zycia“) schon fast ein Jahr zurück liegt und der Start von Stanislaw Muchas „Hope“ („Nadzieja“) sogar schon aus dem Januar 2008 datiert.Sollten mir in diesem Zeitraum polnische (Ko-)Produktionen entgangen sein, möge man mich diesbezüglich bitte aufklären.
Dieser Umstand allein macht jetzt neugierig auf „Kleine Tricks“.
Hinzu kommen in den zwei Jahren seit seiner Fertigstellung zahlreiche Auszeichnungen auf Festivals der ganzen Welt und reichlich gute Kritiken hinzu. Schließlich wird der Film dann noch als „magische Sommergeschichte“ beworben, was so ziemlich allem widerspricht, was man von einem polnischen Film erwartet. Große polnische Regisseure wie Andrzej Wajda, Krzysztof Kieslowski, Krzysztof Zanussi und Agnieszka Holland beschäftigen sich in der Regel mit ernsten Themen politisch-gesellschaftlicher, philosophisch-moralischer oder allgemein menschlicher Natur. Kein Wunder also, dass die von ihnen geprägte filmische Bewegung gegen Ende der 1970er-Jahre unter dem Titel „Kino der moralischen Unruhe“ in die Filmgeschichtsbücher eingegangen ist. Auch aktuelle Produktionen wie die 2009 auf dem Filmfestival in Karlsbad präsentierten „Schweinchen“ („Swinki“) von Robert Glinski oder „Der Riss“ („Rysa“) von Michal Rosa machen da keine Ausnahme und bestätigen diese Tradition. Anders als im Nachbarland Tschechien bilden leichtere Filme oder sogar Komödien die Ausnahme in der Kinematografie Polens.
Die Ausgangssituation in „Kleine Tricks“ hat nun ebenfalls das Potenzial zum Sozialdrama. Der siebenjährige Stefek lebt mit seiner Mutter und der Schwester Elka in einem kleinen Vorort von Breslau. Während die Mutter für die Ernährung der Familie einen kleinen Laden führt, verdient sich Elka ein bisschen zusätzliches Geld beim Kellnern im Restaurant. Wann immer es geht lernt sie italienisch, weil sie von einem Job im nahe gelegenen italienischen Autohaus träumt.
Stefek hat seinen Vater nie gesehen, zu früh hat er die Familie verlassen. Dennoch glaubt er, ihn in einem Fremden auf dem Bahnhof des Dorfs zu erkennen. Sein einziger Beweis für diese Vermutung ist ein altes, völlig überkritzeltes und zerfranstes Foto vom Vater. Im Spiel Stefeks wandelt sich der Stock in seiner Hand allerdings von einem bloßen Stück Holz in den Superheld Batman. Ist der „Fremde=Vater“-Zusammenhang daher vielleicht ebenfalls nur Ausdruck seiner kindlichen Phantasie? „Das Schicksal war nicht auf Mutters Seite“ erzählt ihm die Schwester als Grund, warum der Vater die Familie verlassen hat, und zeigt ihm gleichzeitig, wie man das Schicksal beeinflussen kann. Fortan will Stefek mit Hilfe von kleinen Plastiksoldaten, Münzen und weiteren kleinen Tricks dem Glück ein wenig auf die Sprünge helfen und die Vaterschaft des Fremden auf die Probe stellen. Es kommt zum Tag der Entscheidung.
„Kleine Tricks“ ist tatsächlich ein Sommerfilm, in dem die Klamotten der Protagonisten kurz sind, der Himmel blau ist, ein kühles Bad im Fluß die einzige Abkühlung verschafft und der Hunger durch das genüsslich schmatzende Verzehren einer Wassermelone gestillt wird. Neben dieser sommerlichen Stimmung wird der ernsten Ausgangssituation vor allem Stefeks schöpferische Einbildungskraft und sein naiver Glaube an das Gute und Heile in der Welt entgegengesetzt. Ihm gehören die schönsten Momente im Film, wenn er zum Beispiel mit unterschiedlichen Mitteln versucht, die Tauben eines Nachbarn aus ihrem Verschlag zu scheuchen oder seiner Schwester die Daumen für ihr Vorstellungsgespräch drückt, diese aber gut für die Verrichtung anderer Tätigkeiten gebrauchen könnte.
Für eine „magische Sommergeschichte“ fehlt es der Inszenierung aber insgesamt ein wenig an Schwung. Wenn die Protagonisten auf Entwicklungen warten, durch die Straßen des Dorfs spazieren oder auf die Ereignisse in der Welt blicken, wird das Tempo des Films immer wieder gebremst. Die Welt des Dorfs scheint in einem Zustand der Starre zu verharren, weniger in einem der Bewegung. Nichts gegen undramatische Filme, wenn sie die Klasse eines Antonioni, Tarkowskij oder Bresson aufweisen. Hier sollen die vielen Großaufnahmen auf die Gesichter jedoch Spannung und Verwunderung hervorrufen, der einzige Effekt ist aber häufig die Verlangsamung des Erzählrhythmus. Während die Frage nach dem Vater bis zum Schluss noch einigermaßen spannend und unterhaltsam bleibt, lässt einen die Bewerbung der Schwester beim Autohaus als zweiter Haupthandlungsstrang nach einer Weile ziemlich kalt. Zu redundant ist die ständige Vertröstung auf spätere Termine für das Vorstellungsgespräch, zu ungeschickt stellt sie sich manchmal selber an.
Der Spagat zwischen einer Tradition der Schwere und einer neuen Leichtigkeit im polnischen Kino gelingt Drehbuchautor und Regisseur Andrzej Jakimowski deshalb nur selten. Häufig wirkt die Mischung zwischen Komödie und Sozialstudie, zwischen der Würdigung kindlicher Imaginationskraft und dem kritischen Hinweis auf die Probleme des Heimatlands zu unentschieden. Der Film schafft es letztlich nicht, den Zuschauer heiter und mit neuer Lebenskraft erfüllt aus dem dunklen Kinosaal in den lauen Sommerabend zu entlassen.
Gleichwohl ist es erfreulich, dass es den Produzenten mit welchen kleinen Tricks auch immer gelungen ist, den polnischen Film in deutsche Kinos zu bringen. Erstaunlicherweise startet in ein paar Wochen bereits der nächste polnische Spielfilm in Deutschland. Regie-Altmeister Andrzej Wajda widmet sich in „Das Massaker von Katyn“ dann wieder einem ausdrücklich ernsten und politischen Thema, auf dessen Bearbeitung man gespannt sein darf.