BERLINALE 2011: Ja wo laufen sie denn...


Ok, keine faire Kritik, aber nach zwei Stunden gefühlter Zeit (die im Kino vielleicht dreißig gedauert haben, oder nur zwanzig) habe ich mir Béla Tarrs A TORINÓI LÓ (THE TURIN HORSE) nicht länger anschauen wollen (hoffte ich doch noch auf eine Karte für den viel gepriesenen und von mir heute morgen verpassten iranischen Film JODAEIYE NADER AS SIMIN - doch da war kein reinkommen mehr).

Der Berlinale-Begleittext zum TURINER PFERD:

„Am 3. Januar 1889 tritt in Turin Friedrich Nietzsche durch die Tür des Hauses Via Carlo Alberto 6. Nicht allzu weit weg von ihm hat der Kutscher einer Pferdedroschke Ärger mit einem widerspenstigen Pferd. Trotz all seiner Ermahnungen weigert sich das Pferd, sich in Bewegung zu setzen, woraufhin der Kutscher die Geduld verliert und zur Peitsche greift. Nietzsche nähert sich dem entstehenden Gedränge und setzt dem brutalen Verhalten des Kutschers ein Ende, indem er schluchzend seine Arme um den Hals des Pferdes legt. Sein Vermieter bringt ihn anschließend nach Hause, und zwei Tage lang liegt er bewegungslos und stumm auf dem Sofa, ehe er berühmte letzte Worte spricht und noch weitere zehn Lebensjahre stumm und umnachtet unter der Obhut von Mutter und Schwestern verbringt. Was mit dem Pferd geschah, wissen wir nicht.“ So Béla Tarr im einführenden Vorspanntext seines Films. Er beschreibt in unmittelbarem Anschluss an das Ereignis mit großer Genauigkeit das Leben des Kutschers, seiner Tochter und auch des Pferdes. Gedreht hat der ungarische Regisseur in seiner unverwechselbaren Handschrift: mit langen Kameraeinstellungen, in Schwarzweiß und unter weitgehendem Verzicht auf Dialoge.


Nun, warum wir von dem Pferd nix mehr wissen, liegt daran, das nix zu wissen gibt. Zumindest hatte bis jetzt Tarr wenig von der Mähre zu berichten - und sogar auf dem Presseserver ist das einzige Filmfoto pferdelos (s.o.).

Fünf Minuten schaut die tatsächlich beeindruckende Kamera zu, wie der Bauer mit dem Gaul vor dem Karren durch den Sturm zockelt, dabeim beobachten wir ohne Schnitt und mit peinvoller Genauigkeit, wie das Tier abgespannt und der Wagen im Schuppen verstaut wird, im Haus des Bauern Tochter ihrem Handwerk nachgeht, zwei Kartoffeln kocht, von der eine der Bauer dann mit den Fingern mampft, wobei er sich selbige immerzu verbrennt, dann wird abgeräumt, im Bette folgt nächtens ein Denkwürdiger Dialog (der Bauer hört die Holzwürmer nicht mehr. Was das bedeutet, wird er gefragt. Weiß er auch nicht). Am nächsten Morgen holt die Frau Wasser, zieht dem Bauern dieStrümpfe ann, das Pferd wird wieder angespannt und da bin ich raus, nicht als erster und vermutlich nicht als letzter. Die meiste Zeit unterliegt dem Ganzen eine Musikentlosschleife (von Mihály Vig), die an Philip Glass' KOYAANISQATSI-Soundtrack erinnert.

Vielleicht verpasse ich gerade in den letzten zwei Studen des TURINER PFERDES nie gesehene Alieninvasionen, psychodelische Welten, packende Seelendramen und -einsichten, das Große Ganze, ästhetische Orgasmen und einen lustigen Bären, der in einem winzigen Auto im Kreis fährt, auf dass jedes Menschenkind seine Freude daran hat wie noch nie zuvor.

Aber irgendwie glaube ich das nicht, und so schön, existenzialistisch und unmittelbar kann die Kamera gar nicht sein, wenn sie einfach nichts Interessantes zu zeigen hat (und SO gut, dass man sinnlich in diesen rustikalen Alltag gezogen wird, IST sie auch wieder nicht).

Keine Geduld, nicht fähig, das Reduzierte zu schätzen, ein schändliches Sich-nicht-drauf-einlassen-Wollen oder -Können? Mag sein. Dafür geh ich jetzt und verbrenn' mir bei McDonnald`s gegenüber des Berlinale Palasts an den Pommes die Finger.

(zyw)