Im Kino: „Knight and Day“ – Fast Forward

“Knight and Day”. Regie: James Mangold. Kinostart: 22. Juli 2010.


June weiß gar nicht, wie ihr geschieht: Plötzlich sind alle um sie herum im Flugzeug tot, es landet in einem Maisfeld, sie wird von dem Mann, mit dem sie eben noch heftig geflirtet hat, betäubt und wacht in ihrem Bett auf, auf dem Herd ist schon Pfannkuchen für sie zubereitet.

Oder: Sie steckt unvermittelt in einer wilden Schießerei in einem Lagerhaus, wieder wird sie betäubt, in verschwommenen Bildern nimmt sie wahr, wie der Mann, der sie beschützt, gefoltert wird, wie er sie dabei zuversichtlich beruhigt, nach Schwarzblende hat er die Peiniger überwältigt, nach Schwarzblende sind sie in einem Flugzeug mit umgeschnallten Fallschirmen, nach Schwarzblende in einem Tropenparadies, sie liegt auf einem Liegestuhl im Bikini – wie ist sie in den reingekommen?

Zwischen Filmschnitten kann alles passieren, das zeigt James Mangold in seiner rasanten Actionthrillerkomödie mit dem etwas beliebigen Titel „Knight and Day“. Wobei dieser nichtssagende Titel vielleicht schon Programm ist: unter „North by Northwest“ bzw. „Der unsichtbare Dritte“ oder, mehr noch, „Die 39 Stufen“ kann man sich ja auch alles und nichts vorstellen. Mangold drehte sein Hitchcock-Abenteuer – Flugzeug und Maisfeld oder das Auskleiden einer Ohnmächtigen sind nur zwei oberflächliche Verweise. Tatsächlich ist der ganze Film nach Hitchcocks Fast-Forward-Thrillern konzipiert, jemand Unbedarftes gerät plötzlich in ein unglaubliches Abenteuer und muss sich beweisen.

Cameron Diaz als June ist dabei mit Tom Cruise als Roy Miller unterwegs, und er bringt die andere Seite des Films ins Spiel: Die modern inszenierte Knalleraction à la „Mission Impossible“, er gibt den 007-haften Superagenten mit der Lizenz zum Überleben. Mangold lässt ihn nicht nur perfekt seinen Fight-and-Flight-Plot ausführen, sondern stattet dieses Paar mit unwiderstehlichem Witz aus: Diaz als Zuschauer-Substitut im Film trifft auf einen perfekten Helden, der mitten im schlimmsten Schlamassel, mitten im Getümmel von tödlicher Schießerei, mitten im ausweglosen Zwiespalt für jeden freundlich-verbindliche Worte findet, der mit seinem netten Smalltalk Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit ausstrahlt. Ein harter Kontrast zwischen der Situation und dem Umgang von Miller mit dieser Situation, die hochkomisch wirkt und zugleich auf reizvolle Art verwirrend, die Miller als kaltblütigen Killerhelden zeigt und zugleich als Charmebolzen: ein Charme, dem insbesondere June sehr schnell verfällt. Wodurch sie immer tiefer hineingerät; und womit sie zugleich einem offensichtlich in ihr versteckten Bedürfnis nach Aufregung und Action nachkommt; unbewusst natürlich, aber auch für diese Abgründe des Unbewussten, die in packend-komischen Thrillern aufscheinen, kann Mangold auf Hitchcock als Vorbild verweisen.

Hitchcocks Kunst besteht hauptsächlich darin, stets die richtige Menge an Informationen über Figuren und Handlungsfortgang zur Verfügung zu stellen – so entwickelt sich wie von selbst die Suspense seiner Filme, ebenso wie der ironische Witz, der aus der Diskrepanz zwischen Handeln und Sagen, zwischen Sein und Schein entsteht. Mangold verwendet – ohne sich kopierend an Hitchcock abzuarbeiten – dieselbe Strategie wohldosierter, nicht zu knapper Information meisterhaft: Nach der Etablierung der Grundregeln des Film-Spiels lässt er zwischen diesen Grenzen alles geschehen, was möglich ist – und das wohlgeordnet, nach im Nachhinein klaren Prinzipien, ohne zu überhasten, ohne langweilig zu werden, ohne die Übersicht zu verlieren, ohne die Zuschauer zu über- oder zu unterfordern. Wozu auch gehört, dass Szenen, die nichts Neues bringen außer Action, die man schon weidlich gut kennt, sich in den Schwarzblenden der Bewusstlosigkeit auflösen: Mangold hat auch den Mut, das nicht zu zeigen, was nicht weiterbringen würde.

Wir vollziehen damit in jeder Szene die Entwicklung von June mit, ihre Verwirrung, ihr Gefangensein in Ohnmachten, in Zweifel, in der Unsicherheit, was sie denn glauben soll: dass Roy der einzig Gute in einem von bösen Verschwörern aufgezogenen Netz, oder dass er in der Tat ein paranoider Gewalttäter ist, dem alles zuzutrauen, keinesfalls aber zu vertrauen sei, wie es die Seite seiner Gegner ihr einflüstert. Über diverse Stationen in den USA, über eine mörderische Zugfahrt durch die Alpen, über Verrat und Flucht über den Dächern von Salzburg zur Verfolgung inklusive wilder Stierherde durch die Altstadt von Sevilla geht diese Reise, und am Ende hat sie einiges neu gelernt. Nicht nur die Voraussetzungen: dass man nicht zu Fremden ins Auto steigt, oder dass deren wiederholtes Aussprechen von Begriffen wie „safe“ und „secure“ bedeutet, dass sie einen töten wollen. Sondern auch das Schießen und Kämpfen für ein Ziel – sei es der MacGuffin, eine sich nie erschöpfende hochenergetische Batterie, oder der Mann, den man liebt: den perfekten Roy Miller, bei dem der Schein zur Wirklichkeit wird.


Harald Mühlbeyer


“Knight and Day”.
USA 2010. Regie: James Mangold. Drehbuch: Patrick O’Neal. Kamera: Phedon Papamichael. Musik: John Powell. Produktion: Cathy Conrad, Steve Pink.
Darsteller: Tom Cruise (Roy Miller), Cameron Diaz (June Havens), Peter Sarsgaard, (Fitzgerald), Ciola Davis (CIA-Direktorin George), Paul Dano (Simon Fleck), Jordi Mollà (Antonio Quintana).
Verleih: Twentieth Century Fox.
Länge: 110 Minuten.
Kinostart: 22. Juli 2010.