Die 36 Kammern der Pulp Poesie - Die beiden “Kill Bill”-Filme von Tarantino-san

von Andreas Rauscher


Kill Bill: Vol. 1

USA 2003.
R+B: Quentin Tarantino. K: Robert Richardson. M: The RZA. P: Lawrence Bender.
D: Uma Thurman (The Bride), Lucy Liu (O-Ren Ishii), David Carradine (Bill), Daryl Hannah (Elle Driver), Michael Madsen (Budd), Vivica A. Fox (Vernita Green), Sonny Chiba (Hattori Hanzo).


Lange Zeit war es still um Quentin Tarantino, den ehemaligen Shooting Star einer neuen selbstbewussten Pop-Cinephilie, die sich sowohl für Jean-Luc Godard als auch für die Geschichte des Exploitationkinos begeistern konnte. PULP FICTION (USA 1994) avancierte zum Crossover-Erfolg par excellence. Doch schon bald bereiteten die zahlreichen ermüdenden Imitationsversuche dem Spaß ein vorzeitiges Ende.

Tarantino selbst beförderte sich 1997 mit der Blaxploitation-Hommage JACKIE BROWN (USA 1997) erfolgreich aus der selbst geschaffenen Sackgasse. Er enttäuschte auf äußerst produktive Weise die allgemeinen Erwartungen und demonstrierte, dass er seine Ansätze ernst nimmt. Schauspielerisch bietet er Außenseitern wie B-Picture-Ikone Pam Grier Gelegenheit, sich eindrucksvoll in Szene zu setzen. Die sorgfältige Zusammenstellung seiner Soundtracks gestaltet sich zugleich als Archivarbeit in Sachen Popgeschichte. Die zahlreichen visuellen und narrativen Zitate funktionieren, wie einige Kritiker treffend bemerkten, wie die Remixes eines DJs, der aus Querverweisen neue Stücke und Zusammenhänge erstellt.
Tarantino hat mit seinen Arbeiten eine eigenwillige Kombination aus Arthouse und Bahnhofskino geschaffen, die sich nicht mit selbstgefälligen Spielereien und Nerd-Insiderwissen zufrieden gibt, sondern versucht, das Publikum durch popkulturelle Übersetzungsarbeit für die Hinterhöfe und Seitenarme der Filmgeschichte zu begeistern.

Nachdem er in JACKIE BROWN das Erbe der Blaxploitation verhandelt hat, nimmt er sich mit dem in zwei Hälften geteilten KILL BILL den asiatischen Pulp-Rachedramen an. Den passenden musikalischen Wegbegleiter durch die filmischen Kammern der Shaw Brothers aus Hong Kong und die stilisierten Samurai-Welten der japanischen OKAMI-Serie (Japan 1972-85) fand Tarantino in RZA. Als Produzent und Rapper gestaltet dieser seit zehn Jahren die stark an Kung-Fu-Filmen orientierten Soundscapes des New Yorker Hip Hop-Kollektivs Wu Tang Clan. Die beiden erklärten Martial Arts-Fans schufen eine musikalische Collage, die in ihren unterschiedlichen Elementen von Nancy Sinatra über Wu Tang-Rap-Songs bis hin zu Italo-Western-Scores der narrativen Struktur des Films entspricht.

Die ursprünglich geradlinige Rachegeschichte um eine auf brutalste Weise von ihren ehemaligen Kolleginnen verratene Auftragskillerin setzte Tarantino wie eine in diverse Episoden aufgeteilte Comicserie um. Die Yakuza-Anführerin O-Ren Ishii bekommt eine eigene Origin Story, die nicht viel mit dem zentralen Plot zu tun hat. Diesen wie ein Sonderheft zu einer fortlaufenden Reihe eingefügten Exkurs, realisierte Tarantino als Anime. Der Charlie's Angel Lucy Liu wurde als O-Ren Ishi geschickt gegen den von ihr gewohnten Typ besetzt.

In KILL BILL bewegt sich Tarantino im Grenzbereich zwischen stilisierter Melodramatik und ironischer Übersteigerung. Einige Sequenzen wirken wie eine Kombination aus der wuchtigen Melancholie John Woos und der Absurdität von Monty Pythons schwarzem Ritter, der selbst, nachdem er sämtlich Gliedmaßen verloren hat, nicht aufgeben will. Dass diese riskante Gratwanderung sehr überzeugend gelingt, liegt an der Ernsthaftigkeit, mit der Uma Thurman ihre Rolle gestaltet, und an der stringenten Inszenierung. Auf seine charakteristischen Dialoge verzichtet Tarantino in der ersten Lieferung von KILL BILL weitgehend und konzentriert sich ganz auf das perfekte Zusammenspiel von Kamera, Schnitt und Musik. An Stelle von digitalen Effekten verwendet er bewusst die gleichen billigen Tricks wie die Bahnhofskinoepen der 1970er Jahre.

Trotzdem beschränkt er sich nicht auf eine ironische Trash-Hommage, sondern verleiht dem systematischen Wechselspiel aus grotesk brutalen Absurditäten und tragikomischem Pathos eine beinahe abstrakte Qualität. Wenn sich Thurmans Rächerin und Lius Yakuza-Schwertkämpferin vor einem blauen Vorhang wie im japanischen Schattentheater und anschließend in einer an artifizielle Studiokulissen erinnernden Schneelandschaft duellieren, gelingen Tarantino Augenblicke einprägsamer Pulp-Poesie, wie man sie sowohl in den häufig berechenbaren Arthouse-Allgemeinplätzen, als auch im vor lauter Beschleunigung stagnierten Popcornkino kaum findet. Die von Tarantino betriebene Implosion der Genres führt zu fragmentarischen Intensitäten, die den Zirkelschluss des reinen Zitatkinos durchbrechen und damit neue Anfänge ermöglichen.


Kill Bill: Vol. 2

USA 2004
R+B: Quentin Tarantino. K: Robert Richardson. M: Robert Rodriguez. P: Lawrence Bender.
D: Uma Thurman (The Bride), David Carradine (Bill), Michael Madsen (Budd), Daryl Hannah (Elle Driver), Gordon Liu (Pai Mei).


Die Trennung des vierten Quentin Tarantino-Films in zwei Teile erschien anfangs als besonders perfider Marketing-Coup der Weinstein-Brüder. Nach den überraschenden Wendungen in KILL BILL: VOL. 2 erscheint sie jedoch durchaus nachvollziehbar.

Bereits zu Beginn des zweiten Teils, den Uma Thurman als Erzählerin im Stil des klassischen Film Noir einleitet, akzentuiert eine lange Rückblende den sich anbahnenden Stimmungswechsel. Tarantino schildert in der ersten Episode des Films das letzte Zusammentreffen zwischen der Braut und ihrem früheren Auftraggeber Bill, kurz bevor dessen Handlanger über die Hochzeitsgesellschaft ihrer ehemaligen Kollegin herfallen. In ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Bildern kombiniert Tarantino die klassischen letzten Einstellungsfolgen aus John Fords THE SEARCHERS (USA 1956) mit dem melancholischen Zynismus und den symbolischen Objekten Sergio Leones.
Nachdem das überdrehte Finale von VOL. 1 in einen Flying Circus der Anspielungen auf das japanische Martial Arts-Kino inklusive eines Cameos der jugendlichen Killerin aus BATTLE ROYALE (JPN 2000) mündete, schaltet Tarantino in VOL. 2 erst einmal ein paar Gänge zurück. Die unaufgeregten Western-Einflüsse und eine überraschende Vertiefung der Charaktere sorgen dafür, dass sich KILL BILL doch noch zu dem epischen Pulp-Rachedrama entwickelt, das sich in einigen Sequenzen des ersten Teils bereits andeutete.


David Carradine, der in VOL. 1 wie der Phantomschurke Blofeld in den ersten 007-Filmen lediglich als mysteriöser Drahtzieher und bedrohliche Stimme im Hintergrund präsent war, spielt in VOL. 2 die zentrale Hauptrolle neben Uma Thurman. Er entpuppt sich als charismatischer, in seiner Gelassenheit umso unberechenbarer erscheinender alternder Killer. Seine Beziehung zur Braut, deren wahrer Name sich relativ unspektakulär als Beatrix Kiddo erweist, gestaltet sich als tragische Liebesgeschichte. Er konnte nicht damit fertig werden, dass die fähigste und charismatischste seines Deadly Viper Assassin Squads ihre Karriere als tödlicher Professional zu Gunsten einer unscheinbaren Existenz als Frau eines Second Hand-Plattenladenbesitzers in El Paso aufgeben wollte.

Der im ersten Teil skizzierte Ansatz eines Arthouse-Bahnhofskinos wird in der zweiten Hälfte von KILL BILL zu einem World Cinema des reflexiv gebrochenen Genrekinos erweitert. Tarantino schafft mit Hilfe seines aus Genreexperten und den üblichen Verdächtigen rekrutierten Ensembles eine aus Samples und Soundtracks konstruierte Mondo Bizarro, in der sich filmhistorische Klassiker und kaum bekannte Trash-Perlen auf eigenständige Weise ergänzen. Wie bereits in JACKIE BROWN (USA 1997) bietet er einen Ausweg aus dem reinen Zitatgestus einer lediglich sich selbst reproduzierenden, eindimensionalen Postmoderne, ohne dass er dabei wie die zahlreichen PULP FICTION (USA 1994)-Epigonen zu forciert wirken würde.
Tarantino nutzt seine Vorbilder nicht einfach als Referenzmaterial, sondern erzielt durch das überlegte Umarrangieren des Materials und eigene Nuancen eine Gültigkeit zweiter Ordnung. Wenn die Braut am Ende ihrer vierjährigen Tochter gegenübersteht und Bill den erwarteten Shoot-Out im John Woo-Stil in ein sarkastisches Kinderspiel, das sich zu Beginn des ersten Teils bereits im Text des Nancy Sinatra-Songs "Bang, Bang (My Baby Shot Me Down)" andeutete, verwandelt, funktionieren jene Situationen plötzlich doch wieder, die im Kino der Postmoderne wie in David Lynchs WILD AT HEART (USA 1990) eigentlich nur noch als reine unverbindliche Zitate vorhanden waren.

Es kann einfach an der Auswahl eines bestimmten Songs liegen wie dem vom ehemaligen Sex Pistols-Manager Malcolm McLaren grandios neu arrangierten "She's Not There", dass man den Showdown trotz aller ironischen Brechungen nicht als selbstreferentiellen Witz, sondern als tragikomisches Drama begreift. Das Prinzip der raffinierten Umcodierung setzt sich bis in die Zusammenstellung des erneut von RZA produzierten Soundtracks hinein fort. Die Musik umfasst ein Spektrum von Ennio Morricone und Bernard Herrmann über asiatische Martial Arts-Scores bis hin zu Johnny Cash und dem Wu Tang Clan.

Eigentlich war es die ganze Zeit klar, dass es Tarantino im Gegensatz zu einigen Nachzüglern niemals darum ging, sein von den revolutionären Brüchen Jean-Luc Godards bis hin zur epischen Überhöhung des Kino bei Sergio Leone abgestecktes Koordinatensystem zur Produktion von postmodernem Kanonenfutter zu missbrauchen. Die Entscheidung des von Sam Jackson in PULP FICTION (USA 1994) dargestellten Killers, seinen Beruf aufzugeben und wie David Carradine in KUNG FU (USA 1972-74) durch die Lande zu ziehen, war trotz ihrer Absurdität ernst gemeint. Pam Griers Hinweis als Jackie Brown auf die emotionale Bedeutung ihrer Plattensammlung und die metaphorische Bedeutung des Songs "Across 110th Street" zu Beginn des dritten Tarantino-Films hat ebenfalls nichts mit dem penetranten Augenzwinkern kulturindustriell generierter Retrokults zu tun. Stattdessen geht es Tarantino darum, die von der Postmoderne meistens nur als Aufhänger für selbstgefällige Tongue-in-Cheek-Tupperpartys und lustige Zitatquizspiele behauptete Auflösung der Grenzen zwischen High- und Pop-Culture endlich zu realisieren.