Grindhouse-Nachlese September 2024: SM-Baba Jaga und Ninja-Italowestern

 „Foltergarten der Sinnlichkeit 2“ / „Baba Yaga“, Italien/Frankreich 1973, R: Corrado Farina

 

„Ninja: Champion on Fire“ / „Ninja Avengers“ / „Ninja Operation 6: Champion on Fire“, Hongkong 1987, R: Joseph Lai


Eine wahrhaftige Hexe, vermutlich, vielleicht auch nur Einbildung/Obsession/Angst/Wunsch? „Baba Yaga“ ist einer der rätselhaftesten und gleichzeitig faszinierendsten Filme in der Grindhouse-Reihe, und dazu gehört auch der deutsche Titel „Foltergarten der Sinnlichkeit 2“, denn einen Foltergarten gibt es nicht, Sinnlichkeit zumindest in dem vom Titel angerissenen exploitativen Sinn auch nicht, und Teil 2 schon gar nicht. Weil „Foltergarten der Sinnlichkeit“ („Emanuelle e Françoise“ vom notorischen Joe D’Amato) erst 1975, also zwei Jahre später gedreht wurde! Was also dem deutschen Verleih durch den Kopf gegangen ist, ist komplettamente mysteriös, vor allem, weil die Stoßrichtung ja so klar ist: geiler Sexklopper, schreit uns der Filmtitel an, und nichts könnte ferner liegen.

Denn „Baba Yaga“ ist eigentlich eine Comicverfilmung, Valentina, die Hauptfigur, ist eine der Charaktere des Comic-Autors Guido Crepax, und der fand die Verfilmung auch ziemlich gelungen. Und der Regisseur Corrado Farina hat immerhin mit seinem vorherigen Film den Goldenen Leoparden gewonnen! Ist bei „Baba Yaga“ allerdings ziemlich im Clinch gelegen mit den Produzenten, hat danach mit dem Spielfilm aufgehört… schade eigentlich.

Er weiß nämlich sehr genau, wie er eine merkwürdige Atmosphäre zu schaffen hat, wie er mit dem Genres – Mystery, Grusel, Erotik, Giallo – zu spielen hat, und wie er zugleich von der Gegenwart, von den Rissen in der Gesellschaft erzählen kann. Und dabei auch noch spielerisch bleibt! Dass nackte Haut zu sehen ist, dass die Frauen in unergründlicher Erotik versinken, das ist nicht reißerisch dahingehauen, wie wir’s aus dieser Reihe gewohnt sind, sondern das hat Hand und Fuß, und die souveräne Machart, mit Vor- und Rück-Flashs, mit Fantasie- und Halluzinationsschnipseln, mit Fotoinserts, die Erinnerungen oder Ahnungen sein können, die hat ihre ganz eigene, ganz eigenwillige Qualität.

Der Vorspann, das sind Comic-Panels, und würde mich nicht wundern, wenn die aus’m originalen Valentina-Comic stammen. Dann unterhalten sich die Linksintellektuellen, es geht um Comics und Revolution, und um Fotografie und Film, um Kunst und darum, wie man über die Runden kommt. Weil sich alle irgendwo bewusst sind, dass sie Huren des Kommerzes sind, aber das reflektieren sie, und darüber reden sie, und das könnte fast sowas wie Woody Allen sein, nur halt avant la lettre, weil der damals seine dollen Comedies gedreht hat.

Valentina jedenfalls ist Fotografin, Mode, Werbung, aber sie hat Marx‘ „Das Kapital“ rumstehen – gespielt wird sie von Isabelle de Funès, Nichte des großen Louis, die hier aber eben nicht in dessen Tradition überkandidelte Hysterie, sondern wirklich schön zurückgezogen, aber zugleich aktiv zielstrebig – zumindest in den Bereichen ihres Lebens, die ihr vertraut sind… So will sie mit Arno (George Eastman – von den Produzenten aufgedrückt, abe
r nicht schlecht in seiner Rolle als Werberegisseur) erstmal nichts anfangen, und das macht sie ihm auch klar, als er ihr nachstellt.. Deshalb wandert sie durch die nächtlichen Straßen, und da ist der niedliche Hund, und sie streichelt ihn, und sie bedauert ihn wegen der Narbe an seiner Stirn, und dann werden die beiden beinahe umgefahren. Von einer Frau, die sich fortan in Valentinas Leben mischt, die sich reindrängt, die raumgreifend ihren Platz beansprucht, und Vals Aufmerksamkeit, und ihre Ergebenheit.

Untertöne von lesbischer Obsession, von Fetisch und Dominanz werden immer lauter, und sinnlich umstreicheln ihre Finger die Rolleiflex von Valentina, jaja, eine Kamera, die friert die Wirklichkeit ein, sagt sie (ein kleiner Reflex auf Godard, über den unsere Intellektuellen gerne diskutieren, und seine Wahrheit in 24 Bildern/Sekunde), jedenfalls: Valentina wird eingeladen, muss diese Frau, die sich als Baba Yaga vorstellt, besuchen, sie kann nicht anders, sie darf nicht anders. Ein altes, vollgestelltes Haus, mit allerlei Antiquitäten, Valentina tritt ein und weiß es nicht anders vor sich und Baba Yaga zu rechtfertigen, als dass sie hier ein paar Fotos machen sollte. Dabei ist Val gar nicht duckmäuserisch, keine graue Maus, nein, sie ist gut in ihrem Job, weiß das auch, wählt ihre Liebhaber und weist sie ab, geht ihren Weg, selbstsicher, selbstbewusst. Außer in diesem einen Bereich, wo Baba Yaga immer mehr von ihr beansprucht.

Dazu kommt: Wenn sie fotografiert, dass geht etwas kaputt. Die Filmkamera von Arno, beispielsweise, oder ihre Modelle, die schönen Frauen, die Val vor ihrer Linse hat, die brechen unerklärlich zusammen… Baba Yaga ist eben eine Hexe, eine böse, man kennt sie aus Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, böse, verführerisch, ihr ist nicht zu entkommen…

Zumal die Baba Yaga hier etwas hat, mit dem sie Valentina kontrollieren kann, sie schenkt ihr eine Puppe, in Lederkluft, bloßgelegtem Oberkörper, SM-like, es gilt kein Widerspruch, Val muss die Puppe nehmen. Und die guckt, und vielleicht manipuliert sie Wille und Gedanken, und vielleicht kann sie auch zustechen mit ihrer Haarnadel – im Dunklen (!) wurden Fotos gemacht, die das zeigen… Und dann steht sie wahrhaftig da, nicht nur Val sieht sie, auch Arno, der inzwischen doch ihr Liebhaber wurde, vielleicht aus Trotz gegen Baba Yaga? Irgendwann befindet sich Val komplett in den Fängen der Hexe, und sie wird ausgezogen und von der Puppe ausgepeitscht, Qual – und Lust? Und in dem Hexen-Haus, da ist ein tiefes, ein bodenloses Loch im Dielenboden, vielleicht das Portal zur Hölle?

Was Val glauben kann, was Wirklichkeit ist, was fließende und was eingefrorene Realität, was ihr tatsächlich widerfährt… Corrado Farina baut die Ambivalenzen aus, und zwar nicht als Gegensätze, sondern als würden sie sich ergänzen zu einer neuen, eigenen Wirklichkeit, einer inneren Realität, der wir ausgeliefert sind, in einer Welt, in der der Kulturkampf von Polizei und Kirche, von Hippies und Linken brodelt, basierend auf faschistischer Vergangenheit, in die Val immer wieder in ihren (Wach)Träumen zurückkehrt…

 

Gegensätze in eins gefügt – das passt sowieso zu diesem Abend mit seinen beiden ganz unterschiedlichen Filmen, und es passt insbesondere auch zu dem zweiten Film selbst, aber ganz anders als in „Baba Yaga“. Weil „Ninja Operation 6: Champion on Fire“ nämlich zwei Filme in einem ist, ganz nach Art des Hauses IDF, von Hongkong-Produzent Joseph Lai zusammengezwungen, koste es, was es wolle. Also: geldmäßig nix, sinnmäßig alles.

Man macht das so: Nimmt einen alten Klopper, dreht paar Szenen dazu, und schon hat man einen neuen Klopper. Weil es halt so ist: Die Zeitläufte machen vor Genre-Moden nicht halt, und Kung Fu ist längst out, Ninja ist in, die Videotheken suchen Stoff, und der Titel (einer von vielen) deutet ja schon an, dass hier eine längere Ninja-Filmreihe bedient wird, natürlich ohne Zusammenhang. So ist das eben: Wenn die Citroën-Ente nicht mehr gefragt ist, stülpt man eine VW-Käfer-Karosse drüber.

Da hat man also, vielleicht sogar rechtmäßig, ich will da gar keine Anschuldigungen erheben, einen Film auf Lager, der (vermutlich) im China der 30er spielt, während der japanischen Besatzung, und dabei einen auf Italowestern macht, inklusive Kungfu-Kämpfen. Dann nimmt man eine Kamera, dreht auf einem Hügel mit vier, fünf Darstellern eine Zusatzhandlung, und zack: man hat nicht nur einen Ninja-Film, sondern auch einen, der sich ganz doll in den Westen verkaufen lässt. Weil man ein paar Stars in petto hat, die gegeneinander antreten, und die haben keine Schlitzaugen! Richard Harrison gegen Stuart Smith. Letzterer tritt zu Beginn aus einer Hütte aufm Hügel und atmet tief durch, und man meint, aha, Ricola, aber er ist eigentlich total böse und erklärt uns, dass er fünf Jahre im Knast war, und zwei Hanseln kommen, und das ist der Rest seiner Bande, wie der Dialog schlüssig erklärt, weil die anderen bei den vielen Versuchen, den Boss zu befreien, draufgegangen sind (man muss es ja auch nicht übertreiben mit Schauspielermassen, ist auch billiger), und dann sagt der Boss: „Scheiße.“ Und wer hat ihn verraten? Antonio! Der ist oben in Nordchina zugange, hat was mit den Japanern am Laufen. „Was machen die Japaner in Nordchina?“, fragt der Boss, der ja fünf Jahre hinter Gittern nix mitgekriegt hat, „Die rauben und plündern, genau wie wir!“, und wir schalten um zu Antonio.

Und das ist nun der alte Film, nämlich genau gesagt: „Django - Im Reich der gelben Teufel“ aus dem Jahr 1974, den hamse genommen und zusammengeschnitten, aber wir bekommen eine ziemlich gute Ahnung, was da so los ist: Antonio nämlich streift in Mönchskutte und mit riesigem Holzkreuz aufm Buckel durch die Lande, genauer über Eisenbahnschienen, und da hören wir Django wirklich ganz laut trapsen! Nur eben: Kein Italowestern, sondern Eastern, mit Zugüberfall und Schießerei und Verrat und so, wir brauchen eine Weile, bis wir durchsteigen, wer gegen wen warum kämpft, die einen jedenfalls haben Säbel, das sind die Japaner, und der andere, das ist Dragon, ein toller Kämpfer, der sich Antonio anschließt. Warum, wissen wir nicht, und Antonio trickst ihn auch immer wieder aus, dann ist er allein unterwegs, und in der nächsten Szene sind sie wieder zusammen!

Es ist ja so: Der alte Film, also der, den sie hier ninjamäßig aufgehübscht haben, der hält sich natürlich auch nicht mit Logik auf, man kann das mit Sicherheit annehmen, selbst wenn man ein gewisses Rausschneiden und Ummontieren miteinberechnet. Vielmehr ist dieser originale Film ja nicht nur ein Italowestern im Martial Arts-Format, sondern vielmehr ein Derivat der Italowestern-Degeneration, wie sie Bud Spencer und Terrence Hill ziemlich gut hingekriegt haben und wie sie dann viele nachzuahmen versucht haben. Also: Paar Buddies unterwegs, und sie hauen sich, und klopfen nicht nur auf Köppe, sondern auch Sprüche. Antonio ist der Plapperer, der immer nach dem eigenen Vorteil schielt, Dragon ist der Ruhige, der stoisch voranschreitet.

Und zwischendurch immer wieder die neuen Szenen vom grünen Hügel – also: das sollen natürlich immer andere Schauplätze sein, ist aber alles am gleichen Ort gedreht. Apropos drehen: Wenn sich die Gegner gegenüberstehen, dass machen sie ne Pirouette, und schwupps, haben sie Ninjakleidung an! Richard Harrison als Master Gordon in weiß und gold, die Gegner rot, und zackzackzack, sind die Bösewichter immer bald tot. Drei Kämpfe gibt es! Und damit wir zwischendurch und am Anfang nicht vergessen, mit wem wir es zu tun haben, hat Meister Gordon immer ein Stirnband um, auf dem groß NINJA steht!

Was ich erwähnen will, auch wenn es für empfindliche Gemüter ein Spoiler ist: Das Kreuz, das Antonio mit sich schleppt, mit dem er auch reitet, klettert und rennt, das ist eigentlich ein Hohlkreuz, und darin versteckt hat er ein Maschinengewehr. Mit dem ballert er am Ende, wenn es nun wirklich gegen die bösen Japsen geht, alle nieder, während Dragon schön rumkungfut. Und auf dem grünen Hügel ist auch alles gut, weil Master Gordon, der Harrison, der ist ja angeblich der Bruder von Antonio, und der hat Ringo, den Herrn Smith, am Ende besiegt, so dass von Ninja-Seite keine Gefahr mehr droht…

Was bleibt ist die Frage nach dieser Musik, die kenn ich irgendwoher, also nicht die paar Takte „Tubular Bells“, die immer wieder anklingen, oder auch mal Bach, sondern dieses mit Orchester gespielte Riff, das auch von ner Prog-Band stammen könnte, Alan Parson oder Ekseption oder was immer, das beim Ausklingen am Ende auch zu sowas wie den „Säbeltanz“ führen könnte, eine Musik also, die ganz ähnlich wie beim türkischen Quatsch-Actionreißer „Die Todeskralle aus Istanbul“ https://screenshot-online.blogspot.com/2022/04/grindhouse-nachlese-marz-2022-search.html mit voller Unwucht die Bilder überlagert, und ich hab das Gefühl, ich kenn die irgendwoher, und komm nicht drauf, und Google weiß auch nicht weiter…

Naja, nicht zuviele Gedanken verschwenden.

 

Harald Mühlbeyer