„Film und Psychoanalyse im Dialog“ lautet das Motto der
allfrühjährlichen Mannheimer Filmseminare im umtriebigen kommunalen Kino Cinema
Quadrat. Und natürlich darf bei dieser Vorgabe der ödipale Konflikt bei der
Filminterpretation nicht fehlen – den Manfred Riepe – Filmkritiker mit
psychologischem Hintergrund – in seinem ausführlichen Eröffnungsvortrag denn
auch plausibel in einigen der Coen-Werke nachweist: Aus der Konstellation von
unzulänglichen Sohnes- und unglaubwürdigen Väter-Figuren, begleitet und
geleitet immer wieder von einem „guten“ Vaterprinzip, steckt Riepe das
Coen-Universum ab, zwischen falschen Entscheidungen, Irrtümern, logischen
Fehlschlüssen, Missverständnissen, Zögerlichkeit, Überheblichkeit, Demütigung
und immer wieder dem Zufall, der vielleicht die Erfüllung eines
selbstverschuldeten Schicksals ist. „Blood Simple“, „Miller’s Crossing“ oder
„Fargo“ führt er an für den „verspäteten ödipalen Aufstand“, den die Coens
beschreiben. Eine These, die dagegen etwa in „No County for Old Men“ nicht so
recht schlüssig erscheint, auch wenn Riepe hier den Vaterbezug der Tommy Lee
Jones-Rolle anführt – der freilich recht nebensächlich wirkt (soweit es
Nebensächlichkeiten bei den Coens gibt…).
Aber natürlich: Wenn es ums Scheitern geht, dann wird dieses
bei den Coens oftmals weitergegeben, in anderer Form vielleicht, von einem
Versagermentor zu einem Versagerlehrling; und oftmals begehrt diese
Versager-Sohn-Type gegen die Versager-Vater-Type auf: Das steckt drin in dem
haarsträubenden Gewirr von Intrigen, Gegenintrigen und
Doppel-Hinterrücks-Zurückintrigen, die das dramaturgische Gerüst dieser Filme
ausmachen. Ob es ein tragender Balken dieses Konstrukts ist, ist Sache des
Betrachters. Riepe jedenfalls hat diesen Aspekt einleuchtend und überzeugend
vorgetragen – und ist dabei nie der Versuchung erlegen, daraus eine universelle
oder allgemeingültige Beschreibung dessen vozulegen, was einen Coen-Film
ausmacht.
Dazu bräuchte es wahrscheinlich mehr als ein paar Filme und
einige Vorträge aus dem psychologisch/psychoanalytischen Aspekt heraus, wie es
dieses Filmwochenende leisten konnte; aber das Schöne an den Mannheimer
Filmseminaren (im Frühjahr) und den Filmsymposien (im Herbst) ist ja, dass der
Zuschauer eine Menge Denkanstöße bekommt, um sich selbst mit dem Thema zu
befassen und vielleicht auch auf den für ihn jeweils schlüssigen Zugang zu
kommen. Man kann sich aus den oftmals klugen Vorträgen dies und das
herauspicken – Bausteine für die Coen-Rezeption. Unzulänglichkeit, Scheitern,
schwache Figuren, die den fälligen Konflikt aus eigener Schwäche hinauszögern,
verpasste Gelegenheiten oder kleine Fehlschlüsse, die mit Hebelwirkung eine
Menge Unvorhergesehenes auslösen – das alles beschreibt Riepe sehr anschaulich.
Und der darauffolgende Vortrag der Psychoanalytikerin Mechthild Zeul lässt sich
immerhin gut an, mit einem interessanten Ansatz: Sie geht nämlich in ihrem
Referat über „Fargo“ von der „Erwartungsverletzung“ aus, wie sie in der
psychologischen Säuglungsforschung beschrieben wird: Wenn man einem Baby den
Breilöffel hinhält und aus Spaß wieder zurückzieht, dann lacht es – wenn man es
richtig macht, mit dem richtigen Timing, mit der richtigen (selbst lachenden)
Haltung. Oder aber es weint, weil es nichts zu essen zu bekommen befürchtet…
Und ach, was hätte das für ein schöner Vortrag werden können, denn dass die
Coens stets für eine Überraschung gut sind, ist ja essentieller Teil ihres
Konzepts. Und dass sie Erwartungshaltungen lustvoll hintergehen, auch.
Wie
tun sie das?
Warum reagiert das Publikum nicht mit Frust, sondern mit
Lust? Und was sagt das aus über das Verhältnis von Künstler, Erzählung,
Rezeption, oder auch werkimmanent: über die Beziehungen der Figuren zueinander?
Doch Zeul belässt es bei dieser anfänglichen grundsätzlichen
Fragestellung und enttäuscht die Erwartungen mit einem Vortrag voller
Platitüden (inklusiver allzu langer, noch dazu falscher Inhaltsangabe),
Redundanzen (indem sie das schon Gesagte wieder und wieder wiederholt) und
sogar Widersprüche (indem sie zunächst kurz ein gesellschaftlich-soziales
Psychogramm des amerikanischen Volkes umreißt, um später – in einer Diskussion
als Entgegnung auf eine ihr widersprechende Äußerung aus dem Publikum – mit
Verve zu behaupten: „Das ist doch nur ein Film! Die Coens wollen doch nicht die
amerikanische Gesellschaft abbilden! Es ist ja nur ein Film!“).
Traurig, dieser Vortrag; aber zumindest kommt man ins
Nachdenken über Erwartungen und die Komik, die sich aus ihrer Subversion
ergeben kann – und über das Grat, über das man wandern muss, um als Zuschauer
nicht in Frust und Abwehr zu fallen. Das ist sicherlich konstitutiv bei den
Coens mit ihren exzessiven Gewalttätigkeiten, die durch Überhöhung und
Stilisierung komisch abgefedert werden, mit ihren lächerlichen Charakteren, die
unerhört dumme Dinge tun und mit denen man trotzdem – mehr oder weniger, aber
immerhin – mitfühlt.
Mit den Vorträgen zu „Barton Fink“ von Filmwissenschaftler
Marcus Stiglegger und Psychoanalytiker Stefan Hinz kommt man auf weitere
Spuren: Stiglegger beschreibt den Film als „Meta-Noir“, der über sich selbst,
über seine eigenen Neurosen, nachdenkt; Hinz bekennt seine Ratlosigkeit
angesichts coenscher Rätsel und überdeterminierten Bildern. Weil beide im Film
die Unfähigkeit der Figuren zum Zuhören, zur Kommunikation betonen; und weil
man zuvor im Rahmen des Seminars „Fargo“ und „The Man Who Wasn’t There“
wiedergesehen hat; und weil darin sowohl Quasselkasper – ob Killer oder Friseur
– als auch schweigende Täter – ob Friseur oder Killer – vorkommen, kommt man
auf die Idee, ob nicht das Nicht-Zuhören, die Unfähigkeit zur Kommunikation und
natürlich, weiter gefasst, die Einkapselung in Selbstbezug das sein könnte, was
Riepe auch beschrieb: Entstammen Unzulänglichkeit und Unglaubwürdigkeit,
Fehlleistungen und Scheitern vielleicht dem Eigen-Rumwurschteln dieser schrägen
Coen-Figuren, die um sich selbst kreisen und gar nicht merken, dass sie andere
nicht an sich ranlassen? Gerade im Gegensatz zu den „guten“ Figuren, der
schwangeren Polizistin in „Fargo“, dem alten Sheriff in „No Country for Old
Men“ oder dem toten Firmengründer in „Hudsucker“, den Riepe ebenfalls anführte
– die immer wieder, aber beileibe nicht in allen Filmen, ein Gegengewicht
bilden…
Und vielleicht kriegt man ja auch noch die
Erwartungsverletzung unter diesen Hut: Weil die Figuren in ihrer Egomanie
unberechenbar sind und haarscharf das Unlogische tun…
Und vielleicht ist das aber auch wieder nur so ein Gedanke,
der den Coens nicht vollständig auf die Spur kommen kann; weil dabei natürlich
die kunstvolle Inszenierung außen vor bleibt – auch hierzu nur Andeutungen von
Zeul: Zur Komik, die sie konstatiert, aber nicht näher analysiert oder
erläutert, sondern als eine Art ungreifbare Entität zu begreifen scheint…
Dabei, auch das wird bei der massierten Beschäftigung im Rahmen des Seminars
klar, arbeiten die Coens ganz massiv auf komik-generierende Kontrastwirkungen
hin, zwischen Bild und Musik – immerhin das hat Zeul angesprochen –, aber auch
immer weitergehend, auf allen Ebenen, von Sprache, von Figuren, von Tun und
Nicht-Tun, von Filmzitaten und nostalischen Referenzen, von Philosophie und
Nonsens etc…
Nein: Ratlos wie Stefan Hinz bin ich angesichts der Coens
nicht. Man kann ja auch das ganze Konvolut, das die Coens mit jedem einzelnen
Film, vor allem aber mit der Gesamtheit ihres Œuvres schaffen, umschauen, zu
umfassen versuchen, Teilaspekte er- und vielleicht begreifen und das Ganze aber
doch vor allem durch seine integrative Widersprüchlichkeit, durch sein
kreatives Recyclingsystem, in dem aus Reminiszenzen nicht nur der
Filmgeschichte originell Neues geschaffen wird, durch das Ödipale, die
Säuglingspsychologie, die Mystifikation und die kommunikative Repräsentation
der Kommunikationslosigkeit etcpp. [weitere Ausführungen unleserlich, Anm. d.
Hrsg.]
Harald Mühlbeyer