DIE GELIEBTEN SCHWESTERN (Deutsches Kino auf der Berlinale II)
Sie sind zwar schon rum, die diesjährigen Internationalen
Filmfestspiele in der Bundeshauptstadt. Doch zu spät es ist es noch lange
nicht, sich dem einen oder anderen Werk zu widmen. Sei es hier oder als
Zuschauer im Kino. Denn natürlich starten viele Filme erst noch. DIE GELIEBTEN
SCHWESTERN etwa haben ihren regulären Leinwandauftritt am 31. Juli, ehe sie, so
sieht es aus, als Zweiteiler im Fernsehen zu sehen sein werden. Rund 170
Minuten dauerte der Streifen auf der Berlinale, doch wie Regisseur Dominik Graf
auf der Berlinale-Pressekonferenz mitteilte, wird es eine etwas kürzere Kino-
und eine etwas längere TV-Fassung geben. Inhaltlich soll sich die eine von der
anderen nicht groß unterscheiden. Doch schon die Kutschenfahrten, überhaupt:
das Langsame, das aus unserer Rücksicht „Entschleunigte“ des ausgehenden 18.
Jahrhundert macht einen großen Reiz des Films aus – „Sturm und Drang“ hin oder
her. Ist also die Kinofassung hier tatsächlich mal nur die amphibische Vorverwurstung für die „originäre“ TV-Variante? Mithin DIE GELIEBTEN SCHWESTERN mal wieder ein infamer
Fernsehfilm, der aufgeblasen und zu dessen Verstopfung ins deutsche Lichtspielhaus
entsandt wurde, der schnöden Förderungsmittel und des Renommees wegen?
Ach, elendige kritische Frage, die fast so alt anmutet wie
die Protagonisten und ihre Zeit. Und mitsamt dem Thema und seiner Emotionalität,
so scheint’s, ewig aktuell. Und ebenso berechtigt wie unbegründet. Denn
schließlich handelt es sich hier um einen Film von Dominik Graf. Den haben wir
schon in ANSICHTSSACHE als Sachwalter eines qualitativ hochwertigen, zumindest
aber stets spannenden und eigensinnigen deutschen Films (sowie mithin jenseits
der Kluft) zwischen hiesigen Kino und TV gepriesen. Folglich dürfen DIE
GELIEBTEN SCHWESTERN in jedem der beiden Dispositive zu eigenem Recht kommen,
erzählerisch wie ästhetisch.
Das Zweiteilerische ist den GELIEBTEN SCHWESTERN ohnehin
ganz natürlich eingeschrieben. Da ist ein ersterer, lustvollerer Part, in dem Charlotte
von Lengefeld (gespielt von der mit bildschönen Katzenaugen und famosem Namen gesegneten
Henriette Confurius) nach Weimar zu Ihrer Tante (Maja Maranow – man gedenke Grafs
genial teilsurrealistischer Fahnder-Folge
NACHTWACHE von 1993!) geschickt wird. Der Ehemann-Findung wegen. Doch der
schottische Militär, auf den notgedrungen gesetzt wird, ist es nicht so recht,
der fesche Jungschriftsteller Friedrich Schiller (auf der Berlinale auch als
Jungpriester in Brüggemanns KREUZWEG zu sehen: Florian Stetter) hingegen tritt zwar
charmant und lebensprall auf, dafür aber auch recht mittellos. Hilft nichts,
Charlotte verguckt sich in ihn. Ebenso wie daheim in der sommerheißen Provinz
ihre Schwester Caroline (nicht zu katzenäugig, dafür Confurius nicht zuletzt
der Rolle wegen an die Wand spielend: Hannah Herzsprung). Diese hat zur
finanziellen Absicherung der ansonsten langsam verarmenden Familie den Herrn
von Beulwitz gezweckehelicht, verdreht nun aber zusammen mit Charlotte dem
Dichter in Rudolstadt den Kopf. Oder aber dieser den der Schwestern.
Die zunächst keusch-glutvolle Ménage à trois inszeniert Graf
mit vergnüglichem Witz und erstaunlicher Verve, wobei die poetische Sprache
jener Zeit erstaunlich bodenständig und natürlich wirkt. Tändeln und
Schmachten, Anstand und Etikette, das Ausharren der Schwestern am Fenster,
wartend (aber bitte nicht so überdeutlich!), auf dass der Herr Schiller sich
dem Schlosse über die Furt nähert – hach, was waren das noch Zeiten, so ohne
Massenpresse, Fernsehen, Handy. Kein „#Schillergeil“, keine
Facebook-Freundschaft, die SMS noch auf Briefpapier, wortvollendet, schön
kaligraphiert und wachsversiegelt.
Sicher: Liebesheirat ist da noch eine Luxus (oder ein
Skandal), aber gerade das Steife und Gebotene, Gehrock und Musselinkleid, das
kultivierte Französisch, das ist für Graf herrliches Spielmaterial für die drei
selbstbewussten Hauptfiguren und ihr Körper. Bei der Pressevorführung im
Berlinale-Palast konnten einem die ausländischen Kollegen jedenfalls leidtun,
die sowohl vom reclamheftigen Sturm-und-Drang-Zeit-Duktus hier, den Dialekten dort
(Schwäbisch oder – beim überragenden, nur von Ferne oder aus der Rückansicht
ehrfurchtsvoll präsentierten Dichterfürst Goethe: - Frankfurter Hessisch!) nur
mitbekamen, was englische Untertitel so vermitteln konnten (nämlich nichts). DIE
GELIEBTEN SCHWESTERN werden dröge eindeutig international zu BELOVED SISTERS.
DIE GELIEBTEN SCHWESTERN – ein, zwar nicht FACK JU, aber
immerhin doch ein Philipp Stölzl’erischer GOETHE!? Nein. Zwar tritt auch in DIE
GELIEBTEN SCHWESTERN der zweite große Natioinalpoet zwar als solcher nicht
sonderlich in Erscheinung, er spielt aber ja auch nur die zweite Geige
gegenüber den Frauen und überhaupt: Es geht Dominik Graf eben um die komplexe,
komplizierte Liebensbeziehung, ihre Lust, aber auch ihre Folgen und
Verletzungen, und das in eleganter, klug inspizierender Form, eine, die den großen
historischen wie tragischen Bogen nicht scheut, ohne (allzu sehr) Geschichtstelekolleg
oder herzeleidiges Melodram zu werden. Die Graf‘schen Griffe, Sichtweisen und
Stilismen, sie fügen sich gekonnt in den Stoff ein (oder dieser wird auf sie
hin entfaltet): die ironischen (und als solche vom / im Film selbst ironisch
kommentierten) Sprachspiele (die stets auch Gesellschaftsspiele sind in jener Epoche),
die Überblendungen, die Standbilder der Protagonisten en face... Und als Schiller – Endlich! möcht man rufen, nach all dem
Werben und Verlangen – sich mit Caroline der unerhörten, heimlichen Fleischeslust
in Löffelchenstellung hingibt, da hat das trotz (oder wegen) des diskreten
Verbleibs der Kamera auf den Gesichtern der Schauspieler mehr aufregende,
unverblümte Erotik als alle expliziten Sex-Szenen in Lars von Triers
NYMPHOMANIAC VOL. 1 (freilich ein ebenfalls gelungener Film, der auch etwas und
von etwas anderem erzählt).
Doch Caroline ist ja schon vergeben; Schiller heiratet also Charlotte,
für die wiederum der Gatte aber in ihrer Geschwisterliebe und vor allem aus Dankespflicht
für Carolines familiendienlicher Zweckehenopfer doch eben irgendwie der
Schwester gehört. Weshalb sie sich ihm quasi innerlich entsagt, zunächst. So
kommt der zweite Teil, mithin Schillers beruflicher Erfolg. Professur in Jena,
Herausgabe der Horen in Tübingen; das
Eheleben nimmt seinen Lauf, Kinder werden geboren. Die Räume, auch buchstäblich
in der Inszenierung, die Stuben und Kammern in Jena, in Weimar, im Schwäbischen,
sie werden eng und dunkel. Auch die Beziehung der Schwestern geht in die
Brüche, zueinander, zu sich selbst. Caroline verlässt ihren Mann, feiert mit
ihrem Fortsetzungsroman anonym Erfolge, wird Mätresse. Schiller leidet an
schlechter Gesundheit. Geschichte eben.
D. Graf (l.) mit seinen drei HauptdarstellerInnen (Foto: Bavaria) |
Auch dieser zweite Part ist gelungen, aber in der Länge des
Films dann eben doch düsterer, fragmentarischer, eben nicht so
sommerlich-beschwingt, bestechend, charmant; der Liebessommer in Thüringen ist
vorbei und man vermisst ihn „hintenraus“, weil er so schön war, so romantisch.
Aber so ist es eben, im Leben. Auch das ist Graf hoch anzurechnen, der selbst
mit seiner immer leicht nuscheligen, angenehm trockenen Stimme den historisierenden
Off-Kommentar spricht: dass er die Wahrhaftigkeit im Träumerischen erhält und
umgekehrt, dass er die sachliche Chronik eines dreifachen Lebens und Liebens nicht
überhöht, sie nicht überzeitlich (v)erklärt und doch universell nicht zuletzt im
Auslaufen hinein ins (auch Sitten-)Historische sein lässt, weiterverfolgt –
eine Geschichtslektion, deren erstaunlich moderne private Beziehungsgeschichte
sowohl kühle Lerndistanz als auch gleichzeitig nicht große, aber feine
erwachsene Anrührung zu erzeugen vermag.
Er kann es also, der Graf nicht nur des Fernsehens, des
Polizei- pardon: des Polizistenkrimis und -thrillers, von Im Angesicht des Verbrechens oder zuletzt im stilistisch und
inhaltlich überbordenden furiosen München-TATORT „Aus der Tiefe der Zeit“ (Buch:
Bernd Schwamm). Doch ist das überhaupt eine Überraschung? DAS GELÜBTE über
Dichter Clemens Brentano und die Nonne Anna Katharina Emmerick (mit Graf-„regular“ Mišel Matičević sowie Tanja
Schleiff) war auch kein „Schulfunk, Kostümschinken, Erbauungsdrama“, und faszinierende
Dreiecksfreundschafts- und -liebeskonstellationen untersuchte er ebenfalls
bereits, vor allem in DIE FREUNDE DER FREUNDE (2002, nach Henry James, mit einem Prä-RUBBELDIEKATZ
Matthias Schweighöfer, mit Sabine Timoteo und, ja auch hier schon: mit Florian
Stetter). Buch für all diese Filme, wie auch zu Grafs DREILEBEN-Beitrag KOMM
MIR NICHT NACH, zu Grafs DER FELSEN und seiner Trilogie KALTER FRÜHLING, DEINE
BESTEN JAHRE, BITTERE UNSCHULD: Markus Busch. Und alles Fernsehen übrigens.
DIE GELIEBTEN SCHWESTERN, mittlerweile auch mit Verleih in den USA, ist also keine Ausnahme, was das
Schaffen Grafs anbelangt, so wie so nicht, gottlob.
DIE GELIEBTEN SCHWESTERN (Regie u. Buch: Dominik Graf)
Kinostart: 31. Juli 2014, Verleih: Senator
Bernd Zywietz