Im Kino: “David Wants to Fly” – Yogische Abstürze

„David Wants to Fly“. BRD, Ö, CH 2010.
Regie, Buch: David Sieveking.
Kinostart: 6.5.2010.


Was Tom Cruise für Scientology ist, ist David Lynch für die TM-Bewegung. Seit Jahren bereist er in Werbe- und Missionsauftrag die Welt, um die Lehren des Maharishis über Transzendentale Meditation zu verkünden. Damit hat er beispielsweise David Sieveking erreicht, Filmstudent aus Berlin, als großer Verehrer von Lynchs abgründigem Werk einigermaßen erstaunt über Lynchs Hingebung zu Harmonie und Frieden dank TM. Er schafft es, ihn zum Interview zu treffen nach einer TM-Convention, und begibt sich so in die Sphären von TM, begleitet von der Kamera – soweit sie ihn begleiten darf.

Sie darf zeigen, was David zum Meditationskurs mitbringen muss: ein paar Blumen zum Beispiel, und 2380 Euro. Der Kurs selbst ist geheim, ebenso wie sein persönliches Mantrawort. Noch aber ist alles OK, David fühlt sich gut, kann wunderbar mit TM entspannen. Doch Probleme lösen: das kann TM nicht. Zum Beispiel die räumliche Distanz zu Freundin Marie überwinden, die in New York arbeitet. Oder ihm beruflich weiterhelfen, ihm ein Projekt, einen Film, etwas Geld verschaffen.

Nunja: immerhin kommt es dank TM zu diesem Film, zur dokumentarischen éducation sentimentale des Filmemachers, der sich selbst begleitet, wie er in die Untiefen der TM-Bewegung hineinschaut und wie es unheimlich zurückstarrt. Denn was so rosig aussieht, was von Lynch so positiv propagiert wird, was nicht unerheblich Anteil hatte an der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte seit den 60ern: das hat wie jede Sekte seine Abgründe. Obwohl sich die TM-Bewegung nicht als Kirche, sondern als Philosophie, als Wissenschaft verstanden wissen will. Obwohl die Bewegung die Popkultur verändert hat – nicht nur die Beatles waren in den 60ern begeisterte Anhänger, an ihrer musikalischen Weiterentwicklung weg von der frühen Beatlemania-Boyband ab Mitte der 60er ist es abzulesen; auch Donovan hat einen Auftritt in Sievekings Film. Die Beatles hatten sich später abgewandt – nun sind sie wieder da, die Verbleibenden, McCartney und Starr erbieten Glückwünsche zur Gründung der David Lynch-Stiftung. Die Teil ist der zweifelhaften Strategie der TM-Bewegung, die Sieveking ergründet.

Millionenspenden betuchter Anhänger, Millionengebühren für die, die in der Hierarchie aufsteigen wollen – das Geld versickert irgendwo, die TM-Städte in Indien sind Geisterdörfer, ein paar halbverfallene Neubauten, in denen keinesfalls 8000 TMler wohnen, die dort angeblich liturgische Gesänge und Yogisches Fliegen ausüben sollen, um damit Weltfrieden zu generieren. Beiläufig kommt so die TM-Mythologie ins Spiel, das Ziel des Weltfriedens durch Meditation und Überwindung der Schwerkraft – was halt sehr lächerlich ist. Yogisches Fliegen: das ist Rumhüpfen im Schneidersitz, und nur wenige Auserwählte sollen angeblich mal tatsächlich durch Meditation, Trance, Geisteskraft geschwebt sein. Gesehen hat so was noch keiner, auch nicht die TM-Rajas, die als Botschafter die obersten Repräsentanten in verschiedenen Staaten sind. Der von Deutschland zum Beispiel verstrickt sich gerne mal in Phantasien von der Unbesiegbarkeit der deutschen Nation – das findet sogar D. Lynch sonderbar, er muss mit aller rhetorischer Kraft abwiegeln…

David Sievekings anfängliche Begeisterung wird zu detektivischem Interesse, getarnt durch gespielter Naivität. Die auch Teil ist seiner Selbstinszenierung. Irgendwann darf er nicht mehr auf TM-Kongresse, darf eigentlich unter Androhung von Klagen gar nicht mehr recherchieren, aber er macht weiter. Schließlich hat er Filmförderung erhalten.

Sein Film ist nicht nur eine Reise hinter die Abgründe der TM-Bewegung, sondern auch ironisches Spiel mit sich selbst: Sieveking zeigt, wie er an öffentliches Geld kommt für sein Projekt. Und wie er davon erstmal seine Wohnung renoviert, um Freundin Marie zu beeindrucken. Sieveking geht sein Thema erfrischend persönlich an, mit spielerischem Witz – das ist das Spannende an diesem Film. Der vom Subjektiven ins Objektive schwenkt und dann wieder ganz Persönliches einfließen lässt, der sichtlich mit Herzblut gemacht ist – die Begeisterung für Lynch ist ja der Ausgangspunkt, und die Reisen um die ganze Welt für sein Projekt, von Berlin über USA und Niederlande bis Indien und Himalaya sind nicht nur durch Fördergelder zu erklären. Nebenbei erzählt Sieveking auch von seiner verkorksten Liebesgeschichte, von seiner on-and-off-Beziehung zur Schriftstellerin und Journalistin Marie Pohl. Die sich stets extravagant kleidet, mit auffälligem Kleid und merkwürdigen Hüten, so wie David stets mit Zylinder auftritt. Sein Film ist auch gekonnt inszenierter medialer Aufbau des eigenen Images

Diese stete Selbstinszenierung streift mitunter – das ist der Minuspunkt – ins Selbstverliebte. Ein bisschen verheddert sich Sieveking in seiner Dokumentar-Dramaturgie, etwas weniger Marie-Liebesplot hätte vielleicht gutgetan. Diesem opfert er einen übergreifenderen Blick über den Tellerrand des Maharishi, seine Argumente gegen TM sind dieselben, die gegen Scientology oder Zeugen Jehovas etc. angewandt werden können. Und ausgehend von seinem Ansatzpunkt fragt man sich auch, wie denn nun Lynchs irritierend-unergründliche Filme mit seinem Glauben an ein friedlich-harmonisches Paradies auf Erden zusammenhängt.

Und doch: Man folgt gerne dem kleinen David S., wie er dem großen David L. folgt. Wie er von seinem Standpunkt aus Kritik übt an einer offenbar ausbeuterischen, bigotten Organisation. Wie er nebenbei den Maharishi entzaubert. Denn der war eigentlich nur Buchhalter seines angeblichen Lehrers Yogi Saraswati und darf von der vedischen Tradition her gar nicht das Meditieren lehren, er war hinter den Weibern her wie nichts und predigte dabei Enthaltsamkeit. Wie Sieveking hinter die Oberfläche der verschlossenen Organisation blickt, wie er auch heftige interne Machtkämpfe um den TM-Chefposten nach dem Tod des Maharishis 2008 mitfilmt: Das ist unbarmherzig investigativ. Und höchst unterhaltsam.


Harald Mühlbeyer



„David Wants to Fly“. BRD, Ö, CH 2010.
Regie, Buch: David Sieveking. Kamera: Adrian Strähli. Musik: Karl Stirner. Produktion: Martin Heilser, Carl-Ludwig Rettinger.
Mit: David Sieveking, David Lynch, Marie Pohl, Maharishi Mahesh Yogi.
Länge: 97 Minuten.
Verleih: Neue Visionen.
Kinostart: 6.5.2010.