Im Kino: „Robin Hood“ – Historie im Konjunktiv
„Robin Hood“. USA / GB 2010. Regie: Ridley Scott.
Kinostart: 13.5.2010.
Ridley Scott geht zu den Ursprüngen zurück: Woher kommt Robin Hood, die Legende, der Rächer der Entrechteten, Beschützer von Witwen und Waisen? Robin Longstride, später Hood genannt, wird zunächst einmal als Legende präsentiert. Eine Legende, mit der sich Scott auseinandersetzt, indem er versucht, so etwas wie eine realistische Geschichte zu erzählen, nicht unähnlich Antoine Fuquas „King Arthur“-Schmonzes 2004, aber viel besser (was nicht allzu schwierig ist). Allerdings gibt es gar keine reale Geschichte von Robin Hood, der nicht einmal als historische Person gesichert ist. Er ist nur als Legende überliefert. Womit der Film also Historie im Konjunktiv beschreibt: Der Ursprung des Robin-Hood-Mythos als mögliche Wahrheit, als eine Variante der Geschichte, wie sie sich Drehbuchautor Brian Helgeland vorstellt. Wobei er sich auf Plausibilität und Wahrscheinlichkeit ebenso stützt wie auf spielfilmtaugliche Dramaturgie für eine abenteuerliche Heldengeschichte.
Scott und Helgeland legen in jedem Detail Wert darauf, etwas Neues zu erzählen, den alten Mythos ins Reich der Legenden zu verweisen. Richard Löwenherz ist nicht der ersehnte Befreier des Vaterlandes, sondern ein versoffener, kriegsmüder Schlendrian. Lady Marion ist nicht die Maid in Not, sondern eine zupackende Frau, die Haus und Hof fest und sicher im Griff hat. Der Sheriff von Nottingham ist zwar böse, taucht aber nur in drei Szenen auf und ist in der letzten ein Würstchen mit heruntergelassenen Hosen. Und Robin Longstride ist (noch) nicht der Outlaw, sondern der Held, der das Vaterland eint und zum Sieg gegen die Gefahr von außen führt.
Dabei blickt Scott tief hinein ins mittelalterliche England: Wie damals eine Burg belagert und erobert wurde; wie die Themsemündung aussah; wie sich in London um den gewaltigen Tower ein paar dreckige Hütten gruppieren, zwischen denen uralte römische Ruinen stehen, mit denen keiner was anzufangen weiß; wie Nottingham ein kleines Bauerndorf ist, von Wäldern umgeben, in denen wilde Waisen von Kriegsgefallenen ihr Unwesen treiben. Dahinein gibt Scott als Agens seinen Robin Longstride – seine Version von Hood.
Irgendwo zwischen Zurechtbiegen der Volkssage und Flirt mit der Legende liegt das, es hat etwas von Historien-Reenactment, wie man es von Mittelaltermärkten und nachgespielten Ritterturnierspektakeln kennt. Denn natürlich kann und will „Robin Hood“ kein mittelalterliches Proseminar sein. Deshalb tauchen auch die fröhlichen Gefährten von Hood auf, seine Waffenbrüder während des zehnjährigen Kreuzzug Richard Löwenherz’. Bei ihrem ersten Überfall, einem unbekümmerten Bubenstück, haben Hood und Co. auch viel Spaß, wenn sie das Saatgut, das die Kirche als Zehnt-Abgabe einbehalten hat, mit Charme und Chuzpe zurückholen. Little John, Bruder Tuck und wie sie alle heißen: sie sind wiedererkennbar aus der Überlieferung übernommen, um kleine comic reliefs zu bieten beim feuchtfröhlichen Feiern mit Bruder Tucks Honigmet oder bei kleinen andeutungsreichen Zoten: Warum heißt du eigentlich Little John?
Ridley Scott will eine neue Heldengeschichte erzählen, will eine Heldengeschichte neu erzählen, und Russell Crowe ist dafür genau der richtige Mann. Vom derben Bogenschützen des königlichen Heeres wird sein Longstride/Hood zum Ehrenmann, noch ritterlicher als die echten Ritter, deren Rüstungen er zu Verkleidungszwecken übernommen hat; zwischendurch wird er Held einer romantic comedy, wenn er als Lady Marions Ehemann auftritt, der in Wirklichkeit im Krieg gefallen ist, und sich ihr nach Screwballart annähert. Schließlich wird er zum Retter von England, der die Barone und den König zum gemeinsamen Kampf vereinigt und die angreifenden Franzosen zurückschlägt. Während der Film also einerseits die alte Legende verwirft oder zumindest ironisch mit ihr spielt, baut er zugleich eine neue auf. Die ist nun aber auch nicht überaus originell, sondern – man will den Film ja ans Publikum verkaufen – eine der gut gemachten, wenn auch nicht sehr einfallsreichen Heldenplots Hollywoods. Mitunter liegt der Gedanke nahe, dass die eigentliche Hood-Geschichte vom Gesetzlosen im Wald eben doch interessanter ist.
Longstrides wirklicher Gegner ist nicht der Nottinghamer Sheriff, auch nicht der schwache, cholerische, missgünstige König John, sondern dessen Berater Godfrey, der mit dem französischen Feind paktiert. Mit größter Mordlust und äußerster Brutalität treibt er die Steuern ein, nein: er brennt englische Städte im Namen des englischen Königs einfach nieder. Womit er die nordenglischen Barone gegen den König aufwiegelt, einen Bürgerkrieg provoziert, um den Einfall der Franzosen und deren Sieg über ein geschwächtes Land zu ermöglichen.
Hier trifft Scott die englische Seele: die traditionelle Feindschaft der Franzosen, die Angst vor einer Invasion ins Inselkönigreich. Und die Geburt der Demokratie in Form der Magna Charta, die dem englischen Volk Gerechtigkeit und Freiheit bringen soll – der Grundpfeiler des englischen Selbstverständnisses. Der Film – und das ist noch ein weiteres Stück Gepäck auf seinen Schultern – will auch die Geschichte des frühen Englands erzählen, im Rahmen der Fiktion also den großen historischen Hintergrund inklusive den Bezügen zum Heute mittransportieren: Geschichtsrekonstruktion, Heldensagen, Metamythos und die Geburt einer Nation.
Und da übertreibt Scott halt doch ein bisschen, wenn er Robin Longstride als den Auserwählten darstellt, der nicht nur Geburtshelfer des modernen Englands ist, sondern zugleich auch so etwas wie der Patenonkel - denn sein Vater war der Verfasser der Urform der Charta.
Harald Mühlbeyer
„Robin Hood“. USA / GB 2010.
Regie: Ridley Scott. Buch: Brian Helgeland. Kamera: John Mathieson. Musik: Marc Streitenfeld. Produktion: Brian Grazer.
Darsteller: Russell Crowe (Robin Longstride), Cate Blanchett (Marion Loxley), Max von Sydow (Sir Walter Loxley), Mark Strong (Godfrey), Oscar Isaac (Prinz John), William Hurt (William Marshal).
Länge: 140 Minuten.
Verleih: Universal.
Kinostart: 13.5.2010