achtung berlin 2011: Zur Eröffnung

An den letzten warmen Tagen in Berlin

… hatte das Festival achtung berlin new film award 2011 noch nicht angefangen, im Gegenteil, pünktlich zum Start war es wieder grau, kühl und feucht, ehe heute nun erneut die Sonne scheint und das Thermometer steigt. Aber der Titel dieses Beitrags sollte schon was Hübsches geborgt aus einem Lied von Element of Crime sein, und das passt ja auch wieder irgendwie zum Wetter zum Beginn des Festivals, so (obacht, übler Kalauer!) sven-regnerisch wie der ausfiel (ich hab Sie gewarnt!).

Doch egal: Seit Dienstag, dem 13. April feiert sich hier die Filmszene Berlin-Brandenburgs selbst. Was natürlich kein reiner Lokalevent ist, weil hier nun mal Spielfilme gedreht und an einer solchen Veranstaltung gezeigt werden, die mit für das deutsche Kino stehen, weil in Berlin die Filmhochschulen sind wie die HFF in Babelsberg und die dffb am Potsdamer Platz. Schauspieler, jung und alt, Regisseure, Produzenten leben hier, schauen mal rein ... Berlin brummt, wem sag ich das, und das nicht nur wonnig bärig wie das Wappentier im Winterschlaf. Auch wenn – so Festival-Mitleiter und -begründer Hajo Schäfer gerade beim Mittag meinte, das Aufbruchklima des Anything Goes in der Hauptstadt rauer wird (oder abklingt): Die Mieten ziehen an, Gentrifizierung – Gutbetuchte vernobiliesieren Kieze ...

Doch trotz aller Weltläufigkeit Berlins ist gerade das achtung berlin Fest ein sympathisches Durchschnaufen und Sich-mal-locker-Machen nach all dem Trubel der Berlinale oder dem Nationalglamour der Marke Deutscher Filmpreis. Das fängt schon damit an, dass das junge, mit viel Herzblut geleitete und organisierte Filmfest mit seinen Veranstaltungen ein Feierabendfestival ist: Bis auf das Wochenende beginnen die Veranstaltungen gemütlich um 18 Uhr, die Wettberbslangfilme erst um 20 Uhr.

Auch dank der Abspielstätten wie dem Babylon als „Zentrale“ hat achtung berlin nichts Podsdamerplatziges und Sonyzentrales, sondern stehen eher für das Urigen, Bodenständige, das alte und erfahrungssatte, auch etwas vergilbte und vergammelte Berlin mit (s)einer ordentlichen Portion Osten. Das meiste spielt sich jenseits des „Alex“ ab, Rosa-Luxemburg-Platz, wo das „Babylon“ in unmittelbarer Nähe zur Parteizentrale der „Linken“ liegt, und nach dorthin ist es quasi genauso weit wie zum Filmtheater im Friedrichshain und zum Kino International – gemessen von meinem von Plattenbauten umzingelten Hotelzimmer mit Blick auf den Fernsehturm aus.

Im Kino International in der sehr breiten, sehr sozialistischen Karl-Marx-Allee fand die Eröffnung statt. Es ist eine dieser originellen Schachteln am Rande des Prospekts mit seinem schon nicht mehr moribundem, sondern zeitgefrorenem Charme einer vergangenen Epoche. Trotz rotem Teppich hatte die feierliche Eröffnung etwas verlorenes an dieser stets zu „leeren“ Straße, insbesonder als gegen halb eins dann zum Zapfenstreich geblasen wurde und man durch die feuchtkalte Nacht zwischen den Wohnblöcken nach Hause irrlichterte.

Drinnen freilich war es rappelvoll gewesen, im Lichtspielsaal unter der Wellendecke, und die Moderatorin verriet lustig, dass der hübsche Goldflittervorhang gerade noch rechtzeitig aus der Wäsche kam. Da wurde noch hinsichtlich der passenden gigantischen Waschmaschine gefrotzelt (leider von mir, aber nur still und im Kleinen), aber bald schon wurde es ernst.



Zum Auftakt: der Kurzfilm LOVE LOVE LOVE YEAH von Peter Jeschke. Zehn Minuten lang, gewidmet dem jungen Hauptdarsteller Leon Palamarciuc, der vor kurzem überraschend verstorben ist. Der Film ist eine kleine Miniatur, und gerade in seiner Länge, mit dem fast schon allzu Dahingeworfen.Sein, das schon an der Grenze nur zur Idee, zur Einzelszene kratzt, ist er gelungen: Zwei beste Freunde, der eine hat was spontan mit der heiß geliebten Freundin des anderen, nachts auf dem Disco-Klo, noch als zwei Unbekannte, ohne, dass sie voneinander über ihre Dreiecksverbindung wissen. Bis sie sich alle am Wochenende zu einem Ausflug aufmachen. Nichts wird da aufgelöst, kommt er heraus, der Film hört fast abrupt auf, kaum das ein Konflikt ausdefiniert ist. Aber was LOVE LOVE LOVE YEAH mit einer teilweise träumerischen Stimmung mitgibt, verlegt mehr von (s)einer Folgestory über Loyalität und Freundschaft in den Kopf des Zuschauers, die Idee eines Films mit größerer Souveränität und Potential, als es manch anderer weitererzählter Kurzfilme in Gänze beinhaltet. Gerade als Anriss besticht LOVE LOVE LOVE YEAH.



Gute Laune machte vielen auch der Langfilm DIE LETZTE LÜGE von Jonas Grosch (RESISTE! AUFSTAND DER PRAKTIKANTEN), doch wie viel Gutmütigkeit und Heimvorteil dabei war, sei dahingestellt. Es ist natürlich eine gute Idee, das Publikum nicht gleich mit den Bleigewichten deutscher Sozial- und Befindlichkeitsdramen zu tracktieren.

Aber, pardon, leider etwas, ein bisschen, furchtbar misslungen ist DIE LETZT LÜGE gleichwohl. Natürlich nicht völlig, und allein schon gilt es zu loben, dass und wie ihn Grosch mit seiner / einer Hauptdarstellerin Katharina Wackernagel im Alleingang finanziert hat, ohne Sender, ohne Förderer. Die Idee ist fein, die Schauspieler auch gut aufgelegt und sichtlich spielfreudig. Der Film selbst weiß auch gar nicht wohin mit sich und seiner Beschwingtheit. Das Problem ist nun aber, dass das Drehbuch und vor allem die Figuren missraten sind – so sehr, dass man gar nicht mal sonderlich von Figuren (geschweige denn: „Charaktere“) reden mag. Manchmal mitredende Redakteure und Produzenten noch nicht des Teufels ...

Worum geht’s? An Ostern freuen sich Lucy (Wackernagel) und Peter (Sebastian Schwarz) auf ein nettes Fest ohne Familie. Dann aber steht Ole (Leander Lichti) vor der Tür, mit dem Lucy nach einem Seitensprung eine heimliche (Chat-)Affäre hat, wobei wiederum Ole von Peter wiederum keine Ahnung hatte. Prompt wird der ausgebremste Besuch zum unverbindlichen Jugendfreund und vor allem zum Koch erklärt wird. Weil – und das ist ein der vielen so dahingeschnodderten Informationen und wirren Hintergründe, die irgendwann, vielleicht, Sinn ergibt –: Ole hat Lucy beim Gebärdensprachkurs kennen gelernt. Und dass, irgendwie, wäre dann schon verdächtig …

Dann kommt noch die junge Ina (Maria Burchhard), mit der wiederum Peter ein geheimes Verhältnis hat und die schwanger von ihm ist, schließlich noch Lucy stumme Schwester, die von ihrem Rockabilly-Freund verlassen wurde (was Grund gibt, die Band „The Busters“, die einige Songs zum Film beigesteuert haben, auch mal vor der Kamera auftreten zu lassen). Und noch ein Armin (Lenn Kudrjawizki) trudelt ein, aber wie der genau jetzt mit Lucy und / oder Peter verbandelt ist, macht der Film sich zu erklären schon gar nicht mehr die Mühe. Auch nicht, warum Lucy provokant von seinem Trauma am Tisch erzählt (seine Frau hat mit seiner Fußballmannschaft gebumst, ihm daher den Sport verleidet), dann plötzlich Tränen in den Augen hat ... War sie die Gattin? Der Himmel weiß es, uns braucht es nicht interessieren, der Erzählung ist es schließlich ansonsten auch egal.

Ein bisschen Screwball-Comedy und Musical will DIE LETZTE LÜGE sein; ab und an brechen die Schauspieler (in Playback) in Gesang aus, tanzen ein bisschen steif durch eine kleine Shownummer. Das ist wirklich hübsch und frisch.

Enervierend ist nur, dass Grosch nicht nur ein Händchen für seine Figuren hat, sondern die Notwendigkeit offenbar nicht erkennt, überhaupt mal welche zu erfinden, anzubieten und ihnen treu zu bleiben. Dieses Chargen-Manko war bei der turbulenten Komödie POLNISCHE OSTERN, für die Grosch zusammen mir Regisseurin Monika Anna Wojtyllo ebenfalls das Drehbuch schrieb, noch kein Problem, gar ein ganz eigener Reiz, weil sich Klischeefiguren und Nationalsstereotype sich in der Road-Movie-Ethnoposse gegenseitig ergänzten und auch aufhoben.

In DIE LETZTE LÜGE ist das jedoch fatal, nicht nur, weil die Schauspieler, so lustig ihnen zumute ist, notgedrungen auf Sparflamme agieren: Der Film, der seinen Beziehungsreigen dann doch zu ernst nimmt, um sich ganz und gar und wirklich ausgelassen dem Abstrusen, Überdrehten oder auch nur dem Selbstparodistischen hinzugeben, braucht nun mal ein halbwegs funktionierendes, ernst zu nehmendes Personal, eines, das nicht widersprüchlich ist und willkürlich mit Attributen ausgestattet.

Die Figuren geben kein Stück, agieren und reagieren selten nachvollziehbar oder wenigstens konsistent. Sie reden irgendwas, wobei die Dialoge zwischen deftigem Schlagabtausch, Witzchen rein fürs Publikum und anstrengenden dürftigen philosophischen Tendenzen über Art und Wesen der Liebe mäandern – selbstzweckhaft, unglaubhaft und, so beschleicht einen immer wieder das Gefühl: unverstanden abgeschaut. „Eher schlafe ich unter einer Brücke, als dir weiter zuzuhören“ – so oder ähnlich formuliert es Ina an einer Stelle, und es ist kein gutes Zeichen für einen Film, wenn einem dabei so sehr und wider Willen aus dem Herzen gesprochen wird.

Wenn Peter und Ina ein geheimes Gespräch führen, platzt Ole rein – und fängt an sich auszuziehen, um eine Bad zu nehmen. Warum auch immer. Und dass ihn in der Drüber-und-drunter-Situation Ina von da an voller Ekel einen Perversen schimpft, derweil Pimmelfotos und ein Riesen-Holzpenis ansonsten für schenkelklopfende Erheiterung herhalten, ist sowenig einsichtig wie ausgegoren. Was vielleicht auch daran liegt, dass der LETZTEN LÜGE bei aller propagierten Libertinage und bemühten Frechheit ein altbackener oder wenigstens einfallsloser Geist in Sachen modernem Beziehungsreigen innewohnt.

So harsch das klingt: Es ist vor allem, wegen all der Liebe, all der Mühe und auch dem Können (z.B. in Hinblick auf Matthias Hofmeisters Kameraarbeit oder tollen Songs) weniger ärgerlich als schlichtweg schade. Und dass und wie es ähnlich und doch eben ganz anders geht, zeigt z. B. Zoltan Pauls UNTER STROM, der auch nicht „langweiliger“, „wichtiger“ oder „tiefgründiger“ ist und sein muss.

Zeitgleich mit der Kinoauswertungstour, die DIE LETZTE LÜGE durch Land führte und die nun bei achtung berlin als Auftakt endet, ist der Film auf DVD erschienen. Kein schlechtes Konzept. Als innovatives Auswertungsmodell, weil die DIE LETZTE LÜGE mochten, gleich durchs kühle April-Berlin mit nach Hause nehmen konnten – derweil die anderen dem lustigen Trauerspiel wohl nicht mehr so schnell begegnen werden.

(zyw)