Hofer Filmtage 2015: Retrospektive Christopher Petit – "An Unsuitable Job for a Woman" (1982)

Christopher Petits zweiter Spielfilm "An Unsuitable Job for a Woman" ist das ziemliche Gegenteil "Radio On". In diesem Erstling ging es ihm um die Vermeidung von Handlung, um ein Ignorieren von Kohärenz, es ging um Atmosphäre, um das Erzeugen einer Stimmung entlang der Musik – und entlang der Charaktere, die voll ausgeformt, aber niemals ausformuliert sind und damit stets geheimnisvoll bleiben. "Unsuitable Job" – da war das Filmteam plötzlich nicht mehr nur zwölf Leute groß, sondern Petit arbeitete mit einer kompletten Crew. Und es zogen nicht alle an einem Strang für das große Ziel, sondern es wurden die, wie soll man sagen, Partikularinteressen spürbar. Die Produktion – fünf Produzenten! – forderte, trotz "professionellem" Budget kostengünstig zu drehen; der eigentlich vorgesehene Drehort karger Moorebenen wurde zugunsten des Londoner Umlands aufgegeben, damit keine Übernachtungskosten entstehen. Das Landhaus wurde vom Ausstatter weitgehend nach dessen und nicht nach des Regisseurs Vorstellungen dekoriert; überhaupt ist der Film nicht so geworden, wie ihn Petit sich gewünscht und erhofft hätte: "Wie man so sagt: Der Regisseur verlor das Interesse", schreibt Petit in seinem Text im Hofer Programmheft.
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Und nicht nur die Produktionsbedingungen waren komplementär zu "Radio On" : "An Unsuitable Job for a Woman" ist ein Krimi, plotgetrieben, mit Charaktere, die Funktionen zu erfüllen haben, mit einer Handlung, die zu einem Ziel zu führen hat. Und: "Unsuitable Job" ist in Farbe gedreht.
Und was für eine Farbe! Martin Schäfer – häufiger Kameramann für Petit – setzt auf die Leuchtkraft von Licht und Schatten, setzt Farben expressiv ein – Sonnenuntergang, oder graue Düsternis, oder Blickführungen durch Buntheit. Vor allem aber setzt Schäfer eine Beleuchtung wie im Film noir ein, harte Kontraste, Schatten auf Gesichtern, auch verkantete Kameraeinstellungen – und das aber eben nicht in schwarz-weiß, und ja: Das sieht ausgesprochen supersuper aus!

Die Handlung, entlang eines Romans von P. D. James: Eine junge Frau übernimmt einen Privatdetektivjob, nachdem ihr Boss (oder Partner) sich umgebracht hat. Für einen reichen Bonzen soll sie die Umstände am Suizid von dessen Sohn erforschen, nein: keine Zweifel an der Todesursache selbst, aber Wissbegierde an den Umständen, die zum Lebensüberdruss führten. Lange Entfremdung zwischen Papa und Sohnemann, der nicht in die Fußstapfen des Vaters mit seiner Baufirma und seinem Schloss und seinen Millionen treten wollte. Welchen Umgang hatte er, wie lebte er, warum starb er? Mit dabei: eine strenge, feindselige Haushälterin, und ein smarter Ersatzsohn, den sich der Papa schon seit langem als rechte Hand anerzogen hat. Mittenmang drin: Elizabeth, die Ermittlerin. Die freilich die Vorgehensweise aus dem Eff-Eff kennt, die aber vor allem überrascht ist, wie jung und hübsch dieser tote Junge ist, den sie nun stellvertretend für den Vater und posthum kennenlernen soll. Hach, sie fühlt sich zu ihm hingezogen – einer der ziemlich albernen Pfade des Drehbuchs, das an sich sehr straight seine Detektivgeschichte erzählt: Das Emotionale, das der an sich so professionellen Ermittlerin im Wege steht, ist ziemlich ausgelutscht als filmisches Klischee; rechtfertigt aber immerhin den Filmtitel.
In einem Cottage hat der Sohnemann gelebt, im Garten lauter laute Kinder, die Vermieterin eine griesgrämige, bösartige Alte. Der Haken an der Decke, wo sich Mark erhängt hat: Da baumelt irgendwann eine strohene Puppe, ein böser Streich für die Ermittlerin. Ein Gebetsbuch spielt eine Rolle, das die lange schon verstorbene Mutter ihrem Sohn zu dessen 21. Geburtstag hat überreichen lassen; die Ex-Freundin hat die Leiche gefunden, und zwar in Frauenkleidern; und im Garten gibt es einen tiefen, tiefen Brunnen…

Nicht ungeschickt spielt der Film mit den Kennzeichen des Unheimlichen, lässt auch spielerisch Perversion und die spießige Reaktion darauf einschleichen, es gibt eine Menge Geheimnisse, die mittels Blutgruppenanalyse geklärt werden können. Und es gibt irgendwann viele Verdächtige, weil der Tod denn doch nicht so geklärt ist, wie es schien. An einem Gürtel des Verstorbenen prüft Elizabeth den Erhängungsvorgang, ein Re-Enactment des Suizids, das natürlich schief gehen muss, bei so einem wackligen Stuhl. Die Haushälterin verbirgt einiges, hinter ihrem harschen Auftreten verbirgt sich so manches. Und der Ziehsohn: Der würde alles tun, um den alten Herrn vor Schrecken oder Schlimmerem zu bewahren.

Irgendwann wird Elizabeth in den Brunnen gestürzt. Und in einer großartigen Sequenz stemmt sie sich den Brunnenschacht entlang hoch, verfolgt den Täter im Auto – hier wird es dann wieder recht läppisch, bei einem Sturz von einer Brücke, der vollkommen holterdipolter vor sich geht, auch filmschnittmäßig ziemlich vermasselt. Aber, und das macht das Werk Petits aus: Genau in solchen "Fehlern" liegt seine auteur-Handschrift: Dann, wenn andere sich besonders anstrengen, ist es seinen Filmen wurscht, weil es darauf eigentlich gar nicht ankommt. Ebenso ist es bei der Auflösung des Ganzen: Wer warum welche Tat begangen hat – das ist schon im Drehbuch so verworren, dass es in der Inszenierung am besten nur noch gesteigert werden kann in ein vollkommenes Durcheinander. Am Ende erschießt irgendeiner irgendwen – und: Das ist absichtlich unklar gedreht, gerade weil die Konvention an dieser Stelle Klarheit verlangt. Aber das natürlich wäre langweilig.


Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage 2015 - Retrospektive Christopher Petit – "Radio On" (1979)

Christopher Petit - nie gehört, diesen Namen. Nie gesehen, dieses Werk. Aber wenn einer in seinem Text im Programmheft gleich einen Witz erzählt, dann ist das von vornherein sympathisch: "Wie viele Regisseure sind notwendig, um eine Glühbirne zu ersetzen? – Antwort: Vier. Nein, drei. Fünf. Eindeutig fünf, aber drei wären vielleicht besser." Das zielt wohl ziemlich genau auf die Inszenierungsweise von Petit hin (dessen Name man übrigens nicht französisch, also nicht mit stummem t ausspricht): Der vor allem weiß, was er nicht will, wie er selbst sagt, nämlich keine Dinnerszenen, bei denen die Protagonisten über ihre Gefühle und über die Beziehungen untereinander reden. Nein: Petit will von Anfang an das Fragmentarische, was Psychologisierung und Erklärung angeht. Konsequenterweise hat er sein Debüt "Radio On" von 1979 angelegt entlang des Soundtracks, David Bowie etwa singt in der Anfangsszene "Heroes" bzw. auf deutsch "Helden", später beispielsweise Kraftwerk, auf englisch mit "Radioactivity".

"Radio On" wurde von Wim Wenders koproduziert, von dessen Road Movies Filmproduktion, und dieser Name passt zum Film, der vornehmlich im Auto spielt, unterwegs. In langen, ausgedehnten Einstellungen, in aufreizender Langsamkeit. Gedreht in herausragendem Schwarz-Weiß von Martin Schäfer, der zuvor Assistent von Robby Müller gewesen war: Viel Dunkel, viel hell, große Kontraste. Dazu: provozierend wenig (erklärender) Dialog, dafür immer wieder ausführliche Stories mit Gelegenheitsbegegnungen, die der namenlose Mann unterwegs trifft.

Zu Anfang hatten wir David Bowie, dabei eine nervöse Handkamera, die durch eine Wohnung spaziert, wir sehen einen handgeschriebenen Zettel: "We are the children of Fritz Lang and Werner [sic] von Braun". Der Link zwischen den 20ern und den 80ern – das ist ein Statement, das nicht weiter erläutert wird. Wir enden die Sequenz mit einem Mann in der Badewanne, das Radio läuft – "Helden" jetzt als On-Screen-Musik –, und dann zu einem Typen im Auto, von dem wir allmählich mitbekommen, dass er der Protagonist ist. Zum Geburtstag bekommt er von seinem Bruder ein Päckchen mit zwei Kraftwerk-Musikkassetten. Zuhause eine Frau, mit der er nicht redet. Beide gelangweilt, gefühlsarm. Der Mann arbeitet als DJ beim Radio, Musik scheint sein Leben zu sein, aber es macht ihm nicht offensichtlich Freude, so, wie wir uns ja auch nicht freuen, dass Blut durch unsere Adern fließt. Irgendwann zuhause ein Anruf, wir hören das Gespräch im Off, als sei es nicht wichtig: Der Bruder ist tot, der Mann fährt nach Bristol. Kein Gespräch mit der Frau. Dafür eine lange Autofahrt. Ein schottischer Soldat, in Irland eingesetzt, der nun desertieren will. Den der Mann als Anhalter mitnimmt und dann wieder stehen lässt. Im Radio Nachrichten von IRA-Terror, von Geiselnahme, von einer Polizeirazzia gegen einen Pornoring. Die Welt scheint verloren. Irgendwann trifft der Mann auf Sting – ja: der Police-Sting in seinen jungen Jahren! –, der wohnt in einem Wohnwagen hinter einer Tankstelle und spielt Gitarre. Singt "Three Steps to Heaven", philosophiert über Eddie Cochran, der nach einem Auftritt in Bristol im Auto tödlich verunglückte. Am Ende der Episode steht Sting an der Zapfsäule, die Gitarre in der Hand, die Akkorde spielend, ein Bild für junge Götter. Der Mann hat fünf Pfund bezahlt, die er zuvor aus der Tankstellenkasse geklaut hat.

Ist das eine Reise zu sich selbst, wie es das Roadmovie-Genre normalerweise verlangt? Das kann man nicht sagen, weil man nicht weiß, wer der Protagonist ist, was sein Selbst sein könnte. Lethargisch lässt er sich durchs Leben treiben. In Bristol trifft er auf zwei Frauen aus Bayern – Zugeständnis an die deutschen Co-Produzenten, mit künstlerischem Mehrwert: Die eine hasst Männer und ist alsbald aus dem Film verschwunden, die andere sucht ihre Tochter, die mit dem Ex-Ehemann in England wohnt und – Hommage an Wenders – Alice heißt. "Ich dachte, wir würden miteinander schlafen. Aber das werden wir nicht", stellt sie irgendwann fest, auf deutsch und auf englisch, und das verwundert kaum, weil nichts passiert. Auch nicht innerlich – oder vielleicht doch, aber im Verborgenen, irgendwo unter dem Soundtrack. Dann eine großartige Szene am Abgrund: In einem Steinbruch fährt der Mann nahe an den Felsabriss ran, legt Musik ein, doch eine fast kafkaeske, zumindest existenzialistische Situation: Das Auto, das schon vorher gerne gemuckt hat, springt nicht an. Und vorne gähnt der Abgrund, da, wo man die Anlass-Stange einstecken muss. Und zurückschieben im Leerlauf geht wegen nach vorne abschüssigem Gelände nicht… Feststecken. Kein Ausweg. Ein Bild, das irgendwie alles auf den Punkt bringt, auch wenn man nicht wüsste, wo der Punkt ist; und auch nicht merken würde, dass dieser Punkt etwa abschließen könnte.


Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese Juli 2015 – Amoklauf, Kinokiller und Zwergenwerfen

Grindhouse-Triple-Feature, 25. Juli 2015:

"Der Mann auf dem Dach" / "Mannen på taket", Schweden 1976, Regie: Bo Widerberg

"Im Augenblick der Angst" / "Angustia" / "Anguish", Spanien 1978, Regie: Bigas Luna

"Los campeones justicieros" / "The Champions of Justice", Mexiko 1971, Regie: Federico Curiel


Seit im Juni in einer Arte-Reihe zum Trashkino "Santo und Blue Demon gegen Dracula und Wolfsmensch" lief, ist das Genre der mexikanischen Wrestlingfilme denn doch nicht angekommen im bundesdeutschen Cineastendiskurs. Schade. Wird die Vorführung des noch weit phänomenaleren "Los campeones justicieros" den Hype zu pushen vermögen? Man darf es bezweifeln, zu weit weg ist diese Spielart einer "Sportart", die an sich schon auf schlechter Inszenierung beruht, was durch miese Regie und mieses Schauspiel in den dazugehörigen Ringkampf-Filmen mexikanischer Bauart nochmal gedoppelt wird. Dies wiederum natürlich soweit, dass wir direkt und ganz genau dahinein geraten, wo der Trashfilm die höchsten Gefühle entwickelt.

Und das im übrigen bei einem Titel, der normaler nicht sein könnte: die siegreiche Gerechtigkeits-Gang, das ist die schlichte Aussage über die maskierten Helden des Films. Nichts Reißerisches, nichts Aufputschendes. Wir erinnern uns an den letzten Großevent der Grindhouse-Reihe, damals, 2013, als einen ganzen Tag lang sieben Filme hintereinander liefen, Titel des einen: "Die nackten Superhexen vom Rio Amore". Bei dem diesjährigen höchst verdienstvollen Film-Triple-Spezial? Da herrscht Nüchternheit in der Titelgebung vor.

Der Mann auf dem Dach


Das beginnt schon beim ersten Film des Abends. "Der Mann auf dem Dach". Genau darum geht es: Ein Mann auf dem Dach. Einer, der um sich schießt. Der Film beruht auf einem Roman des Autorenpaares Per Wahlöö / Maj Sjöwall mit dem Titel "Das Ekel aus Säffle" – und darum geht es auch: um einen widerwärtigen Mann, der aus Säffle stammt, als Polizeioffizier eine mehr als harte Linie fuhr und für seine Brutalitäten im Amt brutal hingemetzelt wurde.

Dieser Polizist Nyman ist inzwischen ein alter Mann, pflegebedürftig im Krankenhaus, man sieht ihn, wie er nur mit Hilfe einer Schwester aufs Klo kann, mitleidheischend auf Hilfe angewiesen – und wir sehen die Augen seines Mörders hinterm Vorhang aufblitzen, wir sehen das Bajonett, mit dem er auf ihn einsticht. Wir sehen die Polizeiarbeit, ein Krankenzimmer voll Blut und Innereien, ein Schlachtfest, zum Kotzen im wahren Sinn. Auftritt Kommissar Beck – ja, der Kommissar Beck, der in unzähligen Schwedenkrimis im Fernsehen auftritt; Urfigur des skandinavischen Kriminalgenres, der inzwischen durch diverse öffentlich-rechtliche Wiederholungen fast schon ausgelutscht wirkt.

Nun: Hier haben wir das Original. Direkt aus den Wahlöö-Sjövall-Romanen, von Bo Widerberg auf die Leinwand gebracht in betont nüchterner Weise, die die langatmigen Details der Polizeiarbeit ebenso wenig ausspart wie die Spannungen der Gesellschaft, die zerrissen ist zwischen jugendlichem Aufruhr der 1970er und reaktionärer Staatsgewalt. Kameradschaft gebiert Corpsgeist, Verdrängung und Schweigen bei Überschreitungen polizeilicher Kompetenzen, ein "Wir gegen die"-Gefühl innerhalb der Staatsmacht, das letztendlich alles legitimiert. Von Polizeibrutalität gegen Demonstranten über Demütigung von Gefangenen bis zur Beweisfälschung, um Verhaftete gerichtsfest aburteilen zu können – Kommissar Nyman war einer der ganz Großen in dieser Kunst.

Jetzt ist er tot. Dass dieser Mord etwas zu tun hat mit seinem Verhalten, ist wahrscheinlich. Und alsbald kommt Beck mit seinen Kollegen auch auf den Trichter – insbesondere nach einem Gespräch mit Nyman-Intimus Hult, der so ungefähr jede Maßnahme billigt, die Nyman vorhatte; etwa mit bewaffneter berittener Polizei in Protestkundgebungen hineinpreschen, um möglichst viele der jungen Leute möglichst wirkungsvoll davon abzubringen, sich jemals wieder zu versammeln…

"Der Mann auf dem Dach" ist kein Whodunnit-Krimi. Es ist ein Gesellschaftsthriller, der den Krimiplot geschickt mit der gesellschaftlichen Realität verwebt und in vielen kleinen, scheinbar unbedeutenden Details eine Welthaltigkeit kreiert, in der die linke Kritik an Staat und Gesellschaft und Mentalität sich Bahn bricht, ohne je aufdringlich zu wirken.

Nymans Witwe und deren halbwüchsiger Sohn; die schöne junge Frau von Beck-Kollege Kollberg; Hult, der sich nur in Uniform gefällt; der junge Langhaarige, der aufgegriffen worden war und zu lange in der Zelle saß, der aber viel zu verweichlicht ist, um wirklich zu protestieren; schließlich Beck mit seiner Teenager-Tochter, um die er sich nicht kümmert, der an seinem Modellbauschiff sitzt und der, sobald der Fall ins Rollen kommt, aus dem Geheimfach seines Schreibtischs die Dienstwaffe herausholt und ohne viel mit der Frau zu reden verschwindet, um künftig im Kommissariat zu nächtigen.

Fleißige Kleinarbeit führen die Ermittlungen alsbald zu Erikson, Ex-Polizist, der ein fettes Hühnchen mit Nyman zu rupfen hat – und mit der Polizei überhaupt. Erikson, der sich auf dem Dach verschanzt und auf alles schießt, was eine Uniform anhat – diese letzte halbe Stunde des Films ist äußerst effektiv inszeniert, mit unheimlicher Spannung und höchst drastisch dargestellt: Verschanzt mit ein paar Gewehren ist Erikson unerreichbar: er hat alles im Blick, und er ist entschlossen genug, jeden abzuknallen, der sich nähert… Deshalb wird auch Kommissar Beck angeschossen, ernsthaft. Die Hauptfigur! Er hängt schwer verletzt auf einem Balkongeländer, knapp unterhalb des Schussfeldes. Sein Kollege klettert die Fassade hoch, packt ihn in ein, seilt ihn ab. Und vielleicht überlebt Beck nicht. Denn Gewalt ist allgegenwärtig. Gewalt gebiert wieder Gewalt.
Was auch Hubschrauber mit einschließt: Alsbald hängt ein Toter SEK-Kollege an den Kufen; und ein anderer Helikopter stürzt ab. Ja, er stürzt ab! Eine unglaubliche Szene, die Menschenmassen, die auseinanderstieben, der Absturz auf einen U-Bahn-Schacht, und nein: keine Explosion. Wir sind schließlich nicht in Hollywood.

Im Augenblick der Angst


Ganz tief hinein in die alte Hollywood-Doktrin taucht dagegen Bigas Luna: Er treibt die Identifikation von Filmfigur und Kinozuschauer zum Äußersten. Zunächst aber geraten wir – also: wir hier im Grindhouse-Saal im Cinema Quadrat – hinein in eine bizarre Wohnung. Schnecken kriechen umher, in einem großen Vogelbauer viele, viele Tauben, dazu ein dicklicher Mann – John – und eine gnomenhafte Frau. Das ist seine Mama. Er ist der Sohn. Unter ihrem Pantoffel. Mit greller, schriller Stimme gellt sie ihre Befehle; denn alles ist Befehl bei ihr, auch Liebesbezeugungen gegen den Herrn Sohnemann. Eine Taube entwischt. Er verfolgt sie durch die vollgestopften Räume, sie steckt hinter einem Schrank fest, nörgelnd sieht sich die Mama genötigt, sich vom Sessel zu erheben, John legt ein paar Holzplatten frei, um hinter den Schrank zu kommen, mit zärtlichem Würgegriff, angefeuert von der Frau Mutter, befreit er den Vogel, um ihn zurück in den Käfig zu stecken. Anschließend: Das Nachtmahl.

Sehr, sehr schräg das ganze, auf groteske Art witzig und zugleich höchst bedrohlich. Hitchcock ist nicht fern. Die Atmosphäre ist derart merkwürdig – insbesondere, wenn John seinem Beruf nachgeht: Praxishelfer beim Augenarzt. Er selbst mit dicker Brille, der totale Weichlich, ein Nerd avant la lettre. Der viel zu tapsig ist, um einer Patientin Kontaktlinsen einzusetzen. Und der zugleich so etwas wie Zurecht- oder Zurückweisungen gar nicht abkann. Nachts macht er sich auf. Jetzt habe er die richtigen Kontaktlinsen dabei, sagt er am Tor der edlen Villa. Drinnen killt er die Frau, sehr brutal, und schneidet ihr die Augen raus. Der Mann des Opfers muss auch dran glauben.

Und wir glauben nun zu wissen, wie der Hase läuft: Ein Psycho-Slasher-Film, mit sehr originellen Bildern, exquisit atmosphärisch inszeniert und mit einer genregerechten Handlung.
Allein: So einfach ist es nicht. Denn plötzlich befinden wir uns in einem Kinosaal.

Im Kinosaal, in dem der soeben gesehene Film läuft. Der heißt "The Mommy" – im Unterschied zu dem Film, den wir sehen. Und wir begreifen, wie großartig der deutsche Filmtitel ist: "Im Augenblick der Angst" – das Sehen in mehrfacher Ebene, der augensammelnde Psychopath, die stets überwachende Mama, die Zuschauer, die ihm zusehen, wir, die wir den Zuschauern zusehen… Und irgendwo im Inneren blicken wir in die Zukunft, zum 30. Mannheimer Filmsymposium Mitte November, Thema: "Zuschauer(t)räume", und jawohl, tatsächlich, im mittlerweile bekanntgegebenen Programm wird diesem Film mit Vorführung und Vortrag breiter Raum geboten!

Doch ganz direkt und augenblicklich sind wir gefangen von diesem Film. Der einen spannenden Film im Film zeigt, der die gespannten Reaktionen im Publikum zeigt und damit eine quadratpotenzierte Spannung erzeugt: Immer wieder sehen wir im Kinosaal den Kinosaal, in dem "The Mommy" läuft, in beunruhigender Doppelung. Irgendwann gerät "The Mommy" ins Delirium, und mit ihm die Kinozuschauer, die in hypnotischen Rausch zu verfallen scheinen ob der Formen und Farben, denen sie ausgesetzt sind, und der Film selbst – die äußere Ebene, der wir zusehen – verbindet in der Konsequenz Trance und Psychedelik mit Urängsten… Und natürlich geht das Ganze vom Psychischen ins Handfeste über, ein Psycho nicht nur auf der Leinwand, auch im Zuschauerraum, weil man wirklich nirgendwo mehr sicher sein kann. Und zwei Teenie-Freundinnen, die etwas ahnen, die Zeuge werden von Unaussprechlichem. Irgendwann häufen sich die Leichen auf der Toilette, und alle Türen werden verrammelt.

Und dazu diese bohrende Stimme der Film-Mutti mit ihren bösen Einflüsterungen – mittels telepathischen Muscheln (!) –, so böse, dass sie sogar das zartbesaitetere Mädel im Publikum telepathisch zu beeinflussen scheint: weil die Schranken, die die Leinwand, die die Fiktion aufrichtet, eingerissen werden ebenso wie die, die die Seele errichtet hat. Ein komplexes, verschachteltes Meisterwerk ist das, verstörend, weil es direkt darauf zielt, wo wir sitzen, im Kino und im Leben…

Los campeones justicieros


Zwei großartige Filme also, meisterhaft inszeniert, die eigentlich gar nicht in die Grindhouse-Schiene passen wollen: weil der eine betont nüchtern daherkommt als Sozialthriller; und weil der andere die reißerischen Mechanismen des Kinos aufdeckt, aufmischt und heftig zurückwirft. Ist da noch Platz fürs Zwergenwerfen?

Aber hallo. Aber HALLO! Wir kommen zu einem der lustigsten Filme der Cinema-Quadrat-Grindhouse-Geschichte. "Los campeones justicieros", ein Catcherfilm aus Mexiko, im Mittelpunkt Blue Demon, begleitet von Tausend Masken, vom Killer-Arzt, vom Schwarzen Schatten, von einigen Miss-Mexiko-Anwärterinnen. Jau, das sind alles reale Personen, echte Menschen, denen wir hier bei ihrem Alltag zusehen dürfen: Beim Ringkampf und beim Posen, in Masken bzw. Bikini.

Blue Demon ist Meister-Wrestler, und mit seinen Kollegen kämpft er für die Gerechtigkeit. Das ist nicht leicht, weil ein paar rotbekapuzte Zwerge ihn ausschalten wollen. Die sind im Auftrag von Dr. Zarkoff hinter den "Champions of Justice" her… Zwerge. In roten Capes! Nein: Ist nicht lachhaft, denn wir bewegen uns in einer Welt, in der die Helden stets maskiert sind. Immer. Andauernd. Einmal sehen wir "Tausend Masken", wie er seine Maske wechselt, und zwar so geschickt blitzschnell, dass nicht eine Pore Gesichtshaut zu sehen ist. Im Maßanzug, im Schlafanzug: Die Maske ist aufgesetzt. Es sind schließlich Helden. Helden des Sports und der Kriminalitätsbekämpfung, zumal gegen diesen üblen Superschurken, der auch unter dem Namen "Schwarze Hand" schon früher – vermutlich in vorherigen Filmen – für allerlei Ungemach gesorgt hat. Jetzt hat er Armreife entwickelt, die auch den kleinsten Kleinwüchsigen übermenschliche Kräfte verleihen. Und natürlich hat er auch einige maskierte Ringer um sich geschart, damit Blue Demon und Co. ihre Fertigkeiten im Ring ausführlich zeigen können. Recht günstig, dass zu diesem Zweck eine Kampfmatte im Labor herumliegt. Ein Labor übrigens mit Teleschirm, durch den Dr. Zarkoff weit entfernte Kämpfe und Verfolgungsjagden beobachten kann.

Etwa das Handgemenge auf der Wiese zwischen diversen Ringern und den neun Zwergen, die so superstark sind, außer wenn das ferngesteuerte Kraft-Armband nicht funktioniert. Dann werden sie durch die Gegend geschmissen, aufgefangen, weitergeworfen, eine helle Freude! Das Ganze geht natürlich in eine Autoverfolgung durchs Gebirge weiter, mitsamt Reißnägeln, die auf der Fahrbahn verstreut werden, Öl, das verspritzt wird und so weiter! Absturz den Abhang hinunter, Explosion, ja warum denn nicht. Das Ganze gezeigt mittels einer Kameraführung, die eher zufällig dabei zu sein scheint statt tatsächlich das Geschehen irgendwie dramaturgisch oder bildgestalterisch rüberbringen zu wollen: Was geschieht muss genügen für die Immersion, wie es gezeigt wird, dafür reichen die Fähigkeiten der Köpfe hinter der Kamera denn doch nicht aus.

Welch böser Plan: Miss Mexiko und ihre Sub-Misses sollen in Kälteschlaf versetzt werden, in Bikini erstarren sie in ihren Kabinen, und dann will Zarkoff sie eine Gehirnwäsche unterziehen! Welch böse Mittel: Einer der Helden wird nächtens angerufen, doch es kommt rauchähnliches, betäubendes Gas aus dem Hörer! Welch böse Falle: Eine Spur führt in ein Lagerhaus! Welch bösen Dialoge: "Das ist eine gefährliche Falle! Wir gehen mit!" – "Genau das will die Schwarze Hand!" – "Was es wohl für eine Falle ist?" – "Vamos!" Dort dann werden sie in einem riesigen Netz eingefangen, anschließend natürlich Prügelei, das muss man wohl nicht extra erwähnen.

Später dann, wenn wir auf den Höhepunkt zugehen, schlägt die schöne Dame, die die Helden begleitet, vor, Wasserski zu fahren. Während Blue Demon ein Flugzeug bespringt und entert, in dem die eingefrorenen Mädels außer Landes gebracht werden sollen. Aber, und das ist der Clou: Das Wasserskifahren ist nicht einfach nur zum Spaß, nein, wir haben es mit einer extrem unvorhersehbaren Volte zu tun, jemand ist ein Doppelagent, im Boot eine Bombe, und unter Wasser lauern harpunenbewaffnete Feinde, als wär's ein James Bond-Film!

Der Endkampf im Labor – teils Catchen auf der Matte, teils Prügelei – bietet wieder einen Zwergenwurf, diesmal in einen der Bildschirme, woraufhin der rotgewandete Kleinwüchsige sofort Feuer fängt – ein unsterblicher Moment. Dr. Zarkoff wiederum, den kümmert's nicht: Mit einer Unsichtbarkeits-Pille macht er sich aus dem Staub, für den Fall eines Fortsetzungsfilms.

Blue Demon ist eigentlich ansonsten der Sidekick für Ringkampf-Ikone El Santo, der diesem ganzen Genre unweigerlich seinen Stempel aufgedrückt hat; doch hier schlägt sich der Blaue Dämon ganz wunderbar, ja eigentlich unübertrefflich, allein durch – der Arte-Film, in dem El Santo und Blue Demon sich mit einem Dracula- und einem Werwolf-Verschnitt auseinandersetzen müssen, ist nicht halb so komisch.
Und wir als Zuschauer wünschten uns, in Deutschland gäbe es ähnliche Filme, die reale Sportler in ganz großartig erhebende Heldenstellungen hinaufkatapultieren würden. Schließlich gibt es nicht wenige Sportarten, in denen Deutschland traditionell Weltmarktführer ist: Das ginge vom Pferdesport – welche Möglichkeiten für Verfolgungsjagden! – über das Fechten – diese Kämpfe, die ich imaginiere! – bis zum Fußball – Bayern und Dortmund treten sich gegenseitig in den Arsch! Wo ist der Autor, der hier stimmige Stories ersönne, wo der Regisseur, der aus Helden des Sports Helden der Leinwand machen wollte!


Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese April 2015: Katholiken-Horror und Hypnotisier-Kanone

Cinema Quadrat, Mannheim, 25. April 2015: 

„Hexensabbat“ / „The Sentinel“, USA 1977, Regie: Michael Winner

„Dr. M schlägt zu“, BRD/Spanien 1972, Regie: Jess Franco


Für „Kalter Hauch“, 1972, mit Charles Bronson und Jan-Michael „Airwolf“ Vincent wird Michael Winner auf immer und ewig im Filmgeschichts-Himmel residieren. Paar Jahre später „Death Wish“, in dem Bronson zum ersten Mal rot sah – Winner drehte dann in den 80ern auch noch die Teile 2 und 3 –, und dann kommt „Hexensabbat“ – der weder mit Hexen noch mit Sabbat zu tun hat. Vielmehr beginnen wir in Norditalien, wo sich eine geheime Bruderschaft von satanskundigen Priestern versammelt: Da sitzen sie und murmeln ein altertümliches Gebet – es stammt aus Miltons „Verlorenem Paradies“ –, und unvermutet springen wir nach New York. Zu einem jungen Pärchen, Alison und Michael, sie ist Fotomodel, er ist Anwalt, er will sie heiraten, sie will lieber Freiraum, und alles wirkt ein bisschen wie ein kleines Ehedrama mit emotionalen Schüben, vor allem, als Alisons Papa oben in Baltimore stirbt – und hier gelingt Winner dann tatsächlich eine Szene, die den Zuschauer gewinnt. Denn eine Erinnerung huscht an Alison vorbei, sie begegnet sich selbst in jüngeren Jahren, sie beobachtet sich, wie sie nach Hause kommt, ins Zimmer ihres Vaters tritt und ihn dort bei einer obszönen Orgie erwischt. Wie er ihr das Kruzifix von der Halskette reißt. Krampfanfall, Migräne sind die Folge. Und staunende Spannung beim Zuschauer, dass Winner tatsächlich schöne inszenatorische Ideen hat.

Ein Händchen für die Besetzung hat er auch. Kommende Stars finden sich: In einer Quasi-Statistenrolle tritt am Ende des Films Tom Berenger auf, zwischendurch Jeff Goldblum als Fotograf; und wie in Woody Allens „Stadtneurotiker“ tritt außer Goldblum auch Christopher Walken auf. Hatte der bei Allen schon die für seine spätere Leinwandpersona typische Düsternis in sich – wir erinnern uns: am liebsten würde er ja beim Autofahren einfach mal auf die Gegenspur rüberziehen, so ist das, wenn sich das Universum immer weiter ausdehnt –, so spielt er freilich in „Hexensabbat“ einen Jungspund von Cop. Mit rotem, nach hinten gegeltem Haar steht er in der Ecke und guckt, wie ein Cop gucken muss. Das macht er sehr, sehr gut, das ist weit weg von dem, was man von Walken erwarten würde, und als Dank gewährt ihm Michael Winner auch die eine oder andere Großaufnahme. Sein Chef übrigens ist Eli Wallach – womit wir bei den Altstars sind, die Winner aufbietet: etwa Martin Balsam als vertrottelter Professor, der etwas Lateinisches übersetzen muss; oder Burgess Meredith als alter, verquasselter, exzentrischer und latent perverser Nachbar mit Katze und Kanarienvogel. Allen voran aber Ava Gardner als tüchtige Maklerin, die Alison eine Wohnung zuschanzt, herrliche Lage, ein schönes efeubewachsenes Haus, „500 Dollar ist da nicht zu viel“, lockt sie, um im nächsten Satz runterzugehen mit dem Preis, für 400 Dollar wird Alison verführt zum Einzug.

Und Winner geht mit dem nun endlich greifbaren Motiv der jungen Frau alleine in einem unheimlichen Haus sehr souverän um: Weil er natürlich weiß, dass es das schon x Mal gegeben hat. Und hier trotzdem ein paar schöne Aspekte herausholt. Denn da sind diese Nachbarn, der mit Katze und Vogel, unten wohnen zwei Lesben, eine Ältere, eine Jüngere, letztere wichst sich bei Alisons Antrittsbesuch lustvoll einen ab. Die übrigen trifft sie bei einer nächtlichen Geburtstagsparty für die Katze, beispielsweise diese seltsame Alte: „Schwarzweiße Katze, schwarzweißer Kuchen!“, oder der verklemmte Ehemann, der nicht zu wissen scheint, wohin mit sich. Unversehens landen wir hier bei Fellini mit diesen grotesken Film-Wesen, Menschen und zugleich Karikaturen ihrer selbst, überbordenden Leiblichkeit, absurdes Benehmen – noch krasser in einer schwarz-weißen Traumsequenz, in der alle nackt erscheinen (übrigens eine der wirklich guten Traumsequenzen der Filmgeschichte, die nicht als Beleg, als Fingerzeig, der auf irgendwas hindeuten soll, fungieren, sondern tatsächlich aus der Lust der Bilder, der Bild(er)findung heraus leben).

Dass diese seltsamen Hausgäste nicht real sind, wird schnell klar. Halluzinationen? Traumgebilde? Tatsächlich werden sie identifiziert als Mörder und Psychopathen, die vor langen Zeiten schon auf diversen elektrischen Stühlen gebraten wurden… Alison ist irgendwie gefangen zwischen dem Jetzt und der Historie dieses Hauses, Psycho-Schocks hageln auf sie ein: Eines Nachts verhackstückt sie mit einem Messer die nackte lebende Leiche ihres Vaters, das ist der Moment, wo die Polizei eingeschaltet wird. Die umso mehr staunt, als kurz darauf tatsächlich eine verhackstückte Leiche gefunden wird, ganz woanders freilich… Dieser Tote aber hat Geschäftsverbindungen zu Alisons Verlobtem Michael, der immer mehr ins Zwielicht rückt, wie andererseits aber auch Alison durchaus ambivalent erscheint mit ihrer irgendwo zwischen Wirklichkeit und Fantasie angesiedelten geschundenen Seele; mehrere Suizidversuche hat sie schon hinter sich…

Die Polizei freilich kann nicht helfen. Dafür schleicht einer der sinistren Patres von der Anfangsszene herum; und oben im fünften Stock, da sitzt ein uralter blinder Priester und starrt zum Fenster raus. Und wahrscheinlich hat Michael seine erste Ehefrau ermorden lassen… Zumindest kennt er finstere Gestalten, mit einem Einbrecherkumpel steigt er bei der Diözese ein, weil er nun plötzlich und unvermutet zum Ermittler wird. Die Polizei ist im letzte Viertel abgemeldet, dafür weiß nun Michael Bescheid, und es ist für den Zuschauer sicherlich besser, nicht über Zusammenhänge und Logik nachzudenken. Sondern sich an den kunstvollen Verdrehungen und Umkehrungen zu erfreuen, die Winner aufbietet. Im Kleinen – und erst im Nachhinein erkennbar –, indem Christopher Walken gegen den Strich besetzt wird; im Größeren durch die surrealen Szenen im Alptraum-Haus; im ganz Großen dadurch, dass die Sinistren und Unheimlichen – die geheime Katholiken-Bruderschaft, die immer wieder um die Ecke lugt – eigentlich die Guten sind, und die, die wir – na ja, vielleicht nicht in Herz geschlossen haben, denen wir aber doch gerne folgen: Die sind eigentlich schlimme Teufelsmanifestationen. Und zum Finale bietet Winner dann alle Ausgeburten der Hölle auf: Missgestaltete in allen erdenklichen Urformen, Elefantenmenschen, Kleinwüchsige, Krüppel, die in schauerlichem Zug durchs Haus wanken, eine Horde, die Alison ein letztes Mal so richtig einheizen möchte, hier, direkt am Tor zur Hölle.

Nun erreicht Michael Winner sicherlich nicht die inszenatorische und atmosphärische Dichte polanskischer oder friedkinscher Prägung. Wie gut – zumindest im solide handwerklerischen Sinne, und sicherlich auch mit seinen gekonnten Ausflügen ins Absurd-Surreale – er aber an seinen Film herangeht, zeigt sich darin, dass man im Moment des Sehens und auch noch fünf Minuten nach Filmende all die kleinen Mängel gerne übersieht; die fundamentale Unlogik, die irgendwie auslaufenden Nebenplots, die paar Längen vor allem im ersten Drittel… Insbesondere aber das Kontrastprogramm dieses Abends macht wenn nicht die Kunst, so doch das Können von Michael Winner überdeutlich: Denn im zweiten Film dieser Grindhouse-Nacht ergibt nichts irgendeinen Sinn. Nichts. Keinen. Nirgends.

Jess Francos „Dr. M schlägt zu“ zeigt vor allem eines – und das ist etwas Hoffnungsvolles für jeden Menschen jeden Alters, der sich mit dem Gedanken trägt, irgendwie mal selbst als Regisseur so richtig Filme zu drehen. Denn „Dr. M schlägt zu“ macht eines klar: Keiner am Set und in der Postproduktion muss irgendein Talent vorweisen, keiner muss sich anstrengen, irgendwas Großes abzuliefern: Es wird trotzdem was draus, nämlich etwas, das ca. 45 Jahre nach Drehende noch einem verwegenen Häufchen Zuschauer Vergnügen bereiten wird. Tatsächlich kann Jess Franco keine guten Filme drehen. Das ist Fakt. Er kann es einfach nicht. Es geht nicht. Was er aber damit aufwiegt, dass er einfach Filme dreht. Und zwar haufenweise. Stetig. Immer mehr. Die Masse wiegt jeden Mangel auf. Seit er vor zwei Jahren verstorben ist, wird im Cinema Quadrat jeder April als Jess-Franco-Gedenkmonat gefeiert: Und klar sind alle Franco-Filme schlecht. Aber es gibt schlechte und schlechte. Und dieser hier gehört sicherlich der besseren der beiden Seiten an.

Einfach mal machen, ist doch wurscht! Hauptsache Film belichtet! Und wenn man dann wie Franco noch einigermaßen billig ist, dann sind auch die Großproduzenten zu überzeugen, einen zu engagieren. Wie beispielsweise Atze Brauner. Dessen CCC-Film hatte Anfang bis Mitte der 1960er als Antwort auf den Rialto-Edgar Wallace-Boom den Dr. Mabuse wiederbelebt, über den Fritz Lang in der Weimarer Republik ein paar Höhepunkte der deutschen Filmgeschichte inszeniert hat. Lang selbst konnte auch für das Revival gewonnen werden, nach sechs Filmen war aber 1964 doch auch schon wieder gut. Nur hatte Brauner noch ein paar Drehbücher und Mabuse-Motive in der Hosentasche, und die vergammeln zu lassen wäre ja auch schade gewesen. Also schnell was Billiges in die Kinos ballern, kurz: Jess Franco engagieren. Der haute aus dem Mabuse-Material ein Drehbuch zusammen, indem er eine Handlung aus einem seiner früheren Filme verwurstete, strich Mabuse freilich vollkommen und gänzlich raus; der überlebte nur als Anspielung im deutschen und ausgeschrieben im spanischen Titel: „La Venganza del Doctor Mabuse“. Womit vom Titel her klar ist, dass in dem Film nichts stimmt. Atze Brauner hat sich freilich nicht geschämt, sondern – weil sich kein Verleih für den Film interessierte, der sowieso erst zweieinhalb Jahre nach Dreh 1972 seine Uraufführung erlebte – den Film per CCC selbst zu vertreiben versucht. Ein Drehbuchcredit ging auch an ihn, Pseudonym: Art Bernd.

Wobei von Drehbuch im herkömmlichen Sinne eh nicht gesprochen werden kann. Von Handlung auch nicht, Darstellung, Mise en Scene, auch Schnitt, Rhythmus, Kohärenz, kurz: grundlegende Sinnhaftigkeit sucht man vergebens. Dafür findet man einen hünenhaften Glatzkopf, eine Billigversion der grotesken Bond-Bösewichter; wir finden eine Hypnotisier-Kanone, die in den Händen des schurkischen Dr. Krenko allerhand aus dessen Entführungsopfern rausfindet; wir treffen auf zwei Wildwest-Sheriffs (!), die nun gar nicht passen, aber immerhin verdeutlichen dass die „Handlung“ in USA spielt; Sheriffs, die übrigens keine Ahnung haben, wie sie in diesen Film reingerutscht sind und was sie da machen sollen; dann, später, tritt noch ein Vagabund auf, den wir erst sehen, wie er eine der Entführungen beobachtet, der dann später aus dem Fluss ein Damenhöschen fischt, um dann in laberndem Redeschwall bei der Polizei die Sachverhalte genau umgekehrt zu Protokoll zu geben, nicht wegen Lüge oder falscher Erinnerung, sondern weil die Filmmontage offensichtlich die Handlung rumpfuschend umgestellt hat, die Synchronisierung dabei aber nicht mitgekommen ist. Eine Stripperin zeigt beim Verhör Bein; der Vorgesetzte des Sheriffs – ja, so was gibt’s– ist sehr interessiert an den Fortschritten der Ermittlungen; wenige Szenen später erfährt der Zuschauer, dass dieser Sheriffs-Chef zur Schurken-Organisation gehöre, die Ermittlungen genug verzögert habe, jetzt aber im Wege stehe und deshalb mit einer Klapperschlange im Bett beseitigt werden müsse. Nie wieder hört man etwas von ihm im Film; auch nicht, dass oder ob er bei einem Klapperschlangen-Unfall irgendwie hopsgegangen sei. Auch hatten wir sowieso den Eindruck, dass er eigentlich vor allem den Handlungsfluss, aber nicht unmittelbar im Auftrag der Verbrecher die Suche nach ihnen sabotierte. Vielleicht hatte der Darsteller keine Lust mehr; vielleicht wurde auch einfach in der Postproduktion nochmal was gedreht. Vielleicht hat auch einfach keiner aufgepasst – das ist die wahrscheinliche Variante.

Dr. Krenko entführt die Mitarbeiterin des Instituts von Dr. Orloff; der macht irgendwas mit Laser. Die Hypnotisiermaschine funktioniert nicht so richtig, die Entführte wird getötet – nicht, ohne vom Hünen Andros befummelt zu werden. Die Pläne für die Waffe werden mit Hilfe von Giftgas auf offener Straße – „Nebel“, der per Fett auf die Kamera geschmiert wurde –, gestohlen; die Fahrer des überfallenen Lieferwagens haben durch das Gas die Erinnerung verloren, finden das alles auch irgendwie seltsam, aber nicht seltsam genug, um davon irgendwem Bericht zu erstatten. Leider lag den Plänen kein Verschlüsselungscode bei, die Gangster müssen weiter gangstern. So muss die Tochter von Orloff geraubt werden, der wiederum gekillt wird. Eine Stripteasetänzerin war Zeuge, die Polizei ist aber zu doof, die richtigen – nein: irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Dem Vagabunden, der die Bösen beobachtet hat, glaubt der Sheriff auch nicht; gleichwohl ist er der positive Held dieses Films. Am Ende schaufelt sich das Böse selbst das Grab, weil, wer hätte das geahnt, Andros, das Monster, zu schlecht behandelt wird und irgendwann zurückschlägt. Hinter dem ganzen steckt übrigens noch eine weit größere Verbrechensorganisation, und der Fantasie des Zuschauers ist es überlassen, als deren Oberhaupt den sagenhaften Mabuse sich vorzustellen.

Diese Handlung lässt sich mit viel Denkarbeit mühsam rekonstruieren; es hilft, dass einiges im Film doppelt und dreifach gesagt wird – meist aber nur Nebensächliches –, vor allem aber, dass ein geheimnisvoller Voice-Over-Erzähler ziemlich am Anfang all die Fakten über die Laser- und die Hypnotisierwaffe erklärt, während (!) sich der Schurke mit seiner rechten Hand über was ganz anderes unterhält.

Überraschenderweise ist nur einmal eine Nackige im Film zu sehen; „Dr. M schlägt zu“ ist eben noch total in den 60ern verhaftet mit all der Faszination an großen Verbrechen und großen Schurken. Das freilich trägt zum Trash-Charme des Filmes bei. Ein Film, der ja schon bei Fertigstellung veraltet war, der zu schlecht war für eine Kinoauswertung, in den Franco alles reinwarf, was er hatte – von seltsamen Kameraeinstellungen aus allen Ecken des filmischen Raumes bis zu alten, schon längst woanders abgelutschten Handlungs- und Szenenmotiven. Kurz: Genau das richtige Material, um Francos zweiten Todestag zu begehen. Spätestens im nächsten April mehr von ihm.


Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese März 2015: Zombieinsel und Hongkong in Vietnam

28. März 2015, Cinema Quadrat, Mannheim:

„Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“ / „Zombi 2“ / „Zombie Flesh Eaters“, Italien 1979, Regie: Lucio Fulci.

„Operation Eastern Condors“ / „Dong fong tuk ying“, Hongkong 1987, Regie: Sammo Hung.




Ein Segelboot treibt übers Meer. An der Freiheitsstatue vorbei. Am World Trade Center vorbei. Die Kamera in einem Hubschrauber, aufgeregte Funksprüche. Die Küstenwache rückt an. Zwei Polizisten steigen an Bord. Keine Menschenseele da. Vergammeltes Essen in der Kabine. Zehn-Zentimeter-Tausendfüßler auf der Klaviertastatur. Unter einem Handtuch eine vergammelte menschliche Hand. Und im Hinterzimmer – nein: Nicht Nosferatu, aber etwas ähnlich schlimmes. Ein fetter, glatzköpfiger Zombie, der dem einen Uniformierten die Halsschlagader rausbeißt, bevor ihn der andere mit Mühe ins Wasser schießt.

Auftakt zu einem typischen Fulci-Zombiefilm, sprich: gut erzählt; effektvoll inszeniert; mit einer Menge stylisher Untoter, zerfleddert, vermodert, mit Würmern und Maden behangen; eine Menge dickes rotes Blut; hoher Ekel- und Horrorfaktor; und irgendwo im Handlungsverlauf auch schockierend; wiewohl die Logik auch mal hintangestellt wird, um gute Ideen gut herauszuarbeiten.

Das Segelschiff zum Beispiel: Es kommt von den Antillen, das wissen wir bald; aber warum und wieso, woher der dicke Zombie kommt, und warum da der Abschiedsbrief eines Papas an seine Tochter drin liegt („Ich liebe dich, aber ich habe es zu spät bemerkt“), in dem von einer seltsamen Krankheit auf dieser und jener Tropeninsel die Rede ist: wurscht.

Die Zombies, das ahnen wir im Lauf von „Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“, sind durch irgendeinen Voodoo-Zauber erstanden; aber vielleicht ist das auch nur Aberglaube. Sie sind da, und man muss mit dem Problem umgehen, das ist die pragmatische Einstellung von Dr. Menard auf der Zombieinsel, der irgendwo zwischen „Traumschiff“-Besatzungsmitglied und Mad Scientist changiert, der zuviel säuft, aber auch hart arbeitet in seinem Labor, um die Zombieseuche zu verstehen. Klar, dass ihm das nicht gelingt. Immerhin bemüht er sich, auch wenn das auf Kosten seiner Ehe geht, die Frau will nur noch weg, angsterfüllt weiß sie: Der Tod kommt immer näher.

Fulci wäre nicht Fulci, wenn er diese treffliche zwischenmenschliche Situation nicht ausnützen würde: Während der Gatte im Hospital weilt – das in einer alten Holzkirche untergebracht ist –, muss die verzweifelte Hausfrau zuhause alleine ausharren. Klar, dass sie duscht, wie die Kamera wohlgefällig bemerkt, ach, ihr Körper ist in ausgezogenem Zustand sehr anziehend, nicht nur für uns Zuschauer auch für – ja: Da ist sie, am Fenster, die bläulich-blasse Untoten-Hand… Fulci hat es ja immer gerne mit den Augen – nun greift die Zombie-Hand durch die Holzlamellen-Badezimmertür, packt die Frau am Schopf, zieht sie zu sich ran, direkt auf einen Holzsplitter zu, wir sehen ihn in subjektiver Kameraperspektive immer näher kommen, dann bohrt er sich direkt in den Augapfel der Frau – nein, natürlich der Puppe, die die Frau darstellt bei diesem Splattereffekt, und dass man das Gemachte erkennt, ist auch gut so, sonst wäre der Film sicherlich von Jugendschützern zerhackstückt worden. Nun aber, mit einem harmlosen Puppenspiel: Das ist auch was für die lieben Kleinen, ganz klar.

Doch ich habe jetzt sowieso vorausgegriffen. Denn die erste Nackige im Film ist Susan, die Frau des blonden, bärtigen, vor Gesundheit und Kraft strotzenden Skippers Brian. Den hat nämlich der Journalist West zusammen mit Ann Bowles, Tochter des Zombie-Segelboot-Besitzers, angeheuert, sie auf die Voodoo-Insel zu bringen. West ist der Held des Films, mit vollem blondem Haar, das nur durch die kreisrunde kahle Stelle am Hinterkopf einen unschönen Charakterfehler hat; Ann wird gespielt von Tisa Farrow, Schwester von Mia, die auch genauso aussieht wie diese in ihren frühen Woody-Allen-Tagen – und die die Farrow-Tradition des Schreckens – von Polanski bis Fulci – weiterleben lässt.

Susan jedenfalls hat sowieso die ganze Zeit eine transparente Bluse ohne was drunter an. Dann will sie tauchen gehen, und West setzt sich bequem hin, denn er weiß: Jetzt gibt es was zu sehen. Zack, ist sie nackig, nur noch mit engem weißem Tanga und Sauerstoffflasche gekleidet, gleitet runter zum Korallenriff, wo all die schönen bunten Fische miteinander tanzen. Dann aber, von hinten: Ein großer weißer Hai! Höchste Gefahr, sie versteckt sich unter einem der Korallen-Felsen, als eine Totenhand sie antatscht - - - und wir zu der Szene kommen, wegen der dieser Film in die Geschichte eingeht. Denn Fulci macht nicht einfach so ein Spielberg-Ding, nein: Bei ihm muss es das Ultimative sein, und dass er dieses nicht protzig und großmäulig rausstellt in seiner Inszenierung, sondern es sich einfach so ergeben lässt, irgendwann mitten drin, das zeugt von einer gewissen Größe. Jedenfalls: Es kämpft unter Wasser ein Hai mit einem Zombie. Und wie! Die geben sich nix, beißen sich gegenseitig, krallen sich aneinander wie in einem agonischen Geschlechtsakt. Sagenhaft.
(Anzumerken ist, dass nie erklärt wird – und auch ganz egal ist – wieso da auf dem Meeresgrunde ein Zombie lauert. Dass die nackige Taucherin später ebenso zerfleischt wird wie die, die nackig duscht, sei der Jugend als moralische Warnung mit auf den Weg gegeben: Kleidung schützt!)

Das Weitere im Film ist ungefähr das Übliche, aber handwerklich sauber gearbeitet. Zombies beim Leichenschmaus; Zombiehände, die aus ihren Gräbern greifen; eine Menge Kopfschüsse; die Hemmungen, die ehemalige, nun leider verstorbene und wiederauferstandene Freundin endgültig zu killen. Aber all das hat Fulci, wie es seine Art ist, schon richtig gemacht: Wenn die Toten aus ihren Gräbern steigen, dann sehen wir das aus ihrer Perspektive; mit Erde, die den Blick verstellt, dann das Aufrichten von der Horizontalen in die Vertikale, der Himmel, die Baumwipfel, und dann kommt auch schon das nächste Opfer ins Blickfeld…

Und am Ende gelingt es Fulci wieder einmal, eines dieser verstörenden Bilder zu schaffen, die bleiben: Die Flut der Zombies ist nicht aufzuhalten, denn das Böse ist in der Welt.



Hongkonger haben ein Problem, wenn sie einen Vietnamfilm drehen wollen. Solches zu tun: Dafür gibt es zwar viele Gründe: Man kann damit viel Geld machen, man kann Action reinpacken und Humor, die Philippinen als Drehort befinden sich direkt vor der Haustür, und wenn man geil ist auf Waffen, kann man sich so richtig ausleben. Und wenn bei der Besetzung der bösen Vietnamesen auch keine Probleme gibt – nun ja: die schönen weißen WASP-Helden kann man mit schlitzäugigen Darstellern schlecht hinkriegen.

Aber natürlich kann man sich behelfen. Schließlich ist die „Dreckige Dutzend“-Formel flexibel genug, um eine der Variablen mit asiatischem Vorzeichen zu versehen. Zack, werden also zwölf asiatisch-amerikanische Delinquenten ausgesucht für ein Post-Vietnam-Himmelfahrtskommando namens „Operation Eastern Condors“: Dort im Dschungel nämlich hatten bei ihrem Rückzug die US-Truppen dummerweise eine Menge schwerer Waffen in einem Höhlenbunker-Versteck vergessen, das den Vietcong nun keinesfalls in die Hände gelangen darf. Also werden Schwerverbrecher – von Dieben über Körperverletzer und Diebe bis zu Mördern – „freiwillig“ eingesetzt, mit der Belohnung, ihre Haftstrafen (von zwei Jahren bis lebenslänglich) aufzuheben und zusätzlich 200.000 Dollar Honorar zu bekommen. Nun ja, wenn sie überleben.

Dass es mit den USA nicht zum Besten steht in der zweiten Hälfte der 1970er, in denen der Film spielt, wird total hochsymbolisch durchgespielt: soldatisches Appell, der Star Spangled Banner wird hochgezogen – und bleibt auf halbem Weg stecken. Die Soldaten harren im Schnee aus, während der Fahnenhochzieher vergeblich am Seil ruckelt. Zwei asiatische Offiziere fahren kopfschüttelnd vorbei. Auf dem Rückweg immer noch dasselbe Bild. Der eine steigt kurzerhand aus, schleudert seine Uniformmütze hoch auf die Spitze der Zehn-Meter-Fahnenstange und klettert dann flink wie ein Eichhörnchen hoch, so schnell kannste gar nicht kucken. Kordel entzerren, schon geht’s wieder. Salut. Klar, völlig offensichtlich und nicht anzuzweifeln, dass die Asiaten den Mist der Amerikaner ausmisten müssen – und auch die einzigen sind, die das können.

Immer wieder baut Regisseur Sammo Hung Gags in die Handlung ein, solche wie dieser, aber auch richtig platte, und manche, die man nicht kapiert. Einer der Unfreiwilligen auf Mission stottert, und er ist auch der erste, der stirbt: Die Fallschirme sollen bei „Dreißig“ geöffnet werden, als er unten ankommt, zählt er gerade erst „Sssss-sss-sssech-zzz-zzeehn“. Immer wieder gibt es irgendwelche Sprüche, und die scheinen nicht einfach nur synchronisationstechnisch drübergestülpt – freilich eventuell verstärkt – zu sein. Da mokieren sich die Soldaten des amerikanischen Schlitzaugenkommandos über den strengen Duft dreier mitkämpfenden Frauen (vielleicht so ein China-Witz, den außerhalb keiner richtig kapiert), dann geht einer „einen Neger abseilen“ (das versteht auch der deutsche Bahnhofskinogänger). Ganz oft wird irgendwie irgendwohin gehüpft, oder sich auf die Seite gerollt, oder irgendwo hochgeklettert, als wäre die Schwerkraft mit Ein/Aus-Schalter versehen. Und wenn in Vietnam nichts mehr geht, dann hilft immer Kung fu. (Sonst würde es ja auch gar nichts bringen, dass sich Hongkong in diese filmische Auseinandersetzung um diesen kriegerischen Konflikt einmischt.)

Krieg jedenfalls ist die Hölle, so wird im Film mal gesagt, aber Knast ist schlimmer. Zumal Vietnam so eine Art großer Freilicht-Abenteuerspielplatz mit Waffen ist, mit richtig geilen Waffen zumal, wo man halt beim Ballerspielen sterben kann, wenn man Pech hat. Aber: „Passiert ist nun mal passiert“, wie es so schön heißt. Und die Actionshow muss ja weitergehen.

In Vietnam, noch vor dem Absprung unserer Heldentruppe, treffen wir unvermutet auf eine Mädel-Guerilla-Truppe, die einen Vietcong-Vorposten lautlos mit Hand und Messer ausschaltet: Die drei werden als kambodschanische Untergrundkämpfer die US-Mission inoffiziell unterstützen. Zwischendurch gerät das Kampfkommando auf seinem Weg zum Raketendepot in ein Dorf: Denn der Offizier back in the USA hatte als kleinen privaten Sonderauftrag auch noch darum gebeten, seinen Bruder rauszuholen, der damals verletzt in diesem Dörflein zurückgelassen wurde. Mit diesem Bruder – der inzwischen verrückt wurde und eine Menge fantastischen Unsinn brabbelt – kommt auch noch Wiesel ins Boot, der wieselflinke Schlawiner, der listig und wendig als Späher und Führer durch den Urwald sich andient. Und noch ein neues Ziel in den Film einzubringen scheint, irgendwo soll da wohl eine Menge Geld versteckt sein – zum Glück vergisst Regisseur Sammo Hung (der auch den Kommandanten des Himmelfahrtskommandos spielt) diese paar Drehbuchsätze, sonst wäre der Film wirklich überladen worden.

Kung Fu, Action, Krieg, Gags reichen schließlich aus für eine völlig überdrehte Urwaldsause, in der „Die durch die Hölle gehen“ genauso drinsteckt wie „Die Brücke von Arnheim“. Einmal werden sie gefangen und in einem Vietcong-Lager gefangengehalten, standesgemäß in einem Käfig unter Wasser, und natürlich ist auch Russisch Roulette dabei – gespielt von vietnamesischen Kampfkindern, nicht von Christopher Walken. Und die Kids haben dazugelernt: Nicht an sie selbst wird die Waffe angelegt, sondern an einen der gefangenen Feinde. Schließlich haben die spielenden Jungs noch ihr ganzes Leben vor sich.

Natürlich wird viel gestorben, immer in erhabenem Gestus mit ein paar letzten Weisheiten auf den Lippen, und immer wieder opfert sich einer zum Wohle der anderen, ist doch klar. Unter Freunden…! Im Raketendepot-Bunker dann die finale Endschlacht, und hier tritt auch die vielleicht beste Figur des Films auf den Plan (also: neben dem Stotterer, neben dem Feigling, neben dem aufbrausenden Brillenfuzzi und und und). Der Herr Vietcong-General ist ein langer, dürrer Spargeltarzan mit nervös-schwulem Kichern und einem Taschentuch, mit dem er sich nicht vorhandenen Schweiß vom Gesichtlein wischt. Und dann geht er ab wie Zäpfchen: Unglaublich schnelle Moves, wenn es drauf ankommt, in einigen wirklich doll choreographierten Kampfszenen mit Sprüngen, Kicks und Schlägen, die hin und her hageln – und es wird einem gewahr, dass der Film tatsächlich ziemlich klug aufgebaut ist in dem, was er zeigen will. Von den komödiantischen Einlagen der ersten Hälfte ist jetzt nichts mehr übrig, die MG-Orgien des Mittelteils hat er auch hinter sich gelassen, um nun den dritten Teil der anvisierten Zielgruppen anzusprechen, die auf Mann-gegen-Mann-Kämpfe stehen – und das schafft ja nun auch nicht jeder Film, dass er gleich drei Wünsche auf einmal erfüllt. Außer vielleicht die pazifistischen – aber solcherartige hegen natürlich nur Weicheier.

Harald Mühlbeyer

"Komm in meinen Wigwam", ein furioses Catholica-Mysterienspiel von Wenzel Storch

Ein Gastspiel im Mannheimer Nationaltheater: Wenzel Storchs „Komm in meinen Wigwam“, im Dortmunder Theater als „Pilgerreise in die wunderbare Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur“ inszeniert, wurde im Rahmen des 2. Mannheimer Bürgerbühnenfestivals aufgeführt. Ich hatte ja große Erwartungen; und die wurden voll erfüllt. „Komm in meinen Wigwam“, das sind: Ein schmieriger Moderator mit toupetiertem Haupt und vertrauenseinflößendem Schnurrbart; zwei Ministranten, ein alternder Kaplan, ein Mädel und ein Junge, direkt aus den katholischen Träumen der 50er Jahre entsprungen. Und ein Nonnenchor. Ab und zu tanzende schwellende Blütenkelche und sprießende Stengel, bunt kostümierte Manifestationen der zart-subtilen Metaphorik von Berthold Lutz, Starautor der katholischen Jugendliteratur der 1950er.

Lutz ist ein wichtiger Bestandteil von Storchs Universum: Einer der Eckpfosten seines abgesteckten Claims der philologischen Erforschung von Katholika-Trash. Sammler, Forscher und Fan ist Storch, wenn es um die literarischen Ergüsse geht, die in den tiefkatholischen Druckerzeugnissen der Nachkriegszeit darum ringen, die Jugend auf den rechten Pfad zu führen. Da werden deutlich, aber metaphorisch, explizit, aber subtil die Pubertät, der Geschlechtstrieb erklärt in blumiger Sprache von Leuten, die von Amts wegen keine Ahnung davon haben dürften. Wobei strenge Geschlechtertrennung herrscht, Bücher für Jungs, Bücher für Mädels: „Die goldene Straße“ etwa, oder „Das heimliche Königreich“, oder natürlich der Klassiker: „Peter legt die Latte höher“.

Storch ist Experte auf diesem Gebiet. Und er hat listiger- und lustigerweise sich selbst in sein Stück hineingeschrieben, ein Experte namens Baldrian begleitet die Show, gespielt von Thorsten Bigegue, der tatsächlich ein bisschen aussieht wie Wenzel Storch. Baldrian ist mit einem Strickblazer unvorteilhaft gekleidet, weiß nicht, wohin mit seinen Händen, kennt sich aber aus in allen Verzweigungen, die sich assoziativ in der Beschäftigung mit katholischen Erziehungs- und Entwicklungsratgebern ergeben. Baldrian ist die Wenzel-Storch-Figur, so wie sich auch Berthold Lutz in der „Goldenen Straße“ mit einer Kaplan-Figur einen Stellvertreter im lehrreichen Geschehen geschaffen hat. Dieses Buch ist so etwas wie der Fixpunkt von „Komm in meinen Wigwam“: Szenen daraus werden nachgespielt, von dem adretten Mädel, vom strammen Jungen, von den eifrigen Ministranten und von Kaplan Buffo, dem ältesten im Bistum.

Wobei das ganze Stück sozusagen gespielt ist: Angeblich ein moderiertes Laienspiel, ein bunter Abend im katholischen Gemeindehaus, mit herzlichem Dank an die Kolpingjugend, die die schönen Kostüme geschneidert hat (und heute Abend leider nicht dabei sein kann wegen dem großen Volleyballturnier, was will man machen). Die Doppelt- und Dreifachcodierung der Handlung als gespieltes Spiel, in dem wiederum auf einer Leinwand assoziative Fotos aus Storchs Sammlung und ab und zu auch ein Filmchen (beispielsweise die Popel-Sequenz aus seinem Debütfilm „Der Glanz dieser Tage“) projiziert werden: Das potenziert die Ebenen der Ironie, zumal dem Publikum auch noch Liedzettel verteilt werden, und zum Filmausschnitt gibt es Popcorn aus dem Klingelbeutel. Das Urkatholische, es wird gefeiert und verdammt, liebevoll dargestellt und bitterböse verarscht.

Zwischendurch tauchen Teddybären auf, weil auch der Petzi-Bär ein wichtiger Fixpunkt in Storchs Schaffen ist. Thomas Mann und Adalbert Stifter, selbstverständlich auch Arno Schmidt dürfen nicht fehlen, und wir sehen Theodor W. Adorno auf einer Faschingsfeier. Schlager werden eingespielt, und dass die Kastelruther Spatzen auf mal ein antizölibatäres Liedlein geträllert haben, ist auch eine Erkenntnis.

Kurz und gut: 75 Minuten großer Spaß. Multimedial. Und Klarheit darüber: Storch beherrscht Film, Literatur, Fotostory ebenso wie das Theater.

Harald Mühlbeyer

Fotos: Nationaltheater Mannheim

Blutiger Freitag ist kaputt

"Verbrechen ist so ansteckend wie die Pest!", verspricht der Trailer; doch bald wird Rolf Olsens
"Blutiger Freitag" (BRD 1970 - mit Raimund Harmstorf, Gila von Weitershause, Renate Roland und Ernst H. Hilbich) ausgerottet sein. "Das Originalnegativ ist schon jenseits von Gut und Böse beschädigt", teilt uns Max Dudenhöffer mit, der die Mannheimer Grindhouse-Nächte organisiert.
Doch es gibt Hoffnung: Das Label Subkultur - genauer: dessen US-Ableger - hofft, eine Restaurierungsaktion starten zu können und peilt bei Kickstarter 25.000 Dollar an - und das nur für die Restaurierungsarbeiten; Lizenzabgaben etc. finanziert das Label selbst, um diesen schmutzigen Schatz wieder verfügbar zu machen.

Kickstarter-üblich winken für verschiedene gespendete Geldbeträge unterschiedliche Belohnungen, von einer limitierten VHS-Edition bis zu diversen DVD-Editionen.

Der Redakteur Mühlbeyer bittet inständig um möglichst viele, möglichst große Beträge - denn diesen Film will er unbedingt in schöner, ungeschnittener Fassung bei den Grindhouse-Nächten sehen...
Also schnell zu Kickstarter - dort auch der Trailer: www.kickstarter.com/projects/2132684476/restore-bloody-friday

Grindhouse-Nachlese November 2014: Politischer Striptease und Nazi-Biker-Nackedeis

„Wenn es Nacht wird in Manhattan“ / „Cotton Comes to Harlem“, USA 1970, Regie: Ossie Davis

„Mad Foxes“ / „Los Violadores“ / „Stingray 2“ / "Feuer auf Räder" [sic!] u.v.a., Schweiz/Spanien 1981, Regie: Paul Grau


Werden wir mal politisch, eine Grindhouse-Nacht lang. Und das meint: Werden wir mal grundsätzlich, ein paar Absätze lang.
Der Exploitation-Film entstammt dem Politischen, den gesellschaftlichern und kulturellen Umbrüchen der 1950er und 1960er Jahre; mit Rock’n’Roll-, Biker-, Beach- und sonstigen Teeniefilmen nimmt er die gegenkulturellen Strömungen auf und als Zielgruppe war. Damit steht er im Gegensatz zum klassischen Hollywoodkino, das möglichst die Gesamtheit der Zuschauer im Blick hatte, dafür auch das Genre- und Starkino erfunden hat, die nun auf der anderen Seite der Medaille in niederer Form, vielleicht als pervertierte Travestie, vielleicht auch als qualitativ heruntergeschraubte Billigvariante, auf den Markt strebten.

Die Bürgerrechtsbewegung um die schwarze Gleichberechtigung in Amerika brachte dann innerhalb des gegenkulturell orientierten, gleichwohl auf Gewinn strebenden und daher niedere Instinkte ansprechenden Exploitation-Grindhouse-Trash-Films den Blaxploitationfilm hervor. Der wiederum schlug – wie in vielen (Sub)Genres verbreitet, die als eine Art Geburtsfehler ihren eigenen parodistischen Umschwung schon in nuce mit sich tragen – ab sagen wir ca. 1973 um in die typischen Black-Macho- und Big-Tit-Mama-Action-Klischees, die wir so lieben: schlagkräftige „Nigger“ (Selbstbezeichnung) und nackige Chicks bei diversen Verfolgungsjagden, Prügel- und Schießereien, und das dann in einer deutschen Synchro, die die höchsten der Gefühle hervorruft…

Am Anfang aber stand da eben doch noch der politische Gedanke einer black community, die unter dem Druck von außen, sprich: des Systems der Weißen, zusammengeschweißt wird. Eine schwarze Gemeinschaft, für die diese Filme gedreht wurden, von der diese Filme handelten, und in der diese Community auch siegte. Martin Luther King und Malcolm X werden als Paten benannt; und im Grunde ist die bloße Existenz dieser Filme schon fast so etwas wie die Revolution – oder der erste Schritt hin zur Utopie – der selbstbewussten, selbstbestimmten, gleichberechtigten black people of America.

Dieser politische Ursprung, umgesetzt in filmischen Subtext, wird freilich ins Gefäß des Genres gegossen, und zwar des mehr oder weniger reißerischen des Actionfilmes – weil das die Leute anspricht, weil sich das an der Kasse auszahlt, und wahrscheinlich ist dies auch das, was die Filmemacher von Regie bis Produktion am ehesten können, oder zu können glauben.

Was macht die Baumwolle in Harlem?
In „Cotton Comes to Harlem“, einem der frühen Blaxploitation-Filme, ein Jahr vor „Shaft“, gelingt diese Mischung aus (subtexueller) politischer Relevanz und klarer Publikumsaffinität: Ein Krimiplot mit Actionszenen, punktuellem comic relief inklusive doofem weißen, ja sogar blondem Polizisten, pfiffigen schwarzen Tausendsassas und komödiantisch überzogenen Spektakulärismen auf der einen Seite. Und auf der anderen: schwarze Hauptfiguren; die Bevölkerung von Harlem (bei der sich die Filmemacher im Abspann für die Kooperation bedanken); ein schwarzer Reverend als Vorsteher einer „Back to Africa“-Bewegung, und ein Ballen Baumwolle als MacGuffin, Symbol kontinuierlicher sklavischer Unterdrückung.

Der Reverend - ein neuer Moses?
Der Anfang des Films: Eine Kundgebung von Reverend Deke O’Malley, der eine Art schwarze Zionismus-Bewegung propagiert und Geld sammelt, Anteile für ein Schiff namens „Black Beauty“, das seine Anhänger über den Ozean zurück ins afrikanische Paradies bringen soll. Starker Ausdruck der Unbehaustheit der Schwarzen im zeitgenössischen Amerika – jedenfalls hat O’Malley eine Menge Zulauf. Doch dann – Schüsse, Attentäter, Erinnerungen an Martin Luther King und Malcolm X und ihre letzten Minuten bei öffentlichen Versammlungen – und die 87.000 Dollar, die der Reverend gesammelt hat, sind geklaut.

Zum Glück gibt es die unkonventionellen Polizisten „Gravedigger“ Jones und „Coffin“ Ed Johnson. Die nicht vor heftigen Verfolgungsjagden und nächtlichen Schießereien auf dem Schrottplatz zurückscheuen und dabei immer Herz, Ohr und Beine fest in der Bevölkerung verankert haben: Die beiden gehören zur Community, nur dass sie dabei für ein Mindestmaß an Ordnung sorgen. „Wir haben vielleicht Knochen gebrochen, aber niemals ein Versprechen!“ – wo Aufruhr ist, da können die beiden beruhigen und dennoch sicherstellen, dass nicht einfach Recht, sondern Gerechtigkeit geschieht. Zwei eingespielte Buddys mit harten Fäusten, coolen Sprüchen und dem richtigen Riecher, so soll es sein. Ihr Gegenspieler, das wird schnell klar: Deke O’Malley, der Windhund, der Geld sammelt und es selbst klauen lässt, der die Gutgläubigkeit, nein: die Hoffnung „seiner“ Leute ausnutzt und damit immer wieder durchkommt…

Striptease auf Baumwolle
Da fliegen Leute bei Schlägereien oder Autounfällen meterhoch durch die Luft, da gibt es Glanzauftritte der Komiker Redd Foxx („Sanford & Son“) und Lou Jacobi (der Transvestit in Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex usw. usf.“), eine liebreizende Dame, die duscht, und eine drehbare Kirchenkanzel als Eingangstor zu einem Geheimgang. Und natürlich als Ziel der Begierde dieser Baumwollballen – was macht der eigentlich in Harlem? Das ist Unterhaltung in schönster Form – und vermengt mit einem trotz allem stets spürbaren politischen Fundament ist dieser Film eine wirklich runde Mischung; produziert von Samuel Goldwyn, Jr., ja: Verbindung zu good ole Hollywood – und am ehesten findet sich die goldrichtige Geisteshaltung des Films, wenn sich eine Stripperin über all diese Ballons und Federn und Fächer beschwert, die ja so gar nichts über die black people aussagen; und am Ende sehen wir sie tanzen auf dem Baumwollballen, die perfekte Verbindung von simplem Reiz-Reaktions-Schema und gesellschaftlich-selbstbewusst-revolutionärem Kontext, wenn der Striptease politisch wird.

Politisch geht es weiter. Naja, so irgendwie politisch. Mit Nazis und so. Vor allem aber: Mit Hal. Der hat eine Art blonden Haarputz auf, den jeder Schlagersänger als too much ablehnen würde; ist so doof, dass sogar sein FDP-Aufnahmeantrag abgelehnt wurde; hat aber ein super Stingray-Rennauto, das dem Film einen seiner vielen Titel gab: „Stingray 2“, womit sich Regisseur Paul Grau – unter dem einfallsreichen Pseudonym Paul Gray – als inoffizielles Sequel an einen inzwischen auch schon vergessenen Film anhängt, in dem Mark Hamill mitspielt. Aber wurscht. Hal jedenfalls hat gescored: mit seiner gerade 18 gewordenen Freundin rauscht er der Defloration entgegen, aber Halt: An einer Kreuzung überholt sie das Böse. In Form einer Gruppe Motorradrocker in so exzessiver Nazi-Leder-Kleidung, dass der innere Reichsparteitag, den wir bei diesem Anblick empfinden, nur von den vor Entzücken im Viereck springenden Marcusstigleggers in uns übertroffen wird (an dessen schönes Bändchen „Nazi-Chic und Nazi-Trash“ wir an dieser Stelle erinnern wollen).

Räder müssen rollen
Jedenfalls: Nach dieser ersten eher unfreundlichen Begegnung geht’s weiter in die Disco, wo die Flasche Privatwhisky wartet, Hal sondert Schleim und Phrasen ab, ein bisschen Rummachen mit der Freundin – hey, ihr 18. muss gefeiert werden! –, und verbale Vorbereitung auf die Entjungferung: „Für mich ist es auch das erste Mal! Ja, ich hatte schon viele Frauen – aber weil es für dich das erste Mal ist!“ Immerhin hat man sich schon vor acht Jahren (!) für dieses First-Time-Fickificki verabredet. Auf der Fahrt zum Bett – die Nazirocker wieder. Sie hauen Hal auf den Kopf und vergewaltigen dessen Babsy (ausgesprochen: „Bäbsi“) – er sitzt in der Ecke, und sehr lange bumst der Nazi-Capo das verzweifelte Mädchen, das damit auch aus dem Film verabschiedet wird. Womit klar ist, dass wir es hier mit einem heftigen inhärenten Zynismus zu tun haben, im ganzen Film, in all seinen Strukturen, und vielleicht ohne es selbst zu bemerken, denn Regie, Mise en scene, Schauspieler, Kamera, Musik, Schnitt – alle sind so herrlich unbedarft! Und aus jedem frame tropft hochkonzentrierte Unmoral! Hach!

Direkt nach der Vergewaltigung will Hal Rache – aber an seine Kleine denkt er nicht mehr, die ist in der Klinik versorgt. Vielmehr schneidet der Film auf ein hohes phallisches Gebäude, wo angeblich die Polizei drin wohnt, die aber auch nicht hilft. Dafür sehen wir Hal im Bett mit seiner Geliebten – also einer anderen jetzt, er hat nämlich viele –, und zudem ruft er seine Kumpels vom Kickboxerkaratekungfu-Club an. Nachts im Amphitheater (!) gibt’s Klopperei, und der Nazi-Führer wird entmannt. Was wir auch so ziemlich genau sehen, wie ohnehin die Penisquote im Film hoch ist.

Was haben wir gelernt in dieser Exposition? Hal ist ein Arsch. Die Nazis sind Ärsche. Die Frauen
Vergewaltigt und alsbald vergessen
sind McGuffins. Und im Weiteren wird gerächt und gegengerächt, hin und her, mit Maschinenpistolen und Handgranaten gegen den Karateklub, dann Hal hinterher – und ganz plötzlich weiß man als Zuschauer gar nicht mehr, woran man ist. Weil ein nackter Mann und eine nackte Frau im Bild auftauchen, deren Leibesmitte in Großaufnahme, und der fummelt an ihr rum, am Strand, und sie lässt es geschehen, und er beschwört seine Liebe, und sie so: jaja, und er so: liebst du mich, und sie so: jajajaja. Dann taucht Hal wieder auf in seiner Stingray, wir freuen uns, dass wir uns noch im selben Film befinden, und weil Hal ein viel geilerer Stecher ist als der Schlaffi vom Strand, schließt sich die Nackige als Hitchhikerin unserem Helden an, der mit ihr aufs Landgut seiner Eltern fährt. An den eigentlichen Grund seiner Fehde mit den Nazirockern, an die Vergewaltigung oder wenigstens vielleicht an die verpasste Entjungerferung denkt Hal jetzt keine Sekunde mehr. Auf dem Landgut: Die Mama im Rollstuhl, der Papa Typ alternder Intellektueller, der Sohn reitet mit seiner Neuen aus. Die immer denselben Pullover anhat, während Hal, stilbewusst wie immer, ständig sein Outfit wechselt, auch mehrmals am Tag: Muss ja nicht immer der olle Pullunder sein mit dem bunten Muster, das auf unglaublich irritierende Weise die Rallyestreifen der Stingray repetiert…

Innere Werte
An dieser Stelle ist es ratsam, darauf aufmerksam zu machen, dass wir es hier mit einem der trashigsten Trashstreifen der Weltgeschichte zu tun haben. So schlimm, dass sich sogar Produzent Erwin C. Dietrich schämte und in den Credits verleugnen lässt! So schlimm, dass die Nazis immer mal wieder keine Hakenkreuze in ihren Armbinden tragen – das scheint von einem letzten Rest Verantwortungsgefühl bei den Filmemachern zu zeugen (freilich aus Selbsterhaltungstrieb heraus), die nämlich vermutlich bei den Außenaufnahmen eben doch keine Hoheitszeichen nationalsozialistischer Provenienz vorführen wollten; Drehgenehmigungen gab es wahrscheinlich eh keine. Jedenfalls: Im Freien keine Swastikas, dafür im Haus. Einer der wirklich üblen Continuity-Fehlern, den wir krass bemerken, als die Bande das Landgut überfällt und der Film wieder in seinen Gore-Modus rutscht, mit der Heckenschere im Rachen des Garten-Boys, mit den MG-Salven durch diverse Leiber, und der netten spanischen Haushälterin werden bei lebendigem Leib die Eingeweide herausgerissen.

Ja: Der Film wurde in Spanien gedreht, das versucht er auch gar nicht zu vertuschen, wiewohl die Synchro das dennoch nicht mitgekriegt hat und Hals Wohnung penetrant in der Marktstraße verortet.

John Cleese-Ähnlichkeitswettbewerb (letzter Platz)
Der wird nach Bumsi-Freuden und Familiegemeuchelt-Schock zornig und zieht los, jetzt aber mal persönlich die bösen Nazibuben so richtig ranzunehmen. Dafür hat er sich ein Gewehr besorgt – bzw. drei – nein: eigentlich doch nur eines, das aber von Szene zu Szene seine Gestalt wandelt, von Schrotflinte über Winchester zu Pumpgun, wie ja auch die Nazis von Einstellung zu Einstellung in derselben Szene diverse Waffen in den Händen halten. In seinen Fehlern ist der Film konsequent! Haben wir zuvor den obersten Rocker-Lackaffen beim Pissen gesehen, nackt im Garten, der dann von seinem Kameraden in den Popo getreten wurde und ihm – Penisalarm! – nachstieg, als sei er Beamter im Ministry of Silly Walks, sehen wir ihn jetzt aufm Klo sitzen, das Hal hurtig in die Luft sprengt. Ein schöner Tod! Noch schöner, dass er in der nächsten Szene durch ein Filmstudio muss, und zwar durch das Set eines Filmes namens „Mad Foxes“, der dort gerade gedreht wird – postmoderne Selbstreflexivität, ick hör dir trapsen! Einer der Nazis wird bei seiner Domina gekillt, und am Ende – nein, das muss man gesehen haben. Was der entmannte Oberführer in seiner Freizeit gebaut hat. Und was dem Film letztendlich doch ein Happy End verleiht: weil nämlich alle Unsympathen tot sind. Sprich: alle Filmfiguren.

So, wie wir’s uns ja auch im wirklichen Leben wünschen, wo an allen Ecken Nazis hocken oder gewalttätige Lackmeier, tumbe Schläger und üble Flittchen: Über die lachen wir hier, ja, wir lachen, hahaha, wir lachen die Schrecken realer politischer oder gesellschaftlicher Quatschköppe und Gewaltextremisten weg, weil in diesem Film alles nur eitler Tand ist. Und weil wir’s wissen, genießen wir’s.


Harald Mühlbeyer