Grindhouse Nachlese Dezember 2024: Frauenhass und Hexenwahn
Grindhouse Double Feature, 7. Dezember 2024, Cinema Quadrat, Mannheim:
„Totentanz der Hexen“ / „The Devonsville Terror“, USA 1983, Regie: Ulli Lommel
„Hexen bis aufs Blut gequält“, BRD 1970, Regie: Michael Armstrong, Adrian Hoven
Grindhouse-Filme können unendlich frauenfeindlich sein. Das ist bei dieser Filmsparte eigentlich nicht weiter schlimm, im Gegenteil: Die ausgestellte Feindlichkeit gegen Frauen (oder gegen andere: Schwule, Schwarze, Asiaten etc.) machen dieses Segment der Filmgeschichte erst richtig genießbar, nämlich auf Metaebene. „Solche Filme werden heute nicht mehr gemacht!“ Da ist was Wahres dran, aber nicht in einer quasi nostalgischen Bedeutung im Sinn von „Heute darf man nichts mehr“, Gott bewahre! Sondern als direkter Blick in eine vergangene Zeit, als sowas noch ungeniert und ungeschönt auf die Leinwand gebracht wurde. Man muss bedenken: Grindhousefilme setzten ja keine Agenda, sondern reagierten auf das, was in der Bevölkerung (männlich natürlich) im Schwange war. Denn Filme der Grindhouseklasse sind ja auf das Publikum (irgendein Publikum) angewiesen, sprich: sie sprechen dem Volk aus dem Herzen, und gerne mal aus dem Schritt.
Das heißt: dass solche Filme heute nicht mehr gemacht werden, bedeutet sicherlich, dass in der Filmproduktion sich etwas geändert hat: Es werden keine Filme mehr gemacht, die niedere feindselige Instinkte verstärken (zumindest nicht mehr in dieser Öffentlichkeit), und das ist auch gut so. Was sich vielleicht nicht wirklich geändert hat: Dass im (männlichen) Volk noch immer niedere feindselige Instinkte herumgeistern – nur, dass Filme darauf nicht mehr so direkt und so unanständig reagieren.
Wie wenig sich im männlichen Urwesen geändert hat, das zeigt „The Devonsville Terror“ von Ulli Lommel; der deutsche Titel schon: „Totentanz der Hexen“, das ist einer dieser reißerischen Reißer, der die Männer ins schmierige Kino locken soll… Und dabei ist genau dies die Haltung, die Lommel kritisiert, und das heftig! Denn so etwas wie „The Devonsville Terror“ hatten wir (meines Wissens) noch nicht in der Grindhouse-Reihe von Cinema Quadrat: Ein Film, der das misogyne Patriarchat als teuflisch darstellt.
Das Erschreckende ist, dass sich seit 1983, als der Film herauskam, eigentlich wenig geändert hat. Sie rotten sich jetzt ja wieder zusammen, die Männlichkeitsmänner, und spülen die Manosphere direkt an den US-Kabinettstisch!
Der Film beginnt im Jahr 1683, Frauen werden als Hexen angeklagt und brutal getötet, vom aufgeputschten Mob. Die Anklage: sie hätten nackt getanzt, sich den Dämonen hingegeben, der übliche Quatsch. Eigentlich gemeint: Sie waren so frei, freie Frauen zu sein. Eine wird den gierigen Wildschweinen vorgeworfen, eine wird auf ein großes Wagenrad gebunden, das angezündet und seinen Berg hinuntergerollt wird, bis sie komplett zerstört ist, eine andere wird verbrannt. 300 Jahre später ist wieder November, der Jahrestag der Mordtaten nähert sich, und die Männer im Dörfchen sind aufgeregt: Denn der Legende nach liegt seither ein Fluch auf ihnen. Die Hexe auf dem Scheiterhaufen hat, bei Blitzgetobe, die Täter und ihre Nachfahren verdammt…
Das finden die Herren an sich ja ganz aufregend. Und dann reist mit dem Bus eine junge Frau an, Jenny, die neue Lehrerin. Und der eine nimmt sie gleich in seinem Truck mit ins Dörfchen, und der andere spricht sie gleich im Ortsladen an, und dessen Besitzer, Walter, ist ganz entzückt, dass er ihr Kräutertee besorgen darf. Dass Jenny mit ihnen redet: Das nehmen die Männer als Beweis, dass sie mit ihr machen können, was sie wollen; sie war schließlich freundlich, warum soll das nicht so weitergehen?Doch dann weist sie die Einladung zum Abendessen aus. Und Walter besucht sie abends, bringt ihr den Tee und labert sie voll, wie einsam er ist seit dem Tod seiner Frau, und was das mit einem Mann machen kann, und dann hat er die Geige seines Opas dabei und spielt ihr etwas vor, das Albioni-Adagio.
Und dieses Stück ist die perfekte Wahl für diesen Film, der diese Männergesellschaft mit diesen männlichen Illusionen darstellt. Was Lommel wahrscheinlich gar nicht wissen kann: Das weltberühmte Adagio verweist, via Albioni, zurück auf die Barockzeit, damit zurück auf die Hexeninquisition, die wir hier gesehen haben – und ist zugleich ein Fake, weil es gar nicht wirklich von Tomaso Albioni stammt, sondern weil mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit der Musikwissenschaftler Remo Giazotto es gefälscht hat. Ohne, dass Lommel darauf hinarbeitet, verweist er auch hier auf all die falschen Illusionen, denen das Patriarchat im Film und in der Welt anhängt…
Tags darauf, wieder im Laden, da entschuldigt sich Walter bei Jenny, dass er am Vortag so monologisiert hat, und sie ist freundlich und höflich, und das nimmt er wieder als Ermunterung, und er fragt, ob sie das nicht kennt, das man jemandem begegnet, dem man sich sofort für immer zugehörig fühlt. Wieder ist sie höflich und freundlich, und zugleich sehr geschickt, indem sie ausweicht: Das sei aber eine romantische Vorstellung, und er so: Sie sind vielleicht auch Romantikerin?, und sie wieder höflich und freundlich: Ja, vermutlich, und er, weiter angestachelt: Männer könnten über derartige Gefühle eben leichter reden als Frauen – ach, er ist jetzt total hoffnungsfroh, und sie, immer noch freundlich und höflich: Ja, das ist vielleicht so, aber ihre Gefühle, die seien eben „slightly different“. Es ist dies ein toller Dialog, der sich ganz tief in die Situationen seiner Protagonisten hineinversetzt, und so eine freundlich-höfliche Abfuhr!Daraufhin träumt Walter, dass Jenny eine Hexe ist.
Und wir, als Zuschauer, wissen sowieso, dass er keine Hemmungen hat, egal wie dick und plump er daherkommt. Er hat seine Frau umgebracht, mit dem Kissen auf dem Gesicht, weil sie mit ihrem ständigen Stöhnen ihn gestört hat bei der Buchhaltungsabrechnung: Die Frau lag krank im Bett, warum also nicht die Luft abschnüren? Sie war nur eine Last!, weiß Walters Kumpel, das war schon richtig so!
Dass Jenny mit ihren Schulkindern bespricht, dass in anderen, früheren Kulturen Gott als eine Frau angesehen wurde, macht alles nicht besser. Dass Monica, Moderatorin beim örtlichen Radio, öffentlich im Rundfunk als Briefkastentante für Frauen fungiert, die bei ihr anrufen und von ihrem Alltag erzählen – der Mann, der abends immer mit den Kumpels weggeht und sie mit den Kindern allein lässt, der Mann, der der Frau nicht erlaubt zu arbeiten; und dass eine junge Ökologin die giftigen Rückstände im See misst, als ob die Leute im Dorf schuld seien, wenn sie die Natur kaputt machen – dies alles führt langsam, immer mehr zu einem klaren Beschluss der Männerrunde. Und es kommt erneut zur Inquisition, und es kommt zu Femiziden, die so schrecklich inszeniert sind, weil sie so wahrhaftig sind…!
Der Dorfarzt wird gespielt von Donald Pleasance (der gerade einen Lauf zu haben scheint, war ja schon im letzten Monat zu sehen!); sein Dr. Warley ist der direkte Nachfrage des Inquisitionsscharfrichters von vor 300 Jahren, und da er sich für die Geschichte des Dorfes, des Fluches, des Aberglaubens und der männlichen Gewalt interessiert, weiß er auch, was mit ihm los ist: Er wird innerlich von Würmern aufgefressen, das ist das Schicksal seiner Familie seit 1683, solange jedenfalls, bis jemand aufsteht gegen die Männergewalt, die sich fortsetzt wie die Pilzwurzeln, von denen Jenny im Schulunterricht spricht, die unter der Erde, ohne das Sonnenlicht zu brauchen, immer wieder Fruchtkörper entwickeln, die ihre feindseligen Sporen weiterverteilen…Wir sehen, wie der Doc sich immer wieder Würmer aus seinen Armen zieht, das ist einerseits etwas sehr grindhousemäßig, andererseits eine tolle Metapher dafür, wie die Manosphere sich selbst innerlich zerfrisst. Ähnlich cheesy Effekte gibt es am Ende, bei den Femiziden, wenn Jenny Blitze aus ihren Augen schießen lässt, die aussehen wie Blitze aus 80er-Jahre-Filmen; naja, Ulli Lommel hat schließlich einen Genrefilm gedreht!
Aber einen Genrefilm, der den normalen Genregehalt umdreht. Lommel kommt aus dem Fassbinder-Universum, Rainer Werner hat ja immer den Puls an der Gesellschaft gehabt! In den USA ist er ins Genre-, B-Movie-, Direct-to-Video-Segment gekommen, und bei einem Film wie diesem ist das nicht weiter schlimm. Seine damalige Lebensgefährtin Suzanna Love spielt nicht nur die Jenny-Rolle, sondern hat auch am Drehbuch mitgearbeitet…Die Genreelemente, vor allem gegen Ende, die sind dem Horrorpublikum geschuldet, auf das Lommel schielt. Aber die Aussage (ja, der Film hat eine Aussage, die er deutlich macht, aber nicht herausposaunt), die sich gegen die Männerwelt, gegen die Männergewalt richtet, die ist gegen das Genre gebürstet. Und gegen eine Welt, deren Männerbünde offenbar seit 1683, seit 1983, bis heute weiterwirken, im Internet, in Wirtschaft, in Politik und vor allem im Alltag.
Die Gewalttaten im „The Devonsville Terror“, sie sind nicht zur Ergötzung geschaffen – die B-Seite dieses Filmabends geht genau den anderen Weg: „Hexen bis aufs Blut gequält“ (Regie: Michael Armstrong, Produzent, künstlerischer Leiter und ungenannter Regisseur: Adrian Hoven) gibt sich den Anschein historischer Genauigkeit, nämlich die Wahrheit über die grausamen und schändlichen Hexenprozesse der bösen alten Zeit zu erzählen, und ergötzt sich in all den Qualen, die er zeigt. Wir steigen rein in die Folterkammern, wo die hübschen jungen Frauen halbnackt langgezogen werden, wo ihnen die Finger gebrochen werden, wo sie auf der Streckbank gequält werden, wo sich Männer nackt auf Nägel setzen müssen, wo gepeitscht und geschlagen wird, und wir sehen die Lust in den Gesichtern der Folterknechte (beispielsweise Herbert Fux), es ist die sadistische Lust, die auch im Zuschauer angeregt werden soll.
Der Film ist total bunt, und da säuselt immer die schöne Filmmusik – die von Schlagersänger Michael Holm stammt, zeitgenössisch mit „Mendocino“ in der Hitparade –, und wir haben sogar Romantik im Film. Vor allem aber haben wir den bösen Hexenjäger Albino, der seine Lust am Sadismus ebensowenig verhehlt wie die falschen Anklagen, die er gegen die jungen Frauen erhebt. Und wir haben den Großinquisitor Lord Cumberland, gespielt von Herbert Lom, der sich auch selbst synchronisiert! Cumberland gibt sich als harten, aber gerechten Mann, der das Hexenwesen im Innersten aufspüren kann, aufgrund seiner theologischen Erfahrung. Das macht der Film auch sehr geschickt: Beim Hexenprozess lässt Cumberland die erste (junge, hübsche) Angeklagte frei, weil der Advocatus an ihrem ganzen Körper nirgendwo das Teufelsmal hat finden können. Und dann schlägt Cumberland immer unverhohlener zu; eine Nonne ist angeklagt, weil sie ihren Embryo gekocht haben soll, so dass die Mutter Oberin einen Kropf bekommen hat. Ja klar, sie ist eine Hexe! Denn sie behauptet, sie sei vom Erzbischof vergewaltigt und geschwängert worden… Was nicht sein kann, das darf nicht sein. Ein junger Baron wird als Hexenmeister angeklagt, bei seinem Tod wird sein Besitz in die Hände der Kirche fallen – klar, er ist schuldig, wird schlimmstens gefoltert.
Die eigentliche Hauptfigur im Film, die spielt der junge Udo Kier. Er ist so ein schöner Mann! Ihm macht auch gleich die Kellnerin Vanessa schöne Augen, es entspinnt sich eine schmalzige Liebesgeschichte – vor allem aber ist Udo Kier Lehrling des Inquisitors, der ganz unbedingt an dessen gerechtes Wesen und an dessen gerechtes Wissen glaubt und der im Lauf des Films bitter enttäuscht wird.
Das alles ist aber nur die Zutat dafür, damit sich so etwas wie eine Handlung ergibt, und ein Alibi, derartige Szenen, in denen Gewalt und Lust sich vermählen, zu zeigen. Damit fügt sich der Film perfekt ein in den ganz normalen Fluss des Grindhouse-Kinos, das zu zeigen, was die Leute sehen wollen, und auch die heimlichen Sadisten zu bedienen, die halt jetzt sich ein paar schöne Stunden im Bahnhofskino machen wollen.Vielleicht ja die, die ein paar Jährchen zuvor in den KZs Wache schieben mussten, war ja Befehlsnotstand? Ach, wir wollen nichts unterstellen!
Harald Mühlbeyer