Grindhouse-Nachlese März 2014: Grausame und Goldjungs
„I crudeli“ / „Die Grausamen“, Italien/Spanien 1967,
Regie: Sergio Corbucci.
„Zinksärge für die Goldjungs“, BRD/Italien 1973, Regie:
Jürgen Roland.
Um den Faden wieder aufzunehmen: Im Dezember ’13 lief SergioCorbuccis „Die Grausamen“ auf 16mm, standesgemäß mit extremem Rotstich, mit
häufigen Unschärfen und ständig leierndem Ton – bis der Projektor kaputt ging. Ein
Film über, um mich selbst zu zitieren, einen „Bund von vier
selbstzerstörerischen Radikalkonföderierten […], der vom Menschenhass
zusammengehalten und zugleich innerlich zerfressen wird“: Joseph Cotten gibt
einen obsessiv-hasserfüllten Südstaatenoffizier nach dem Bürgerkrieg, der mit
seiner Terrorzelle – die drei Söhne unter seiner Führung – einen Konvoi von 30
Nordstaatensoldaten hinterrücks niedergemetzelt und eine Masse von Dollars
erbeutet hat und diese in einem Sarg zu Heimatranch schmuggeln möchte, um eine
neue Südstaatenarmee aufzustellen, den Krieg neu aufzulegen.
„Beten und massakrieren, zum Wohle seiner Nation“, so steht
es geschrieben: „Einem Hinterhalt mit Dynamit und gezielten Schüssen fällt ein
30 Mann starker Nordstaaten-Konvoi zum Opfer, ein böses Erschießen in
schnellen, brutalen Schnitten, dann sind alle tot. Und fortan steht ein Sarg im
Mittelpunkt des Films, in dem nicht wie im Vorjahres-‚Django’ ein
Maschinengewehr versteckt ist, sondern zunächst Patronengurt, Schnapsflasche
und Galauniform von Oberst Jonas Morrison, und dann eine Menge Geld, das dieser
im Namen der Südstaaten von den Nord-Soldaten geklaut hat. Geld, das nun auf
einen langen Weg gehen muss, im Sarg, mit Passierschein für einen gefallen
Soldaten, der angeblich überführt wird. Die Witwe hat Morrison auch parat, eine
dumme blonde Säuferin, die konsequent bald das Zeitliche segnet, weil sie nur
stört. Eine Neue muss her, der Passierschein verlangt eine Witwe, der Herr Sohn
macht sich auf in den nächsten Saloon, da gabelt er Claire auf, durchtriebene
Falschspielerin und mutmaßliche Hure“ – die dann zwangsläufig Teil wird dieses
infernalischen Treks durch feindliches Post-Civil War-Gebiet. Offen reisen sie
durch, nicht versteckt, das würde eh nicht klappen; und sie müssen ein paar
Hürden meistern: Eine neue Frau finden (checked! – bei der ersten,
abgebrochenen Sichtung), Patrouillen von
Armee (auch dies checked) und Sheriff (jaja, checked), und noch ein paar mehr
schöne Einfälle: Dass in einem Westernörtchen zum Beispiel der angeblich
Verstorbene, der angeblich im Sarg liegt, bekannt ist, dass dort gar ein
Gedenkgottesdienst für diesen Kriegshelden abgehalten wird und dass ein alter
Kamerad zugegen ist – einer, der, suspensesuspense, die falsche Witwe verraten
könnte –– wäre er nicht blind. Erleichterung bei den Grausamen – aber wieder
schiebt Corbucci einen neuen Twist rein: Der Blinde hat Fotos von dem Offizier,
der angeblich im Sarg liegt, und von seiner Frau, die ganz klar nicht
die ist, die hier mit den falschen Papieren durch die Gegend zieht…
Ein weiterer Punkt auf der bodycount-Liste. Der noch mehr
hinzugefügt wird nach einem Überfall durch mexikanische Banditen, verhindert
ironischerweise durch die Kavallerie der Nordstaaten, die den Südstaatlern, ein
paar Monate zuvor noch Todfeinde, nicht nur hilft, sondern sie auch sehr
zuvorkommend, wie es ehrenhaften Siegern gebührt, die die Nation einigen
wollen, auf ihr Fort einlädt… So weiß Corbucci stets sehr genau Akzente zu
setzen, die einerseits den Hauptprotagonisten Hindernisse in den Weg legen –
und für deren Überwindung der Zuschauer unweigerlich fiebert –, die aber
andererseits auch stets die Perfidie, die Sadismen, die fanatische Bestimmtheit
zu Hass und Mord des Oberst und seiner Söhne betonen: Die die Freundlichkeit
Fremder ausnutzen für ihre destruktiven Ziele.
Was aber natürlich auf sie selbst zurückfällt. Eine sich
selbst auffressende Zelle: Der stramme, gottesfürchtige, besessene Vater und
die Söhne, der eine sadistisch, der andere dauergeil, der dritte, ein
Halbbruder, etwas sensibler – weshalb sich Claire, die Schein-Witwe,
schnurstracks in ihn verliebt, was ein ziemlicher atmosphärischer Bruch ist.
Denn eigentlich ist sie ziemlich überlebensfähig inmitten der Bande von
Grausamen. Später ist sie nach einer Regennacht ganz plötzlich krank, auch das
ziemlich holprig (vielleicht gab es aber in der 16mm-Fassung irgendwo einen
kürzenden Schnitt…)
Jedenfalls ist „Die Grausamen“ wegen ein paar derartiger
Misshelligkeiten im Detail kein Corbucci-Meisterwerk; aber als Italowestern ein
vollkommenes Produkt. Klar: Ein gewisser Leo Nichols hat die Musik komponiert;
hinter dem Pseudonym steckt Ennio Morricone.

Bis die Queen Mary im Hafen einläuft. Dies ein Höhepunkt der Geschichte des Voice-Over-Kommentars: Ein Sprecher informiert über die Faszination, die dieser Dampfer immer wieder auf die Bevölkerung ausübt, darüber, wie keiner etwas von den Umtrieben in der Unterwelt ahnt, dass die Personen, die in diesem Film vorkommen, erfunden seien, nicht aber ihre Handlungen. Und dass Otto Westermann, wenn er bei der Ankunft der Queen Mary zugegen gewesen wäre, schon Bekanntschaft mit seinen Feinden hätte schließen können, die hier Hamburger Gebiet betreten: Luca Messina, geboren 1927 in Sizilien, aufgestiegen in der New Yorker Mafia, der nun ein neues, eigenes Revier auftun will… Mit ihm gehen von Bord seine Geldeintreiber, Handlanger, Killer, kurz: „richtige Goldjungs“. Womit der erste Teil des reißerischen – aber vollkommen passenden – Filmtitels erklärt ist. Später, bei einer Konfrontation zwischen Westermann und Messina, heißt es dann: „Für deine Leute reichen Zinksärge, mehr sind sie nicht wert“.
Im Grunde setzt sich der Film aus diesen Reizwörtern
zusammen. Und ist doch viel mehr als ein simpler Krimistreifen, irgendso ein
Genreverschnitt zum billigen Vergnügen, wie es das deutsche Kino in den
ausgehenden 60ern (Stichwort Karl May und Edgar Wallace, die immer mehr
degenerierten), zumal aber in den 70ern (mit Blödelkomödien und Sexstreifen)
allzu oft zustande gebracht hat. Hinter der deutsch-italienischen Coproduktion
„Zinksärge für die Goldjungen“ steckt Kriminalspezialist Jürgen Roland, der
wirklich packend inszeniert.
Und auch, wenn der Film 70er-Jahre-typisch schlecht
nachsynchronisiert ist; auch, wenn zwischendurch mal recht willkürlich zwei
Kung-Fu-Kämpfer auftauchen, um der Affinität zum zeitgenössischen Martial-Arts-Hype
Tribut zu zollen (schließlich handelt es sich hier um eine Wolf C.
Hartwig-Produktion): Äußerst solide, mit bestimmtem Auge für die
Spannungsmomente, mit Gefühl für Tempo und vor allem mit Blick für die Details
(eine Bombe im Auto liegt auf einem „Pardon“-Heft, mit dem Logo des den Hut
ziehenden Teufels) inszeniert Jürgen Roland, und das zahlt sich aus: Ein
grandioser Film ist das, bei dem es viel zu lachen gibt – nicht über den
Film, sondern, weil die Figuren nie um einen Spruch verlegen sind, weil sie mit
äußerstem Pragmatismus ihren Verbrechensgeschäften nachgehen und dabei doch nur
ganz normale Bourgeois sind, weil sie selbst mit Witz und Coolness agieren und
dabei auf dem schmalen Grat zwischen Realismus (Roland hat ja in den 60ern mit
den Semidokumentar-Krimi-Straßenfegern „Stahlnetz“ angefangen) und überzogenem
Gangster-Genre balancieren.

Jedenfalls. In einem Boxclub steht – einer der vielen
Nebenstränge der Handlung, die sich zu einem harten Tau verdichten – Eriks
Bruder Karl im Ring, er kämpft gegen Messinas Protegé Tiger, ein
Stellvertreterkrieg im Zwist um die Herrschaft über die Unterwelt. Erik schaut
zu, ebenso Sylvia, Messinas Tochter. Sie raucht. Erik zu ihr hin (ohne zu
wissen, dass sie Sprößling des väterlichen Todfeindes ist): „Ist aber nicht gut
für die Lunge!“ Nimmt ihr die Zigarette weg. Sie, flirtend widerspenstig, holt
sich eine neue raus. Er, den Ball aufnehmend, zückt das Feuerzeug, lässt es
aufflammen, sie entzieht ihm die Kippe. Worauf er ihr einen Kaugummi anbietet,
den sie annimmt – und der Zuschauer weiß, dass hier der Keim einer Romeo und
Julia-Liebe gelegt ist, mittels dieses unglaublich fein inszenierten Hin- und
Herspiels. Später, nach dem Boxkampf (den Westermann gegen Tiger gewinnt) geht
Erik mit Sylvia raus, nimmt sie dabei um die Hüfte und lässt nonchalant seine
Colaflasche auf dem Rand des Boxrings stehen, so dass sie torkelnd runterfällt
– ein weiteres dieser lässigen Details.

Und warum sind wir so bei dem Film? Wieder eines dieser so
genauen und hinreißenden Details: Luca Messina, der hagere Italiener, ist ins
Boot gesprungen, jagt davon. Otto Westermann mit seinen
Wirtschaftswunderkörperrundungen hopst ins nächste Boot, will hinterher, und
knallt erstmal gegen die Hafenmauer. Weil er das ja noch nie gemacht hat. Und
auch das Verfolgen auf dem Wasser erstmal lernen muss.
Harald Mühlbeyer