Grindhouse-Nachlese November und Dezember 2013 – Fragmente an Sinn und Material
30. November 2013, Cinema Quadrat, Mannheim:
„Five
Dolls for an August Moon“, Italien 1970, Regie. Mario Bava.
„Long de ying zi“ / „Bruce Lee - Der Unbesiegte“, Taiwan
1981, Regie: Bruce Li.
28. Dezember 2013, Cinema Quadrat, Mannheim:
„I crudeli“ / „Die Grausamen“, Italien/Spanien 1967,
Regie: Sergio Corbucci (abgebrochen)
„Emmanuelle“ / „Emanuela“, Frankreich 1974, Regie: Just
Jaeckin (nicht gezeigt)
Man hört so mancherlei über die neue digitale Kinotechnik.
Hinter vorgehaltener Hand beklagt sich der Vorführer bei den Hofer Filmtagen
heftig über die Schwierigkeiten mit dem Material, über das langwierige
Überspielen auf Festplatte, über zu beschaffende Freischaltungsschlüssel, über
den ganzen logistischen, organisatorischen, technischen Krams, der in der
Hektik eines Festivals kaum zu schaffen sei. Und bei FILMZ in Mainz, so heißt
es, sei ungefähr jeder Film verpixelt, verzerrt, flackernd gelaufen, weil die
digitalen Daten sich nicht an das hielten, was die Filmemacher vorhatten.
Andererseits: Der Kurzfilmwettbewerb des diesjährigen
Exground-Festivals verzögerte sich um gut zwei Stunden, weil – jawohl: Weil der
einzige 35mm-Film im Reigen nicht laufen wollte. Den hatte man sinnigerweise
mitten rein programmiert, um mit sportlichem Ehrgeiz möglichst viele
Medienwechsel zu schaffen, von digital auf analog und wieder zurück… Allein: Der
Ton wollte nicht, deshalb, haha, wurde der Film „Der Passagier“ von Marcus
Reichardt schlussendlich profan von DVD durch den Saal auf die Leinwand
gepfeffert.
Und beim Dezember-Grindhouse-Abend, auf den ich mich richtig
gefreut hatte, da passierte was… ihr werdet’s kaum glauben: Da sollten
16mm-Filme abgespielt werden, als kommunales Kino ist es Ehrensache, einen
passenden Projektor in petto zu haben; und weil es eines der ältesten
kommunalen Kinoprojekte ist, und weil schon mehrere Generationen von Cineasten
mitgearbeitet haben, finden sich im Keller, unter unwürdigen Lagerbedingungen,
ein paar Dosen mit ein paar Rollen alten 16mm-Films, diverse Genres, diverse Level
von Nieder- bis Hochkultur… vorzeigbar sind beispielsweise Corbuccis
halbvergessener Western „Die Grausamen“ und der notorische
„Emmanuelle“-Streifen.
Allein: Der Projektor ging kaputt, nach einem halben
Western. Und wir wurden nach Hause geschickt.
Nun hätte dies hier eigentlich ein Text werden können mit
tiefsinnigen Reflexionen über filmische Qualität und Vorführqualität, die oft
genug in reziprokem Verhältnis zueinander stehen. Denn Ende November –
rechtzeitig zur Grindhouse-Zeit – war im Cinema Quadrat ein überhypermäßiger4K-Projektor eingebaut worden, auf den das Kino zurecht stolz sein kann: Die
Bildqualität ist absolut bestechend, insbesondere in dem kleinen Raum des
100-Sitzplätze-Saals.
Der Megabeamer freilich ist so riesig, dass das
Projektionsfenster vergrößert und ein Holzverschlag-Vorbau gebastelt werden
musste, weil das Sony-Gerät nicht in den Vorführraum passte.
Und ach, könnte man hier metaphorisch werden, wie die neue Technik in die alten
Säle eindringt, Raum und Zuschauer verdrängt, wie es den Mini-Kommunalen
überstülpt wird. Wie die Technik immer mehr Platz einnimmt vor den Inhalten,
wie der Gerätepark die Bedingungen vor Ort diktiert und sich das Kino als Raum anpassen
muss etc.
Aber, Mann – hatte ich es schon erwähnt? Die Filme des November-Grindhouse-Abends,
wiewohl von DVD abgespielt, sahen echt super aus, man glaubt es kaum: Trash in
Hifi-Qualität!
Inhaltlich freilich mag es da knattern, rattern, flackern
und reißen – vielleicht liegt es ja auch an mir, aber die Novemberfilme hab ich
nicht geblickt. Der eine: Exemplar des Bruceploitation-Subsubgenres; der andere
ein Giallo, die sich ja ohnehin mehr durch Style denn durch Content
auszeichnen.
Da hat also einer namens Bruce Li beschlossen, einen auf Bruce Lee zu machen; und zudem eine Art selbstreflexives Kompendium des Kungfu-Eastern-Films zu kreieren. Nach dem Tod des echten Bruce Lee gab es ja eine Menge Avatare, Epigonen, Karnevalskämpfer – das Kriterium der Ähnlichkeit wurde um eines erhöhten Filmoutputs schnell vernachlässigt; Schlitzaugen und ein paar Moves reichen im Allgemeinen. Bruce Li aber, der hier einen Kungfuer namens Change Wei spielt, macht seine Sache recht gut, was Kämpfeactionstunts angeht. Freilich, die Story…
Da läuft also ein John – weiß, mit enormem Schnauzer und
großer Klappe – in Asien rum und geht erstmal in einen Kungfu-Klub, um zu
zeigen, wie man so richtig austeilt. Er führt sich auf wie ein Arsch, bis ihm
Li/Wei zeigt, wo der Hammer hängt. Gleich darauf sind sie beste Freunde und
wohnen beieinander. Wei freilich hat Geldsorgen und heuert, wie es halt so ist
im Kungfugewerbe, bei einem Versicherungskonzern als Makler an. Hat da aber
erwartungsgemäß wenig Erfolg, wird dafür immer wieder in Kämpfe verwickelt,
einfach so, weil grad einer rumsteht und sich hauen will. Abends dann
Handentspannung mit John – sprich: Man trainiert. Manchmal kloppt man sich auch
gegenseitig freundschaftlich oben auf’m Hausdach, um dann postkoital ermattet
aneinanderzusinken. Voll schwul, interessanterweise: Wie die kämpfende
Männlichkeit sich (ungewollt?) in die homoerotischsten Zonen ergießt…
Im Versicherungskonzern ist natürlich Korruption und Betrug
gang und gäbe. Weis Chef macht krumme Geschäfte mit einem Filmproduzenten, der
sich sanieren will, indem er seinen größten Kungfustar auf zwei Millionen
Dollar versichern und dann absichtsvoll ins Messer laufen lassen will.
Irgendwie gerät Wei da rein mit dem Ergebnis, dass er sich erstmal mit dem
Film-Kampfmeister prügeln muss. Um dann dessen Freund und Stuntman zu werden.
Ab hier wird es konfus.
Der Versicherungsjob spielt fortan keine Rolle mehr.
Stuntman bedeutet in dieser filmischen Logik, dass man auch mit Wei die
Versicherung betrügen kann; mehrere Mordanschläge von unterschiedlichen Typen
aus unterschiedlichen Gründen folgen und münden in, na was wohl, Prügeleien.
Wobei auch Nunchakus zur Anwendung kommen, diese Stöcke, die durch Ketten
miteinander verbunden sind und mit denen man so schön posen und rumwedeln kann.
Das erfreut die Jugend der 1980er Jahre!
Lustig sind natürlich die Film-im-Film-Szenen, in denen die
Tricks des kunstvollen Vorbeihauens und spektakulären DurchdieLufthüpfens
ausgiebig vorgeführt werden – ein Blick in den Zauberkasten der Kampfeffekte.
Doof nur, dass die Filmemacher zu doof waren, die Szenenreihenfolge korrekt zu
schneiden, so dass Wei seinem Intimus John zuerst mal erklärt, wie Stuntmans
zuhauen müssen – indem er rohe Eier auf der Dachterrasse aufhängt und knapp
dran vorbeikickt –; aber dies bevor ihm von den Filmleuten erklärt wird,
worauf man als Stuntman so alles zu achten hat…
Jetzt ist dies natürlich kein Enthüllungsfilm über die
Tricks der Filmleute, wo ja am Set alles gar nicht echt ist und alles nur
gefaked zum Vergnügen der Zuschauer, denen die Leinwand als Brett vorm Kopf eine
erlogene Wirklichkeit vorgaukelt. Nein: Vielmehr wird hier das Handwerk des
kunstvollen Kunstgriffs gefeiert, zuzuschlagen ohne zuzuschlagen,
sprich: Der ist ein Superstar, der den Kämpfer so richtig gut mimen kann. Im
Übrigen wird der Produzent von Thomas Reiner – sprich: Prof. Farnsworth aus
Futurama – gesprochen, was einen noch surrealeren Touch verleiht. Denn der Film
baut immer mehr Quatsch aufeinander, jeder hat jetzt immer irgendeinen Plan, um
die Dreharbeiten zu sabotieren und Stuntmen und/oder Star und/oder Versicherung
zubetrügen. Ein geheimnisvoller Superkungfuspezialist spielt auch eine Rolle,
er wurde – vom Kungfufilmproduktionsveteranen – als Berater unter lauter
Kungfufilmspezialisten engagiert und ist eigentlich ein Killer. Die Frau vom
Star hat auch eine eigene Agenda. Es ist verwirrend. Am Ende eine Auflösung,
die so gar nicht zum Rest des Films passt, weil plötzlich der Freund von Wei es
auf ihn abgesehen hat; Anlass, sich in einem Haus zu prügeln und dabei die
Wände einzureißen.
Mario Bavas „Five Dolls for an August Moon” hat einen
seltsamen Titel (wie ja auch der vorherige „Bruce Lee – Der Unbesiegte“
eigentlich „Bruce Li“ heißen müsste) – was soll das heißen, Puppen, August,
Mond? Aber, klar: Bei Bava sieht alles immerhin gut aus, mit großem Gespür fürs
stimmige Design in Primärfarben, und das hypermoderne Haus aus Stahl und Glas,
wo sich alles abspielt, ist halt auch ein dolles Filmset…
Wir sind auf einer Insel, ein paar reiche Schnösel verbringen
hier ihre Ferien, die schönen Frauen sind auch dabei, drei Geschäftsleute
wollen einen vierten dazu bringen, eine wichtige Geheimformel rauszurücken, und
nach und nach werden sie gekillt von einem geheimnisvollen Mörder. Das ist an
sich gut und schön, und wer Agatha Christies „Zehn kleine Negerlein“ kennt,
wird hier nochmal an der Nase rumgeführt (was denn auch zum Zuviel des
Films führt). Zumal der Anfang ist effektvoll, eine schöne Frau streift durch
die Dünen, während im Supermoderndesignhaus die Reichen und Schönen eine
dekadente Party feiern, mit all der Ennui, die den oberen Zehntausenden so gut
zu Gesicht steht. Leben in die Bude soll ein Mörderspiel bringen, eine der
Frauen wird als Opfer ausgesucht, gebunden und ins Dunkle getrieben – zack,
geht nämlich das Licht aus, grade als der Gastgeber ein anscheinend satanisches
Ritual zelebrieren will, wir sind in höchster Spannung, wer ist der Mörder!
Denn die Frau liegt da in ihrem Blut, ein Messer in der Brust – haha, es ist
nur ein Scherz, sie zieht das Theatermesser weg, wischt das Ketchup ab,
Erleichterung.
Bis am nächsten Tag der Diener tot auf der Yacht aufgefunden
wird, eine der Damen hatte ein Verhältnis mit ihm, ist aber nicht schlimm, alle
leben in offenen Beziehungen; und die junge Schöne streift noch immer durch die
Dünen, und die Geschäftsmänner wollen noch immer hinter die Formel kommen. Und
wieder wird einer umgebracht, und wieder wird – weil man nicht wegkann von der
Insel – eine Leiche in die Kühlkammer verbracht. Dort werden sie an
Fleischerhaken baumeln, mehr und mehr, es wird eng, weil immer mehr fallen. Warum?
Das ist wurscht. Durch wen? Auch das interessiert nicht. Und die junge Frau in
den Dünen, die sich immer absondert, die immer nur guckt? Die ist dem Film auch
völlig wurscht, er zieht sie nie als Täterin oder Opfer in Betracht, und der
Zuschauer ist irritiert.
Toll freilich eine Sequenz im Mittelteil, so gegen Ende des
zweiten Drittels: Es sind noch zwei Männer und eine Frau übrig (plus die Junge
in den Dünen, die aber aus unerfindlichen Gründen nicht zählt), und die Frau
spricht auf ein Tonband: Sie ist auf der Insel gefangen, einer der beiden
anderen ist der Mörder; dann trinken sie einen Cocktail; dann schlafen alle
ein. Das Tonband läuft weiter.
Und dann sind alle weg. Just in dem Moment, als eine
Schiffsmannschaft als Rettung eintrifft, das Haus durchsucht, aber niemanden
findet. Alles ausgestorben. Der Zuschauer ist baff. Der Boden ist ihm unter den
Füßen weggezogen. Zeitsprung? Parallelwelt? Traumebene? Plötzlich ist alles
möglich, plötzlich schein alles erlaubt. Als Kapitän und Matrosen wieder
abziehen, unverrichteter Dinge, sind die drei wieder da. Und schwupps: Wissen
wir, wer der Mörder ist, weil er alles verrät. Er hat raffinierterweise die
anderen in Schlaf versetzt, weggeschleppt, versteckt, damit die Retter nichts
mehr zu retten haben – das wird alles ein bisschen zäh aufgefächert, und dabei
vergisst Bava, was uns Zuschauern die ganze Zeit bewusst ist: Dass das Tonband
mitgelaufen ist, dass man es einfach hätte abhören können, bevor der
Herr Mörder die Oberhand gewinnt, bevor noch ein paar Leichen ins Kühlhaus
verfrachtet werden… Exemplarisch zeigt sich, wie gute Ideen durch halbgare
Logik innerlich wurmstichig und äußerlich faulig erscheinen können.
Zumal es sich Bava nicht nehmen lässt, einen blödsinnigen
Epilog anzukleistern, in dem die naive Schöne plötzlich einigermaßen durchtrieben
wirkt (ähnlich wie Carmen Sternwood in Chandlers „Tiefem Schlaf) und
wundersamerweise einer der Toten wiederaufersteht – als Mörder in einem ganz
anderen Fall, der gar nix mit diesem Film zu tun hat. Man kann halt alles
übertreiben und überziehen!
Was Sergio Corbucci zweifellos auch macht, aber auf eine
raffinierte Weise, und innerlich stringent. Da nimmt er in „Die Grausamen“
Joseph Cotten – den Joseph Cotten – und macht ihn zu einem obsessiven,
rasenden Südstaatenfanatiker, der auch nach dem Bürgerkriegsfrieden „seine“
Staaten befreien will. Beten und massakrieren, zum Wohle seiner Nation – einem
Hinterhalt mit Dynamit und gezielten Schüssen fällt ein 30 Mann starker
Nordstaaten-Konvoi zum Opfer, ein böses Erschießen in schnellen, brutalen
Schnitten, dann sind alle tot. Und fortan steht ein Sarg im Mittelpunkt des
Films, in dem nicht wie im Vorjahres-„Django“ ein Maschinengewehr versteckt
ist, sondern zunächst Patronengurt, Schnapsflasche und Galauniform von Oberst
Jonas Morrison, und dann eine Menge Geld, das dieser im Namen der Südstaaten
von den Nord-Soldaten geklaut hat. Geld, das nun auf einen langen Weg gehen
muss, im Sarg, mit Passierschein für einen gefallen Soldaten, der angeblich
überführt wird. Die Witwe hat Morrison auch parat, eine dumme blonde Säuferin,
die konsequent bald das Zeitliche segnet, weil sie nur stört. Eine Neue muss
her, der Passierschein verlangt eine Witwe, der Herr Sohn macht sich auf in den
nächsten Saloon, da gabelt er Claire auf, durchtriebene Falschspielerin und
mutmaßliche Hure, die in diesen Bund von vier selbstzerstörerischen Radikalkonföderierten
aufgenommen wird, ein Bund, der vom Menschenhass zusammengehalten und zugleich
innerlich zerfressen wird – das ist herauszulesen aus der ersten Hälfte von
„Die Grausamen“, bevor ein popeliger Antriebsriemen im 16mm-Projektor riss und
die Vorführung abgebrochen werden musste.
Weil alte Technik auch bei alten Filmen versagt, weil die
„Grausamen“ zwar inhaltlich großartig sind, mit bösem Blick auf böse Männer –
weil aber anscheinend der Projektionsapparat dies nicht aushält. Schade.
Vielleicht kann sich das Cinema Quadrat einen neuen Riemen
leisten. Und einen Ersatzriemen dazu. Damit es nicht monopolisch angewiesen ist
auf digitale Filmdaten, damit auch die Schätze aus dem Keller gezeigt werden
können. Damit „Die Grausamen“, ausgebleicht und rotstichig, wie sie sind, noch
eine Chance bekommen können, in einer
anderen Doppelnacht, in einem anderen Monat – und vielleicht mit einem anderen
Filmpartner, weil „Emmanuelle“ halt wirklich total doof ist, 16mm hin oder her.
Harald Mühlbeyer