Zu FÜNF JAHRE LEBEN
Im Verleih von Zorro Film ist ein bemerkenswerter Film gestartet, den Sie
vielleicht, hoffentlich, auch immer noch in einem Kino in Ihrer Nähe sehen
können (wir wissen ja, wie schnell vor allem deutsche Filme aus selbigen
schnell verschwinden). Gemeint ist FÜNF JAHRE LEBEN von Stefan Schaller. Der
lief Anfang des Jahres auf dem Max Ophüls Preis in Saarbrücken, war und ist
m.E. beeindruckend. Nicht nur, aber auch, weil ich mich mit dem Thema
Terrorismus und politische Gewalt schon eine Weile befasse (ein entsprechender Text HIER).
Der Film handelt von Murat Kurnaz, dem „Bremer Taliban“, der über Jahre
als Terrorismusverdächtigter im Gefangenenlager von Guantanamo inhaftiert und
auf eine Weise behandelt wurde, wie es sich für einen Krieg gegen „den“
Terrorismus insofern, simpel gesagt, nicht gehört, als man so eben jene
Werte preisgibt, die es doch zu verteidigen gälte. Dass hier Schindluder im
Namen der Sicherheit und Gefahrenabwehr getrieben wurde, ist keine Behauptung,
keine Erkenntnis, die sich FÜNF JAHRE LEBEN groß zu eigen machen müsste –
nichts, was als Verteidigung Kurnaz‘ in dessen Buch oder seinen
Auftritten vor den deutschen Fernsehkamera nach seiner Freilassung rekapituliert
würde. Sondern ein mehr oder weniger – und entsprechend mehr oder weniger gar
nicht mal von betreffenden Stellen bestrittener – Umstand, dessen Skandal darin
liegt, dass der „Fall Kurnaz“ kein solcher in angemessener Weise wurde.
Dass und wie Kurnaz ins US-Militärlager auf Kuba verbracht wurde, wie –
gelinde gesagt – unrühmlich sich nicht nur die zuständigen amerikanische Stellen, sondern
auch die bundesrepublikanischen Verhalten haben, auch und gerade als klar war,
dass es sich um keinen „Gefährder“ handelte, dass ist alles recht bekannt und
aufbereitet. Es ist also nicht Stefan Schaller zuzuschreiben, wenn er dieses a)
zum Thema macht und b) daraus eben kein Politikum (mehr) strickt mit seinem Film.
Schaller, ein sympathischer junger Mann, zurückhaltend und voller Verve für sein Thema, verfolgte die Geschichte der Bremer Rabauken, der
zum Islam fand und schließlich als Radikalislamist unter vielen in einem Käfig
landete, schon vor seinem Studienbeginn an der Filmakademie in Ludwigsburg. Er
hat den Fall – auch, aber auch davon unabhängig – in engem Kontakt mit Kurnaz
für die Leinwand aufbereitet. Als sein Abschlussfilm. Allein dafür gebührt ihm
Respekt. Darüber hinaus aber ist FÜNF JAHRE LEBEN kein Polit-Lamento geworden,
auch kein Gremienfördermelodram. Vielleicht doch, zumindest: beides zusammen.
Aber auch mehr. Und das ehrt Herrn Schaller.
FÜNF JAHRE LEBEN handelt von dem, was Kurnaz erdulden musste. Der Film
zeichnet ihn nicht als einfaches Unschuldslamm, auf dass wir uns simpel über
die Unmenschlichkeit des Guantanamo-Lagers empören könnten. Es ist ein Seelen-
und Menschlichkeitsduell, das der Film entwirft. Einerseits ganz in den
Konventionsrahmen der guten Kinoerzählens, das auch immer emotional packen will
und anrühren soll. Ein Heuchler, der hierin eine Verfehlung sieht und ein
Idiot, der es lediglich dem Film vorwirft und dabei nicht das Konstitutionelle des „Mediums“
selbst (und darin die Güte und die Erkenntnisbefähigung darin) erkennt.
Wir haben Kurnaz, auf der anderen
Seite den US-Verhörbeamten, der selbst unter Erfolgsdruck steht, vielleicht gar
selbst nicht an die – ohnehin obszön potenzielle, zumal gesinnungshafte – „Schuld“
des Internierten glaubt. Hitze, Kälte, laute Musik, Schlafentzug – das sind die
Maßnahmen, die man dem mehrdimenionalen Häftling (von Unbotmäßigkeit bis
Naivität) angedeihen lässt. Andere, perfidere, persönlichere Brechungs- und Manipulationsmethoden
exerziert FÜNF JAHRE LEBEN durch (dabei: immer auch am Publikum): Die falsche Hoffnung,
freigelassen zu werden. Ein zynisch zensierter Brief von der Mutter, in dem vor
lauter Schwärzung nichts mehr übrig bleibt. Schaller führt hier ein System vor.
Das ist legitim. Er zeigt aber auch dessen eigene, inhärente Hilflosigkeit auf.
Das ist mehr, als man erwarten dürfte bei einem „kritischen“ Film. Sicher, FÜNF JAHRE LEBEN ist eingängiger, vielleicht auch sinnfälliger, auf keinen Fall aber simpel,
als es die Wirklichkeit war. Was womöglich gar Kurnaz selbst missverstand, als er sich
darüber beschwerte, dass eigentlich alles viel härter war und „er“ in dem Film
eher wir ein „Weichei“ wirkte.
Die große, vom Einzelfall zu extrahierende
Botschaft von FÜNF JAHRE LEBEN ist allerdings: dass und wie man einen Menschen
brechen kann, gewinnen kann, weil man ihn „da“ hat, wo man ihn haben will – und
genau darin, dadurch verliert. FÜNF JAHRE LEBEN macht, was Filme in diesem
thematischen Grenzgebiet nur selten schaffen: Aufzuzeigen, dass – bei allen
Selbstmordattentätern mit ihrer fremd- und eigenmörderischen Selbstauslöschung und
„altruistischen“ Aktivisten – Märtyrer nicht anders ein können als dann doch:
gemacht.
FÜNF JAHRE LEBEN erzählt weniger durchkalkuliert oder auf Nummer sicher
als entlang der universellen Filmsprache genau.
Ein Unterschied, der heutzutage und das gerade in der Filmkritik gerne und
fahrlässig in eins gesetzt wird.
Fast schwerer noch wiegt eine bereitwillige Gleichgültigkeit, die gerade
jenen Rezensenten ihre Stellung unterminiert, die selbst doch so gerne
ausgebaut oder zumindest verteidigt sehen (ihre wegweisende Relevanz) – keine Deformation des deutschen
Kinos, sondern die Illustration seiner Defomierung als Prozess im Schreiben
über (also: als Wahrnehmung von) Filme(n) in Deutschland: Martina Knoben in ihrer Besprechung auf süddeutsche.de bemängelt etwa den im Presseheft von Schaller
benutzten (neutralen, dramaturgietheortisch etablierten) Begriff der "Heldenreise", und: „Will
man den Widerstand gegen ein System, in dem Menschenrechtsverletzungen nicht
nur ‚passieren‘, sondern gewollt und geplant sind, auf das dramatische Muster
des Zweikampfs reduziert sehen?“ Das aber heißt, einen Film zum einen auf
ein vielleicht (oder: in diesem Kontext) unglückliches Wort zu reduzieren und,
zum anderen, die ureigensten Präsentationsformen des Erzählkinos in seinen Grenzen
und Möglichkeiten zu verkennen. Denn, ja, das dramatische Muster des Zweikampfs
ist – hier – absolut gerechtfertigt, und es ist es auch in anderen großartigen
Filmen zuvor schon gewesen. Allein, weil das klassische „Hollywood“-Erzählen
seit jeher personalisiert hat und darin auch durchaus mehr Wahr- und Weisheit
zum Ausdruck gebracht hat als formale und erzählerische Abstraktionen, die
nicht per se mehr Wirklichkeit zu fassen bekommen.
Moritz Piehler auf spiegel-online betitelt seine Rezenzion mit „Wie ein ‚Tatort‘
aus Guantanamo“, kritisiert, dass Kurnaz Wandlung zum gläubigen Muslim nicht
nachvollziehbar gemacht werde und die Verfehlungen der Schröder-Regierung in
der Sache vernachlässigt würden. Dass erste aber macht einen großen Reiz des
Films aus, weil es die Figur Kurnaz eben nicht auserzählt und damit zum
einfachen „Opfer“ deklariert. Der andere Punkt zielt auf einen zeitgeschichtlichen Seitenstrang, der mit
dem Universellen, dem sich der Film widmet, nichts zu tun hat und als ein allzu
simpler, fast naiver Ruf nach einem Rundum-Angemessenheit der Aspektvielfalt ebenso am Kern von FÜNF JAHRE LEBEN vorbeigeht. (Gerade so, als läge die
Offenbarung in einer hinreichenden Vielfalt von Facetten).
Solche Forderung und Einwände wären angebracht, ginge es hier um das Multimillionen-Euro-Projekt
etablierter Regisseure, ein Event- und Amphibien-Kino. Oder eben tatsächlich:
einen „Tatort“. Bei aller Filmförderung und Koproduktion handelt es sich bei
FÜNF JAHRE LEBEN um einen Diplomfilm eines Filmstudenten. Einem, dem es
nicht nur gelungen ist, eine kluge und emotionale packende
Geschichte zu liefern, sondern auch mit relativ albern geringen Finanzmitteln eine
Werk hinzulegen, das Guantanamo in Deutschland auch kulissentechnisch rekonstruiert
und generell eine Qualität aufweist, die international sehenswert, verständlich
und ansprechend ist.
Dass und wie Stefan Schaller sich eines solch dimensionierten, heiklen Stoffes
angenommen hat, ist bewunderns- und nachahmenswert. Dass Filmkritiker
angesichts eines Erstlingswerks, das sich jenseits von üblichen Stimmungs- und
Befindlichkeitswerken bewegt und zu bewegen traut, keine verständigen, eigenständigen Bewertungsmaßstäbe und -kategorien zur Hand haben (sich aber
unbedingt auf solche stützen zu müssen scheinen), verrät allzu viel über unser
Verhältnis zu Newcomern und einen deutschen Film, der über sich hinaus
verweist. Ein Armutszeugnis nicht für junge und kommende Filmemacher, sondern für
die visionsarmen und maßstabsstarren bzw. -beschränkten Augen derer, die hierzulande über das aktuelle Kino befinden und letztlich, womöglich, wieder zurückwirken.
zyw