Festival des deutschen Films Ludwigshafen: Mit Rudolf Thome "Ins Blaue"
Ach, jetzt ist aber was Dummes passiert auf dem Ludwigshafener Filmfest. Kann immer mal wieder vorkommen, ist aber trotzdem ärgerlich.
Da fängt alles so schön an, eine Fahrt ins Blaue, durchs sonnige Italien, drei Frauen on tour, Übernachtung im Zelt, nackt natürlich, ein Herr ist auch als lieber Besuch mit dabei, frühmorgends Lauf durch den feinen Sand der idyllischen Bucht, Nacktbaden im Meer, und im Hintergrund - ein zauberhafter Moment - springt ein Orca aus dem Wasser. Herrlich.
Und dann das. Wir springen zum Vorabend. Inzwischen weiß der Zuschauer, dass der Mann ein Mönch ist, den die drei frisch fröhlich frei unfromm verführen wollen - was der willig mit sich geschehen lässt. Als Vorspiel aber philosophisches Geplängel; Bruder Franziskus erklärt sowas wie - ich paraphrasiere: "Der Allumfasser, der Allerhalter, faßt und erhält er nicht dich, mich, sich selbst?" - was ja immerhin ein Standpunkt ist. Eins der Mädel, die, wie stolz erklärt wird, Philosophie studiert, entgegnet kurz und bündig: "Nietzsche sagt, Gott ist tot. Und ich glaube, er hat recht." Ende der Diskussion, Ende der Szene.
Und das, meine Damen und Herren, nenne ich dumm.
Es kommt noch mehr. "Ins Blaue" hätte so schön sein können, wenn sich der Film nicht ständig selbst in die Quere käme. Drei Mädels, die aus Übermut einen Mönch verführen: OK. Immerhin hat er ihren kaputten VW-Bus repariert. Später dann: Ein stummer einheimischer Fischer - stumm deshalb, weil sein Darsteller kein italienisch kann - verschleppt die Naivste der Reisenden in seine Höhle, zeigt ihr Fotos von seinen vielen Gespielinnen, dann bumsen sie. Später dann wird die Älteste mit einem echten Philosophen ins Bett steigen: Das ist Herbert Wittgenstein, "ja, der Sohn des großen Philosophen", wie er sich vorstellt - auch so ein dummer Spruch: Würde der Sohn des großen Philosophen drauf hinweisen, dass er der Sohn des großen Philosophen ist, wenn dieser Sprössling tatsächlich, wie behauptet, ebenfalls ein großer Philosoph ist und nicht nur einer, der seine Groupies vernaschen will? "Darf ich Sie ausziehen?" - "Eigentlich nicht, aber wenn Sie meinen, Herr Doktor...": Auch wieder so ein ärgerlicher Dialog, zum Heulen. Bzw. zum Lachen.
Weil zu diesem Zeitpunkt natürlich schon längst klar ist, was das für ein Film ist, der da gedreht wird: Nicht das Kino des 21. Jahrhunderts, wie es Nike Rabenthal, fiktive, von Alice Dwyer gespielte Regisseurin dieses Schmonzes-Film im Filmschmonzes, stolz von sich gibt, sondern ein Softsex-Heuler von vor 35 Jahren. Drei Mädels auf Reisen, die mit jedem ins Bett steigen, der sich lohnt. "Oh, Herr Doktor, Sie haben so einen langen und dicken Verstand!" - "Oh, ein Fischer mit ganz langer Rute!": Sowas erwartet man sekündlich, und mitunter wird man, siehe oben, nicht enttäuscht.
(In diesem Zusammenhang ein kleiner Hinweis auf das schöne Buch "Alpenglühn 2011" von Ulrich Mannes, der Mann hinter Sigi Götz Entertainment, in dem die erstaunliche Karriere von Siegfried Rothemund alias Siggi Götz rekapituliert wird; hervorragend geeignet, um Online-Bestellungen via Buchbeigabe versandkostenfrei zu machen...)
Der Film "Ins Blaue", der mit den drei Mädels, ist der Film, den Nike in der Rahmenhandlung dreht. Mit einem kleinen Filmteam und großen Hoffnungen fährt sie drehend durch Italien, mit dem Papa als Finanzier im Rücken, der aber das Geld nicht zusammenbekommt und deshalb die Rolle von Herbert "Stecher" Wittgenstein einnehmen muss. Während Nike mit Kräften bemüht, Lockerheit ans Set zu bekommen, Spontanität ins Spiel und Improvisation in den Ausdruck zu kriegen, um total frisches, magisches Leichtigkeits-Philosophie-Kino hinzukriegen. Also im Grunde genau das, was Rudolf Thome (mit Betonung auf dem e) zeit seines Filmemacherlebens suchte und hier als Überregisseur des Filmes "Ins Blaue", der von den Dreharbeiten zum Binnenfilm "Ins Blau zeigt.
Nike übrigens verhält sich so doof wie ihre Protagonistinnen. Verführt den Tonmann, den sie schnucklig findet (er hat ja auch eine lange Angel...!), zu einem Gläschen Wein, obwohl sie weiß, dass er trockener Alkoholiker ist. Ach komm, ein Glas macht doch wohl nichts aus!
Klar wird er besoffen, verkackt Aufnahme und Aufnahmegerät, und auf Papas Schoß gekuschelt traut sich Nike nicht, den Tonmann rauszuschmeißen.
Sicher ist es immer ganz nett, eine Handlung zu brechen dadurch, dass sie als Film im Film gezeigt wird; damit selbstreflexiv das Filmemachern selbst zu behandeln, vielleicht auch sowas wie ein filmisches Credo zu verkünden. Doof nur, wenn der Film wie auch sein Film im Film ganz und gar nicht das werden, was sie zu sein behaupten. Wenn völlig ironiefrei drei Betthupferl gezeigt werden, die einigermaßen hohl in der Birne zu nennen nicht zuwenig behauptet ist; und wenn die Rahmenhandlung des Filmdrehs auch keine weiteren Erkenntnisse liefert als die, dass irgendwo da draußen vielleicht eine Vision lauert, die aber dann doch von keinem gesehen wird.
Immerhin erleben wir nochmal Vadim Glowna, in seiner Paraderolle als monströse Vaterfigur, als tiefsinniger Erotomane. "Ins Blaue" stammt aus dem Jahr 2011, dies ist sein letzter Film. Ins Kino gekommen vor knapp einem Jahr, im Thomes Eigenverleih; und jetzt hier in Ludwigshafen nochmal im Wettbewerb um den Filmkunstpreis...
Harald Mühlbeyer