Grindhouse-Nachlese April 2013 - "Frauengefängnis" und "Flashman"
„Frauengefängnis“ / „Barbed Wire Dolls“, CH 1975, Regie:
Jess Franco
„Flashman“,
IT/FR 1967, Regie: Mino
Loy
Die Zustände sind unhaltbar. Willkürlich werden Frauen
inhaftiert und gefoltert, erniedrigt und gedemütigt mit dem ausdrücklichen
Willen, sie zu brechen. Heribert Prantl würde hohldrehen und ganz, ganz wütende
Leitartikel schreiben bei den grausamen Spielchen, die im „Frauengefängnis“
getrieben werden!!!
Eine Rothaarige muss 30 Tage hungern, mit schwerer Kette um
den Hals an die Wand geleint, der Nudeltopf gerade außerhalb der Reichweite –
eine Qual, wie sie die griechischen Götter nicht perfider sich hätten einfallen
lassen. Und sie ist nackt dabei! Kein Wunder, dass sie verrückt wird und
fortan nur noch kindisches Zeug brabbelt. Obwohl: Das hat sie ja vorher auch
schon, zwischen dem Schreien, Schimpfen, Flehen: „Ihr könnt mich töten, aber
lasst mich nicht verhungern! Dazu bin ich zu schwach!“ Ist das reiner
Schwachsinn? Oder ein ganz neues Maß an Realismus, der all die normalen Signale
des Fiktionalen hinter sich lässt?
Das, was in anderen Filmen Exposition ist, ist hier eine beliebige Aneinanderreihung von Szenen mit Figuren, die zu kennen der Film vorauszusetzen scheint. Wer Hauptprotagonistin ist, an wem sich welcher Plot wie auch immer aufhängen wird, bleibt im Ungefähren, bis ungefähr zur Mitte des Films, und auch da ist es eigentlich wurscht. Logik; Handlungsstringenz; Dramaturgie; Einheitlichkeit der Figurencharakterisiken etc. – das, was einen normalen Spielfilm, eine erzählende Fiktion, eine erfundene Geschichte ausmacht, ist nicht zu finden. Es muss also wahr sein, was wir sehen. Es muss einfach quasidokumentarisch sein, denn sonst würde ja alles gar keinen Sinn ergeben. Und dann muss der Film politisch sein, es muss eine aufklärerische Absicht dahinterstehen, denn sonst würden ja die Filmemacher – allen voran Regisseur Jess Franco und sein Produzent Erwin C. Dietrich – genau das zeigen und daraus ihre Lust ziehen, was sie an Sadismen und Brutalitäten mit der Kamera einfangen. Ha! Das wäre ja die totale reißerische Heuchelei; völlig undenkbar!
Ja, Jess Franco klärt auf, hart an der Schmerzgrenze, um das
Böse zu zeigen, das Perverse, die physischen, sexuellen Übergriffe, die sich in
totalitären Machtstrukturen überdimensional aufblähen. Oh, wie schlimm geht es
dort zu, in dieser Festung in Südamerika, wo Willkür und Selbstherrlichkeit
herrschen, wo Menschen wie Tiere behandelt werden!
Mit der Rothaarigen vom Anfang in der Zelle: Eine
wunderschöne Blonde, die mit fortschreitender Handlung die Schreie der
Gefolterten immer weniger ertragen kann, und eine Nymphomanin, die sich mit
ihrer Zigarette masturbiert. Mörderinnen und unsittliche Dirnen sind hier
inhaftiert, Rebellinnen, die bekommen, was ihnen gebührt!
Die böse Direktorin mit Monokel im Auge weiß das ganz genau:
Wenn man nicht Härte zeigt, wird man überrannt. Hat sie vielleicht gelernt in
der französischsprachigen Ausgabe von Albert Speers „Erinnerungen“, in der sie
liest: schöner Titel: „Au Coeur du Troisiéme Reich“. Was sie tut, ist zugleich
ihrer Natur ganz und gar zueigen; schön, wenn jemand sein Hobby zum Beruf
machen kann.
Da kann sie die Blonde zu sich rufen, sie auf den Knien
rumrutschen lassen, mit dem Finger ihre Jungfräulichkeit prüfen – was man
gynäkologisch genau sieht – und sich dann von ihr in Ekstase schlagen lassen.
Weils ja auch nicht drauf ankommt, welche Perversion in welche Richtung
ausschlägt. (Dass die Frau Direktorin keine Hose anhat, sondern nur ein
minikurzes Minietwas, lässt ihre natürliche Autorität nur sehr geringfügig
lächerlich erscheinen.)
Der Herr Gouverneur hat’s schwerer, der Potentat ist
impotent und darauf angewiesen, zuzusehen, wenn sein Handlanger Nestor – nein:
kein distinguierter Butler! – die Gefangenen vergewaltigt. Im Übrigen kann der
Gouverneur leider nicht klavierspielen, seine Finger hauen unbeholfen auf den
Tasten rum, gottseidank haben Franco und Dietrich Mitleid und lassen wahllos
eine Melodie übern Soundtrack huschen.
Schwer hats auch der Herr Gefängnisarzt, der gar keiner ist,
sondern, überraschende Offenbarung: eigentlich nur Krankenpfleger, der die
Stelle des Arztes ohne Approbiation, ohne „Zertifikanz“ (H. Schneider)
usurpiert hat. Deshalb ist er erpressbar von der Frau Direktorin und muss
allerlei böse Folterexperimenten an den jungen Leibern unschuldiger Mädchen
durchführen – was ihm freilich auch wieder gefällt, das bringt neue
Gewissensbisse, und er schüttet sein Herz aus: Wenn die Lippen der Gefolterten
vor Angst beben, das kann er nicht aushalten; also quält er noch mehr, denn
wenn sie schreien, kann man noch lauter dagegen schreien… Jaja, die menschliche
Psyche ist total komplex.
Feine Marterinstrumente gibt es. Ein Bett ohne Matratze, auf
dessen Gitterrost sich die Auserwählte nackig legen und sich mit dem ganzen
Körper schütteln muss. Das sollen wahrscheinlich Stromstöße sein. Und dann
kommt der Böse noch mit einem Stock dazu und fummelt der Armen untenrum rum…
Überhaupt das Untenrum: Das hat es Franco angetan, gerne
zeigt er dieses Untenrum von unten, und es ist wohl kaum überinterpretiert,
wenn man diese offenbarende Ansicht metaphorisch deutet als den Spalt, der
durch die Gesellschaft geht, der zwischen Wärtern und Gefangenen, Opfern und
Tätern liegt.
Irgendwann kommt Maria an, und irgendwann merkt man, dass es
sich bei ihr um die Hauptfigur des Films handelt. Weil man von ihr eine back
story bekommt. Und was für eine!!! Sie ist als Mörderin inhaftiert, weil
sie ihren Vater erschlagen hat. Die Wahrheit bekommen wir zu sehen: Der Herr
Papa hat ihr nachgestellt, nicht nur mit lüsternen Blicken, auch mit
übergreifenden Händen. Und sie hat sich nur gewehrt, und er ist gegen den
Kaminsims gestoßen, und da haben wir den Salat. Ein Salat übrigens, der sich
gewaschen hat. Weil nämlich dies der dramatische, der emotionale Höhepunkt des
Filmes ist. Und weil er deshalb filmisch betont wird. Und zwar durch Zeitlupe.
Die nicht technisch produziert wird, sondern physisch: Maria und ihr Papa
bewegen sich einfach langsam, sie stößt ihn ganz langsam von sich, er taumelt
ganz langsam nach hinten, haut sich ganz langsam den Kopf an, fällt ganz
langsam zu Boden… Während die Lampe über ihren Köpfen in Echtzeit hin und her
schwingt. Eine inszenatorische Glanztat, wie sie erst in Schneiders „Texas“ wieder in der Filmgeschichte auftauchen wird.
Maria wird dargestellt von Lina Romay, der Herr Papa von
Jess Franco himself – sie werden später heiraten und zusammenblieben, bis der
Tod sie dann schied. Francos Auftritt: Ein klares Statement zum auteurism;
denn die Bezüge zur Nouvelle Vague sind mehr als deutlich, als
Weiterschreibung, Abkehr, als Umkehrung. Er lässt böse Frauen unschöne Dinge
tun, und benutzt seine Kamera wie einen Stift, mit dem er krakelige Zoten an
eine Toilettenwand kritzelt.
Ein Blockbuster, ein Actionfilm, eine Superheldensause der
zweite Film des Abends. Eine hauptsächlich italienische Produktion, die in der
englischen Synchro vorgeführt wurde, was eine weitere Schraubendrehung bedeutet
dahin, wo „Flashman“ hinwill, zu den US-Comics und den Brit-Agentenfilmen.
Großbritannien. London. Big Ben schlägt 10. Das
altehrwürdige Imperial College of Science and Technology. Im Labor: Ein alter
Wissenschaftler, der den Durchbruch schafft, eine Erfindung, wie sie die
Menschheit noch nicht gesehen hat. Kristallisation der Zellen, Brechung des
Lichtes – kurz: man wird unsichtbar mit diesem Serum… Leider ist der Prof.
nicht unverwundbar, wird von Bösewicht Nummer 1 niedergeknallt, der die
Unsichtbarkeitsessenz klaut und das Labor in die Luft sprengt. Er ist Chef
einer Gaunerbande, von der man nicht so recht weiß, was die Komplizen zu tun
haben, weil Unsichtbarmachen und Banküberfallen nicht nur Chefsache, sondern
auch Alleingang ist. Egal.
In der Bank jedenfalls ein tumber Angestellter, der von
einer zauberhaften Dame angelächelt wird. Die ihm prompt ein Geldbündel vom
Tisch klaut und gegen Falschgeld eintauscht. Hups: der zweite Plot des Films,
mit der zweiten Verbrecherschiene! Eine Bande internationaler
Geldfälscherinnen, die listig ihre selbstgemachten Banknoten gegen echte
eintauschen, direkt in diversen Banken. Toller Plan, der super funktionieren
würde – wenn nicht die erste Verbrecherbande reinfunken würde. Und wenn dieser
eine Angestellte namens Smithers nicht in Wirklichkeit Lord Alex Burman wäre,
der im übrigen die bürgerliche Existenz von keinem geringerem als Flashman ist.
Er hat einen tollen Umhang und eine tolle Maske und auch
eine Schwester, die sich gerne Science-Fiction-haft verkleidet – Engländer,
reiche zumal, haben halt einen Spleen. Und Alex bekämpft eben aus Langeweile
Verbrechen, hat sich in die Bank als Köder für Kriminelle eingeschlichen, wird
dann vom Unsichtbaren überfallen und so weiter und so fort. Klar kommt er dem –
im übrigen teutonisch blondierten – Bösewicht auf die Spur, aber der ist auch
nicht von schlechten Eltern, hat nämlich einen ferngesteuerten Hubschrauber,
und Flashman muss aus höchster Gefahr in die Themse hopsen!!! (Als er das Ufer
hochkraxelt und tropfnass heimtapst, läuft ein Hund ganz unbekümmert über den
Drehort, das hat wahrscheinlich keiner gemerkt… oder es war dem Kameramann und
dem Cutter wurscht…)
Die Verbrechen des Unsichtbaren jedenfalls sind Meisterwerke
– darunter auch ein Besuch im Gefängnis, wo der Schurke diverse Insassen
ausfragen muss. Man sieht ihn nicht! Nur die Pistole, mit der er rumfuchtelt.
Kleider hat er übrigens keine an, die werden ja nicht unsichtbar. Und an den
Gegenständen, die einfach so durch die Gegend fliegen, weil ja der Unsichtbare
sie in Händen hält, sieht man die Fäden fast nicht.
Es geht dann nach Beirut. Weil sich Bösewicht 1 und
Bösewichtin 2 zusammengetan haben und einen reichen Maharadscha rupfen wollen.
Dass sie über Leichen gehen, ist klar. Dass Flashman hinter ihnen her ist,
auch. Und dass er ganz unmotiviert einen depperten Kommissar im Schlepptau hat,
ist begründet im Erfolg der Inspektor-Clouseau-Filmreihe – warum soll man sich
nicht auch da bedienen! Herrlicher Slapstick mit doofen Polizisten hat ja schon
immer funktioniert und verfehlt auch hier seine Wirkung nicht.
In Beirut nehmen Flashman & Sister des Maharadschas Tochter unter ihre Fittiche, während der Kommissar sich mit seinem libanesischen Pendant rumstreitet und die Bösewichter beinahe entkommen. Ah, jetzt habe ich vergessen, hier ein Ausrufezeichen zu setzen, denn alles ist furchtbar spannend!!! Die Handlungsturbulenzen nehmen zu, naja, die Abgeklärtheit des Zuschauers leider auch, der Gewöhnungseffekt, was will man machen, so ein bisschen fängt man an, abzuschalten.
Das Finale ist wieder herrlich. Bootsverfolgungsjagd,
diesmal ist die Frau unsichtbar (und, hechelhechel, nackt, was man aber nicht
sieht, weil wir ja in den 60ern sind) und flieht vor Flashman. Schießt dabei
ein paar Benzinleitungen an, die an Klippen herumhängen, und zündet dann das
Benzin auf dem Meer an, eine Feuerwand, die Flashman in seinem Boot nicht
überwinden kann – denkt man. Aber er hat ja seinen Fallschirm dabei, befestigt
den ans Boot, das durch das Feuer flitzt, oben hängt der Held, und es macht ihm
nix aus, dass unten das Schiffchen explodiert. Wie es uns nichts ausmacht, dass
man die Fahrzeuge als Spielzeugboote erkennen kann.
Am Schluss ist nichts mehr übrig. Die Schurkin, unsichtbar,
ist tot, aber nicht zu sehen, und der Schurke hat sich versehentlich selbst in
die Luft gesprengt, nach spannendem Handgemenge mit Flashman. Der als Retter
der Welt zurück nach London fliegt. Schade, dass sein Fallschirm nicht das
Union-Jack-Muster hat.
Harald Mühlbeyer