Grindhouse-Nachlese Mai 2013 – „Django – Unbarmherzig wie die Sonne“ und „Grand Theft Auto“




Grindhouse-Nachlese Mai 2013 – „Django – Unbarmherzig wie die Sonne“ und „Grand Theft Auto“


Mannheim, Cinema Quadrat, 18. Mai 2013:

„Sentenza di Morte“ / „Django – Unbarmherzig wie die Sonne“, IT/ESP 1968, Regie: Mario Lanfranchi

„Grand Theft Auto“ / „Highway 101 – Vollgas bis die Fetzen fliegen“, USA 1977, Regie: Ron Howard


Zwei Männer in der Wüste, aufgeplatzte Lippen, verbranntes Wangenfleisch und zerfetzte Gesichtshaut, verschmachtend schleppen sie sich durch den Sand – der Verfolgte dem Verdursten nahe, der Verfolger verhöhnt ihn, lässt lachend Wasser über sein Gesicht platschen, die letzten Reste in seiner Flasche vermutlich… Was ein richtiger Verleih ist, der weiß, was ein starkes Bild ist und worauf er seinen deutschen Titel stützen muss; und natürlich weiß er, was beim Zuschauer zieht, weil’s en vogue ist, weil’s verlockend ist. Also heißt Cash in diesem Film Django, und also ist Django „unbarmherzig wie die Sonne“. Auch wenn nur dieser erste Teil des episodenhaften Films auf brennend heißem Wüstensand spielt – das „Todesurteil“ des Originaltitels reißt halt das Publikum weniger vom Hocker, ne. Wobei man anerkennend konstatieren muss: Die deutsche Synchro ist nicht auf Witzischkeit aus, sondern nimmt den Film durchaus ernst.

Es geht, wie könnte es anders sein, um Rache; die Ursache wird, wie könnte es anders sein, per Rückblende erläutert: Djangos / Cashs Bruder wurde von vier Banditenlumpen getötet und ausgeraubt, von Diaz, Montero, Baldwin und O’Hara. In Pietà-Pose hielt Django den Sterbenden, um nun, viele Jahre später, zur Vergeltung zu schreiten. Das hatte ich doch längst vergessen, röchelt Diaz, der durch die Wüste verfolgt wird, und: Gestern war doch alles noch gut!

Ja, gestern – nächste Rückblende, es ist der Tag vor heute: Eine reiche Finca mit mehr als einem Hauch Mexiko, eine Fiesta, Reiterspiele und tanzende Frauen. Dahinein platzt Django und macht Diaz, dem reichen Rancher, die Hölle heiß. Schießerei und Tote, Deckung suchen, Abknallen; Django nimmt die schöne Frau von Diaz als Geisel, in der Scheune, wo der Farmer hat unterkriechen wollen; wieder Schießen, Diaz flieht zum Fenster raus, Django schnappt sich eine Wasserflasche, die passenderweise an der Wand hängt, und hat nun alle Zeit der Welt.
In der Wüste gibt es kein Entkommen. Und auch wenn man selbst fast am Austrocknen ist – einen Fake-Brunnenrand kann man nächtlicherweise noch zusammenstellen, und Diaz, am nächsten Morgen, muss ganz entkräftet feststellen, dass in der Einfassung kein kühles Labsal, sondern nur weiterer trockener Wüstenboden zu finden ist…

Ja: Django ist ein Fuchs. Er kennt die Tricks. Listenreich vollführt er seine Rache, als nächstes am Profispieler Montero, dann ist der brutale Gottesmann Bruder Baldwin dran, dann der verrückte Goldsüchtige O’Hara, ein Albino mit schöner Sonnenbrille – hat nicht auch Tarantinos Django eine solche auf?

Vier Rachestories, aufgehängt an der einen großen bösen Tat vor Jahren. Natürlich hat unser Django im Westen einen Ruf, so wie die Halunken allüberall bekannt sind. Natürlich zieht Django schnell, trifft immer, weiß, auf welchem Dach welcher Ganove auf ihn anlegt, und das ohne hinzusehen. Blondes Haar, stechender Blick, das Äußerliche ungepflegt, innerlich topp drauf: ein Spaghettiwesternheld, ganz klar. Zudem hat er einen sympathischen Spleen: Er trinkt nur und ausschließlich Milch. Klar, als abstinenter Ex-Alki! Aber andererseits: Er muss auch schnaufen, wenn er in Deckung rennt. Er blickt gehetzt um sich, denn die allwissende Übersicht kommt nicht von nichts. Er muss sogar mal nachladen.

Insofern enthält Mario Lanfranchis Western auch realistische Momente, das macht ihn durchaus sympathisch, ja: bemerkenswert. Dass eben nicht nur die Dramaturgie im Grunde auf vier Rache-Kurzstories basiert, ohne dass eine wirkliche durchgehende Handlung den Film trägt – ein ziemliches Unikum in der Italowesterngeschichte. Sondern dass im Helden auch so was wie ein Mensch zu sehen ist. Zumal auch noch seine Gegenspieler starke Charaktere sind: In der ersten, starken Episode etwa der Farmer, der sich eine richtige Existenz aufgebaut hat, der es zu etwas gebracht hat, der stolz ist auf sein Land und sein Getreide, als dieser dahergelaufene Typ aus längst vergangenen Tagen auftaucht und wegen einer geringfügigen Verfehlung von anno dunnemals ihn zur Rechenschaft ziehen will…

In der zweiten Story ist der Spieler Montero besessen davon, dem anderen im Pokerspiel das wichtigste im Leben zu nehmen. Klar, dass der unscheinbare Blonde, der da am Nebentisch sitzt, dem großen Montero dann aber so richtig die Hosen auszieht… Im Übrigen: Das Pokerspiel hat nichts mit Glück oder Betrug zu tun, sondern mit Können. Mit Talent, mit Leistung, mit der Fähigkeit des Spielers, das Spiel richtig zu spielen. Das ist dann doch ein bisschen albern, mit einer gehörigen Portion Chuzpe das Pokerspiel zu etwas ganz anderem zu machen, als es in unserer Wirklichkeit ist. Was halt dem Film einige Risse beifügt, die ihm dann doch die Meriten eines Meisterwerks zerrinnen lassen.

Zumal in dieser Episode auch noch eine Frau eine Rolle spielt. Die wurde sehr schön eingeführt, einer von Monteros Gegner hat sie gesetzt, als er kein Geld mehr hatte, zum Gegenwert von lässigen zehn Dollar. „Bisschen wenig, aber in Ordnung“, befindet Montero… Diese Dame findet Django sehr okay, der sie aber trotzdem nachts vor die Hotelzimmertür setzt. Nach einem Schnitt ist der nächste Morgen und sie liegt tot auf der Straße. Beispiel für den seltsam elliptischen Filmschnitt, der immer wieder Handlungselemente weglässt, die in anderen Filmen große Aufmacher gewesen wären. Wurde nicht genug gedreht? Oder liegt hier eine künstlerische Strategie vor, die ich nicht durchschaue?

Nuja, wie dem auch sei… Seltsam gehen in diesem Film sporadisch die Sinn- und Bedeutungshaftigkeiten des Films auseinander, wenn Tatsachen behauptet werden, die durch nichts in der Realität – weder der filmischen noch der außerfilmischen – gedeckt werden, wenn also der Anspruch, irgendwie als echt zu wirken, und die haltlosen Behauptungen, die der Film aufstellt, weit auseinanderdriften. Pokern ohne Glück, oder, wie in der nächsten Story, Djangos Vorgehen ohne Plan mit der eindringlichen Behauptung, dass sein Tun total planvoll und gewollt sei…

Hier geht es gegen den bigotten Bruder Baldwin geht, einen Prediger und Gottverkünder, der alles andere als Seelsorge verbreitet, eher dafür sorgt, dass im Himmel nie Personalmangel herrscht. Er ist im Namen des Herrn unterwegs, sein eigenes Reich, seine Macht und seiner Herrlichkeit zu verbreiten – wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn, und den eliminiert Baldwin mit großem Genuss. Er ist quasi der schlimmste der Halunken, ein großer Sadist vor dem Herrn. Und Django, der bisher immer den Eindruck gemacht hat, zu wissen, was er tut, rennt blind in die Höhle des Löwen. Wie sonst soll man verstehen, dass er sich auf ganz lächerliche Weise von Baldwin gefangen setzen, demütigen, auslachen, treten, in den Schenkel schießen lässt ohne jede Möglichkeit, zurückzuschlagen oder gar seine Rache auszuführen? Also, außer jetzt den Zufall eingreifen zu lassen. Und das Drehbuch hat Mitleid, Django schneidet sich die Revolverkugel aus dem Oberschenkel, die ungeplant auf ihn geschossen wurde, um sich macgyvermäßig eine Do-it-yourself-Patrone zu basteln, den Bösewicht niederzustrecken und auf die nächste Schnittellipse zu warten, die ihn vor seinen dutzenden Komplizen rettet; die offenbar nämlich nicht eingreifen.

Womit wir bei der vierten Episode angekommen sind. Hier wieder sehr gut: Tomas Milian als Albino-O’Hara ist total durchgeknallt, ein Gold-Verrückter, der auch noch von blonden Frauen besessen ist. Und überall gefürchtet: Wo er auftaucht, wird Gold gegen Blei gehandelt. Django mit super Plan: Wiedereröffnung einer Bank in einem abgehalfterten Örtchen, schon lässt er eine Wagenladung mit schweren Kisten ankarren, ganz klar: Darin muss Gold sein, das soll O’Hara anlocken. Die Gründung einer Bank gegen den Überfall auf eine Bank – O’Hara unterliegt natürlich, denn, o Wunder, o Überraschung, in den Kisten, wo Gold draufsteht, sind nur Steine drin. Eine unverzeihliche Naivität des Films, ist doch sogar der Räuber Hotzenplotz klüger als O’Hara, Django und Regisseur Lanfranchi zusammen (der Kasperl und Seppel die angebliche Goldkiste niemals abkaufen würde!). Jedenfalls folgt dann ein netter Showdown inkl. blonder Nutte, die als weiterer Köder für O’Hara herhalten muss. Finale in einem verfallenen Kloster, rund um das Grab von Djangos Bruder, in dem alle einen Goldschatz vermuten, weil sie ihren Leone kennen.

Wobei der Film in der Tat gewinnt durch seine Leone-Epigonie. Die Kameraarbeit ist ausgezeichnet, mit großen Kinobildern und exzellenten Fahrten, die Einstellungen exquisit passend – wo er nur die Idee mit den leinwandfüllenden Augenpaaren herhat, zwinkerzwinker. Und die Musik ist bestens kopiert von Morricone, Gianni Ferrio plagiiert wenige als dass er pastichiert: inklusive Bach-Anklängen, Einsatz von außermusikalischen Gegenständen und Silben-Herausstoß-Choreinsätzen.




Tatsächliche Filmgeschichte aus erster Hand dann im zweiten Film des Abends: Ron Howards Debütfilm „Grand Theft Auto“, eine Action-Road-Movie-Komödie mit Teenager-Appeal aus der Roger-Corman-Schmiede. Howard, knapp über 20 und von frischem "American Graffiti"-Darsteller-Ruhm, durfte was drehen, schrieb mit seinem Papa Rance das Drehbuch, nutzte ein Budget von 600.000 Dollar, um 15.000.000 Dollar einzufahren. Und, boy: Papa Rance, der im Film auch mitspielt, sieht aus wie Ronnie Howard heute! Soviel zu den Genen.

Die Herkunft ist für Sam ein Problem: Er ist halt nicht reich. Doof, dass er seine Paula Powers so sehr liebt, und sie ihn, dass sich aber ihre Eltern gegen die Hochzeit sperren. Dicke Luft im Powers Mansion! Schwupps klaut die junge Paula den goldenen Cadillac des Herrn Papa, schnappt sich ihren Sam und macht sich auf den Weg nach Las Vegas, geheiratet werden muss schnell. Der Papa, angehender Abgeordneter und eine Autorität in Südkalifornien, mobilisiert seine Mannschaft, inkl. Kameraüberwachung des Fluchtfahrzeuges aus der Luft und Verfolgung durch drei dicke Anzugsträger. Auch mit von der Partie: Collins Hedgeworth, den alle Welt für Paulas Verlobten gehalten hat, mit Ausnahme von Paula. Der, dick und nicht ganz dicht, verlässt sein Polo-Turnier, um im schön gestreiften Pferdedress mit diversen geklauten fahrbaren Untersätzen dem Glück seines Lebens hinterherzubrausen. Hinter ihm wiederum her: Seine Mutter. Die unterwegs einen Prediger aufgabelt und einen Polizisten, der sie alle verhaften will. Collins setzt ein Kopfgeld aus auf den „Entführer“ seiner Paula; seine Mutter setzt eins aus auf Collins. Insgesamt 50.000 Dollar im Jackpot – was sich zwei durchgeknallte Mechaniker nicht entgehen lassen wollen, die im selbstgebastelten Automobilchen mitverfolgen. Der Prediger übrigens auch nur wegen des Geldes dabei, das er als Spende für seine Kirche (sprich: mutmaßlich für sich selbst) einheimsen will. Aus purem Spaß an der Freude mischen auch noch dynamitwerfende Hinterwäldler mit.

Turbulenz ist das Stichwort. Jeder gegen jeden auf den Highways Richtung Vegas. Mit schönen Unfällen, sinnlosen Auto-Flügen, um ein paar alte Mühlen in Schrotthaufen verwandeln zu lassen. Ab und an eine Explosion. Dazwischen rasende Fahrt durch die Wüste. Und Einsatz aller möglicher Autos, vom VW Käfer über das Honeymoonmobil eines alternden Pärchens und diverse Pick-Up-Trucks bis zum bunten Wagen eines Eisverkäuferclowns. Dazu nette Gags, die ziemlich gut passen – da hat Ron Howard schon ein Händchen dafür, was stilistisch sich einfügt und was nicht. Glatter Inszenierungsstil, Auslassung alles Störenden – klassisches Hollywood mithin, eingesetzt im Trashcrash-Film.

Am Ende landen alle in einer Arena, gefüllt mit den Mitgliedern des Filmteams, weil echte Statisten zu teuer gewesen wären, die eine einzige Tribüne füllen – den Rest der Zuschauerränge aber frei zu lassen gezwungen sind. Hier findet ein Crashcar-Rennen statt, so was typisch Amerikanisches, live-Action-Boxautos. Alle zusammen mittendrin, und damit ist auch das Credo des ganzen „Grand Theft Auto“ klar: Ein auf die Leinwand (von Autokinos?) projiziertes langes schönes filmgewordenes Demolition Derby, für die Zuschauer, die Spaß am kreativen Kaputtmachen haben.

Bemerkenswert ein paar Dinge: Als Kameramann fungierte Gary Graver, seines Zeichens Orson-Welles-Begleiter seit Ende der 1960er und dessen persönlicher Kameramann, bis Welles’ Tod sie schied. Nebenbei aber: auch Kameramann und Regie für diverse Pornos. Ein Mann für alle Fälle!
Bemerkenswert auch die Figur der Paula Powers, die mit Verve die rasche Hochzeit in Vegas durchsetzen will, während ihr Sam zögernd auf dem Beifahrersitz jammert, dass er jetzt wohl für immer ein schlechtes Verhältnis zu seinen Schwiegereltern haben werde… Paula dabei, entgegen landläufigen Exploitation-Filmen, nicht läufig, sondern schlicht stur und durchsetzungsstark – das liegt wohl im Powers-Blut.
Über dem Ganzen schließlich: Ein Hubschrauber mit dem DJ des TenQ-Radiosenders, der mit eleganter Wendehälsigkeit zu dem hält, der die meisten Einschaltquoten bringt, der die Fliehenden zu Ikonen der romantischen Liebe hochstilisiert und die Verfolger zu sportlichen Konkurrenten, die jederzeit Oberwasser erhalten können. Medienkritik at its best – im Sinne von: tut keinem weh und ist ein bisschen lustig.


Harald Mühlbeyer