Filmgeschichte neu gemacht – das neu gestaltete Frankfurter Filmmuseum

Neunte Klasse, das muss 1993 gewesen sein, Schulausflug nach Frankfurt: Damals war ich zum ersten Mal im Filmmuseum. Ausstellungsstücke, Sachen zum Ausprobieren, bisschen dunkel und verwinkelt – aber vor allem gabs da ein kleines Kino mit Dick und Doof-Filmen. Hat Spaß gemacht.
Jetzt wurde das Filmmuseum in fast zweijähriger Arbeit ganz neu renoviert, nur die Fassade der Villa am Frankfurter Schaumainkai – denkmalgeschützt – wurde beibehalten. Innen ist alles neu. Und hell. Und offen. Und groß und weit. Klar: Film hat mit Licht zu tun, und sehr licht ist das Foyer. An der Seite ein Licht- und Luftschacht, der keine Funktion hat, außer Platz zu bieten für eine Videoinstallation: Ein Mann, aufwärts- und abwärtsschwebend.

Richtig los geht es mit der ganz neu eingerichteten Dauerausstellung im ersten Stock: „Filmisches Sehen“ hat einen großen Raum für sich, die Gänge der vorherigen Raumaufteilung sind ein paar aufgemalten Linien auf dem Boden gewichen, die den Besucher lenken – ihn aber nicht gängeln, weil man sich frei bewegen kann zwischen Schaufenstern und freistehenden Vitrinen und Geräten zum Ausprobieren.
Schaulust heißt ein Bereich, es geht um die Bemühungen der Menschen, die Welt neu und anders sehen zu können mit Kaleidoskopen oder Zerrbildern oder Panoramabildern. Wie man diese Bilder in Bewegung versetzen kann, wie man sie festhalten kann, wie man sie vorführen kann: Das sind weitere Bereiche, veranschaulicht durch allerhand alte bis uralte Apparate. Und durch die Möglichkeit, an einigen dieser Apparate zu spielen, zu drehen, rumzudrücken… Daumenkino, Camera Obscura, Laterna Magica – bis hin zu einem der besten Exponate: Der Mechanismus eines Lumière-Filmprojektors in einem Glaskasten, in dem man den berühmten Zug der ersten Filmvorführung zum Rasen bringen kann – inklusive der dazugehörigen Geräusche, die aber von der lauten Apparatur rühren. Dazu ein kleines Kino mit uralten Filmchen aus der Anfangszeit des Films: der begossene Gießer natürlich, auch ein Max-Linder-Filmchen um die Probleme des Briefmarkenleckens, und ein paar Akrobatikstücke für das damalige Wintergarten-Varieté.

Ein Stockwerk höher: „Filmisches Erzählen“ – hier geht es tatsächlich um das, was Kino als Erlebnis ausmacht. Und beim Reinkommen schon wird man vom Kino eingefangen: Auf vier in U-Form aufgestellten Leinwänden läuft eine halbstündige Dauerschleife von Filmausschnitten, in thematischen Blöcken und zugleich ineinander überfließend: Geräusche und Filmschnitt, Emotionen auf der Leinwand und Ausstattung, Licht, Kamera, Musik umfangen den Museumsbesucher, der sich hier hinsetzen und das tun kann, was er tun soll: einfach nur schauen. Und sich freuen an der klugen Montage der Filmbilder, die manchmal auch – als Reminiszenz zu den Panoramas ein Stock tiefer – alle vier Leinwände, insgesamt sechzehn Meter umspannen.
OK: Eine Darth Vader-Maske oder der Maximilian-Schell-Oscar von „Das Urteil von Nürnberg“ (auf den das Filmmuseum sehr stolz ist) bieten keinen weiteren Erkenntnisgewinn, auch die Vitrine mit Autogrammkarten oder die mit Kostümentwürfen sind schnell zur Kenntnis genommen und abgehakt. Viel besser sind in diesem Bereich wieder die Sachen zum Machen, mit modernster Technik: Man kann Filmausschnitten verschiedene Musiken unterlegen und die unterschiedlichen Wirkungen erfahren, man kann am Greenscreen am Abgrund balancieren oder sich vor einer riesigen Spinne fürchten. Verschiedene Lichtstimmungen in einem kleinen Studio sind interessant, wären aber wirkungsvoller, säße man nicht vor einer neutral weißen Wand, sondern vor ein paar Requisiten (gab’s so was nicht auch in der Version 1.0 des Filmmuseums?). Höhepunkt hier: Die Möglichkeit des Filmschnitts. Für ein paar Szenen aus Dani Levys „Alles auf Zucker“ stehen vier, fünf Kameraeinstellungen zur Verfügung, die man in neuer Reihenfolge montieren kann – das verspricht langes Vergnügen, und die Erkenntnis, dass auch eine vollkommen zufällige Einstellungsreihenfolge besser ist als Levys originaler Filmschnitt…

Levy ist natürlich auch Teil der Wechselausstellung. Jim Rakete hat deutsche Stars und Talente fotografiert mit für sie wichtigen Requisiten oder Gegenständen ihres Berufs und ihrer Berufung – 100 Bilder sind das, eine Art Geschenk für das neue Filmmuseum. „Stand der Dinge“ heißt diese Porträtsammlung, der Titel ist eine Leihgabe von Wim Wenders und bezeichnet den schwebenden Moment, von dem man nicht weiß, wie’s weitergehen wird. Viele der Porträts sind treffend, witzig: Levy mit Zuckerwürfeln, die ihm um die Ohren fliegen; Burghardt Klaußner mit einem Joint in Gedenken an alte Tage – nämlich die von „Die fetten Jahre sind vorbei“. Oder Hannes Jaenicke mit einem BMW-Motorrad von 1928, das gar nichts mit Filmen, aber viel mit ihm selbst zu tun hat. Bei anderen Porträtierten – ich nenne keine Namen – erinnert man sich vor allem an die Filme, auf die sie verweisen, und erschrickt: Weil man diese Filme allzu oft erfolgreich verdrängt hatte und sie nun wieder vor dem geistigen Auge auftauchen wie böse Schemen… Nur zwei möchte ich besonders herausstellen: Till Schweiger mit der Regieklappe aus dem orthographisch falsch betitelten „Barfuss“: „Ich glaube, von allen Filmen, die ich bis dato selbst inszeniert habe, ist dieser am zeitlosesten“, erklärt Herr Schwaiger im kleinen Begleitheft zur Porträtreihe. Und wird in seiner Egomanie nur noch von Hannelore Elsner übertroffen, die es sich nämlich tatsächlich nicht nehmen lässt, mit sich selbst zu posieren.

Das neu gestaltete Filmmuseum – das auch ein schönes, neues (wenn auch wegen der Baustatik nicht vergrößertes) Kino in schönen Rottönen und mit bequemen Sesseln bekommen hat – soll ein Haus für die Zukunft sein, um die Vergangenheit erlebbar machen zu können. Das ist gelungen, man kann sich lange mit Vergnügen darin aufhalten. In der Tat fehlen eigentlich nur die Dick und Doof-Filme.

Harald Mühlbeyer



Übers Wochenende vom 12. bis 14. August finden eine Menge Eröffnungsfeierlichkeiten statt inklusive einem Kinoprogramm, bei dem deutsche Filmschaffende ihre Lieblingsfilme zeigen (Frau Elsner natürlich einen mit sich selbst, nämlich mit ihrem ersten Kinoauftritt…) Infos HIER.