SOURCE CODE: Ganz wunderbar verloren...


Ein Mann erwacht in einem Vorortzug Richtung Chicago. Wer die nette Dame (Michelle Monaghan) ihm gegenüber ist, weiß er nicht, auch nicht, warum sie ihn kennt, gerade in ein Gespräch mit ihm verwickelt ist. Ihn für jemanden anderen hält.

Jake Gyllenhaal spielt diesen verwirrten Mann, als wäre die Rolle für ihn gemacht, was allerdings auch heißt: er wird ihr - gezielt und beuwsst - nie gerecht, aber das ist ihr Konzept. Denn SOURCE CODE verschiebt die Ich-Ebenen, insbesondere die der Identität und des Bewusstseins der Hauptfigur, lässt sie sich selbst derart verloren gehen, dass nur ein perfekt unvollkommener Darsteller das meistern kann – einer wie Gyllenhaal eben, der immer noch zwischen DONNIE DARKO und JARHEADS, BROTHERS und ZODIAC, OCTOBER SKY und PRINCE OF PERSIA, LOVE AND OTHER DRUGS und BROKEBACK MOUNTAIN herumgeistert wie kaum ein anderer. Und der wie kaum ein anderer gut daran tut (siehe „hard-boiled“ Leonardo DiCaprio), nicht zuletzt weil wir so einen Anti-"Typen" gut gebrauchen können. Gyllenhaal ist der Mann, der nie ankommt zu sich selbst, und dabei fast einzigartig bleibt in Hollywood, trotz all seiner Drifters, Rebells etc. Was ihn so perfekt macht für SOURCE CODE.

Gyllenhaal spielt hier also Colter Stevens, der nicht einmal, sondern mehrmals in diesem Vorortzug aufwacht, um einen Terrorismusanschlag zu verhindern. Denn es gibt nicht nur eine Bombe - die, die den Zug zerreissen wird, zerissen hat, in dem Colter bzw. sein Alter Ego sitzt, saß, sitzen wird. Immer wieder wurde/wird Colter zurückgeschickt in der Zeit; und das Szenario erinnert an die TV-Serie – ach, ich komm nicht drauf – jene in der Mann eine Mann nur sieben Tage in der Zeit zurückschicken werden kann (ha!, „Seven Days“ heißt sie natürlich!).

Aber der unglücklich irreführend nach Computerthriller klingende SOURCE CODE ist nicht nur intellektuell, sondern auch emotional fordernder (oder zumindest reizender) und darüber hinaus ein erzählerisches gelungenes Experiment. Denn Colter muss nicht nur seinen Auftrag erfüllen, sondern auch herausfinden, was sein Auftrag ist, wie die Spielregeln aussehen – und wie es um ihn in der wie auch immer gearteten echten, wirklichen Realität steht.



Es ist ein doppeltes Kammerspiel, das Duncan Jones hier inszeniert, und wer wäre geeigneter dafür als der MOON-Regisseur? SOURCE CODE, der einen ganz schön fordern kann, wenn es um die Logik geht (und der sich das eine oder andere Plothole dabei durchaus leisten kann), spielt vor allen in zwei Räumen: dem Zug und der Kapsel, in der Colter liegt, bzw., noch zusätzlich oder in Ergänzung zur zweiten Kammer, in einer Kommandozentrale, wo Vera „Those Eyes!“ Faminga zwischen gestrengen und mitleidigem Offizier pendelnd für ihn zuständig ist, ihn anspornen, anleiten und beruhigen muss. Famingas Job ist es vor allem, in einem Art Webcam zu spielen und das macht sie toll.

Auf der anderen „Seite“ wiederum wartet die adrette Michelle Monaghan als Menschenkind (eine Routine-Rolle, nicht besser oder schlechter ausgefüllt als in EAGLE EYE). Sie eigentlich eine Immer-schon-Tote (weshalb sie vielleicht so "uninteressant" bleibt), eine unbewusst Ausgelieferte in einer Zeit, die zwar nicht für sie, aber für Colter zur Disposition steht. Und gerade hierin liegt das so wunderbar konstruierte Drama: das Ineinander-Gestaffelte des Rollenhaften, das Leben in einem vorherbestimmten oder aber sinnbelegten Spiel.

SOURCE CODE ist bei aller Cleverness und Bombenplot-Spannung ein rührend trauriges und darin ungemein existentialistische Tragödie. Eine, in der der Held der einen Welt nur das humane Wrack einer anderen ist.

Nur noch etwas zum Schluss. Der wurde in diversen Kommentaren – der Film startete in den USA schon vor einem Weilchen – gescholten. Zu Recht, auf der einen Seite. Auf der anderen erlaubt sich SOURCE CODE (ob aufgrund der Entscheidung des Autors, der Regisseurs und Produzenten oder in Folge eines Test-Screenings) einen Schluss, der nicht völlig absurd, aber auch nicht sonderlich konsequent ist – was den durchwebten, pessimistischen Ton betrifft. Gleichwohl funktioniert er wunderbar und adelt den Film mindestens ebenso wie das Platzpatronen-Wunder in L.A. CRASH.



Mehr noch, das Ende eröffnet eine weitere philosophische Ebene, und es ist eine große sympathische Geste, diesen sehr konsequenten, klugen und spannenden Film ein kleines Bisschen weniger konsequent und klug und düster sein zu lassen, wenn man es für die Hauptfigur, die hier durchaus viel durch- und mitzumachen hat, dran gibt. Man gönnt es diesem Helden, und hey, dafür lieben wir doch das Kino, dass es nicht so ist wie das Leben und man damit erzählen kann, was man will. Das allein ist schon wieder etwas, dass SOURCE CODE so sehenswert macht, als Popcorn-Kino – nicht vom Rasantesten, nicht vom Größten, aber vom Feinsten.


Bernd Zywietz