THE FIGHTER


Vor Jahrzehnten hatte Boxer „Dicky“ Eklund (Christian Bale) seinen großen Kampf, von dem er, nun ein crack-konsumierender Hallodri, heute noch zehrt. Der große Star der Familie ist jetzt sein Bruder Mickey (Mark Wahlberg), der sich nach oben boxt. Mit Dicky als Trainer und seine Mutter Alice (Melissa Leo) als Manager. Als diese Hoffnung der Familie aber die Kellnerin Charleen (Amy Adams) kennen lernt und sich Bruder und Mama eher als Hemmnis auf dem Karriereweg entpuppt, gerät Mickey in die moralische Zwickmühle.

Natürlich bietet auch THE FIGHTER von David O. Russell (THREE KINGS; I HEART HUCKABEES) die in dem Subgenre standardgemäß beheimateten Motive wie Wettkampf, Sieg und Verlust, Loyalität und den Durchbruch als Ausbruch aus dem Unterschichtenmilieu. Weniger garniert als fulminant verpackt ist dies alles aber in THE FIGHTER, der unterschiedliche Ansätze und Figurenbeziehungen passgenau zwischen Sport-, Familien und Sozialdrama ansiedelt und mit diversen, auch ironischen, Blicken und Charakteren ausschmückt, so dass daraus ein vielschichtiges fulminantes Panoptikum wird. Eines, das ähnlich frisch und unverbraucht oder zumindest originell und individuell wirkt wie THE WESTLER.



Mit am brillantesten ist dabei die Idee, Mickeys Story neben die von Dicky zu setzen, so dass man zu Beginn des Films nicht weiß, wer denn nun im Mittelpunkt steht (oder stehen soll). Denn THE FIGHTER wartet zwar nicht mit einer Film-im-Film-Situation auf, jedoch mit einem Filmmaking-im-Film: Ein HBO-Kamerateam begleitet Dicky, um über den Helden von einst eine Dokumentation zu drehen. Dadurch ist THE FIGHTER schon von vornherein eine reflexive Distanz eingeschrieben, die Glamour und Ruhm, gar die Mythenmacht des Helden des Rings relativiert, sie als gemacht und recht dünn ausstellt.

Zumal noch ein kleiner gemeiner Dreh auf den überdrehten, drogengerüttelten Mickey, mehr freilich noch die auf ihn so stolze Familie wartet: Nicht um den Heroen geht es, geschweige denn ein Comeback, von dem der manische Schwadroneur immer noch träumt, träumen muss, sondern um das, was aus ihm geworden ist bzw.: seinen Absturz: Ein Mahnmal wider den Crack-Konsum ist der Film, als er dann endlich im Fernsehen läuft. Die Mutter weint, die vielen, unförmigen Schwestern entsetzt. So dünn ist die Firniss der Selbstlüge. Aua.

Eine jämmerliche Gestalt, permament unter Strom und zugleich ausgebrannt, mit flirrenden Blick, immer noch schnell mit den Fäusten, aber unstet, unzureichend im Kopf, mit dürren Körper in schlabberigen, faltigen Hemd und einem Grinsten, das je nach Situation und Stimmung, charmant oder lausbubenhaft, irre oder verwirrt ist, liefert Bale - mal wieder - eine Paraderolle. Einen Nebendarsteller-Oscar bekam er jüngs dafür.



Auch andere Nebenrollen und ihre Schauspieler sind in THE FIGHTER besonders zentral: Der zweite „Sidekick“-Oscar dieses Jahr ging an Melissa Leo, die bei der Verleihung der Academy-Awards mit einer mitreißenden unkontrollierten Dankesrede am Rande der emotionalen Explosion zwischen Lachen und Weinen ein begeistertes „Fuck“ zum Besten gab. Ihre Alice mit toupiertem blonden Haar, Leopardenbluse und Kippe ist ein White-Trash-Klischee, aber sie füllt es mit fasznierend brüchigem Leben, zieht ebenfalls wie Bale einen Doppelboden ein: Auch eine Figur, die eine Rolle spielt, weil es das einzige ist, was ihr an Selbstachtung und Haltung bleibt.

Ebenso hätte freilich auch die rotschöpfige, sagenhaft wandlunsgfähige Amy Smart als Mickeys Freundin eine Auszeichnung verdient - und nominiert war sie auch. Verletzlich und leicht nuttig, selbstbewusst, abgeklärt und vorsichtig, ungebildet und feinsinnig, eine, die Mickey beschützt, die aber auch austeilen kann, die ihn antreibt und selbst nicht weiß, wohin sie so recht will. Eine Frau in einem faszinierendem sozialen „Zwischenalter“. Auch und gerade sie ist ein Charakter in THE FIGHTER, der mit einer kleinen Drehung, einem Blick, einen Satz zu überraschen versteht oder zumindest soweit die Erwartungen verletzt, dass man sich an ihm nicht satt sieht, obwohl man ihn auf den ersten Blick hin zu kennen scheint. Eine Figur, über die sich der Film gar nicht aus- und leererzählen kann.



Ganz „dicke“ Charaktere fährt Russell auf, gibt ihnen große Gesten und all die harten emotionalen Momenten, aber weil das alles facettenreich daherkommt, relativieren sich das Stereotypenhafte, das Altbekannte und die emotionalen Großmomente aneinander, so dass eine seltsam feine, angenehm beiläufige Beobachtungssituation zustande kommt, und in ihr eine Art „körniger Flow“. Das ist ganz eigen und hat folglich wenig von z.B. der kühlen flüssigen Lakonik eines MILLION DOLLAR BABIES, mit der schon Eastwood den Gegner, den schwergewichtigen Pathos, auf Distanz hielt.

Schnitt und Kamera passen dazu, nehmen weitreichend den dokumentarischen „Human-Interest“- und zugleich dokumentarischen Touch des HBO-Teams mit, ohne in peinliches Gewackels und Echtheitsgetue zu verfallen. THE FIGHTER ist durch und durch "gemacht", ausgedacht, aber er bietet einen ästhetisch-erzählerisch kombinierten Kniff, den man sich ruhig zur Ergänzung oder Ersetzung des visuellen Authentizismus des üblichen Handkameraeinsatzes in Hollywood öfters abschauen könnte.

Und Mickey, die Hauptfigur? Mark Wahlberg spielt ihn routiniert, was bei Mark Wahlberg ja in solchen Fällen immer zugleich heißt: gut und glaubwürdig, doch irgendwie auch: unscheinbar. Er ist der Gute, der Nette, der, der sich irgendwann entscheiden muss. Damit ist er aber auch notgedrungen: der eher Langweilige. Boxen kann er, klar, aber maßgeblich wegen seiner Rolle im Film und in dessen Genrestruktur wird er von den Nebendarstellern problemlos an die Wand gespielt. Und er lässt es mit großer Lust mit sich geschehen.

Allein schon deswegen ist THE FIGHTER so sehenswert.


THE FIGHTER kommt in Deutschland am 7. April in die Kinos.



Bernd Zywietz