Grindhouse-Nachlese April 2015: Katholiken-Horror und Hypnotisier-Kanone

Cinema Quadrat, Mannheim, 25. April 2015: 

„Hexensabbat“ / „The Sentinel“, USA 1977, Regie: Michael Winner

„Dr. M schlägt zu“, BRD/Spanien 1972, Regie: Jess Franco


Für „Kalter Hauch“, 1972, mit Charles Bronson und Jan-Michael „Airwolf“ Vincent wird Michael Winner auf immer und ewig im Filmgeschichts-Himmel residieren. Paar Jahre später „Death Wish“, in dem Bronson zum ersten Mal rot sah – Winner drehte dann in den 80ern auch noch die Teile 2 und 3 –, und dann kommt „Hexensabbat“ – der weder mit Hexen noch mit Sabbat zu tun hat. Vielmehr beginnen wir in Norditalien, wo sich eine geheime Bruderschaft von satanskundigen Priestern versammelt: Da sitzen sie und murmeln ein altertümliches Gebet – es stammt aus Miltons „Verlorenem Paradies“ –, und unvermutet springen wir nach New York. Zu einem jungen Pärchen, Alison und Michael, sie ist Fotomodel, er ist Anwalt, er will sie heiraten, sie will lieber Freiraum, und alles wirkt ein bisschen wie ein kleines Ehedrama mit emotionalen Schüben, vor allem, als Alisons Papa oben in Baltimore stirbt – und hier gelingt Winner dann tatsächlich eine Szene, die den Zuschauer gewinnt. Denn eine Erinnerung huscht an Alison vorbei, sie begegnet sich selbst in jüngeren Jahren, sie beobachtet sich, wie sie nach Hause kommt, ins Zimmer ihres Vaters tritt und ihn dort bei einer obszönen Orgie erwischt. Wie er ihr das Kruzifix von der Halskette reißt. Krampfanfall, Migräne sind die Folge. Und staunende Spannung beim Zuschauer, dass Winner tatsächlich schöne inszenatorische Ideen hat.

Ein Händchen für die Besetzung hat er auch. Kommende Stars finden sich: In einer Quasi-Statistenrolle tritt am Ende des Films Tom Berenger auf, zwischendurch Jeff Goldblum als Fotograf; und wie in Woody Allens „Stadtneurotiker“ tritt außer Goldblum auch Christopher Walken auf. Hatte der bei Allen schon die für seine spätere Leinwandpersona typische Düsternis in sich – wir erinnern uns: am liebsten würde er ja beim Autofahren einfach mal auf die Gegenspur rüberziehen, so ist das, wenn sich das Universum immer weiter ausdehnt –, so spielt er freilich in „Hexensabbat“ einen Jungspund von Cop. Mit rotem, nach hinten gegeltem Haar steht er in der Ecke und guckt, wie ein Cop gucken muss. Das macht er sehr, sehr gut, das ist weit weg von dem, was man von Walken erwarten würde, und als Dank gewährt ihm Michael Winner auch die eine oder andere Großaufnahme. Sein Chef übrigens ist Eli Wallach – womit wir bei den Altstars sind, die Winner aufbietet: etwa Martin Balsam als vertrottelter Professor, der etwas Lateinisches übersetzen muss; oder Burgess Meredith als alter, verquasselter, exzentrischer und latent perverser Nachbar mit Katze und Kanarienvogel. Allen voran aber Ava Gardner als tüchtige Maklerin, die Alison eine Wohnung zuschanzt, herrliche Lage, ein schönes efeubewachsenes Haus, „500 Dollar ist da nicht zu viel“, lockt sie, um im nächsten Satz runterzugehen mit dem Preis, für 400 Dollar wird Alison verführt zum Einzug.

Und Winner geht mit dem nun endlich greifbaren Motiv der jungen Frau alleine in einem unheimlichen Haus sehr souverän um: Weil er natürlich weiß, dass es das schon x Mal gegeben hat. Und hier trotzdem ein paar schöne Aspekte herausholt. Denn da sind diese Nachbarn, der mit Katze und Vogel, unten wohnen zwei Lesben, eine Ältere, eine Jüngere, letztere wichst sich bei Alisons Antrittsbesuch lustvoll einen ab. Die übrigen trifft sie bei einer nächtlichen Geburtstagsparty für die Katze, beispielsweise diese seltsame Alte: „Schwarzweiße Katze, schwarzweißer Kuchen!“, oder der verklemmte Ehemann, der nicht zu wissen scheint, wohin mit sich. Unversehens landen wir hier bei Fellini mit diesen grotesken Film-Wesen, Menschen und zugleich Karikaturen ihrer selbst, überbordenden Leiblichkeit, absurdes Benehmen – noch krasser in einer schwarz-weißen Traumsequenz, in der alle nackt erscheinen (übrigens eine der wirklich guten Traumsequenzen der Filmgeschichte, die nicht als Beleg, als Fingerzeig, der auf irgendwas hindeuten soll, fungieren, sondern tatsächlich aus der Lust der Bilder, der Bild(er)findung heraus leben).

Dass diese seltsamen Hausgäste nicht real sind, wird schnell klar. Halluzinationen? Traumgebilde? Tatsächlich werden sie identifiziert als Mörder und Psychopathen, die vor langen Zeiten schon auf diversen elektrischen Stühlen gebraten wurden… Alison ist irgendwie gefangen zwischen dem Jetzt und der Historie dieses Hauses, Psycho-Schocks hageln auf sie ein: Eines Nachts verhackstückt sie mit einem Messer die nackte lebende Leiche ihres Vaters, das ist der Moment, wo die Polizei eingeschaltet wird. Die umso mehr staunt, als kurz darauf tatsächlich eine verhackstückte Leiche gefunden wird, ganz woanders freilich… Dieser Tote aber hat Geschäftsverbindungen zu Alisons Verlobtem Michael, der immer mehr ins Zwielicht rückt, wie andererseits aber auch Alison durchaus ambivalent erscheint mit ihrer irgendwo zwischen Wirklichkeit und Fantasie angesiedelten geschundenen Seele; mehrere Suizidversuche hat sie schon hinter sich…

Die Polizei freilich kann nicht helfen. Dafür schleicht einer der sinistren Patres von der Anfangsszene herum; und oben im fünften Stock, da sitzt ein uralter blinder Priester und starrt zum Fenster raus. Und wahrscheinlich hat Michael seine erste Ehefrau ermorden lassen… Zumindest kennt er finstere Gestalten, mit einem Einbrecherkumpel steigt er bei der Diözese ein, weil er nun plötzlich und unvermutet zum Ermittler wird. Die Polizei ist im letzte Viertel abgemeldet, dafür weiß nun Michael Bescheid, und es ist für den Zuschauer sicherlich besser, nicht über Zusammenhänge und Logik nachzudenken. Sondern sich an den kunstvollen Verdrehungen und Umkehrungen zu erfreuen, die Winner aufbietet. Im Kleinen – und erst im Nachhinein erkennbar –, indem Christopher Walken gegen den Strich besetzt wird; im Größeren durch die surrealen Szenen im Alptraum-Haus; im ganz Großen dadurch, dass die Sinistren und Unheimlichen – die geheime Katholiken-Bruderschaft, die immer wieder um die Ecke lugt – eigentlich die Guten sind, und die, die wir – na ja, vielleicht nicht in Herz geschlossen haben, denen wir aber doch gerne folgen: Die sind eigentlich schlimme Teufelsmanifestationen. Und zum Finale bietet Winner dann alle Ausgeburten der Hölle auf: Missgestaltete in allen erdenklichen Urformen, Elefantenmenschen, Kleinwüchsige, Krüppel, die in schauerlichem Zug durchs Haus wanken, eine Horde, die Alison ein letztes Mal so richtig einheizen möchte, hier, direkt am Tor zur Hölle.

Nun erreicht Michael Winner sicherlich nicht die inszenatorische und atmosphärische Dichte polanskischer oder friedkinscher Prägung. Wie gut – zumindest im solide handwerklerischen Sinne, und sicherlich auch mit seinen gekonnten Ausflügen ins Absurd-Surreale – er aber an seinen Film herangeht, zeigt sich darin, dass man im Moment des Sehens und auch noch fünf Minuten nach Filmende all die kleinen Mängel gerne übersieht; die fundamentale Unlogik, die irgendwie auslaufenden Nebenplots, die paar Längen vor allem im ersten Drittel… Insbesondere aber das Kontrastprogramm dieses Abends macht wenn nicht die Kunst, so doch das Können von Michael Winner überdeutlich: Denn im zweiten Film dieser Grindhouse-Nacht ergibt nichts irgendeinen Sinn. Nichts. Keinen. Nirgends.

Jess Francos „Dr. M schlägt zu“ zeigt vor allem eines – und das ist etwas Hoffnungsvolles für jeden Menschen jeden Alters, der sich mit dem Gedanken trägt, irgendwie mal selbst als Regisseur so richtig Filme zu drehen. Denn „Dr. M schlägt zu“ macht eines klar: Keiner am Set und in der Postproduktion muss irgendein Talent vorweisen, keiner muss sich anstrengen, irgendwas Großes abzuliefern: Es wird trotzdem was draus, nämlich etwas, das ca. 45 Jahre nach Drehende noch einem verwegenen Häufchen Zuschauer Vergnügen bereiten wird. Tatsächlich kann Jess Franco keine guten Filme drehen. Das ist Fakt. Er kann es einfach nicht. Es geht nicht. Was er aber damit aufwiegt, dass er einfach Filme dreht. Und zwar haufenweise. Stetig. Immer mehr. Die Masse wiegt jeden Mangel auf. Seit er vor zwei Jahren verstorben ist, wird im Cinema Quadrat jeder April als Jess-Franco-Gedenkmonat gefeiert: Und klar sind alle Franco-Filme schlecht. Aber es gibt schlechte und schlechte. Und dieser hier gehört sicherlich der besseren der beiden Seiten an.

Einfach mal machen, ist doch wurscht! Hauptsache Film belichtet! Und wenn man dann wie Franco noch einigermaßen billig ist, dann sind auch die Großproduzenten zu überzeugen, einen zu engagieren. Wie beispielsweise Atze Brauner. Dessen CCC-Film hatte Anfang bis Mitte der 1960er als Antwort auf den Rialto-Edgar Wallace-Boom den Dr. Mabuse wiederbelebt, über den Fritz Lang in der Weimarer Republik ein paar Höhepunkte der deutschen Filmgeschichte inszeniert hat. Lang selbst konnte auch für das Revival gewonnen werden, nach sechs Filmen war aber 1964 doch auch schon wieder gut. Nur hatte Brauner noch ein paar Drehbücher und Mabuse-Motive in der Hosentasche, und die vergammeln zu lassen wäre ja auch schade gewesen. Also schnell was Billiges in die Kinos ballern, kurz: Jess Franco engagieren. Der haute aus dem Mabuse-Material ein Drehbuch zusammen, indem er eine Handlung aus einem seiner früheren Filme verwurstete, strich Mabuse freilich vollkommen und gänzlich raus; der überlebte nur als Anspielung im deutschen und ausgeschrieben im spanischen Titel: „La Venganza del Doctor Mabuse“. Womit vom Titel her klar ist, dass in dem Film nichts stimmt. Atze Brauner hat sich freilich nicht geschämt, sondern – weil sich kein Verleih für den Film interessierte, der sowieso erst zweieinhalb Jahre nach Dreh 1972 seine Uraufführung erlebte – den Film per CCC selbst zu vertreiben versucht. Ein Drehbuchcredit ging auch an ihn, Pseudonym: Art Bernd.

Wobei von Drehbuch im herkömmlichen Sinne eh nicht gesprochen werden kann. Von Handlung auch nicht, Darstellung, Mise en Scene, auch Schnitt, Rhythmus, Kohärenz, kurz: grundlegende Sinnhaftigkeit sucht man vergebens. Dafür findet man einen hünenhaften Glatzkopf, eine Billigversion der grotesken Bond-Bösewichter; wir finden eine Hypnotisier-Kanone, die in den Händen des schurkischen Dr. Krenko allerhand aus dessen Entführungsopfern rausfindet; wir treffen auf zwei Wildwest-Sheriffs (!), die nun gar nicht passen, aber immerhin verdeutlichen dass die „Handlung“ in USA spielt; Sheriffs, die übrigens keine Ahnung haben, wie sie in diesen Film reingerutscht sind und was sie da machen sollen; dann, später, tritt noch ein Vagabund auf, den wir erst sehen, wie er eine der Entführungen beobachtet, der dann später aus dem Fluss ein Damenhöschen fischt, um dann in laberndem Redeschwall bei der Polizei die Sachverhalte genau umgekehrt zu Protokoll zu geben, nicht wegen Lüge oder falscher Erinnerung, sondern weil die Filmmontage offensichtlich die Handlung rumpfuschend umgestellt hat, die Synchronisierung dabei aber nicht mitgekommen ist. Eine Stripperin zeigt beim Verhör Bein; der Vorgesetzte des Sheriffs – ja, so was gibt’s– ist sehr interessiert an den Fortschritten der Ermittlungen; wenige Szenen später erfährt der Zuschauer, dass dieser Sheriffs-Chef zur Schurken-Organisation gehöre, die Ermittlungen genug verzögert habe, jetzt aber im Wege stehe und deshalb mit einer Klapperschlange im Bett beseitigt werden müsse. Nie wieder hört man etwas von ihm im Film; auch nicht, dass oder ob er bei einem Klapperschlangen-Unfall irgendwie hopsgegangen sei. Auch hatten wir sowieso den Eindruck, dass er eigentlich vor allem den Handlungsfluss, aber nicht unmittelbar im Auftrag der Verbrecher die Suche nach ihnen sabotierte. Vielleicht hatte der Darsteller keine Lust mehr; vielleicht wurde auch einfach in der Postproduktion nochmal was gedreht. Vielleicht hat auch einfach keiner aufgepasst – das ist die wahrscheinliche Variante.

Dr. Krenko entführt die Mitarbeiterin des Instituts von Dr. Orloff; der macht irgendwas mit Laser. Die Hypnotisiermaschine funktioniert nicht so richtig, die Entführte wird getötet – nicht, ohne vom Hünen Andros befummelt zu werden. Die Pläne für die Waffe werden mit Hilfe von Giftgas auf offener Straße – „Nebel“, der per Fett auf die Kamera geschmiert wurde –, gestohlen; die Fahrer des überfallenen Lieferwagens haben durch das Gas die Erinnerung verloren, finden das alles auch irgendwie seltsam, aber nicht seltsam genug, um davon irgendwem Bericht zu erstatten. Leider lag den Plänen kein Verschlüsselungscode bei, die Gangster müssen weiter gangstern. So muss die Tochter von Orloff geraubt werden, der wiederum gekillt wird. Eine Stripteasetänzerin war Zeuge, die Polizei ist aber zu doof, die richtigen – nein: irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Dem Vagabunden, der die Bösen beobachtet hat, glaubt der Sheriff auch nicht; gleichwohl ist er der positive Held dieses Films. Am Ende schaufelt sich das Böse selbst das Grab, weil, wer hätte das geahnt, Andros, das Monster, zu schlecht behandelt wird und irgendwann zurückschlägt. Hinter dem ganzen steckt übrigens noch eine weit größere Verbrechensorganisation, und der Fantasie des Zuschauers ist es überlassen, als deren Oberhaupt den sagenhaften Mabuse sich vorzustellen.

Diese Handlung lässt sich mit viel Denkarbeit mühsam rekonstruieren; es hilft, dass einiges im Film doppelt und dreifach gesagt wird – meist aber nur Nebensächliches –, vor allem aber, dass ein geheimnisvoller Voice-Over-Erzähler ziemlich am Anfang all die Fakten über die Laser- und die Hypnotisierwaffe erklärt, während (!) sich der Schurke mit seiner rechten Hand über was ganz anderes unterhält.

Überraschenderweise ist nur einmal eine Nackige im Film zu sehen; „Dr. M schlägt zu“ ist eben noch total in den 60ern verhaftet mit all der Faszination an großen Verbrechen und großen Schurken. Das freilich trägt zum Trash-Charme des Filmes bei. Ein Film, der ja schon bei Fertigstellung veraltet war, der zu schlecht war für eine Kinoauswertung, in den Franco alles reinwarf, was er hatte – von seltsamen Kameraeinstellungen aus allen Ecken des filmischen Raumes bis zu alten, schon längst woanders abgelutschten Handlungs- und Szenenmotiven. Kurz: Genau das richtige Material, um Francos zweiten Todestag zu begehen. Spätestens im nächsten April mehr von ihm.


Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese März 2015: Zombieinsel und Hongkong in Vietnam

28. März 2015, Cinema Quadrat, Mannheim:

„Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“ / „Zombi 2“ / „Zombie Flesh Eaters“, Italien 1979, Regie: Lucio Fulci.

„Operation Eastern Condors“ / „Dong fong tuk ying“, Hongkong 1987, Regie: Sammo Hung.




Ein Segelboot treibt übers Meer. An der Freiheitsstatue vorbei. Am World Trade Center vorbei. Die Kamera in einem Hubschrauber, aufgeregte Funksprüche. Die Küstenwache rückt an. Zwei Polizisten steigen an Bord. Keine Menschenseele da. Vergammeltes Essen in der Kabine. Zehn-Zentimeter-Tausendfüßler auf der Klaviertastatur. Unter einem Handtuch eine vergammelte menschliche Hand. Und im Hinterzimmer – nein: Nicht Nosferatu, aber etwas ähnlich schlimmes. Ein fetter, glatzköpfiger Zombie, der dem einen Uniformierten die Halsschlagader rausbeißt, bevor ihn der andere mit Mühe ins Wasser schießt.

Auftakt zu einem typischen Fulci-Zombiefilm, sprich: gut erzählt; effektvoll inszeniert; mit einer Menge stylisher Untoter, zerfleddert, vermodert, mit Würmern und Maden behangen; eine Menge dickes rotes Blut; hoher Ekel- und Horrorfaktor; und irgendwo im Handlungsverlauf auch schockierend; wiewohl die Logik auch mal hintangestellt wird, um gute Ideen gut herauszuarbeiten.

Das Segelschiff zum Beispiel: Es kommt von den Antillen, das wissen wir bald; aber warum und wieso, woher der dicke Zombie kommt, und warum da der Abschiedsbrief eines Papas an seine Tochter drin liegt („Ich liebe dich, aber ich habe es zu spät bemerkt“), in dem von einer seltsamen Krankheit auf dieser und jener Tropeninsel die Rede ist: wurscht.

Die Zombies, das ahnen wir im Lauf von „Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“, sind durch irgendeinen Voodoo-Zauber erstanden; aber vielleicht ist das auch nur Aberglaube. Sie sind da, und man muss mit dem Problem umgehen, das ist die pragmatische Einstellung von Dr. Menard auf der Zombieinsel, der irgendwo zwischen „Traumschiff“-Besatzungsmitglied und Mad Scientist changiert, der zuviel säuft, aber auch hart arbeitet in seinem Labor, um die Zombieseuche zu verstehen. Klar, dass ihm das nicht gelingt. Immerhin bemüht er sich, auch wenn das auf Kosten seiner Ehe geht, die Frau will nur noch weg, angsterfüllt weiß sie: Der Tod kommt immer näher.

Fulci wäre nicht Fulci, wenn er diese treffliche zwischenmenschliche Situation nicht ausnützen würde: Während der Gatte im Hospital weilt – das in einer alten Holzkirche untergebracht ist –, muss die verzweifelte Hausfrau zuhause alleine ausharren. Klar, dass sie duscht, wie die Kamera wohlgefällig bemerkt, ach, ihr Körper ist in ausgezogenem Zustand sehr anziehend, nicht nur für uns Zuschauer auch für – ja: Da ist sie, am Fenster, die bläulich-blasse Untoten-Hand… Fulci hat es ja immer gerne mit den Augen – nun greift die Zombie-Hand durch die Holzlamellen-Badezimmertür, packt die Frau am Schopf, zieht sie zu sich ran, direkt auf einen Holzsplitter zu, wir sehen ihn in subjektiver Kameraperspektive immer näher kommen, dann bohrt er sich direkt in den Augapfel der Frau – nein, natürlich der Puppe, die die Frau darstellt bei diesem Splattereffekt, und dass man das Gemachte erkennt, ist auch gut so, sonst wäre der Film sicherlich von Jugendschützern zerhackstückt worden. Nun aber, mit einem harmlosen Puppenspiel: Das ist auch was für die lieben Kleinen, ganz klar.

Doch ich habe jetzt sowieso vorausgegriffen. Denn die erste Nackige im Film ist Susan, die Frau des blonden, bärtigen, vor Gesundheit und Kraft strotzenden Skippers Brian. Den hat nämlich der Journalist West zusammen mit Ann Bowles, Tochter des Zombie-Segelboot-Besitzers, angeheuert, sie auf die Voodoo-Insel zu bringen. West ist der Held des Films, mit vollem blondem Haar, das nur durch die kreisrunde kahle Stelle am Hinterkopf einen unschönen Charakterfehler hat; Ann wird gespielt von Tisa Farrow, Schwester von Mia, die auch genauso aussieht wie diese in ihren frühen Woody-Allen-Tagen – und die die Farrow-Tradition des Schreckens – von Polanski bis Fulci – weiterleben lässt.

Susan jedenfalls hat sowieso die ganze Zeit eine transparente Bluse ohne was drunter an. Dann will sie tauchen gehen, und West setzt sich bequem hin, denn er weiß: Jetzt gibt es was zu sehen. Zack, ist sie nackig, nur noch mit engem weißem Tanga und Sauerstoffflasche gekleidet, gleitet runter zum Korallenriff, wo all die schönen bunten Fische miteinander tanzen. Dann aber, von hinten: Ein großer weißer Hai! Höchste Gefahr, sie versteckt sich unter einem der Korallen-Felsen, als eine Totenhand sie antatscht - - - und wir zu der Szene kommen, wegen der dieser Film in die Geschichte eingeht. Denn Fulci macht nicht einfach so ein Spielberg-Ding, nein: Bei ihm muss es das Ultimative sein, und dass er dieses nicht protzig und großmäulig rausstellt in seiner Inszenierung, sondern es sich einfach so ergeben lässt, irgendwann mitten drin, das zeugt von einer gewissen Größe. Jedenfalls: Es kämpft unter Wasser ein Hai mit einem Zombie. Und wie! Die geben sich nix, beißen sich gegenseitig, krallen sich aneinander wie in einem agonischen Geschlechtsakt. Sagenhaft.
(Anzumerken ist, dass nie erklärt wird – und auch ganz egal ist – wieso da auf dem Meeresgrunde ein Zombie lauert. Dass die nackige Taucherin später ebenso zerfleischt wird wie die, die nackig duscht, sei der Jugend als moralische Warnung mit auf den Weg gegeben: Kleidung schützt!)

Das Weitere im Film ist ungefähr das Übliche, aber handwerklich sauber gearbeitet. Zombies beim Leichenschmaus; Zombiehände, die aus ihren Gräbern greifen; eine Menge Kopfschüsse; die Hemmungen, die ehemalige, nun leider verstorbene und wiederauferstandene Freundin endgültig zu killen. Aber all das hat Fulci, wie es seine Art ist, schon richtig gemacht: Wenn die Toten aus ihren Gräbern steigen, dann sehen wir das aus ihrer Perspektive; mit Erde, die den Blick verstellt, dann das Aufrichten von der Horizontalen in die Vertikale, der Himmel, die Baumwipfel, und dann kommt auch schon das nächste Opfer ins Blickfeld…

Und am Ende gelingt es Fulci wieder einmal, eines dieser verstörenden Bilder zu schaffen, die bleiben: Die Flut der Zombies ist nicht aufzuhalten, denn das Böse ist in der Welt.



Hongkonger haben ein Problem, wenn sie einen Vietnamfilm drehen wollen. Solches zu tun: Dafür gibt es zwar viele Gründe: Man kann damit viel Geld machen, man kann Action reinpacken und Humor, die Philippinen als Drehort befinden sich direkt vor der Haustür, und wenn man geil ist auf Waffen, kann man sich so richtig ausleben. Und wenn bei der Besetzung der bösen Vietnamesen auch keine Probleme gibt – nun ja: die schönen weißen WASP-Helden kann man mit schlitzäugigen Darstellern schlecht hinkriegen.

Aber natürlich kann man sich behelfen. Schließlich ist die „Dreckige Dutzend“-Formel flexibel genug, um eine der Variablen mit asiatischem Vorzeichen zu versehen. Zack, werden also zwölf asiatisch-amerikanische Delinquenten ausgesucht für ein Post-Vietnam-Himmelfahrtskommando namens „Operation Eastern Condors“: Dort im Dschungel nämlich hatten bei ihrem Rückzug die US-Truppen dummerweise eine Menge schwerer Waffen in einem Höhlenbunker-Versteck vergessen, das den Vietcong nun keinesfalls in die Hände gelangen darf. Also werden Schwerverbrecher – von Dieben über Körperverletzer und Diebe bis zu Mördern – „freiwillig“ eingesetzt, mit der Belohnung, ihre Haftstrafen (von zwei Jahren bis lebenslänglich) aufzuheben und zusätzlich 200.000 Dollar Honorar zu bekommen. Nun ja, wenn sie überleben.

Dass es mit den USA nicht zum Besten steht in der zweiten Hälfte der 1970er, in denen der Film spielt, wird total hochsymbolisch durchgespielt: soldatisches Appell, der Star Spangled Banner wird hochgezogen – und bleibt auf halbem Weg stecken. Die Soldaten harren im Schnee aus, während der Fahnenhochzieher vergeblich am Seil ruckelt. Zwei asiatische Offiziere fahren kopfschüttelnd vorbei. Auf dem Rückweg immer noch dasselbe Bild. Der eine steigt kurzerhand aus, schleudert seine Uniformmütze hoch auf die Spitze der Zehn-Meter-Fahnenstange und klettert dann flink wie ein Eichhörnchen hoch, so schnell kannste gar nicht kucken. Kordel entzerren, schon geht’s wieder. Salut. Klar, völlig offensichtlich und nicht anzuzweifeln, dass die Asiaten den Mist der Amerikaner ausmisten müssen – und auch die einzigen sind, die das können.

Immer wieder baut Regisseur Sammo Hung Gags in die Handlung ein, solche wie dieser, aber auch richtig platte, und manche, die man nicht kapiert. Einer der Unfreiwilligen auf Mission stottert, und er ist auch der erste, der stirbt: Die Fallschirme sollen bei „Dreißig“ geöffnet werden, als er unten ankommt, zählt er gerade erst „Sssss-sss-sssech-zzz-zzeehn“. Immer wieder gibt es irgendwelche Sprüche, und die scheinen nicht einfach nur synchronisationstechnisch drübergestülpt – freilich eventuell verstärkt – zu sein. Da mokieren sich die Soldaten des amerikanischen Schlitzaugenkommandos über den strengen Duft dreier mitkämpfenden Frauen (vielleicht so ein China-Witz, den außerhalb keiner richtig kapiert), dann geht einer „einen Neger abseilen“ (das versteht auch der deutsche Bahnhofskinogänger). Ganz oft wird irgendwie irgendwohin gehüpft, oder sich auf die Seite gerollt, oder irgendwo hochgeklettert, als wäre die Schwerkraft mit Ein/Aus-Schalter versehen. Und wenn in Vietnam nichts mehr geht, dann hilft immer Kung fu. (Sonst würde es ja auch gar nichts bringen, dass sich Hongkong in diese filmische Auseinandersetzung um diesen kriegerischen Konflikt einmischt.)

Krieg jedenfalls ist die Hölle, so wird im Film mal gesagt, aber Knast ist schlimmer. Zumal Vietnam so eine Art großer Freilicht-Abenteuerspielplatz mit Waffen ist, mit richtig geilen Waffen zumal, wo man halt beim Ballerspielen sterben kann, wenn man Pech hat. Aber: „Passiert ist nun mal passiert“, wie es so schön heißt. Und die Actionshow muss ja weitergehen.

In Vietnam, noch vor dem Absprung unserer Heldentruppe, treffen wir unvermutet auf eine Mädel-Guerilla-Truppe, die einen Vietcong-Vorposten lautlos mit Hand und Messer ausschaltet: Die drei werden als kambodschanische Untergrundkämpfer die US-Mission inoffiziell unterstützen. Zwischendurch gerät das Kampfkommando auf seinem Weg zum Raketendepot in ein Dorf: Denn der Offizier back in the USA hatte als kleinen privaten Sonderauftrag auch noch darum gebeten, seinen Bruder rauszuholen, der damals verletzt in diesem Dörflein zurückgelassen wurde. Mit diesem Bruder – der inzwischen verrückt wurde und eine Menge fantastischen Unsinn brabbelt – kommt auch noch Wiesel ins Boot, der wieselflinke Schlawiner, der listig und wendig als Späher und Führer durch den Urwald sich andient. Und noch ein neues Ziel in den Film einzubringen scheint, irgendwo soll da wohl eine Menge Geld versteckt sein – zum Glück vergisst Regisseur Sammo Hung (der auch den Kommandanten des Himmelfahrtskommandos spielt) diese paar Drehbuchsätze, sonst wäre der Film wirklich überladen worden.

Kung Fu, Action, Krieg, Gags reichen schließlich aus für eine völlig überdrehte Urwaldsause, in der „Die durch die Hölle gehen“ genauso drinsteckt wie „Die Brücke von Arnheim“. Einmal werden sie gefangen und in einem Vietcong-Lager gefangengehalten, standesgemäß in einem Käfig unter Wasser, und natürlich ist auch Russisch Roulette dabei – gespielt von vietnamesischen Kampfkindern, nicht von Christopher Walken. Und die Kids haben dazugelernt: Nicht an sie selbst wird die Waffe angelegt, sondern an einen der gefangenen Feinde. Schließlich haben die spielenden Jungs noch ihr ganzes Leben vor sich.

Natürlich wird viel gestorben, immer in erhabenem Gestus mit ein paar letzten Weisheiten auf den Lippen, und immer wieder opfert sich einer zum Wohle der anderen, ist doch klar. Unter Freunden…! Im Raketendepot-Bunker dann die finale Endschlacht, und hier tritt auch die vielleicht beste Figur des Films auf den Plan (also: neben dem Stotterer, neben dem Feigling, neben dem aufbrausenden Brillenfuzzi und und und). Der Herr Vietcong-General ist ein langer, dürrer Spargeltarzan mit nervös-schwulem Kichern und einem Taschentuch, mit dem er sich nicht vorhandenen Schweiß vom Gesichtlein wischt. Und dann geht er ab wie Zäpfchen: Unglaublich schnelle Moves, wenn es drauf ankommt, in einigen wirklich doll choreographierten Kampfszenen mit Sprüngen, Kicks und Schlägen, die hin und her hageln – und es wird einem gewahr, dass der Film tatsächlich ziemlich klug aufgebaut ist in dem, was er zeigen will. Von den komödiantischen Einlagen der ersten Hälfte ist jetzt nichts mehr übrig, die MG-Orgien des Mittelteils hat er auch hinter sich gelassen, um nun den dritten Teil der anvisierten Zielgruppen anzusprechen, die auf Mann-gegen-Mann-Kämpfe stehen – und das schafft ja nun auch nicht jeder Film, dass er gleich drei Wünsche auf einmal erfüllt. Außer vielleicht die pazifistischen – aber solcherartige hegen natürlich nur Weicheier.

Harald Mühlbeyer

"Komm in meinen Wigwam", ein furioses Catholica-Mysterienspiel von Wenzel Storch

Ein Gastspiel im Mannheimer Nationaltheater: Wenzel Storchs „Komm in meinen Wigwam“, im Dortmunder Theater als „Pilgerreise in die wunderbare Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur“ inszeniert, wurde im Rahmen des 2. Mannheimer Bürgerbühnenfestivals aufgeführt. Ich hatte ja große Erwartungen; und die wurden voll erfüllt. „Komm in meinen Wigwam“, das sind: Ein schmieriger Moderator mit toupetiertem Haupt und vertrauenseinflößendem Schnurrbart; zwei Ministranten, ein alternder Kaplan, ein Mädel und ein Junge, direkt aus den katholischen Träumen der 50er Jahre entsprungen. Und ein Nonnenchor. Ab und zu tanzende schwellende Blütenkelche und sprießende Stengel, bunt kostümierte Manifestationen der zart-subtilen Metaphorik von Berthold Lutz, Starautor der katholischen Jugendliteratur der 1950er.

Lutz ist ein wichtiger Bestandteil von Storchs Universum: Einer der Eckpfosten seines abgesteckten Claims der philologischen Erforschung von Katholika-Trash. Sammler, Forscher und Fan ist Storch, wenn es um die literarischen Ergüsse geht, die in den tiefkatholischen Druckerzeugnissen der Nachkriegszeit darum ringen, die Jugend auf den rechten Pfad zu führen. Da werden deutlich, aber metaphorisch, explizit, aber subtil die Pubertät, der Geschlechtstrieb erklärt in blumiger Sprache von Leuten, die von Amts wegen keine Ahnung davon haben dürften. Wobei strenge Geschlechtertrennung herrscht, Bücher für Jungs, Bücher für Mädels: „Die goldene Straße“ etwa, oder „Das heimliche Königreich“, oder natürlich der Klassiker: „Peter legt die Latte höher“.

Storch ist Experte auf diesem Gebiet. Und er hat listiger- und lustigerweise sich selbst in sein Stück hineingeschrieben, ein Experte namens Baldrian begleitet die Show, gespielt von Thorsten Bigegue, der tatsächlich ein bisschen aussieht wie Wenzel Storch. Baldrian ist mit einem Strickblazer unvorteilhaft gekleidet, weiß nicht, wohin mit seinen Händen, kennt sich aber aus in allen Verzweigungen, die sich assoziativ in der Beschäftigung mit katholischen Erziehungs- und Entwicklungsratgebern ergeben. Baldrian ist die Wenzel-Storch-Figur, so wie sich auch Berthold Lutz in der „Goldenen Straße“ mit einer Kaplan-Figur einen Stellvertreter im lehrreichen Geschehen geschaffen hat. Dieses Buch ist so etwas wie der Fixpunkt von „Komm in meinen Wigwam“: Szenen daraus werden nachgespielt, von dem adretten Mädel, vom strammen Jungen, von den eifrigen Ministranten und von Kaplan Buffo, dem ältesten im Bistum.

Wobei das ganze Stück sozusagen gespielt ist: Angeblich ein moderiertes Laienspiel, ein bunter Abend im katholischen Gemeindehaus, mit herzlichem Dank an die Kolpingjugend, die die schönen Kostüme geschneidert hat (und heute Abend leider nicht dabei sein kann wegen dem großen Volleyballturnier, was will man machen). Die Doppelt- und Dreifachcodierung der Handlung als gespieltes Spiel, in dem wiederum auf einer Leinwand assoziative Fotos aus Storchs Sammlung und ab und zu auch ein Filmchen (beispielsweise die Popel-Sequenz aus seinem Debütfilm „Der Glanz dieser Tage“) projiziert werden: Das potenziert die Ebenen der Ironie, zumal dem Publikum auch noch Liedzettel verteilt werden, und zum Filmausschnitt gibt es Popcorn aus dem Klingelbeutel. Das Urkatholische, es wird gefeiert und verdammt, liebevoll dargestellt und bitterböse verarscht.

Zwischendurch tauchen Teddybären auf, weil auch der Petzi-Bär ein wichtiger Fixpunkt in Storchs Schaffen ist. Thomas Mann und Adalbert Stifter, selbstverständlich auch Arno Schmidt dürfen nicht fehlen, und wir sehen Theodor W. Adorno auf einer Faschingsfeier. Schlager werden eingespielt, und dass die Kastelruther Spatzen auf mal ein antizölibatäres Liedlein geträllert haben, ist auch eine Erkenntnis.

Kurz und gut: 75 Minuten großer Spaß. Multimedial. Und Klarheit darüber: Storch beherrscht Film, Literatur, Fotostory ebenso wie das Theater.

Harald Mühlbeyer

Fotos: Nationaltheater Mannheim

Blutiger Freitag ist kaputt

"Verbrechen ist so ansteckend wie die Pest!", verspricht der Trailer; doch bald wird Rolf Olsens
"Blutiger Freitag" (BRD 1970 - mit Raimund Harmstorf, Gila von Weitershause, Renate Roland und Ernst H. Hilbich) ausgerottet sein. "Das Originalnegativ ist schon jenseits von Gut und Böse beschädigt", teilt uns Max Dudenhöffer mit, der die Mannheimer Grindhouse-Nächte organisiert.
Doch es gibt Hoffnung: Das Label Subkultur - genauer: dessen US-Ableger - hofft, eine Restaurierungsaktion starten zu können und peilt bei Kickstarter 25.000 Dollar an - und das nur für die Restaurierungsarbeiten; Lizenzabgaben etc. finanziert das Label selbst, um diesen schmutzigen Schatz wieder verfügbar zu machen.

Kickstarter-üblich winken für verschiedene gespendete Geldbeträge unterschiedliche Belohnungen, von einer limitierten VHS-Edition bis zu diversen DVD-Editionen.

Der Redakteur Mühlbeyer bittet inständig um möglichst viele, möglichst große Beträge - denn diesen Film will er unbedingt in schöner, ungeschnittener Fassung bei den Grindhouse-Nächten sehen...
Also schnell zu Kickstarter - dort auch der Trailer: www.kickstarter.com/projects/2132684476/restore-bloody-friday

Grindhouse-Nachlese November 2014: Politischer Striptease und Nazi-Biker-Nackedeis

„Wenn es Nacht wird in Manhattan“ / „Cotton Comes to Harlem“, USA 1970, Regie: Ossie Davis

„Mad Foxes“ / „Los Violadores“ / „Stingray 2“ / "Feuer auf Räder" [sic!] u.v.a., Schweiz/Spanien 1981, Regie: Paul Grau


Werden wir mal politisch, eine Grindhouse-Nacht lang. Und das meint: Werden wir mal grundsätzlich, ein paar Absätze lang.
Der Exploitation-Film entstammt dem Politischen, den gesellschaftlichern und kulturellen Umbrüchen der 1950er und 1960er Jahre; mit Rock’n’Roll-, Biker-, Beach- und sonstigen Teeniefilmen nimmt er die gegenkulturellen Strömungen auf und als Zielgruppe war. Damit steht er im Gegensatz zum klassischen Hollywoodkino, das möglichst die Gesamtheit der Zuschauer im Blick hatte, dafür auch das Genre- und Starkino erfunden hat, die nun auf der anderen Seite der Medaille in niederer Form, vielleicht als pervertierte Travestie, vielleicht auch als qualitativ heruntergeschraubte Billigvariante, auf den Markt strebten.

Die Bürgerrechtsbewegung um die schwarze Gleichberechtigung in Amerika brachte dann innerhalb des gegenkulturell orientierten, gleichwohl auf Gewinn strebenden und daher niedere Instinkte ansprechenden Exploitation-Grindhouse-Trash-Films den Blaxploitationfilm hervor. Der wiederum schlug – wie in vielen (Sub)Genres verbreitet, die als eine Art Geburtsfehler ihren eigenen parodistischen Umschwung schon in nuce mit sich tragen – ab sagen wir ca. 1973 um in die typischen Black-Macho- und Big-Tit-Mama-Action-Klischees, die wir so lieben: schlagkräftige „Nigger“ (Selbstbezeichnung) und nackige Chicks bei diversen Verfolgungsjagden, Prügel- und Schießereien, und das dann in einer deutschen Synchro, die die höchsten der Gefühle hervorruft…

Am Anfang aber stand da eben doch noch der politische Gedanke einer black community, die unter dem Druck von außen, sprich: des Systems der Weißen, zusammengeschweißt wird. Eine schwarze Gemeinschaft, für die diese Filme gedreht wurden, von der diese Filme handelten, und in der diese Community auch siegte. Martin Luther King und Malcolm X werden als Paten benannt; und im Grunde ist die bloße Existenz dieser Filme schon fast so etwas wie die Revolution – oder der erste Schritt hin zur Utopie – der selbstbewussten, selbstbestimmten, gleichberechtigten black people of America.

Dieser politische Ursprung, umgesetzt in filmischen Subtext, wird freilich ins Gefäß des Genres gegossen, und zwar des mehr oder weniger reißerischen des Actionfilmes – weil das die Leute anspricht, weil sich das an der Kasse auszahlt, und wahrscheinlich ist dies auch das, was die Filmemacher von Regie bis Produktion am ehesten können, oder zu können glauben.

Was macht die Baumwolle in Harlem?
In „Cotton Comes to Harlem“, einem der frühen Blaxploitation-Filme, ein Jahr vor „Shaft“, gelingt diese Mischung aus (subtexueller) politischer Relevanz und klarer Publikumsaffinität: Ein Krimiplot mit Actionszenen, punktuellem comic relief inklusive doofem weißen, ja sogar blondem Polizisten, pfiffigen schwarzen Tausendsassas und komödiantisch überzogenen Spektakulärismen auf der einen Seite. Und auf der anderen: schwarze Hauptfiguren; die Bevölkerung von Harlem (bei der sich die Filmemacher im Abspann für die Kooperation bedanken); ein schwarzer Reverend als Vorsteher einer „Back to Africa“-Bewegung, und ein Ballen Baumwolle als MacGuffin, Symbol kontinuierlicher sklavischer Unterdrückung.

Der Reverend - ein neuer Moses?
Der Anfang des Films: Eine Kundgebung von Reverend Deke O’Malley, der eine Art schwarze Zionismus-Bewegung propagiert und Geld sammelt, Anteile für ein Schiff namens „Black Beauty“, das seine Anhänger über den Ozean zurück ins afrikanische Paradies bringen soll. Starker Ausdruck der Unbehaustheit der Schwarzen im zeitgenössischen Amerika – jedenfalls hat O’Malley eine Menge Zulauf. Doch dann – Schüsse, Attentäter, Erinnerungen an Martin Luther King und Malcolm X und ihre letzten Minuten bei öffentlichen Versammlungen – und die 87.000 Dollar, die der Reverend gesammelt hat, sind geklaut.

Zum Glück gibt es die unkonventionellen Polizisten „Gravedigger“ Jones und „Coffin“ Ed Johnson. Die nicht vor heftigen Verfolgungsjagden und nächtlichen Schießereien auf dem Schrottplatz zurückscheuen und dabei immer Herz, Ohr und Beine fest in der Bevölkerung verankert haben: Die beiden gehören zur Community, nur dass sie dabei für ein Mindestmaß an Ordnung sorgen. „Wir haben vielleicht Knochen gebrochen, aber niemals ein Versprechen!“ – wo Aufruhr ist, da können die beiden beruhigen und dennoch sicherstellen, dass nicht einfach Recht, sondern Gerechtigkeit geschieht. Zwei eingespielte Buddys mit harten Fäusten, coolen Sprüchen und dem richtigen Riecher, so soll es sein. Ihr Gegenspieler, das wird schnell klar: Deke O’Malley, der Windhund, der Geld sammelt und es selbst klauen lässt, der die Gutgläubigkeit, nein: die Hoffnung „seiner“ Leute ausnutzt und damit immer wieder durchkommt…

Striptease auf Baumwolle
Da fliegen Leute bei Schlägereien oder Autounfällen meterhoch durch die Luft, da gibt es Glanzauftritte der Komiker Redd Foxx („Sanford & Son“) und Lou Jacobi (der Transvestit in Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex usw. usf.“), eine liebreizende Dame, die duscht, und eine drehbare Kirchenkanzel als Eingangstor zu einem Geheimgang. Und natürlich als Ziel der Begierde dieser Baumwollballen – was macht der eigentlich in Harlem? Das ist Unterhaltung in schönster Form – und vermengt mit einem trotz allem stets spürbaren politischen Fundament ist dieser Film eine wirklich runde Mischung; produziert von Samuel Goldwyn, Jr., ja: Verbindung zu good ole Hollywood – und am ehesten findet sich die goldrichtige Geisteshaltung des Films, wenn sich eine Stripperin über all diese Ballons und Federn und Fächer beschwert, die ja so gar nichts über die black people aussagen; und am Ende sehen wir sie tanzen auf dem Baumwollballen, die perfekte Verbindung von simplem Reiz-Reaktions-Schema und gesellschaftlich-selbstbewusst-revolutionärem Kontext, wenn der Striptease politisch wird.

Politisch geht es weiter. Naja, so irgendwie politisch. Mit Nazis und so. Vor allem aber: Mit Hal. Der hat eine Art blonden Haarputz auf, den jeder Schlagersänger als too much ablehnen würde; ist so doof, dass sogar sein FDP-Aufnahmeantrag abgelehnt wurde; hat aber ein super Stingray-Rennauto, das dem Film einen seiner vielen Titel gab: „Stingray 2“, womit sich Regisseur Paul Grau – unter dem einfallsreichen Pseudonym Paul Gray – als inoffizielles Sequel an einen inzwischen auch schon vergessenen Film anhängt, in dem Mark Hamill mitspielt. Aber wurscht. Hal jedenfalls hat gescored: mit seiner gerade 18 gewordenen Freundin rauscht er der Defloration entgegen, aber Halt: An einer Kreuzung überholt sie das Böse. In Form einer Gruppe Motorradrocker in so exzessiver Nazi-Leder-Kleidung, dass der innere Reichsparteitag, den wir bei diesem Anblick empfinden, nur von den vor Entzücken im Viereck springenden Marcusstigleggers in uns übertroffen wird (an dessen schönes Bändchen „Nazi-Chic und Nazi-Trash“ wir an dieser Stelle erinnern wollen).

Räder müssen rollen
Jedenfalls: Nach dieser ersten eher unfreundlichen Begegnung geht’s weiter in die Disco, wo die Flasche Privatwhisky wartet, Hal sondert Schleim und Phrasen ab, ein bisschen Rummachen mit der Freundin – hey, ihr 18. muss gefeiert werden! –, und verbale Vorbereitung auf die Entjungferung: „Für mich ist es auch das erste Mal! Ja, ich hatte schon viele Frauen – aber weil es für dich das erste Mal ist!“ Immerhin hat man sich schon vor acht Jahren (!) für dieses First-Time-Fickificki verabredet. Auf der Fahrt zum Bett – die Nazirocker wieder. Sie hauen Hal auf den Kopf und vergewaltigen dessen Babsy (ausgesprochen: „Bäbsi“) – er sitzt in der Ecke, und sehr lange bumst der Nazi-Capo das verzweifelte Mädchen, das damit auch aus dem Film verabschiedet wird. Womit klar ist, dass wir es hier mit einem heftigen inhärenten Zynismus zu tun haben, im ganzen Film, in all seinen Strukturen, und vielleicht ohne es selbst zu bemerken, denn Regie, Mise en scene, Schauspieler, Kamera, Musik, Schnitt – alle sind so herrlich unbedarft! Und aus jedem frame tropft hochkonzentrierte Unmoral! Hach!

Direkt nach der Vergewaltigung will Hal Rache – aber an seine Kleine denkt er nicht mehr, die ist in der Klinik versorgt. Vielmehr schneidet der Film auf ein hohes phallisches Gebäude, wo angeblich die Polizei drin wohnt, die aber auch nicht hilft. Dafür sehen wir Hal im Bett mit seiner Geliebten – also einer anderen jetzt, er hat nämlich viele –, und zudem ruft er seine Kumpels vom Kickboxerkaratekungfu-Club an. Nachts im Amphitheater (!) gibt’s Klopperei, und der Nazi-Führer wird entmannt. Was wir auch so ziemlich genau sehen, wie ohnehin die Penisquote im Film hoch ist.

Was haben wir gelernt in dieser Exposition? Hal ist ein Arsch. Die Nazis sind Ärsche. Die Frauen
Vergewaltigt und alsbald vergessen
sind McGuffins. Und im Weiteren wird gerächt und gegengerächt, hin und her, mit Maschinenpistolen und Handgranaten gegen den Karateklub, dann Hal hinterher – und ganz plötzlich weiß man als Zuschauer gar nicht mehr, woran man ist. Weil ein nackter Mann und eine nackte Frau im Bild auftauchen, deren Leibesmitte in Großaufnahme, und der fummelt an ihr rum, am Strand, und sie lässt es geschehen, und er beschwört seine Liebe, und sie so: jaja, und er so: liebst du mich, und sie so: jajajaja. Dann taucht Hal wieder auf in seiner Stingray, wir freuen uns, dass wir uns noch im selben Film befinden, und weil Hal ein viel geilerer Stecher ist als der Schlaffi vom Strand, schließt sich die Nackige als Hitchhikerin unserem Helden an, der mit ihr aufs Landgut seiner Eltern fährt. An den eigentlichen Grund seiner Fehde mit den Nazirockern, an die Vergewaltigung oder wenigstens vielleicht an die verpasste Entjungerferung denkt Hal jetzt keine Sekunde mehr. Auf dem Landgut: Die Mama im Rollstuhl, der Papa Typ alternder Intellektueller, der Sohn reitet mit seiner Neuen aus. Die immer denselben Pullover anhat, während Hal, stilbewusst wie immer, ständig sein Outfit wechselt, auch mehrmals am Tag: Muss ja nicht immer der olle Pullunder sein mit dem bunten Muster, das auf unglaublich irritierende Weise die Rallyestreifen der Stingray repetiert…

Innere Werte
An dieser Stelle ist es ratsam, darauf aufmerksam zu machen, dass wir es hier mit einem der trashigsten Trashstreifen der Weltgeschichte zu tun haben. So schlimm, dass sich sogar Produzent Erwin C. Dietrich schämte und in den Credits verleugnen lässt! So schlimm, dass die Nazis immer mal wieder keine Hakenkreuze in ihren Armbinden tragen – das scheint von einem letzten Rest Verantwortungsgefühl bei den Filmemachern zu zeugen (freilich aus Selbsterhaltungstrieb heraus), die nämlich vermutlich bei den Außenaufnahmen eben doch keine Hoheitszeichen nationalsozialistischer Provenienz vorführen wollten; Drehgenehmigungen gab es wahrscheinlich eh keine. Jedenfalls: Im Freien keine Swastikas, dafür im Haus. Einer der wirklich üblen Continuity-Fehlern, den wir krass bemerken, als die Bande das Landgut überfällt und der Film wieder in seinen Gore-Modus rutscht, mit der Heckenschere im Rachen des Garten-Boys, mit den MG-Salven durch diverse Leiber, und der netten spanischen Haushälterin werden bei lebendigem Leib die Eingeweide herausgerissen.

Ja: Der Film wurde in Spanien gedreht, das versucht er auch gar nicht zu vertuschen, wiewohl die Synchro das dennoch nicht mitgekriegt hat und Hals Wohnung penetrant in der Marktstraße verortet.

John Cleese-Ähnlichkeitswettbewerb (letzter Platz)
Der wird nach Bumsi-Freuden und Familiegemeuchelt-Schock zornig und zieht los, jetzt aber mal persönlich die bösen Nazibuben so richtig ranzunehmen. Dafür hat er sich ein Gewehr besorgt – bzw. drei – nein: eigentlich doch nur eines, das aber von Szene zu Szene seine Gestalt wandelt, von Schrotflinte über Winchester zu Pumpgun, wie ja auch die Nazis von Einstellung zu Einstellung in derselben Szene diverse Waffen in den Händen halten. In seinen Fehlern ist der Film konsequent! Haben wir zuvor den obersten Rocker-Lackaffen beim Pissen gesehen, nackt im Garten, der dann von seinem Kameraden in den Popo getreten wurde und ihm – Penisalarm! – nachstieg, als sei er Beamter im Ministry of Silly Walks, sehen wir ihn jetzt aufm Klo sitzen, das Hal hurtig in die Luft sprengt. Ein schöner Tod! Noch schöner, dass er in der nächsten Szene durch ein Filmstudio muss, und zwar durch das Set eines Filmes namens „Mad Foxes“, der dort gerade gedreht wird – postmoderne Selbstreflexivität, ick hör dir trapsen! Einer der Nazis wird bei seiner Domina gekillt, und am Ende – nein, das muss man gesehen haben. Was der entmannte Oberführer in seiner Freizeit gebaut hat. Und was dem Film letztendlich doch ein Happy End verleiht: weil nämlich alle Unsympathen tot sind. Sprich: alle Filmfiguren.

So, wie wir’s uns ja auch im wirklichen Leben wünschen, wo an allen Ecken Nazis hocken oder gewalttätige Lackmeier, tumbe Schläger und üble Flittchen: Über die lachen wir hier, ja, wir lachen, hahaha, wir lachen die Schrecken realer politischer oder gesellschaftlicher Quatschköppe und Gewaltextremisten weg, weil in diesem Film alles nur eitler Tand ist. Und weil wir’s wissen, genießen wir’s.


Harald Mühlbeyer

Filmkritik: "Liebe mich!" von Philipp Eichholtz

Von unserem Geschwisterblog "Ansichtssache - Zum aktuellen deutschen Film"



„Von Oma gefördert“ ist dieser Film laut Vorspann – eine andere Produktionsfirma wird nicht genannt. Und der Abspann konstatiert: Gedreht nach dem „Sehr guten Manifest“ von Axel Ranisch. Das heißt insbesondere: In einem Schwung gedreht, in einem rauschhaften Arbeitsvorgang. Mit einem kleinen Filmteam, beweglich und spontan. Improvisiert ohne ausgefeiltes Drehbuch. Und: Tragisch und komisch. In Freiheit selbstbestimmt und unabhängig entstanden, gedreht von glücklichen Filmemachern, ein Bioprodukt der deutschen Filmlandschaft.

„Liebe mich!“ ist ein persönlicher Film: „Ab und an trifft man auf Menschen, an denen man wächst. Für mich war Sarah so eine Person“, sagt Regisseur Philipp Eichholtz: „Nach drei Jahren Sehnsucht, Herzschmerz und Liebeskummer ist dieser Film eine Liebeserklärung an alle lauten, impulsiven und fordernden Menschen, die ihre Fehler und Macken offen und mutig nach außen tragen.“

Sarah: Sie hat einige Macken. Ziemlich große sogar. Und das Tolle am Kino ist: Figuren, die im richtigen Leben nerven würden, kommen einem im Film nahe. Sarah macht zu Anfang für ihren Freund Frühstück, liebevoll und allzu übereifrig. Er hat nicht die Zeit und die Kraft, sie in ihrer Nähesucht (die sich nur in kleinen Nuancen ausdrückt) zu ertragen. Also Streit. Also schmeißt sie ihren Laptop nach ihm. Der fliegt durchs Fenster. Scheibe kaputt, MacBook sowieso. Und Sarah auf der Straße.

Huhn und Hummel
Dort wartet Axel Ranisch auf sie. Im Bienenkostüm. Sie im Hühnerkostüm. Und die beiden verteilen Flyer an die Berliner Passanten, ihr Job neben dem Studium. Geldsorgen genug, ein neuer Laptop kostet 2000 Euro. Und ein rasendes Temperament zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Zwischendurch wütend. Und alsbald verliebt. Nämlich in den Laptopverkäufer…

Impulsiv ist Sarah, sie denkt nicht immer nach. Oder um es mit den Worten ihres Vaters (Peter Trabner wieder Mal in einer Glanzrolle) zu sagen: Wenn man fünf Minuten nachdenkt, weiß man, dass das bescheuert ist; die Lösung einer Gehirnamputierten. Nämlich: Ihre eigene Wohnung für einige Monate unterzuvermieten, dafür 2000 Euro zu erhalten, um das MacBook zu kaufen – und auf der Straße zu stehen. Und beim Papa einzuziehen. Und bei dessen schwangerer Freundin. Ausgesetzt dem Sarkasmus ihres Erzeugers, den dieser in Hochform auf ihr ablädt. Wenn er nicht unvermittelt in die autoritäre Rolle fällt: Ellbogen vom Tisch! Spülmaschine einräumen!

Philipp Eichholtz weiß offenbar, wovon er erzählt. Der Laptopverkäufer Oliver sei Oliver Jerke nachgestaltet, mit dem Eichholtz schon seit Schulzeiten befreundet ist, der nun den Film mitproduzierte. Und Sarah – Sarah ist Sarah, und da lässt sie sich nicht dreinreden. Wild verliebt zieht sie mit Oliver durch Berlin, zwischendurch zündet sie des Nachts das Moped ihres Ex-Freundes an, um anderntags die überflüssigen Möbel aus ihrer untervermieteten Wohnung bei diesem abzuladen. Abladen zu lassen – denn den Umzug muss Oliver, ihr Neuer, bewerkstelligen, sie selbst traut sich nicht und ist lieber Eisessen gegangen. Sarah, wie sie leibt und lebt: Launisch und leidenschaftlich, ungestüm und aufbrausend, kratzbürstig und liebesbedürftig

Philipp Eichholtz mit Filmförderung
Mit sechsseitigem Drehbuchentwurf ist Eichholtz an die Sache rangegangen, mit einem Budget von 4000 Euro. Und hat daraus ein kleines, großes Drama eine irrsinnige Komödie um Liebe und das Vergehen der Liebe geschaffen.

Harald Mühlbeyer



"Liebe mich!"
D 2014. Buch, Regie: Philipp Eichholtz. Kamera: Fee Scherer. Schnitt: Daniel Stephan. Musik: Luca, Ezra Furman, Cotton Jone. Produktion: Oliver Jerke, Philipp Eichholtz.
Darsteller: Lilli Meinhardt (Sarah), Christian Ehrlich (Oliver), Peter Trabner (Papa Dieter), Eva Bay (Natascha), Axel Ranisch (Dennis).
Länge: 80 Minuten.
Noch kein Verleih, noch kein Kinostart...

Cinema Quadrat sucht Zuflucht

Das Cinema Quadrat ist in Mannheim in der Ostkurve der Ringstraße um die Quadrate-Innenstadt beheimatet, im Erdgeschoss des Collini-Centers. Dieses besteht aus zwei Gebäudeteilen, einem 95 Meter hohen Wohn-Hochhaus und einem kleineren Bürokomplex, in dem eine Menge städtischer Ämter untergebracht sind.
Oder besser: waren.

Denn dieser Büroteil ist baufällig. Die meisten Behörden sind schon ausgezogen. Das Cinema
Collinicenter mit Wohn- und Büroturm
Quadrat harrt noch aus, muss noch ausharren: Denn eine neue Bleibe ist noch nicht gefunden. Dabei steht schon seit fast zwei Jahren ein Gerüst um das Gebäude, nicht für Renovierungsarbeiten, sondern als Schutz, weil sonst Betonbrocken aus der maroden Fassade herunterfallen könnten. Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen verlautet, dass die Miete für das Gerüst die Stadt Mannheim monatlich einen hohen fünfstelligen Betrag kostet. Eine Renovierung lohne sich nicht; ein Abriss aber sei kompliziert. Denn der Wohnturm, der von der Eigentümergemeinschaft stets in Schuss gehalten wurde, ist nicht betroffen vom Verfall; beim Büroturm aber habe die Stadt wohl versucht, Geld zu sparen durch mangelhafte Instandhaltung...

Nun ist es aber so: Beide Gebäudeteile stehen auf einer Betonplatte, unter der sich die Tiefgarage befindet. Wird ein Teil abgerissen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich der andere Teil wie auf einer Wippe absenkt...

Wenn man sich durch das Labyrinth von Gerüststelzen durchmüht, findet man den Weg ins Cinema Quadrat. Klar ist aber: Das Collini-Center hat keine Zukunft, das Cinema Quadrat muss irgendwann raus. Und sucht mit zunehmender Verzweiflung ein Gebäude, das sich für den Kinobetrieb eignet. 99 Plätze, ein Foyer, ein Raum für den supermodernen 4k-Projektor...

Am 26. Novermber sind die Vertreter der Stadt Mannheim ins Collini-Center geladen, um über die Situation zu informieren, um sich auszutauschen über das weitere Vorgehen. Und um überhaupt das Cinema Quadrat auf der Prioritätenliste etwas nach oben zu schubsen. Immerhin ist es eines der ältesten kommunalen Kinos in Deutschland, getragen von einem emsigen Verein, der ein ausgezeichnetes Programm zusammenstellt, zudem jährlich zwei bundesweit beachtete Symposien veranstaltet, im Frühjahr als Dialog zwischen Filmwissenschaft und Psycholanalyse zu einem Regisseur, im Herbst als intensive Betrachtung eines Themas mit Vorträgen und Werkstattberichten.

Beim diesjährigen Symposium kamen direkt Einladungen: die MFG-Filmförderung in Baden Württemberg wollte das gesamte Kino nach Stuttgart umziehen lassen, der Bundesverband der kommunalen Filmarbeit lockte gar nach Berlin. Aber klar: Auf jeden Fall will der Verein in Mannheim bleiben. Fraglich ist nur, wo.

müh

Hofer Filmtage 2014: Folter, Vergewaltigung und Mord

Die Kamera streicht in sanftem Lichtschein über den schönen Frauenkörper, mit halbverhangenen Augen blickt die junge Frau den Zuschauer an, und erst langsam merken wir, dass die Hände, die über ihre Haut streifen, nicht sehr zärtlich sind. Dass Angst im Blick der Frau steht. Dass ihr Mund geknebelt ist. Auftakt zu einem kleinen thematischen Schwerpunkt bei den diesjährigen Hofer Filmtagen, der mit Entführung, Vergewaltigung und Tötung die düsteren Seiten des Lebens bebildert.

Alsbald werden ein paar handliche Pakete gefunden werden, im Kofferraum eines Autos, in Mülltonnen, auf einem Friedhof verteilt: „A Walk Among the Tombstones“, der am 13. November in die Kinos kommt, schwelgt im ganz, ganz Bösen, und lässt Liam Neeson als privater Ermittler ohne Lizenz in Abgründe schauen. Neesons Figur Scudder ist das ziemlich gewohnt, hat sich seine eigene private Psychohölle gebaut, weil Neeson eben immer wieder Ex-Alkoholiker, Ex-Brutalos spielt, die von der Vergangenheit eingeholt werden.

Regisseur Scott Frank schafft es dabei tatsächlich, über den Standard-Neeson-Faktor hinaus eine hardboiled-Atmosphäre zu schaffen, in der jeder des anderen Wolf ist, oder sein kann, in der keiner unschuldig ist, und wenn doch, dann ist er – besser: sie – alsbald tot. Scudder wird von einem Drogenboss beauftragt, dessen Frau entführt und zerstückelt wurde; bald merkt er, dass hier Serientäter ihr Unwesen treiben, und bald wissen wir auch, wer diese sind – kein Whodunnit ist das, andererseits: auch kein Suspense-Thriller, weil Scudder selbst über weite Strecken kaum bedroht ist; sondern ein Blick auf das Böse an sich, auf das, wonach die übrigen Verbrechen einigermaßen normal erscheinen; auf das, woran sich der traumatisierte Scudder wieder einigermaßen aufrichten kann.

Ja, die Bösewichter: Die sind wirklich ganz konsequent gezeichnet, sadistische Soziopathen, gewalttätig und gefühllos – und das bis ins Ultimative hinein: Wie geht es eigentlich bei einer Partnerschaft zweier irren Serienkillern so zu? Leider kann Frank seinen Film nicht wirklich ausbalancieren – vor allem die Figur des jugendlichen TJ nervt in seiner penetranten Sidekickhaftigkeit, ein Straßenkid, das sich dem unwilligen Scudder anschließt, damit der nicht ganz alleine durch die Düsternis der Stadt wandeln muss – sehr überflüssig und dem Flow des Films stromabwärts ziemlich im Wege.

Keine Angst vor Klischees, vor Trashmomenten hat der kleine deutsche Thriller „True Love Ways“ von Mathieu Seiler, und genau deshalb, weil er diese Elemente bewusst einsetzt oder zumindest in Kauf nimmt, passt hier der etwas billige Look hinter der Schwarz-Weiß-Fassade der Bilder, das zuweilen etwas unterkomplexe Spiel der Darsteller, die Orientierungslosigkeit der Film-Topologie in labyrinthischen Kellergängen und die Überambitioniertheit von Beginn und Ende, die das Ganze in eine merkwürdige Traumstimmung versetzen, in der die Ebenen des Films mehrfach verschwimmen.

Séverine will sich von ihrem Freund trennen, weil sie von einem schönen Mann geträumt hat. Und sie fühlt sich beobachtet, durchs Fenster, durch die merkwürdigen men in black im Park, durch diese starrende Rollstuhlfahrerin… während Freund Tom in der Kneipe von einem eleganten Herrn angesprochen wird mit tollem Ratschlag, die Freundin wiederzugewinnen: ein fingierter Überfall, sie dann als Held des Tages erretten…

Im Fernsehen die Übertragung einer Schönheitskönigin-Wahl sowie eine Diskussion über Snuff-Videos, und schon sind die Pole abgesteckt: Bösewichter verfolgen Séverine im Wald, sie flieht in ein Landgut,eine schlossähnliche Villa, dort wird sie Zeuge von Folter, Vergewaltigung und Mord an der Schönheitskönigin, aufgezeichnet mit der Kamera zum Verkauf an zahlungskräftige Home-Entertainment-Sadisten. Flucht, Versteck, Zurückschlagen: Séverine ist sowieso tatkräftig und selbstbewusst, sie weiß sich zu wehren; und der Film weiß in diesem Mittelteil auch sehr genau, die richtigen Akzente zu setzen: Der Tonmann des Snuff-Filmteams, der mittels seines empfindlichen Mikrophons nach akustischen Spuren Séverines lauscht; der verwunschene Märchenbrunnen im Wald; und der Retro-Charme mit Wählscheibentelefon und VW-Käfer im Schwarz-Weiß-Ambiente, durch den Seiler einen zeitlosen Rahmen schafft…

Ein ziemlich guter Film in seiner bewussten Entscheidung, in der C-Klasse zu spielen, der lediglich gegen Ende seine Dramaturgie allzu sehr ins Schlingern bringt; der aber über weite Strecken schönen Spaß bereitet.

Im Gegensatz zu einem anderen deutschen Film, in dem alles falsch und dumm ist, in dem sich der Wille zur Satire vollständig auflöst im Unvermögen an Dramaturgie, Figurenzeichnung und Erzählperspektive. Andreas Arnstedt, der zuvor den reichlich entbehrlichen Hartz-4-Porno „Die Entbehrlichen“ gedreht hat, lässt nun in „Der Kuckuck und der Esel“ einen durchgeknallten Hinterwäldler, der als Identifikationsfigur herhalten soll, einen arrogant-schleimigen TV-Redakteur entführen, um diesen endlich für das Drehbuch zu begeistern, an dem er schon so lange rumdoktert. Jetzt ist das ganze schon mal grundsätzlich eine recht larmoyante Konstellation: Ein Drehbuchautor und Regisseur, der ungefördert und ohne TV-Anstalt einen Film dreht über einen Drehbuchautor, der bei den Redaktionen der Öffentlich-Rechtlichen regelmäßig aufläuft und keinen Fuß in die Tür kriegt… Eine Haltung von beleidigtem Trotz scheint den Film zu durchziehen, im Hintergrund – aber das eigentlich Schlimme ist das, was offen in den Bildern zur Schau getragen wird.

Da haben wir Conrad, den zögerlichen, naiven Drehbuchautor, der mit seiner Familie in einem Wohnwagen im Wald wohnt und der seit Jahren an seinem Drehbuch „Der Orangenhain“ laboriert, seit Jahren hingehalten wird vom TV-Redakteur; da haben wir Stuckradt Halmer, gespielt von Jan Hendrik Stahlberg, rückratloser Schleimer und Opportunist des öffentlich-rechtlichen Systems; und, vor allem, Papa Ephraim, der seinen Sohn Conrad zur Entführung von Halmer antreibt und dessen Willen mit allen Mitteln bricht. Ihm einen Zahn zieht, mit der Beißzange; einen Wanderer, mit dem Halmer aus seiner Gefangenschaft heraus Kontakt aufgenommen hat, kurzerhand erschießt – und Halmer die Leiche entsorgen lässt, ihm auch vorher nochmal genüsslich klar macht, dass dieser Tote ein liebevoller Familienvater war… Später dann, in einer ekelerregenden Szene, wird Halmer vom degenierten Knecht des Nachbarhofes in den Arsch gefickt.

Conrad macht das alles mit, diesen ganzen väterlichen Faschismus von Ephraim, der allzeit sein Judentum raushängen lässt und vom Holocaust-Verbrechen brabbelt; während das Drehbuch, das Conrad geschrieben hat, halt wirklich scheiße ist, eine Liebesschmonzette zwischen Hardliner-Jüdin und Hamas-Aktivisten: im Grunde genau das, wonach sich die TV-Redaktionen die Finger lecken, in der Behauptung des Films aber viel zu anspruchsvoll für die Fernsehlandschaft – und ein Beispiel für die wilde, beliebige Verteilung von Spott, die Arnstedt betreibt, der sich über alles soweit lustig macht, bis nichts mehr übrig bleibt, keine Haltung, keine Perspektive. Der dieses lächerliche Drehbuch von Conrad als lächerlich behauptet, zugleich aber die TV-Redaktion-Bürokratie karikiert und ganz haltlos Salven wider die deutsche Filmkultur loslässt, die an sich nicht unrichtig sind (der kulturelle Bruch durch das Naziregime, der bis heute spürbar ist) – dies aber dem sadistischen Protofaschisten Ephraim in den Mund legt, bei dem alles, was er sagt und tut, falsch ist – eben außer seiner Schelte auf Kino und TV, die sich so ziemlich mit Arnstedts Meinung decken dürfte…

Ein erbärmliches Schauspiel, dieser Film; gedreht von einem Regisseur, der sein Handwerk nicht versteht, der wirre Ansichten wirren Figuren in den Mund legt und das als Kommentar zur Kulturlosigkeit verstanden wissen will. Einer, der rumwitzelt über die Obsession von Fernsehredakteuren über die zwanghafte Ambivalenz von Figuren, der andererseits selbst turboambivalente Figuren zeichnet vom Fascho-Juden, der in seiner Freizeit malt, oder vom Schleimer-Redakteur mit Down-Syndrom-Tochter.

Klar trifft Arnstedt manchmal empfindliche Punkte, und mitunter spielt er lustig mit den Klischees von Redakteuren und Drehbuchautoren – aber eben nur punktuell, und in einem Kontext, der alles wieder zunichte macht. Dennoch – vermutlich für diese Art satirischer Medienschelte – hat er für seinen Film in Hof den Förderpreis deutscher Film erhalten – wobei geflissentlich übersehen wurde, mit welch gefährlichen antisemitischen Topoi er spielt, wenn sein Ephraim, der Sadist, das große Wort von der deutschen Schuld im Munde führt, mit der er seine psychopathischen Aktionen rechtfertigt; und auf welch widerwärtige, ja unmoralische Art Entführung, Folter, Vergewaltigung und Mord durch den Holocaust legitimiert und zudem gleichgesetzt werden mit der Ablehnung eines Drehbuchs.

Präzision in der Inszenierung, Klarheit in der filmischen Vision, Konzentration beim Thema: Diese Tugenden exerzierte Eric Cherrière mit seinem Langfilmdebüt „Cruel“ beispielhaft durch: Wir folgen Pierre, der zuhause seinen alten Papa pflegt, der im Wachkoma liegt; der täglich tapfer seinen Weg zur Arbeit geht in einer Recyclingfabrik; der gerne die Abenteuerbücher seiner Kindheit à la „Die Schatzinsel“ liest; der in der Garage liebevoll den alten Citroën herrichtet, einen Wagen mit Einschusslöchern im Kofferraum, das Auto, in dem De Gaulle beim Attentat von 1962 saß. Und der im Übrigen im hinteren Winkel seines Kellers, dort, wo Opa im Krieg Juden versteckt hielt, eine Pritsche hingestellt hat, ein kleines Tischchen, in den Wänden sind Ketten verankert, und hier hält er seine Entführungsopfer gefangen, unterhält sich mit ihnen freundlich, bis er sie brutal und schnell hinmetzelt.

Pierre ist Serienkiller mit eigenem Manifest: In zehn Punkten hat er seine Richtlinien für sich aufgelistet, keine Zeugen bei der Entführung, keine Anhaltspunkte auf ein Verbrechen am Tatort, Ausschlusskriterien für seine Opfer wie Geschlecht, Alter, Hautfarbe gelten nicht, die Tötung erfolgt jedesmal mit einer anderen Waffe. Blutige Verbrechen sind Teil seines Alltags, in dem wir ihn begleiten, eine eintönige Existenz in Toulouse. Eine melancholische Stimmung über Leben und Film, ein Gefangensein im Dasein in einer Stadt, in der elf Jahre lang die Killerserie nicht auffällt, weil sowieso ständig Leute verschwinden; eine existentielle Einsamkeit, der man nicht entfliehen kann, auch nicht, wenn man sich zeitweise Gefährten im Keller festkettet, diese entsorgt, wieder neue findet…

Cherrière öffnet den Kopf und das Herz des Killers für den Zuschauer, der abgestoßen ist und zugleich fasziniert von diesem Mann, der mit klarer Überlegung und präzisem Plan vorgeht, der ganz normal ist mit einem, nun ja, kleinen Fehler in seinem Verhalten. Erklärt wird nichts, mit der Psychologie wird gespielt: Pierre erzählt des Öfteren Geschichten von seiner Mutter, die seinen Irrsinn erklären könnten, doch es sind jedesmal andere, und wahrscheinlich sind sie jedesmal gelogen. Der Vater ist menschliches Gemüse – das dann doch irgendwann ihre wahre innere Bitterkeit offenbart, das ist einer der wenigen Ansätze, Pierres Charakter zu erklären; ein Charakter, der völlig menschlich ist: ein Charakter, der sich verliebt, in Laure, die nichts weiß über Pierre und nichts wissen darf, eine Liebe, die heiß und innig ist, die still wächst und in der sich beide, Pierre und Laure, aneinander aufrichten; eine Liebe, die unmöglich ist, die keine Zukunft hat, die aber so lange dauern soll wie möglich.

Zwischen Thriller, Horror, Krimi und Melodram findet Cherrière den richtigen Weg für sein Porträt eines Serienkillers in einem Film, der keinen ungeschoren davonkommen lässt. Auch nicht den Zuschauer.

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese September 2014 – Exekution und Sternenkriege

„Sûpâ gun redei Wani Bunsho“ / „Die Exekution”, Japan 1979, Regie: Chûsei Sone.

„Uchu kara no messeji“ / „Sternenkrieg im Weltall“, Japan 1978, Regie: Kinji Fukasaku.



Die gute Nachricht ist: Es wird, voraussichtlich im Februar oder März, wieder einen Viel-Filme-Grindhouse-Tag geben – zwar nicht mehr sieben am Stück, dafür immerhin fünf – und die in grundsolider 35mm-Projektion.

Die andere gute Nachricht ist: Auch zwei Filme können an einem Samstagabend eine Menge Spaß bereiten. Zumal, wenn es eigentlich mindestens vier sind – denn in „Die Exekution“ stecken mindestens drei Krimis drin, in unterschiedlichen Genrevariationen: Polit-Korruption, Rape&Revenge, Banküberfall.
Aber zu Anfang haben wir den Filmbeginn… Eine Familie beim Abendessen, die Tochter mault wegen Hausaufgaben, der Papa will Baseball gucken, die Mama nörgelt rum und deckt den Tisch ab – und ein lautes Krachen ertönt, die Wand zerbirst, ein Polizeiauto rast ins Wohnzimmer und bleibt kurz vorm Esstischchen stecken. Draußen sehen wir: Einen toten Polizisten am Steuer, und eine reichlich derangiert wirkende Frau taumelt über den Bordstein. Die herbeigerufenen Ordnungshüter sammeln sie ein, bringen sie zur Wache – und wir erkennen, dass sie Mitglied der Spezialeinheit Alligator ist bei der Fahndung gegen Korruption. Mit ruppigen Methoden. Und trotzigem Selbstbewusstsein.

Sie heißt Mika, und sie wird angesetzt gegen Bestechungszahlungen eines Rüstungskonzern. Klar: Ein Wespennest, in das sie, die unangepasste Polizistin, da sticht. Zudem bekommt sie einen ungeliebten Partner zugeteilt: die Geheimdienstlerin Rin, mit der sie alsbald durch dick und dünn geht. Ermittlung, Beschattung, Verhör, auf die unkonventionelle Art. Abends geht Mika schlafen – und lässt den Rüstungsbonzen unbeaufsichtigt. Schon wird er von Mobstern übers Geländer geschubst, 20 Stockwerke sehen wir ihn runterfallen. Er war schwul; seine neueste Knabeneroberung wird anderntags von den Bösewichtern an einer Straßenkreuzung unter einen LKW geschubst. Mika und Rin fassen den einen, auf’m Parkdeck ist ein Auto nicht abgeschlossen, darin wenden sie ihre erweiterten Verhörmethoden an; inklusive Kieferverrenken, als er partout nicht aussagen will. Mit aufgesperrtem Maul, sabbernd, erschießt ihn darauf der Kollege… Eine der vielen erinnernswerten Szenen, denen Schlag auf Schlag weitere folgen. Etwa Verfolgungsjagd durch eine Industriebrache, inmitten von Bauschutt beim Abbruch der Fabrik – 20 Motorradfahrer gegen ein Auto, Verstecksuche, rasendes Brausen durch die Flure der ausgeräumten Gebäude, Ausweichen vor der Abrissbirne. Und schwupps, der Beginn des nächsten Filmabschnitts.

Mika wird gefangen genommen von den Gangstern, in eine enge, dunkle Kammer gesteckt. Nackt; unter Drogen gesetzt; vergewaltigt; vollgepisst – es ist widerlich, der Film kramt nun in den ganz dunklen Ecken der schlimmsten Perversionen, die die Bösewichter sich ausdenken können. Ein Film des Pinku Violence-Genre ist dies, sprich: Nackedeis und Gewalt, beides wird zur Genüge dargeboten. Aber, und das ist das interessante, nicht auf voyeuristische Art, eben nicht als „Exploitation“; sondern als Abbild der schlechtesten Seiten der Menschen. Mika wird zum Junkie gemacht, wird wieder und wieder rangenommen, schließlich auf eine Müllhalde transportiert, high und benommen soll sie hier krepieren. Nur dass Rin schon ihre Spur aufgenommen hat, eine krasse Schießerei auf der Deponie, die vor allem durch die lächerlichen Sprünge so richtig bekloppt wirkt, die Rin und ihr Gegner vollführen: Hops, um übers Autodach zu blicken, peng, schießen, runter wieder in Deckung… hüpfende Schießfrösche, ein totaler Stilbruch, das ist das Problem des Films: Er könnte, wäre er sorgfältiger gemacht, ein richtiger – und damit meine ich: wirklich echt richtiger – Klassiker der Filmgeschichte sein.

So aber müssen wir uns mit dem dritten Filmteil begnügen, in dem die noch nicht ganz vom Entzug ausgenüchterte Mika sich in einen Banküberfall einmischt. Und wie.
Den Überfall hatte der Gangster-Oberboss aus dem Innenministerium initiiert – die Polizei, speziell die Einheit Alligator, ablenken vom eigenen Tun. Deshalb drei irre Verbrecher engagieren, die auf dem Weg ins Gefängnis zum Antritt ihrer lebenslangen Haftstrafen sind: ein mitleidloser Killer und zwei unverbesserliche Triebtäter, die schon mehrere Frauen geschändet und ermordet haben. Ihre Aufgabe: Banküberfall und möglichst viel Krawall. Und den machen sie, mehr, als allen lieb ist. Und „Die Exekution“ erreicht eine neue Stufe der Abscheulichkeitsdarstellungen; denn unter den Mitarbeitern und Kunden der Bank sind auch einige Frauen… Klar, die Sicherheitsbeamten werden sofort erschossen; der Bankdirektor auch, um den Polizei draußen ein Zeichen zu setzen. Und der Rest ist Kanonenfutter und Fickfleisch.

Eine solche Geiselnahme habe ich noch nicht gesehen. Radikal, rücksichtslos, sadistisch, ohne jeden Anflug von Menschlichkeit, die drei haben ja nichts zu verlieren, wird da gewütet, vergewaltigt, gemordet. Und halt nicht nur das. Auch perverse Spielchen getrieben, die die Geiseln in ihrer Todesangst mitmachen müssen: Röckchen hoch, Höschen runter, und dann in „sexy“ Position… äääh! Oder: Die Damen müssen Pipi machen, in einen Eimer, der Vergewaltiger geilt sich daran auf, zwingt sich in die Frau und erwürgt sie dabei… uah! Beinahe unerträglich. Und bewundernswert im puren Drang zur Gewaltdarstellung, die äußerst hart, aber überhaupt nicht verherrlichend ist… Weil der Film nie, nie auch nur ansatzweise den Versuch macht, irgendwelche Lustzentren beim Zuschauer zu erreichen. Nicht im Brutalen, und nicht im Nackten.

Der Vorspann, der hatte Mika in ihrem Appartement gezeigt, abends, beim Ausziehen und Zubettgehen. Und wie er sie gezeigt hat: Immer wieder in Standbildern, die so absolut unvorteilhaft sind, man sieht sie beim Verrenken, beim Bücken, den nackigen Hintern unschön in die Kamera geschoben, in klumpigen Bewegungen; den ganzen Film über wird sie so rumlaufen, irgendwie ordinär, irgendwie unkoordiniert, die Handtasche schlenkernd, mit eingezogenem Genick und plumpem Gesichtsausdruck. Und Kollegin Rin kommt breitbeinig daher, grobschlächtig und völlig unweiblich – man kennt so was gar nicht aus dem Kino. Am Ende, nachdem sie in privaten Racheaktionen die Bösewichter einen nach dem andren gekillt hatten, sehen wir die beiden am Strand, in Sonnenliegen, in Bikinis. Und sie gähnen herzhaft, ohne Hand vorm Mund, ein letzter Gruß des Regisseurs an den Zuschauer, dem er die ganz normalen Hässlichkeiten ebenso wenig vorenthalten will wie die tiefsten Abgründe der Bosheit.

Wir erholen uns beim „Sternenkrieg im Weltall“. Auf dem Planeten Jilucia. Wo es freilich alles andere als friedlich zugeht: Die Gavaner haben den Planeten erobert, expansionswütig und brutal, wie sie sind, und in einem beispiellosen Völkermord die Jilucier massakriert. Bis auf ein paar, die sich in den Bergen verstecken konnten. Und die jetzt für Rettung und Hilfe sorgen: in braunen Lumpen begehen sie eine Art Gottesdienst, der Hohepriester hat die gebündelte Kraft der Mutter Sonne in acht goldene Walnüssen konzentriert – äääähhh: ja, in Walnüssen. Die jetzt durchs Weltall fliegen zu den auserwählten Kriegern, die Jilucia erretten sollen. Den Nüssen hinterher: Prinzessin Emeralida im Brautkleid (!) und der Aufpasser Urocco. Denn der Hyperantrieb des Schiffes ist jetzt fertiggestellt, freie Bahn durchs Weltenall – in einem Dreimaster-Segelschiff (!). Natürlich bleibt das den Gavanern nicht verborgen, und sie schicken ihr Kampfraumschiff hinterher, das aussieht wie ein überdimensionierter Kampfpanzer.

Und schon sind wir mitten drin in dieser abenteuerlichen Weltallsause, die völlig absurd und lächerlich erscheint. War immerhin mit 6 Millionen Dollar die bis dahin teuerste japanische Filmproduktion, Regisseur Kinji Fukasaku hatte zuvor schon Co-Regie bei „Tora! Tora! Tora!“ geführt, und ein paar amerikanische Schauspieler wurden auch verpflichtet, um den internationalen Erfolg zu garantieren. Der Film kam in Japan am 29. April 1978 in die Kinos – das war zwei Monate, bevor George Lucas mit „Star Wars“ die dortigen Leinwände überfiel. Und für die Japaner musste es so ausgesehen haben, als hätte sich Lucas kräftig bei Fukasaku bedient…

Tatsächlich finden sich eine Menge Motive, Figuren, Details, wie sie schon Lucas in seinem Sternenkrieg-Universum eingesetzt hat (die er ja wiederum zusammengeklaut hat aus allen möglichen Quellen, von Buck Rogers bis zur römischen Antike): ein lustiger Roboter ist dabei namens Beba 2, rund und dick pfeift er seine elektronischen Töne und plappert zugleich drauflos und wedelt mit den Armen – eine Vermengung seiner beiden US-Vorbilder. Die Helden der Geschichte sind unbedarft und wild, in verschiedener Mischung, aber das sind Helden ja immer, nicht nur wenn sie Luke oder Han heißen. Zusätzlich zur Prinzessin gibt es auch noch Meia, die Abenteuerlustige – ein um 100 Prozent höherer Frauenanteil also als beim US-Vorbild.
Auf der Seite der Bösen haben wir den General-Chef der Gavaner, in einer Art Samurai-Maske mit Wikingerhelm und Inkaapplikationen; und über ihm steht nicht der Imperator, nein: seine Mutter. Womit Fukasaku ein ganz subtiler Verweis gelingt auf den erst fünf Jahre später veröffentlichten „Rückkehr der Jedi-Ritter“, wo ja, Achtung Spoiler, eine ganz überraschende Vaterschaft offenbart wird…

Wir jedenfalls fliegen mit den Nüssen durch verschiedene Galaxien, bis wir auf Menschen treffen – nämlich auf drei jugendliche Taugenichtse, die nur durch die forsche Meia überhaupt zum Jagen getragen werden können, und auf General Gandor mit seinem Roboterfreund, der die Uniform an den Nagel gehängt hat, um fortan in Bars rumzuhängen, in Mantel und mit Schlapphut wie späterhin Indiana Jones (wieder so eine raffinierte Anspielung aufs Zukünftige!). Außer Meia will jedenfalls keiner in den Kampf ziehen, obwohl sie von den Nüssen doch auserwählt worden sind! Erst als die Gavaner hinter ihnen her sind, geben sie sich einen Ruck – und als sich Aaron, einer der draufgängerischen Teufelskerle, der seine Tollkühnheit hinter Trägheit versteckt, sich in die Prinzessin verliebt. Im Übrigen gibt es auch noch eine Episode mit einem Froschgesicht mit elektrischer Peitsche, der die Prinzessin zu seiner Frau machen will mit Hilfe seiner hexenhaften Mutter, aber das ist eine andere Geschichte.

Irgendwann jedenfalls haben die Gavaner der friedlichen Planeten Jilucia in eine fliegende Kampfstation verwandelt und nehmen Kurs auf die Erde, um sie zu unterwerfen. Es kommt zu unglaublichen Weltraumschlachten, die denen aus Marin County wirklich um nur ganz wenig nachstehen – und ja, inzwischen haben wir den Film liebgewonnen! Denn abseits von seinen albernen Dialogen, die der billigen Synchro geschuldet sind, erkennen wir durchaus den großen Entwurf an, den Fukasaku im Kopf hatte; den er mit seiner komplizierten, etwas episodenhaften Dramaturgie in den Griff bekommen will, was auch tatsächlich einigermaßen gelingt – ich meine, hey, „Star Wars – Eine neue Hoffnung“, also der erste bzw. vierte Film der Trilogie, ist auch über einige Strecken langweilig, und nur weil man die Macht nicht sieht, heißt sie nicht, dass sie in ihrer Esoterik weniger lächerlich ist als goldene Weltallnüsse.

Vor allem aber freuen wir uns, dass es Fukasaku nicht nur mit bloßem oberflächlichen Weltall-Rumgehampel belässt, sondern dass auch er – wie im Film zuvor sein Kollege Chûsei Sone – eine Geschichte hinter der Geschichte bereithält. Was bei Sone die inhärente Grund-Hässlichkeit des Menschen ist, das ist bei Fukasaku das allübergreifende Mit- und Ineinander von Früher und Heute und Zukunft; vom starwarsinspirierten Anfangsspruch „Es war einmal in tausenden von Jahren“ bis zu den Segelschiffen, die durch Sternenstaub gleiten, bis zu den Laser-Musketen und den Säbeln, mit denen so richtiger Swashbuckler-Charme in die Sternenkriege hineingerät. Was zu Anfang albern wirkte, das wird späterhin, bei der letzten großen Schlacht mit den Gavenern, als Konzept erkennbar; und damit kann man es gutheißen, jawohl!

Hätte Fukasaku ein bisschen mehr Wert auf Eleganz gelegt, auch ein paar doofe Bluescreen-Aufnahmen rausgeschnitten – das Aufsammeln von „Feuersteinen“ im Planetenring! (wobei die leuchtenden Feuersteine atomarer Müll sind, der ins Weltall verlagert wurde, womit wir schon wieder bei einem gesellschaftlich relevanten Thema wären…) –; dann jedenfalls wäre „Sternenkrieg im Weltall“ tatsächlich das (noch) bessere „Star Wars“ geworden.
Und eine Beba-Figur will ja wohl jeder im Schlafzimmer haben, ne?

Harald Mühlbeyer