Grindhouse-Nachlese September 2014 – Exekution und Sternenkriege

„Sûpâ gun redei Wani Bunsho“ / „Die Exekution”, Japan 1979, Regie: Chûsei Sone.

„Uchu kara no messeji“ / „Sternenkrieg im Weltall“, Japan 1978, Regie: Kinji Fukasaku.



Die gute Nachricht ist: Es wird, voraussichtlich im Februar oder März, wieder einen Viel-Filme-Grindhouse-Tag geben – zwar nicht mehr sieben am Stück, dafür immerhin fünf – und die in grundsolider 35mm-Projektion.

Die andere gute Nachricht ist: Auch zwei Filme können an einem Samstagabend eine Menge Spaß bereiten. Zumal, wenn es eigentlich mindestens vier sind – denn in „Die Exekution“ stecken mindestens drei Krimis drin, in unterschiedlichen Genrevariationen: Polit-Korruption, Rape&Revenge, Banküberfall.
Aber zu Anfang haben wir den Filmbeginn… Eine Familie beim Abendessen, die Tochter mault wegen Hausaufgaben, der Papa will Baseball gucken, die Mama nörgelt rum und deckt den Tisch ab – und ein lautes Krachen ertönt, die Wand zerbirst, ein Polizeiauto rast ins Wohnzimmer und bleibt kurz vorm Esstischchen stecken. Draußen sehen wir: Einen toten Polizisten am Steuer, und eine reichlich derangiert wirkende Frau taumelt über den Bordstein. Die herbeigerufenen Ordnungshüter sammeln sie ein, bringen sie zur Wache – und wir erkennen, dass sie Mitglied der Spezialeinheit Alligator ist bei der Fahndung gegen Korruption. Mit ruppigen Methoden. Und trotzigem Selbstbewusstsein.

Sie heißt Mika, und sie wird angesetzt gegen Bestechungszahlungen eines Rüstungskonzern. Klar: Ein Wespennest, in das sie, die unangepasste Polizistin, da sticht. Zudem bekommt sie einen ungeliebten Partner zugeteilt: die Geheimdienstlerin Rin, mit der sie alsbald durch dick und dünn geht. Ermittlung, Beschattung, Verhör, auf die unkonventionelle Art. Abends geht Mika schlafen – und lässt den Rüstungsbonzen unbeaufsichtigt. Schon wird er von Mobstern übers Geländer geschubst, 20 Stockwerke sehen wir ihn runterfallen. Er war schwul; seine neueste Knabeneroberung wird anderntags von den Bösewichtern an einer Straßenkreuzung unter einen LKW geschubst. Mika und Rin fassen den einen, auf’m Parkdeck ist ein Auto nicht abgeschlossen, darin wenden sie ihre erweiterten Verhörmethoden an; inklusive Kieferverrenken, als er partout nicht aussagen will. Mit aufgesperrtem Maul, sabbernd, erschießt ihn darauf der Kollege… Eine der vielen erinnernswerten Szenen, denen Schlag auf Schlag weitere folgen. Etwa Verfolgungsjagd durch eine Industriebrache, inmitten von Bauschutt beim Abbruch der Fabrik – 20 Motorradfahrer gegen ein Auto, Verstecksuche, rasendes Brausen durch die Flure der ausgeräumten Gebäude, Ausweichen vor der Abrissbirne. Und schwupps, der Beginn des nächsten Filmabschnitts.

Mika wird gefangen genommen von den Gangstern, in eine enge, dunkle Kammer gesteckt. Nackt; unter Drogen gesetzt; vergewaltigt; vollgepisst – es ist widerlich, der Film kramt nun in den ganz dunklen Ecken der schlimmsten Perversionen, die die Bösewichter sich ausdenken können. Ein Film des Pinku Violence-Genre ist dies, sprich: Nackedeis und Gewalt, beides wird zur Genüge dargeboten. Aber, und das ist das interessante, nicht auf voyeuristische Art, eben nicht als „Exploitation“; sondern als Abbild der schlechtesten Seiten der Menschen. Mika wird zum Junkie gemacht, wird wieder und wieder rangenommen, schließlich auf eine Müllhalde transportiert, high und benommen soll sie hier krepieren. Nur dass Rin schon ihre Spur aufgenommen hat, eine krasse Schießerei auf der Deponie, die vor allem durch die lächerlichen Sprünge so richtig bekloppt wirkt, die Rin und ihr Gegner vollführen: Hops, um übers Autodach zu blicken, peng, schießen, runter wieder in Deckung… hüpfende Schießfrösche, ein totaler Stilbruch, das ist das Problem des Films: Er könnte, wäre er sorgfältiger gemacht, ein richtiger – und damit meine ich: wirklich echt richtiger – Klassiker der Filmgeschichte sein.

So aber müssen wir uns mit dem dritten Filmteil begnügen, in dem die noch nicht ganz vom Entzug ausgenüchterte Mika sich in einen Banküberfall einmischt. Und wie.
Den Überfall hatte der Gangster-Oberboss aus dem Innenministerium initiiert – die Polizei, speziell die Einheit Alligator, ablenken vom eigenen Tun. Deshalb drei irre Verbrecher engagieren, die auf dem Weg ins Gefängnis zum Antritt ihrer lebenslangen Haftstrafen sind: ein mitleidloser Killer und zwei unverbesserliche Triebtäter, die schon mehrere Frauen geschändet und ermordet haben. Ihre Aufgabe: Banküberfall und möglichst viel Krawall. Und den machen sie, mehr, als allen lieb ist. Und „Die Exekution“ erreicht eine neue Stufe der Abscheulichkeitsdarstellungen; denn unter den Mitarbeitern und Kunden der Bank sind auch einige Frauen… Klar, die Sicherheitsbeamten werden sofort erschossen; der Bankdirektor auch, um den Polizei draußen ein Zeichen zu setzen. Und der Rest ist Kanonenfutter und Fickfleisch.

Eine solche Geiselnahme habe ich noch nicht gesehen. Radikal, rücksichtslos, sadistisch, ohne jeden Anflug von Menschlichkeit, die drei haben ja nichts zu verlieren, wird da gewütet, vergewaltigt, gemordet. Und halt nicht nur das. Auch perverse Spielchen getrieben, die die Geiseln in ihrer Todesangst mitmachen müssen: Röckchen hoch, Höschen runter, und dann in „sexy“ Position… äääh! Oder: Die Damen müssen Pipi machen, in einen Eimer, der Vergewaltiger geilt sich daran auf, zwingt sich in die Frau und erwürgt sie dabei… uah! Beinahe unerträglich. Und bewundernswert im puren Drang zur Gewaltdarstellung, die äußerst hart, aber überhaupt nicht verherrlichend ist… Weil der Film nie, nie auch nur ansatzweise den Versuch macht, irgendwelche Lustzentren beim Zuschauer zu erreichen. Nicht im Brutalen, und nicht im Nackten.

Der Vorspann, der hatte Mika in ihrem Appartement gezeigt, abends, beim Ausziehen und Zubettgehen. Und wie er sie gezeigt hat: Immer wieder in Standbildern, die so absolut unvorteilhaft sind, man sieht sie beim Verrenken, beim Bücken, den nackigen Hintern unschön in die Kamera geschoben, in klumpigen Bewegungen; den ganzen Film über wird sie so rumlaufen, irgendwie ordinär, irgendwie unkoordiniert, die Handtasche schlenkernd, mit eingezogenem Genick und plumpem Gesichtsausdruck. Und Kollegin Rin kommt breitbeinig daher, grobschlächtig und völlig unweiblich – man kennt so was gar nicht aus dem Kino. Am Ende, nachdem sie in privaten Racheaktionen die Bösewichter einen nach dem andren gekillt hatten, sehen wir die beiden am Strand, in Sonnenliegen, in Bikinis. Und sie gähnen herzhaft, ohne Hand vorm Mund, ein letzter Gruß des Regisseurs an den Zuschauer, dem er die ganz normalen Hässlichkeiten ebenso wenig vorenthalten will wie die tiefsten Abgründe der Bosheit.

Wir erholen uns beim „Sternenkrieg im Weltall“. Auf dem Planeten Jilucia. Wo es freilich alles andere als friedlich zugeht: Die Gavaner haben den Planeten erobert, expansionswütig und brutal, wie sie sind, und in einem beispiellosen Völkermord die Jilucier massakriert. Bis auf ein paar, die sich in den Bergen verstecken konnten. Und die jetzt für Rettung und Hilfe sorgen: in braunen Lumpen begehen sie eine Art Gottesdienst, der Hohepriester hat die gebündelte Kraft der Mutter Sonne in acht goldene Walnüssen konzentriert – äääähhh: ja, in Walnüssen. Die jetzt durchs Weltall fliegen zu den auserwählten Kriegern, die Jilucia erretten sollen. Den Nüssen hinterher: Prinzessin Emeralida im Brautkleid (!) und der Aufpasser Urocco. Denn der Hyperantrieb des Schiffes ist jetzt fertiggestellt, freie Bahn durchs Weltenall – in einem Dreimaster-Segelschiff (!). Natürlich bleibt das den Gavanern nicht verborgen, und sie schicken ihr Kampfraumschiff hinterher, das aussieht wie ein überdimensionierter Kampfpanzer.

Und schon sind wir mitten drin in dieser abenteuerlichen Weltallsause, die völlig absurd und lächerlich erscheint. War immerhin mit 6 Millionen Dollar die bis dahin teuerste japanische Filmproduktion, Regisseur Kinji Fukasaku hatte zuvor schon Co-Regie bei „Tora! Tora! Tora!“ geführt, und ein paar amerikanische Schauspieler wurden auch verpflichtet, um den internationalen Erfolg zu garantieren. Der Film kam in Japan am 29. April 1978 in die Kinos – das war zwei Monate, bevor George Lucas mit „Star Wars“ die dortigen Leinwände überfiel. Und für die Japaner musste es so ausgesehen haben, als hätte sich Lucas kräftig bei Fukasaku bedient…

Tatsächlich finden sich eine Menge Motive, Figuren, Details, wie sie schon Lucas in seinem Sternenkrieg-Universum eingesetzt hat (die er ja wiederum zusammengeklaut hat aus allen möglichen Quellen, von Buck Rogers bis zur römischen Antike): ein lustiger Roboter ist dabei namens Beba 2, rund und dick pfeift er seine elektronischen Töne und plappert zugleich drauflos und wedelt mit den Armen – eine Vermengung seiner beiden US-Vorbilder. Die Helden der Geschichte sind unbedarft und wild, in verschiedener Mischung, aber das sind Helden ja immer, nicht nur wenn sie Luke oder Han heißen. Zusätzlich zur Prinzessin gibt es auch noch Meia, die Abenteuerlustige – ein um 100 Prozent höherer Frauenanteil also als beim US-Vorbild.
Auf der Seite der Bösen haben wir den General-Chef der Gavaner, in einer Art Samurai-Maske mit Wikingerhelm und Inkaapplikationen; und über ihm steht nicht der Imperator, nein: seine Mutter. Womit Fukasaku ein ganz subtiler Verweis gelingt auf den erst fünf Jahre später veröffentlichten „Rückkehr der Jedi-Ritter“, wo ja, Achtung Spoiler, eine ganz überraschende Vaterschaft offenbart wird…

Wir jedenfalls fliegen mit den Nüssen durch verschiedene Galaxien, bis wir auf Menschen treffen – nämlich auf drei jugendliche Taugenichtse, die nur durch die forsche Meia überhaupt zum Jagen getragen werden können, und auf General Gandor mit seinem Roboterfreund, der die Uniform an den Nagel gehängt hat, um fortan in Bars rumzuhängen, in Mantel und mit Schlapphut wie späterhin Indiana Jones (wieder so eine raffinierte Anspielung aufs Zukünftige!). Außer Meia will jedenfalls keiner in den Kampf ziehen, obwohl sie von den Nüssen doch auserwählt worden sind! Erst als die Gavaner hinter ihnen her sind, geben sie sich einen Ruck – und als sich Aaron, einer der draufgängerischen Teufelskerle, der seine Tollkühnheit hinter Trägheit versteckt, sich in die Prinzessin verliebt. Im Übrigen gibt es auch noch eine Episode mit einem Froschgesicht mit elektrischer Peitsche, der die Prinzessin zu seiner Frau machen will mit Hilfe seiner hexenhaften Mutter, aber das ist eine andere Geschichte.

Irgendwann jedenfalls haben die Gavaner der friedlichen Planeten Jilucia in eine fliegende Kampfstation verwandelt und nehmen Kurs auf die Erde, um sie zu unterwerfen. Es kommt zu unglaublichen Weltraumschlachten, die denen aus Marin County wirklich um nur ganz wenig nachstehen – und ja, inzwischen haben wir den Film liebgewonnen! Denn abseits von seinen albernen Dialogen, die der billigen Synchro geschuldet sind, erkennen wir durchaus den großen Entwurf an, den Fukasaku im Kopf hatte; den er mit seiner komplizierten, etwas episodenhaften Dramaturgie in den Griff bekommen will, was auch tatsächlich einigermaßen gelingt – ich meine, hey, „Star Wars – Eine neue Hoffnung“, also der erste bzw. vierte Film der Trilogie, ist auch über einige Strecken langweilig, und nur weil man die Macht nicht sieht, heißt sie nicht, dass sie in ihrer Esoterik weniger lächerlich ist als goldene Weltallnüsse.

Vor allem aber freuen wir uns, dass es Fukasaku nicht nur mit bloßem oberflächlichen Weltall-Rumgehampel belässt, sondern dass auch er – wie im Film zuvor sein Kollege Chûsei Sone – eine Geschichte hinter der Geschichte bereithält. Was bei Sone die inhärente Grund-Hässlichkeit des Menschen ist, das ist bei Fukasaku das allübergreifende Mit- und Ineinander von Früher und Heute und Zukunft; vom starwarsinspirierten Anfangsspruch „Es war einmal in tausenden von Jahren“ bis zu den Segelschiffen, die durch Sternenstaub gleiten, bis zu den Laser-Musketen und den Säbeln, mit denen so richtiger Swashbuckler-Charme in die Sternenkriege hineingerät. Was zu Anfang albern wirkte, das wird späterhin, bei der letzten großen Schlacht mit den Gavenern, als Konzept erkennbar; und damit kann man es gutheißen, jawohl!

Hätte Fukasaku ein bisschen mehr Wert auf Eleganz gelegt, auch ein paar doofe Bluescreen-Aufnahmen rausgeschnitten – das Aufsammeln von „Feuersteinen“ im Planetenring! (wobei die leuchtenden Feuersteine atomarer Müll sind, der ins Weltall verlagert wurde, womit wir schon wieder bei einem gesellschaftlich relevanten Thema wären…) –; dann jedenfalls wäre „Sternenkrieg im Weltall“ tatsächlich das (noch) bessere „Star Wars“ geworden.
Und eine Beba-Figur will ja wohl jeder im Schlafzimmer haben, ne?

Harald Mühlbeyer