Grindhouse-Nachlese Juli 2014 – Puppentruppe und Rachekiller

„The Doll Squad“ / „Das Kommando der Frauen“, USA 1973, Regie: Ted V. Mikels.


„Death Force“ a.k.a. „Vengeance Is Mine” / „Ein Mann wird zum Killer“, USA/Philippinen 1978, Regie: Cirio H. Santiago.


Man kann sich vorstellen, dass er so um 1963 geboren wurde. Dass er sich mit präpubertären zehn Jahren, im Herbst 1973, irgendwie ins Kino geschlichen hat. Dass der Film ihn beeindruckt hat und dass er fürs Leben geprägt wurde. Für ein Leben, das er fortan der unbedingten Informationssammelwut verschrieben hat, der Überwindung von Zeit und Raum, kurz: der NSA. Wahrscheinlich ist er Patient X der Überwachungsseuche, die Doc Snowdon als erster diagnostiziert und öffentlich gemacht hat: Wahrscheinlich liegt in „The Doll Squad“ die Keimzelle des Übels.

Uns begegnet in dieser Actionkrimiagentensause eine Brieftaube, die per Mikrofilm einen Erpresserbrief überbringt. Ein IBM-Supercomputer namens Berta, der dem Geheimdienst auf Knopfdruck nicht nur die besten Leute für bestimmte Missionen vorschlägt, sondern auch aus seiner umfangreichen Datenbank – ein Stapel Lochstreifenpapier – den bösewichternden Gegenspieler ausdruckt. Wir treffen eine Schurkenbande, die sich mittels ins Genick eingepflanzter Silber-Chips und dem Erkennungspiepsen einer Art Fernbedienung identifiziert. Dr. Caheyman tritt doppelt auf – als Clou nämlich hat Bösewicht Eamonn O’Reilly ein Zwillingspaar als Mad Scientists angestellt. Die Guten: Das ist ein Frauentrupp, wie geschaffen für diesen Einsatz – denn O’Reilly hat Potenzprobleme, wahrscheinlich wegen seiner Mutter, Ödipus etc. Sabrina und ihre Weibsen sind da genau die Richtigen. Wobei O’Reilly offenbar informiert ist und einige der weniger wichtigen Mädels abmurkst. Getötet wird nebenbei, mit schnellen Kopfschüssen (aber außerhalb des Bildrahmens). Ratten in aller Herren Länder spielen entscheidende Boten-Rollen im bösen Plan. Und übrigens trinken ein paar üble Soldadeska-Milizionäre Nitroglyzerin; Explosionen sind aber nicht so schlimm, nämlich nur ins Filmbild gemalte hellorangene Flecken, courtesy of Van der Veer Photo Effects.

Für einen Zehnjährigen mit leicht größenwahnsinnigen Vorstellungen muss es der Himmel sein, das beste zusammenzumixen, das die beiden Welten – gut und böse – in diesem Film anbieten: Supercomputer und Killerfrauen, Information und Wissenschaft, Computerberechnungen und ein weltweites Netzwerk, das einem dient.
Man kann ja nicht verlangen, dass dieser Zehnjährige die miese Qualität des Schauspiels bemerkt; oder das altmodische Aussehen der „Hühner“ (O-Ton der deutschen Synchro), die eine Art Wettbewerb um die schlimmste Frisur veranstalten und sich mit aufgesetzter Sexiness zugleich so prüde geben, als wär der Film fünf Jahre früher gedreht. Er muss ja auch nicht kapieren, dass man in Wirklichkeit nicht von einer Szene zur anderen mittels Filmschnitt in Venezuela ist, und dass es im Film immer wieder irgendwelchen Figuren gelingt, sich in eine Szene zu beamen, in der sie eigentlich nichts zu suchen haben (haha, am Ende, wo noch groß erklärt wurde, dass dieses eine Zimmer nur einen einzigen Eingang hat, und dann, hihi, kommt eine aus der anderen Ecke rein…!). Dass Regisseur Mikels es nicht fertig bringt, aus dem Clou, für die Darstellung der beiden Dr. Caheymans Zwillingsbrüder besetzt zu haben, irgendwelches Kapital zu schlagen: Nein, entweder werden die beiden sowieso getrennt gezeigt, oder so im Bild nebeneinander gestellt, dass man auch den selben Schauspieler optisch hätte verdoppeln können… Auch funktioniert der Informationsfluss, der den Oberschurken überlegen macht, innerhalb seiner Organisation nicht so recht: Zwar wird jeder Verbrecher piepsenderweise richtig identifiziert, aber dass jetzt alle nach irgendwelchen Frauen fahnden sollen dringt trotzdem nicht sofort zu jedem durch.

Unser zehnjähriger künftiger NSA-Informatiker, so nehmen wir an, hat sich diesen Film als Lehrbuch genommen, hat daran seine gesamte Laufbahn ausgerichtet, bis er nach 2001 bei der NSA ein fruchtbares Feld für die Aussaat seiner Obsessionen fand. Und nicht nur er wurde beeinflusst: Immerhin drei Jahre vor den Engeln für Charlie hat Billigfilmer Ted V. Mikels quasi die Filmvorlage für die Serie geliefert; Tarantino hat vermutliche sein Giftschlangen-All-Girl-Killertrupp am Doll Squad orientiert.
Im Übrigen hat der Filmschurke den bösen Plan, die Welt mit einer Beulenpest-Epidemie zu überziehen. Und es sollte vielleicht besser niemand unserem Filmfreund bei der NSA mitteilen, dass anders als bei Mikels dargestellt die Beulenpest keine virale, sondern eine bakterielle Erkrankung ist. Nur für den Fall, dass er irgendwann den bösen Plan von O’Reilly wiederbeleben möchte. Wie enttäuscht wäre er, wenn er herausfände, dass in diesem seinem Heiligtum von Film nicht alles wortwörtlich stimmt! Also am besten nirgends ins Internet schreiben, dass die Pest durch Antibiotika locker zu kurieren ist, sonst zieht er vielleicht noch aus verzweifelter Wut eine richtig böse Krankheit aus dem Ärmel. Ein „Twelve Monkeys“-Szenario wollen wir halt auch nicht.
So, wie zweifellos „The Doll Squad“ die US-Geheimdienst-Politik vor sich hertreibt, haben ganz, ganz sicher die Mitglieder der Bush Jr.-Regierung nicht Cirio H. Santiagos „Death Force“ (auch bekannt als „Vengeance is Mine“) gesehen. Man kann es sich vorstellen, wie Bush sein Kabinett allmittwöchlich in den War Room beruft zu einer Kinovorführung – was wollen wir sehen? Ach, irgendwas, was auf den Philippinen gedreht wurde! Und wieder legt man, wie immer halt, die alte, abgespielte VHS von „Apocalypse Now“ ein, um sich in falsch verstandener Einfühlung an Wagnerattacken aufzugeilen. Hätten doch Cheney, Rumsfeld, Powell, Rove und Rice auch mal etwas länger im Videoregal gestöbert! Dann wäre ihnen vielleicht die US-Philippinische Blaxploitation-Vietnam-Action-Rachestory titels „Death Force“ in die Hände gefallen, und die Weltgeschichte der 2000er Jahre wäre anders verlaufen.

Denn wie kann man stärker, deutlicher die drastischen Auswirkungen des Krieges vor Augen führen als Santiago in seinem „Ein Mann wird zum Killer“, wie der treffende deutsche Titel lautet?

Ungefähr 1970. Doug Russel, Morelli und McGee sind auf dem Heimweg aus ihrem Vietnameinsatz. Kurzer Umweg über Manila – dort verticken die drei eine Masse an Goldbarren, die sie in einem Zinksarg aus ’Nam herausgeschmuggelt haben. Genug Geld für einen Neuanfang nach dem Krieg! Ein Neuanfang, der nach Morellis und McGees Vorstellungen nur in der Großkriminalität liegen kann. Und dem Doug sicherlich im Weg steht. Also schwupps die Kehle durchgetrennt und ins Meer geschmissen! Und während die beiden harten Sauhunde sich ihren Weg durch Los Angeles morden, die Unterwelt durcheinanderwirbeln, um schließlich die Großgangster der Großstadt zu werden – während dieses Aufstiegs mittels aus dem Kriegsgebiet geklauten Grundkapitals landet Dougs Körper am Strand einer einsamen Insel an. Tot? Nicht ganz.
Ein japanischer Offizier und sein Lakai päppeln ihn auf. Zwei japanische Soldaten, die seit dem Weltkrieg hier ausharren, Versprengte, die sich von den Weltläufen nicht kratzen lassen, die noch immer treu zum Kaiser stehen und keinen Fußbreit zurückweichen. Und während der Diener als Comic Relief Kokosnüsse ernten und Fische fangen muss, wird Doug vom Offizier in die Kunst des Samurailebens eingeführt. Samurai! Völlig veraltete Moral, ganz aus der Welt und aus der Zeit gefallen, hier lebt es weiter, bei zwei isolierten Überbleibseln, denen der Geist des Krieges alles Weltliche vertrieben hat! Zwei Vögel, gefangen im selbstgebauten Netz der Eigenisolation, aufgespießt auf dem Dreizack von unbedingter Tradition, unbedingter Loyalität und unbedingter Verbohrtheit.

Immerhin lernt Doug kämpfen. Und kann so seine Rache vollziehen. Kämpft sich nach der „Befreiung“ durch philippinische Truppen – und nach obligatorischem Harakiri seines Führungsoffiziers – durch L.A., immer näher ran an McGee und Morelli – und interessant ist dabei eben auch, dass sowohl Doug als auch McGee Schwarze sind, Morelli ein Itacker (und der eigentliche Drahtzieher der Gangstermachenschaften). Was einerseits den Film zur Spätblaxploitation macht, andererseits klar macht, wer da eigentlich in den Krieg geschickt wird: die Unterschicht, und dazu gehört ja nun mal alles, was nicht WASP ist. Die kehren zurück und stürzen die Welt, zumindest die USA, naja: L.A. in Chaos.

So ist es eben auch, wenn man sich im Irak und in Afghanistan engagiert: Man erntet Mord und Totschlag an der Heimatfront. Und züchtet traumatisierte, obsessive, verbohrte Dauersoldaten heran, die den Frieden nicht anerkennen können.
Tja, es ist nun einmal leider, leider so, dass die Amerikaner sich schlichtweg immer und stets die falschen Filme ansehen: so bestimmt nun der „Doll Sqad“ die Geschicke, und „Death Force“, wiewohl um Klassen besser in Inszenierung und Dramaturgie (wenn auch das Vergnügen gleichwertig ist), führt sein Schattendasein in der der Weltpolitik.
Und wir alle müssen darunter leiden.

Harald Mühlbeyer