Grindhouse-Nachlese April 2014 – Jess Franco

„Die Säge des Todes“, BRD/Spanien 1981, Regie: Jess Franco

„Das Frauenhaus“ / „Blue Rita“, Schweiz/Frankreich 1977, Regie: Jess Franco


Jess Franco. Als Thema. Einer Doppelnacht. Das lässt allerlei Schlimmes befürchten (aber ganz sicher kein weinerliches Requiem für den ein Jahr zuvor Verstorbenen): Es ist eine wissenschaftlich gesicherte Tatsache, dass von soundsovielen Jess Franco-Filmen ein derartiger Prozentsatz giftig schlecht ist, dass bei einem Doppeltermin die Wahrscheinlichkeit auf mindestens eine hochprozentige Gurke diese und jene Quote noch übertrifft.


Aber, puh, gleich zu Anfang möchte ich verraten: Es ist alles gut gegangen. Das liegt auch am Vorführer des Cinema Quadrat, der diesmal nicht nur freundlicherweise Chipsschälchen zur Verfügung stellte – nein, der auch eines der Mordwerkzeuge in „Die Säge des Todes“ als Geburtszange identifizierte – was ich nicht verifizieren möchte, was aber durchaus im Bereich des Möglichen sein könnte: Schauplatz des Films ist schließlich eine internationale Mädchenschule für Sprachen, mit nett aussehendem Lehrer und potentem Tennistrainer, da kann man sowas immer gebrauchen. Dass Hebammenwerkzeug rumliegt, ist also nicht allzu weit hergeholt… und wenn ein Killer umgeht, dann nutzt er, was er findet, klar.

Ja, ein Killer… Zu Anfang, als Pre-Title-Sequenz, sehen wir das Narbengesicht Miguel, mit hässlicher Pflatsche, die seine rechte Gesichtshälfte entstellt. Nur mit Mickymausmaske kann er sich der Angebeteten nähern, die hält ihn für wen anderes, Teenie-Rumknutschen, Fummeln in Bungalow Nr. 13 – bis sie ihn erkennt und er sie mit einer Schere absticht, das arme Schwein. Kommt in die Psychiatrie, bis ihn fünf Jahre später Schwester Angela wieder heimholt, ins Mädcheninternat, wo nun das Morden wieder beginnt. Und wie perfide: Mal mit einem Messer buchstäblich von hinten durch die Brust, das geht ins Auge; mal ein Mordversuch mit Giftschlange; mal wie gesagt mit Zange. Und natürlich mit der titelgebenden Säge des Todes, wo der Mörder und sein Opfer, eine Schülerin, die ihn besteigen will, sich fröhlich hinbegeben, aber nur einer kehrt zurück… Steinmetzwerkzeug, ein Sägeblock, ein riesiges kreisrundes Sägeblatt – und aus ist’s mit ihr. Nur ein kleiner Junge ist Zeuge, aber nicht lang, zielsicher überrollt der Bösewicht ihn mit dem Auto.

Das Köpfen: Das ist sicherlich der Höhepunkt des Films, wieviel Mühe hat man verwendet, um einen Gummikopf zu gestalten, der dem Opfer so ein bisschen ähnlich sehen soll… Blut und Gekröse im Hals muss auch dabei sein, das war der Herr Franco schon ordentlich fleißig. Wie auch überhaupt die verschiedenen Mordwerkzeuge perfide ausgedacht sind, man kann als Zuschauer einfach kein Täterprofil erstellen! Unglaublich, welche Spannung da möglich gewesen wäre in einem guten Film… Aber wer will sowas schon sehen. Was wir sehen wollen ist eine bösartig schimpfende Tante, die ihre Nichte im Vorübergehen enterbt; eine tapfere Scream Queen, die wir zu Anfang wundersamerweise noch nicht als erstes Opfer oder final girl identifizieren können – einfach deshalb, weil der erste Mord der Killerserie eine dreiviertel Stunde auf sich warten lässt. Wir wollen ein willkürlich eingebauten Inzest sehen! Wir wollen Teeniegirls sehen, die am Pool blankziehen! Wir wollen stimmungsvolle Zwischenschnitte auf den Mond haben, wacklig aufs Nachtgestirn gezoomt – und tagsüber lässt es sich Franco nicht nehmen, auch mal die Sonne ins Visier zu nehmen, um die atmosphärische Spannung zu halten. Und, yeah, wir wollen Musik mit mindestens zwei Melodien hören, irgendwie so ein Gitarren-Synthie-Akkord und eine Flötentonfolge, wenn Miguels Gesicht mit den aufgepappten Narben naht.

„Die Säge des Todes“ bedient uns mit allem, was einen Slasher ausmacht – und das auf ganz merkwürdig symbolische Weise. Nämlich stets mittelbar, mit einer „Das wäre jetzt“-Attitüde: Das wäre jetzt ein abgeschnittener Frauenkopf; das wäre jetzt eine unheimliche Nachtszene im Park; das wäre jetzt eine Leiche; und das wäre jetzt Suspense und Spannung. Klar wissen wir immer, dass es all dies gerade nicht ist. Aber im Spiel halt, im Spiel…
Bezeichnend ist eine Szene, in der eine böse Hand böses Schlafmittel in einen Drink einrührt, schön im Detail von schräg oben gefilmt – und dann, wenn das Händchen das Löffelchen zurück ins Pulvergläschen führt, verschüttet das Dummerchen die Hälfte auf dem Tisch; naja, kann passieren. Und ist symptomatisch für Francos Kino, der das ganz Große will und irgendwo auf halbem Weg stecken bleibt.

Wobei „Das Frauenhaus“ schon wieder ganz andere Baustelle ist. Ein, sagen wir es geradeheraus: Politthriller mit, verschweigen wir es nicht, genderpolitischer Agenda.

Der Anfang: Ein Stripclub, eine Nackte schön im Rampenlicht ausgestellt. Eine exotische Kaffeebraune tanzt. Ein älterer Herr begutachtet sie mit Kennerblick. Er, nach rechts, zu einer halbnackten Blondine: „Den neuen Bomber würd ich gern verzupfen, kannst du das arrangieren?“ Und dabei hängt ihm, unbemerkt, von links eine Titte über die Schulter ins Haar.

Das ist eben auch so ein emblematisches Franco-Bild: von irgendwoher hängt irgendein Geschlechtsteil in den Film. Auch wenn es bildästhetisch ein Ungleichgewicht hervorruft: Der Film wird gefüllt mit Nackedeis. Motto: Warum nicht?

Was gleichzeitig die Frage aufwirft: Warum überhaupt? Eine Frage, die die Filme niemals beantworten. Ja: Eine Frage, die sie mit anderen Fragen geradezu zuschütten, um sie gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das Grundsätzliche wird durch Beiwerk umrankt und damit verborgen, beispielsweise via einer Titte über der Schulter. Eine Titte, die für den Zuschauer als voyeuristisches Fetischobjekt dienen soll (vielleicht), während im Folgenden die männerhassende Lesbensekte/Kampfbrigade/Terrorzelle ihre Opfer – ver- und entführt aus dem Stripclub – für ihren Voyeurismus und durch ihren Voyeurismus grausam foltern. Und dabei auch noch drinhängen in einer rätselhaften Kalter-Krieg-Verschwörung, nämlich (ein weiterer dieser Widersprüche, die den Film so reizvoll machen) angeleitet von einem grauhaarigen bärtigen Mann, einem Spion vielleicht oder einem Terroristen, weiß der Himmel, für wen er arbeitet – jedenfalls setzt er die Emanzipationsbewegung um Blue Rita, die sich fast wie eine Großphantasie feminer Selbstermächtigung ausnimmt, mit schnöder männlich-opportunistischer Pragmatik aus für irgendwelche bösen Ziele, die man am Ende dann auch wieder nicht blickt.

Ins Einzelne aufgedröselt bedeutet das: Wir finden uns urplötzlich in einem Raum mit durchsichtigen, aufblasbaren Plastikmöbeln. Dort wird der feine Herr aus dem Stripclub von der dunkelhäutigen Exotik-Schönheit nach Kräften verführt, sie hecheln sich übers Polyethylenbett, bis Gas austritt – weil dies eben eine Venusfalle ist, der Freier wird betäubt und weggesperrt. Während dessen Gespielin plötzlich wegrennt, nackt unterm Pelzmantel die Straße entlangläuft und von der schönen blonden Clubbesitzerin mitm Auto überfahren wird. „Das passiert mit denen, die nicht gehorchen!“ – ein kryptischer Satz. Wer kann schon in die Weiber hineinsehen, warum die eine plötzlich wegrennt und die andere sie dafür killt?!?

Jedenfalls gewährt uns Blue Rita tiefe Einblicke. Nackt steht sie über uns, wir sehen alles – bzw. nicht wir, sondern der Monsieur, aufgegabelt, abgegast und gefangen in einem vergitterten Loch im Boden. Das ist seine Qual: Er wird aufgegeilt und darf seine Bedürfnisse nicht befriedigen. Und wie er sich windet! Zumal Rita und ihre Gefährtinnen ihn mit einer giftgrünen Paste beträufeln, die ihn total scharf macht – eine Art Prototyp für gewisse blaue Pillen, anscheinend, aber längst nicht so appetitlich. Deshalb wütet er – und zwar bemerkenswerterweise nicht in der typischen 70er-Jahre-Sleazefilm-Sprachen (Stichwort „bumsen“), sondern recht keimfrei: „Gib mir die Frauen! Ich will mit ihnen schlafen!“

Was Rita und ihre Komplizinnen wollen, wird klar: Sie wollen erstens Männer quälen, aus ihnen zweitens – im Auftrag des Herrn Bergen – Informationen aus ihren Opfern herauspressen und sie drittens um ihr Erspartes auf dem Bankkonto bringen. Böseböse! Und dazu auch noch ganz und gar schamlos, wie sie immer nackig rumrennen… Was Jess Franco ausnutzt für ein paar irre Striptease-Nummern, die wieder gar nichts mit dem Rest des Films zu tun haben. Eine in rotgelockter Pippi-Langstrumpf-Montur vergeht sich an einer griechischen Statue; zwei andere vollführen eine irre Show darum, dass die eine Tänzerin erstens komplett schimmernd geschminkt ist und zudem sich einen Elefanten ums Geschlecht gebunden hat. Hammer.
Während des Castings einer neuen Tänzerin kommt es mal zu einer Schießerei. Aber das nur nebenbei. Interessanter sind ein paar Szenen in einer Art gynäkologischem Labor, wo ein Neumitglied der Blue-Rita-Family eingehend untersucht und auf die männermordende Gottesanbeterin-Tour eingeschworen wird.

Oh. Der Plot des Films. Ein netter junger Mann (den wir als den bösen Gefängnissadisten aus „Frauengefängnis“ http://screenshot-online.blogspot.de/2013/05/grindhouse-nachlese-april-2013.html wiedererkennen) wird auch gefangengenommen, und die Neue im feministischen Folterclub verliebt sich in ihn. Aber am Ende ist alles doch ganz anders, weil Interpol mitschwingt und KGB im Hintergrund agiert und so.

Im Übrigen gibt es auf dem steril-modernen Flur drei farbige Blinklichter, was auch immer sie anzeigen sollen. Eventuell die drei Kerkerlöcher für die drei Sexfolteropfer. Vielleicht auch einfach Alarm. Oder schlichte Buntheit à la Mario Bava. Wie überhaupt immer wieder die Kamera, das Filmlicht, die Schärfe mit unbedingtem Willen ins Psychedelische streifen.

Nämlich: Warum auch nicht.


Harald Mühlbeyer