FILMZ 2013: DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN


Fehlerhaft und phänomenal

Happy Birthday, KONTRASTFILM! Die Mainzer Produktionsfirma, langjähriger Förderer und Wegbegleiter des FILMZ – Festival des deutschen Kinos, feierte gestern, am Freitag den 29.12., sein Zehnjähriges. Die Party war zugleich gesellschaftlicher Höhepunkt des FILMZ außerhalb der Kinos, wie schon die KONTRASTFILM-Feiern in den Jahren zuvor. Nach der alten Postpakethalle hinterm Bahnhof oder, beim letzten Mal (sprich: im vorletzten Jahr), der ausgedienten Schule am Cinestar lud Tidi von Tiedemann mit seinen Mitstreitern dem Jubiläum angemessen in den feinen Klinkerblock am Mainzer Zollhafen. In schickem Ambiente wartete im Südteil des Baus Büffet beim Empfang, ehe dann im Norden des Gebäudes Bummbumm- und andere Musik die FILMZ-Party so richtig startete.

Ein zweifellos gelungener Abend (bzw. Nacht bzw. Morgen) auf der Mole für KONTRASTFILM. FILMZ hingegen, für das dieses Event erneut den Endspurt (Samstag und Sonntag) einläutete, steht hingehen im Jahr seiner Wiederkehr unter keinem allzu guten Stern. Zumindest, was die Technik betrifft. Mehr als gemeinhin üblich wird man Zeuge (oder hört von) Vorführungsproblemen: Hier ein falsches Bildformat, dort stockt die BluRay. Das erinnert an den Max Ophüls Preis, bei dem die digitalen Projektionen auch solche Schwierigkeiten machten, dass die Festivalleiter ad hoc zu dem Thema ein Pressefrühstück anberaumte. 2006 war das.

Andererseits lacht Fortuna dem FILMZ und seinen Zuschauern hinsichtlich des Angebots in der Spielfilmwettbewerbsschiene. Selten, vielleicht sogar wie nie zuvor, finden sich so viele Perlen im zugleich bunten (und mutigen) Programm, dass die Verleihung des „Mainzer Rads“, des Haupt- und zugleich Publikumspreises, am Sonntag tatsächlich spannend wird. Kleiner Wermutstropfen nur: keiner der zwölf Kandidatenfilme feierte in Mainz seine Premiere; das war schon mal anders. Aber FILMZ hat ja auch ein Jahr pausiert, und Tiziana Calò, Kerstin Krieg, Cornelius Kern und Urs Spörri als Auswahljury der Langspielfilme ist herzlich zu danken, nicht zuletzt weil sie und das FILMZ demonstrieren, welches vorzügliche Jahr für den aktuellen deutschen Film hinter uns liegt.

Einer dieser grandiosen Filme neben KOHLHAAS, dem harten TORE TANZT u.a. ist DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN von Ramon Zürcher, dessen Publikum auch Pech in Sachen Projektion hatte: Die erste Vorstellung von Festplatte wies ein enges Lichtpunkteraster auf der Leinwand auf, und denjenigen, die sich daran störten, wurden Ersatzkarten für das zweite Screening offeriert – das dann allerdings auch, so war zu hören, seine Macken hatte. 

Ganz egal: DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN stand und steht in seiner Brillanz über solchen technologischen Faxen, wurde durch diese vielleicht noch besonderer (zumindest besonders merkwürdiger, und man denke an seltene, begehrte, folglich teure Fehldrucke, -prägungen etc. -- vielleicht ein originelle Innovations- und Alleinstellungsidee für das FILMZ?). Auf der diesjährigen Berlinale erregte dieses seltsame Stück Kino jedenfalls Aufmerksamkeit und erntete Beifall. Für Rüdiger Suchsland auf artechock war es der „überraschendste Film“ und DER Geheimtipp der Berliner Filmfestspiele, aber schon, wenn man auch nur grob an so etwas wie eine Deutung oder auch nur Inhaltsangabe gehen will, wird es schwierig. Frédéric Jaeger von/auf critic.de erkannte „eine deutsche Gesprächskultur“ zelebriert, „wie sie selten in Spielfilmen erfahrbar wird“, eine Untersuchung in Sachen Kommunikation und eine Milieustudie im Berliner Altbau. Das kann man so auffassen, tatsächlich aber lässt sich DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN partout nicht auf derlei Themen und Inhalte festnageln oder runterbrechen, flutscht einem durch die Finger. Grob lässt sich die Handlung, wenn denn von einer solchen die Rede sein kann, beschreiben als der Tag eines Familientreffens zu Hause, und tatsächlich verbleibt der Film weitgehend in der Altbauwohnung, doch wer da wer bzw. was in der Familie ist, lässt sich zum großen Teil nur deuten (oder aus Paratexten wie dem Presseheft erschließen). Jenny Schily als „melancholische“ (Suchland), aber auch leise bissig-biestige Mutter, klar. Die große (MEIN FREUND AUS FARO-Anjorka Strechel) und die kleine Schwester, okay. Aber ist etwa der junge Mann, der da unvermittelt in der Küche auftaucht, nun der Bruder oder der Freund der älteren Tochter? DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN hilft einem nicht weiter, auch die Wohnung selbst muss man in Teilen zusammenreimen; plötzlich ist da irgendwie noch ein Zimmer ... ---

Als Rezensent rettet man sich, um diesem großartigen Film, zumindest ein kleinbisschen Herr zu werden, unweigerlich ins Metasprachliche. Zum einen weil DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN weniger ein Rätselspiel ist oder überhaupt narrativ, sondern in erster Linie eine Erfahrung. Zum anderen ist eben diese nicht nur, aber vor allem in Sachen Kino so ungewöhnlich, dass sie verführt, Oxymora auf einander zu schichten oder zumindest mit Widerspruchsmetaphern zu hantieren und mit bizarren Vergleichen. „[A]ls ob die strengen Autorenfilmer der »Berliner Schule« eine Familien-Soap inszenieren würden“, so Suchsland. Man könnte ebenso sagen: Wie wenn Jacques Tati WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? als sanfte, liebende, humorvolle und doch befremdende Vor-Vor-Vorgeschichte der Maniac-Familie aus dem TEXAS CHAIN SAW MASSACRE gedreht hätte. Nur eben in Berlin, im Altbau, mit Hund und Katze und mit roten Dielen. -- Hilfe!

DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN ist ein phänomenaler Film. Nicht nur im Sinne von „außerordentlich“ oder „grandios“, sondern auch von „phänomenologisch“. Zu den Sachen selbst; aber hier wie bei Husserl meint das keinen simplen Realismus oder falschen Positivismus. DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN beobachtet und ist zugleich hochgradig artifiziell in seiner Inszenierung, pickt mit Großaufnahmen und genau komponierten Einstellungen Figuren und Details heraus – schneidet sie aber auch nur an oder belässt im Off, begrenzt die Wahrnehmung. Dadurch und darüber wird ein feines Netz an Dingen, Handlungen, Worten, Blicken und Reaktionen geknüpft, dieses aber auch offen lässt, Verweisfäden des Nichterklärten, des Nicht-Nachvollziehbaren.

Zürcher betreibt so mit leichter Hand eine Pathologie des Normalen, (re)konstruiert den Surrealismus des Alltäglichen und Allgewöhnlichen bei allen bizarren Kleinigkeiten, wie einer leere Flasche, die in einen Topf gestellt, unaufhörlich wippt und kreiselt und damit schließlich auch einige der Figuren selbst amüsiert (womit jeder filmsymbolische Metaphern-Charakter sich schon wieder erledigt).

Mal notiert der Film in der Summe seiner Gestaltungsmittel zusammen mit diesem oder jenem Familienmitglied etwas, mal beobachtet er sie beim Beobachten; bleibt außen vor. Mal ist es ein eigenständiger umherschweifend-zufälliger, dann wieder genau interessierter, registrierender Blick (hier wird vor allem die rotbraune Katze zum heimlichen Protagonisten des Ganzen). Alles in statischen Einstellungen. Viele der kleinen großen Figurenreden, Anekdoten, zwei illustriert durch den Film, kommen in steifer Sprache daher – wer redet schon im Alltag im reinen Imperfekt? Dann wieder hingeworfenen, lautdenkende Dialogsätze, die sich an keinen richten, die durch den Raum und die Figuren wabern wie elektronische Wellen. Dabei bleibt DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN, das ist das erstaunliche, so originell wie unforciert, schlicht beeindruckend in seiner Souveränität. 

Alles hat, vielleicht, auch seinen Sinn, seine Logik, sind die gestischen „Spielhandlungen“ der Figuren, mal heiter, mal leicht bedrohlich (so wenn die Mutter sich verträumt anschickt, der futternden Katze mit dem Fuß den Kopf in den Napf zu drücken). Weil wir aber nichts erklärt bekommen, weil Psychologie und Kausalitäten weitgehend ausgespart sind, stehen wir mal lachend, mal mit einem unheimlichen Gefühl, stets aber staunend vor den Dingen, die nicht oder nur bedingt eine „errettete Wirklichkeit“ ist. Über das Unausgesprochene, das Verweigern und das Geworfene, das Traumartige, das Verrätselte (eines, das keine Lösung kennt – darin ähnelt der Film dem Beobachten eines David Lynchs, bei allen Unterschieden), über das Andeuten, Anschneiden und das Periphere lehrt DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN nicht das Sehen neu, aber ein fremdartiges Sehen. Man kann auch sagen: DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN ist vornehmster cineastischer Vertreter eines zärtlich magischen Autismus. Ein Film, der sich einem immer noch über die Augen legt und die Wahrnehmung verrückt, wenn man aus dem Kinosaal hinaus ist.

Kongenial und immer besser, immer treffender entlang des Filmverlaufs, tritt zur famosen Bildgestaltung des dffb-Kamerastudenten Alexander Haßkerl die Musik u.a. von Stephane Leonard hinzu. Freilich hätte man als Soundtrack ebenso gut Jazz-Meister Dave Brubecks „Take Five“ wählen können. Eleganz und doch neurotisch, leicht schizophren. E
rschienen ist das Stück auf dem Album von 1959 mit dem für DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN ebenso passenden Titel Time Out. „Gruppenbild mit Katze“, so lautet die Logline des Films von Zürcher, der, ebenfalls noch an der dffb studiert (Regie). Sein Film ist im Rahmen eines Kurses von Béla Tarr entstanden (wurde dabei inspiriert von Kafkas „Die Verwandlung“, ist mithin gedacht [gewesen?] als soziale Studie in puncto Raum), und eigentlich kann Herr Zürcher (Jahrgang 1982) einem fast ein bisschen leid tun. Die Latte für seinen Abschlusswerk hat er sich selbst jedenfalls mit DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN sehr hoch gelegt.  

zyw