Christoph-Schlingensief-Edition #1: Interview und Kurzfilme
von Harald Mühlbeyer
Christoph Schlingensief und seine Filme. Interview mit Frieder Schlaich. Länge: 77 Minuten; Sieben Kurzfilme Kurzfilme von 1968 bis 1986, Länge insg. ca. 80 Minuten. Inklusive Presseschau. Anbieter: Filmgalerie 451.
Code Free
PAL Farbe
4:3
Dolby Digital 2.0
Extra: "Die 1. interaktive DVD der Welt"
Christoph Schlingensief ist ein charmanter Dampfplauderer, ein eloquenter Wortführer seiner Kunst; ein langes Interview mit Schlingensief bietet die DVD, er spricht über sein gesamtes Filmschaffen seit seinen Anfängen 1968, im Alter von acht Jahren. Das Schöne an Schlingensiefs Plauderei ist, dass man ihn nie wirklich beim Wort nehmen kann, Ernsthaftigkeit und Ironie sind unkenntlich miteinander vermischt, wenn Schlingensief kokette Bosheiten, kluge Analysen und leere Worthülsen losfeuert in langem Monolog.
Sein Werdegang: 8mm-Filme mit der Familie, Gründung des Oberhausener Filmklubs, Ablehnungen vom WDR wie von der Filmhochschule, Begegnungen mit Regisseuren und Schauspielern, die ihn förderten – Werner Nekes, Udo Kier –, schließlich die ganz eigenen Nische in der deutschen Kulturlandschaft.
Zwar hat er in den letzten Jahren immer wieder Pausen eingelegt in seinem Filmschaffen und sich Theater, Oper, Politik und Aktionskunst zugewandt – ganz aktuell dreht er wieder, in Afrika –, aber dennoch ist er genuin ein Filmregisseur, der das Filmemachen dem Theater vorzieht. Ein Dreh, so erzählt er, werde eher Teil seiner persönlichen Lebensgeschichte als ein sich regelmäßig wiederholendes Bühnenereignis.
Mal anekdotisch, dann wieder in einem Rundumschlag auf die deutsche Mainstream-Filmkultur redet er über sein Filmschaffen, mal reflektiert er seine ganz persönlich Obsessionen, dann lässt er sich wieder beispielsweise über eine Dreiecksverbindung Rainer Werner Fassbinder – Douglas Sirk – Veit Harlan aus. Und immer wieder arbeitet er sich ab an den Oberhausener Kurzfilmtagen, die seine Filme nicht zeigen wollten, aus denen der Neue Deutsche Film entspringt, als dessen letzter Vertreter er sich sieht; die statt seiner die verweichlichten Veteranen der 1960er und 1970er feiern.
Dabei läuft das Interview stets parallel zu den ebenfalls auf DVD enthaltenen sieben Kurzfilmen und zu den reichlichen Zeitungsausschnitten, von Lokalzeitungen aus dem Ruhrgebiet bis zu Kritiken in renommierten Filmzeitschriften, ja bis hin zu Schmähungen der „Nationalzeitung“ gegen Schlingensiefs „Mutters Maske“, einem Remake von „Opfergang“ vom großen NS-Regisseur Veit Harlan. Verlinkungen vom Interviewfilm zu den Kurzfilmen und zur Presseschau machen die DVD zum tatsächlich interaktiven Erlebnis.
Auch für sich, ohne Verbindung zum Interview, sind die Kurzfilme mehr als sehenswert. Krimiparodien, Experimentalfilme, Farcen: Von „Mein erster Film“ von 1968, der Räuber und Gendarmen in einer wilden Kinderhatz zeigt, unterlegt von einem ironischen Voice Over-Kommentar, der nichts ernst nimmt: Nicht den Film, nicht den Zuschauer, nicht sich selbst, über den bizarren „Phantasus muss anders werden“ (1983), der als eine Art Anti-Oberhausen-Manifest auf experimentelle Weise für größere Ungeniertheit im persönlichen und künstlerischen Schaffen plädiert, bis zur Stummfilmgroteske „Schlacht der Idioten“, in der Stummfilm-Chargen die Leinwand verlassen und ihr pathetisches Melodram im „wirklichen Leben“, freilich immer noch stumm und nur begleitet von Helge Schneiders Kinoorgel, weiterzuspielen versuchen. Und dann, einer der besten Filme: „Mensch Mami, wir drehn ’nen Film“ (1977), in dem sich einer in den Kopf setzt, einen Film zu drehen, dafür seine Familie einspannt, den ganzen Ort als Kulisse nimmt und doch scheitert: in entscheidenden Szenen marschiert ein Spielmannszug durchs Bild, der Rollstuhl der Oma macht sich selbständig, selbst die Projektion des schließlich fertigen Films führt zur Katastrophe… Die Handlung ist sehr transparent: Hinter dem Film stecken deutlich seine Dreharbeiten, wie Schlingensief selbst eingefallen ist in das bergische Dörfchen Much, dort mit seinem netten Schwiegersohn-Charme alle dazu gebracht hat, mitzuspielen bei seinem Quatsch – den Ort freilich hat er nicht im Desaster liegenlassen wie der fanatische Regisseur in seinem Film.
Das ist allen Kurzfilmen gemeinsam: Der selbstreferentielle Bezug zum Medium Film in unterschiedlicher Form. Mal als Parodie, mal als Film im Film, mal als bewusst gegen das Filmische ankämpfende Groteske, mal explizit, mal eher implizit bezieht Schlingensief stets die Form seiner Filme als Film mit in das Kunstwerk ein. Das starke Bewusstsein, einen Film zu machen, das schon im achtjährigen Knaben steckt, ist der Grundstein für die Hinwendung Schlingensiefs zur kritischen Betrachtung der Gesellschaft, zu deren Zerrspiegel seine Filme mehr und mehr wurden.
Diese DVD kann in unserem Online-Shop bestellt werden.
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