Grindhouse-Nachlese Dezember 2012 / Januar 2013: „Savage Streets“ und „Planet der Vampire“, „Die alles zur Sau machen“ und „Attack the Block“



Cinema Quadrat, 29. Dezember 2012:
„Savage Street – Straße der Gewalt“ / „Savage Streets“, USA 1984, Regie: Danny Steinman
„Planet der Vampire“ / „Schrecken im Weltall“ / „Terrore nello spazio“, Spanien/Italien 1965, Regie: Mario Bava

Cinema Quadrat, 26. Januar 2013:
„Die alles zur Sau machen“ / „Villain“, GB 1971, Regie: Michael Tuchner
„Attack the Block“, GB 2011, Regie: Joe Cornish


Doppelpack zu gleich zwei Grindhouse-Doppelnächten; wobei einer dieser Filme nur der aktuell laufenden Englischen Woche nicht bei Aldi, sondern im Cinema Quadrat geschuldet ist: „Attack the Block“ war eh nur Ersatz für „Cockneys vs. Zombies“, der nicht erhältlich war, und sei auch gar nicht richtig platziert im Grindhouse-Programm, und sowieso nicht richtig repräsentativ, weil zu neu, zu teuer produziert, netter Spaß, mehr nicht, so die Kuratoren der Reihe. Nein, ich schreibe nicht über diesen Film, nehme ihn aber als willkommenen Anlass, auf das tragische Dahinscheiden der verdienstvollen Linksammlungsseite filmz.de hinzuweisen, die wegen fehlender Leserzahlen nicht mehr weitergeführt wird. Immerhin kann man sich hier nach wie vor mit umfassender Kritikensammlung über „Attack the Block“ informieren.


Was das britische Kino an richtig originellem Genrewahnwitz liefern kann, zeigt der Eurocrime-Thriller „Villain“ mit dem sehr passenden deutschen Verleihtitel „Die alles zur Sau machen“ – außer, dass es nicht mehrere, sondern nur einer ist, der die Sau rauslässt, nämlich Richard Burton. Der spielt den Gangster Vic Dakin, der seine Mutter liebt, schwul ist, ein Sadist, Psycho- und Soziopath, größenwahnsinniger Narziss und Rampensau im kleinkriminellen Londoner Milieu. Seine Handlanger warten auf irgendeinen Typen in dessen Wohnung, mäkeln über seine Einrichtung, haben Hunger; Dakin macht ein Nickerchen im Schlafzimmer. Das Opfer tritt ein, in Begleitung einer Dame, die gleich zum Teekochen geschickt wird. Dann wird das Opfer zusammengeschlagen, hat ein bisschen zuviel geredet bei den Bullen, Burton haut ihm mit seinen ringbesetzten Fingern tiefe blutige Kratzer ins Gesicht, holt dann ein Messer hervor. Schnitt, wir sehen das Dämchen beim Wasserkochen und hören einen entsetzlichen Schrei aus dem Nebenzimmer. Schnitt: Fußboden, auf den Blut tropft, drei, vier Tropfen nur, vollkommene Antiklimax: So schlimm kann’s also nicht gewesen sein. Erst später, als die Gangster das Mietshaus verlassen, ganz am Ende der Szene, sehen wir das Geschehene: An einen Stuhl gefesselt hängt das Opfer kopfüber aus dem Fenster im vierten Stock.

Messer, Gabel, Schere, Licht...
Michael Tuchner versteht es, Emotionen, Informationen, Spannungslinien durchzurütteln, aufzubauschen, zu retardieren, umzukehren und dann wieder drastisch zur Schau zu stellen. Irgendwann betritt eine Figur namens Wolfe die Szene, der seine Freundin auf einem Partywochenende eines schwulen Grafen einem notgeilen Abgeordneten zur Verfügung stellt. Er verkauft alles und jeden, sein Geschäft ist das Überleben, heilig ist ihm nichts, eilig hat er es immer, irgendwo irgendein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Vic lässt ihn suchen, mit recht brachialen Mitteln, seine Männer holen ihn ab, als er gerade Drogen verticken will. Bei Vic scheint er Manschetten zu haben, der hat sowieso immer einen drohenden Unterton in seinem Gebaren; jetzt bedankt Vic sich erstmal freundlich, dass Wolfe letztens nach dem werten Befinden der Frau Mutter gefragt hat; ist das ironisch gemeint oder nicht? Es ist klar, dass jetzt alles passieren kann. Die beiden gehen in Vics Schlafzimmer, knöpfen ihre Hemden auf, erst jetzt wird Vics Veranlagung klar. „Sei nicht so laut diesmal“, ermahnt er Wolfe, seine Mutter schläft im Zimmer obendrüber. Und haut ihn zusammen, bevor er sich vollends auszieht. Gewalt ist halt geil, Wolfe ist seine große Liebe, und wieder hat Tuchner in einer Szene die Harmonie der Widersprüche eingefangen.

Ein spannender Film ist dies zumal, es geht in der Hauptsache um einen Überfall auf einen Lohngeldtransport, der einigermaßen schief geht; zwei Polizisten, die eh verbissen an Vic dran sind, kommen ihm so auf die Spur. Auch der Überfall übrigens: nicht mit Feuerwaffen, nein, mit Nah- und Handarbeit wird hier vorgegangen, die Geldboten mit Schlagstöcken, die Gauner mit diversen sog. dumpfen Gegenständen, ein Hauen und Stechen; einer, der ständig über sein Magengeschwür klagt, kriegts voll in den Bauch, er wird später als erster überführt: Alle zwei Stunden muss er was essen, und an den Eierschalen am Tatort waren seine Fingerabdrücke… Da scheint dann die Banalität des Gaunerhandwerks auf. Trockener, lakonischer, ironischer Humor, ganz ohne Gags und Komik, bestimmt den Film, den es im Übrigen auf deutsch gar nicht auf DVD o.ä. gibt.

Rabiat ging’s auch im Dezember zu, Linda Blair nicht von einem Dämonen, sondern von Rache besessen in „Straße der Gewalt“, einem 80er-Jugendfilm mit Revenge-Thematik, irgendwo zwischen Highschool-Film und Selbstjustizthriller. Die erste Szene: Ein Junge, adrett angezogen, verabschiedet sich an der Haustür vom Herrn Vater, „aber um 11 Uhr bist du zurück“ – und schon hier erhält man einen stupenden Eindruck vom Film, als völlig willkürlich, ganz unmotiviert mitten in den Satz eine ungewollt verstörende Großaufnahme auf den Vater einmontiert wird: Hier sind anscheinend rechte Dilettanten am Werk. Was auch im weiteren Verlauf immer wieder deutlich wird, was aber nicht unbedingt den Spaß verderben muss, dafür isses ja schließlich Grindhouse.
Der Junge jedenfalls entledigt sich hinter einem Busch seines Anzugs, zieht Lederklamotten an und mit seinen offenbar gewaltbereiten Kumpels los, Mädels anbaggern. Darunter an diesem Abend: Die Girlieclique um Brenda, in sexy Outfits und mit flotten Sprüchen unterwegs, und mit Brandas kleiner Schwester, Typ graue Maus hinterm Ofen, hochgeschlossene Bluse und verschüchterter Blick. Sie ist taubstumm. Muss man mehr sagen?

Sie wird das Opfer, in der Schulturnhalle, Gruppenvergewaltigung durch die Jungsgang. Die Mädels suchen sie: „Heather! Wo bist du?“ Tja, was soll man sagen: „Was schreit ihr so rum, sie ist doch stumm!“ Hier immerhin wird sich der Film seiner selbst bewusst. Weiter geht es mit Brendas Ermittlungen, wer die Bösewichter waren; und im übrigen, völlig an den Haaren herbeigezogen, ein blindes Motiv ohne jedes dramaturgische pay off: Die Jungs killen eine weitere Freundin von Brenda, was die freilich erst erfährt, als sie die ersten der Schurken umbringt.
Immerhin ist das eine entlarvende Szene: Wie der Gangleader das Mädchen von einer Brücke schmeißt und der jüngste Kumpel, der aus der Anfangsszene, der so gerne wichtigtuerisch dabei wäre und quasi als Lehrling mittut, voller Enttäuschung ausrufen lässt: „Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ Wie es eben Verliebte tun, wenn sie sitzengelassen wurden. Denn offenbar von Regisseur Danny Steinman unbemerkt sind die vier Typen alle total schwul und verdrängen die Neigung durch affirmativ maskulines Auftreten, mit Tittenpacken an unbeteiligten Damen und Vergewaltigung. Bei diesem Gewaltgangbang ein zweiter entlarvender Moment: Der „Verrückte“ in der Truppe, mit pseudopunkig rotgefärbtem Haar, eine Mischung aus Clockwork-Droog, Mad Murdock und Lumpi von Schlotterstein, nimmt den Anführer im Überschwang der Gefühle mitten in der Taubstummenvergewaltigung in den Arm und küsst ihn offen auf den Mund. Hat Regisseur Steinman das mitbekommen?

Zynisch ist der Film obendrein, vielleicht ein Zynismus aus Dilettantismus, wer weiß das schon: Jedenfalls schneidet der Film unverfroren zwischen der brutalen Vergewaltigung und einem aufreizenden Catfight zweier nackiger Schülerinnen im Duschraum hin und her; offensichtlich ist es dem anvisierten Zielpublikum wurscht, woran es sich aufgeilen soll.
Während der Vergewaltigung...
Andererseits gehören derartige Reize natürlich zu den Versprechen, die ein Film wie dieser gibt; und Steinman hält auch einige davon. Lässt volle Brüste unter engen Tops wippen, die Damen beim Schulturnen zotige Witze reißen, die Lehrerin schickt dann alle unter die Dusche – und gleich darauf gleitet die Kamera an einer Reihe nackter Mädchenleiber entlang, dass es eine wahre Freude ist. Wenn die prallen Möpse hüpfen, dauert’s nicht lang, bis den Mädels das Oberteil runtergerissen wird. Nur am Ende bricht Steinman das große Versprechen: Brenda (die wir zuvor nackt in der Badewanne gesehen haben) kleidet sich in engem Leder ein, ein schwarzer Racheengel, der sich mit diversen Waffen ausstattet, unter anderem eine Armbrust – die dann aber doch nur so nebenbei, wenn überhaupt, zum Einsatz kommen. Das ist dann doch enttäuschend, dramaturgisch sowieso, weil viel zu glatt in einem Rutsch die Bösewichter gekillt werden; aber halt auch, weil man die hier servierte Rache doch zu sehr Fast Food ist.

Betrug natürlich auch der Titel „Planet der Vampire“; handelt es sich doch eher um so was wie Körperfresser, oder körperlose, feinstoffliche Zombies, geschult am 1956er „Forbidden Planet“. Diese Seelen, die sich der Psychen intergalaktischer Raumfahrer zu bemächtigen versuchen, werden halt mal von irgendwem im Film als Vampire bezeichnet, da hat man schnell einen catchy Filmtitel weg.
Mario Bava hat dieses große Science-Fiction-Werk geschaffen, die bunten Sixties gehen einher mit der untergründigen 50er-Paranoia – oder ist es schon die der 70er? Raumfahrer unterwegs, werden von einem geheimnisvollen Planeten angezogen, dort wabert der Nebel in schönster Gothic-Manier, bizarre Felsformationen stehen rum, merkwürdige Verhaltensweisen brechen auf, die Toten erstehen wieder aus ihren Gräbern auf, in einem Höhleraumschiff riesenhafte, tot erstarrte Außerirdische, und alles so schön bunt, in kräftigen Primärfarben, goldgelbe Helme, rotleuchtende Lichter vor bläulichem Hintergrund. Bava halt, der ein Meister des Designs ist. Und ein paar nette Spannungsmomente reinbringt, wenn sie auch wenig mit der eigentlichen Handlung zu tun haben – tote Lebensformen etwa auf sonarer Basis, wo alles per Schall funktioniert, Eingesperrte müssen das richtige Geräusch zum Öffnen der Türen finden. Das wird gerne mal lustig, wenn wieder und wieder irgendwer alleine zurückgelassen wird, um Wache zu halten… Dass er sterben wird, könnte nicht nur der Zuschauer, auch der Protagonist wissen.
Ein schöner Film jedenfalls, in ästhetischer Hinsicht sowieso; und mit einer der ganz grandiosen Schlusspointen der Filmgeschichte.


Harald Mühlbeyer