Grindhouse-Nachlese: Ein Crime-Abend

Grindhouse-Doppelnacht, 17. September 2011, CinemaQuadrat, Mannheim:

„Jinzu burusu: Asu naki furaiha“ / „Jeans Blues: No Future“, Japan 1974, Regie: Sadao Nakajima. Mit Meiko Kaji und Tsunehiko Watase.http://www.blogger.com/img/blank.gif

„Un Condé“ / „Ein Bulle sieht rot“ / „Eiskalt und ohne Gnade“ , Frankfreich/Italien 1970, Regie: Yves Boisset. Mit Michel Bouquet, Françoise Fabian, Gianni Garko, Michel Constantin.


Irgendwann kauft sich Jiro einen schicken Anzug, englisches Tuch mit Karomuster und distinguierter Batschkapp; Hijiriko hat sich einen hautengen Lederdress zugelegt und trägt darüber einen beigen Trenchcoat. Wie sie so gekleidet durch die Gegend fahren: Da sind sie Bonnie und Clyde am ähnlichsten.

Das Geld, das sie auf den Kopf hauen, hat Jiro erbeutet bei einer skurrilen Killeraktion. Als Helfershelfer eines Yakuza schaufelt er ein Grab aus, das Opfer wird brutal mit Spitzhacken und Stöcken totgeschlagen – die erste und größte Gewalttat im Film, mit dem meisten Blut –, und Jiro angelt sich das Geld, mit dem die Killer diesen Knochenjob honoriert bekommen sollten. Und haut ab. Gleichzeitig langweilt sich in einem Swingerclub Hijiriko, die Empfangsdame, die Orgie im Hintergrund entlockt ihr ein Gähnen, sie schnappt sich Kohle aus der Kasse und ein Auto. Und haut ab. Beide treffen sich, weil ihre Autos aufeinanderknallen, und sie machen sich gemeinsam auf den Weg. „Jeans Blues: No Future“ heißt der Film, Jeans gibt’s zwar keine, dafür viel schöner instrumentaler Blues auf dem Soundtrack, und eine Menge keine Zukunft.

Mit der Gewalt und dem Sex zwingt Regisseur Sadao Nakajima in der Anfangssequenz des Films die beiden Hauptattribute des Exploitationkinos zusammen. All seine Figuren verhalten sich dabei cool, drücken ihre Rolle im Film – die jeweils einem bestimmten Typus des gesellschaftlichen Nebeneinanders entspricht: die desillusionierte Aussteigerin, das vom Leben gebrannte, neureiche Hallodrikind, die geldgierige Tussi, der brutale Stotterer, der hartnäckige Gangsterführer etc. – scharf skizziert aus. Und – auch damit muss man beim Grindhousekino rechnen: Man weiß zunächst nicht, wohin der Film eigentlich führen will, und das ist kein gewolltes retardierendes Element, sondern eine Schwäche der Dramaturgie; wie auch der Filmschnitt mitunter dilettantisch wirkt, und man bei den Gags und Witzen nicht so recht weiß, ob sie tatsächlich gagig und witzig gemeint sind. Erst langsam bekommt man ein Gefühl für den Film, wenn Jiro und Hijiriko on the road sind: Dann nämlich hat sich der Sex aus der Handlung verkrümelt, die Gewalt ist nicht mehr nur sinnlos als Augenkitzel eingesetzt, und die Komik – die, wie sich herausstellt, stets gewollt ist – bekommt zunehmend bittere Beigeschmäcke.

„Jeans Blues“ ist ein offenbar amerikanisch geprägter, aber durch und durch japanischer Roadmovie, zwei Außenseiter, Rebellen, Kriminelle auf der Flucht, auf ihren Fersen die Gangsterbrut, in der Tasche 5 Millionen Yen. Zu Anfang haben sie Spaß, wenn sie tun, was sie wollen – und sich auch leisten, sich dusslig anzustellen. Problematisch wird’s, wenn sie alles Geld verlieren; und spannend, wenn sie sich wieder welches beschaffen wollen. Da steht ein Angler am See, legt auf Enten an: Er hat einen unpassenden roten flachen Hut auf mit großem Lacoste-Krokodil drauf, die beiden überfallen ihn, knallen ihn mit dem eigenen Gewehr ab, mit dem sie fortan auf Raubzug gehen; Nach ein paar Schießübungen mit der japanischen Flagge als Zielscheibe. Eine Tankstelle, ein illegaler Spielclub – es hagelt Tote. Die beiden, zuvor eher Opfer der Umstände und auf der Flucht vor den Umständen, machen sich ihre Umstände jetzt selbst, weil ihnen jetzt sowieso alles egal ist.


Bemerkenswert ist der Kern des Films, das Pärchen on the run: er ist ein Nichtsnutz, ein Ausgebeuteter, einer, der glaubt, jetzt auf das große Glück gestoßen zu sein, und der es auch auskosten will; sie ist angekotzt vom Leben, alles langweilt sie, da kann sie ebensogut irgendwas anderes machen. Er ist ein Draufgänger, sie schweigt meistens, weiß aber genau, was sie will/was sie nicht will. Er lebt im Jetzt, sie sieht eh keine Zukunft: Sie sind Seelenverwandte, irgendwo im Dreieck von Perspektivlosigkeit, Nonkonformismus, Nihilismus. Und immer ist da das Gefühl, dass die beiden auch jederzeit ihre Verbindung zueinander kappen könnten – als Duo von Hauptfiguren ist diese Konstellation brüchig; und deshalb ungewöhnlich; und deshalb reizvoll. Wie sie zueinanderfinden, wie sie sich weiterentwickeln: Das ergibt die eigentliche Geschichte des Films, die sich unter der Oberfläche von Flucht und Action und Kriminalität abspielt. Und das ist doch schon mal doll, dass im Grindhouse-Kino ein Subtext, etwas Doppelbödiges drinsteckt.

Weshalb der Film – wiewohl billiges, auf reine Wirkung ausgelegtes Kino – gut passt in diesen Crime-Abend im Mannheimer CinemaQuadrat, der nach diesem Flucht-und-Gewalt-Film einen Rache-und-Gewalt-Film bot, der aber eigentlich gar kein Grindhouse sei, sondern tatsächlich ein Klassiker des Kriminalgenres, wie Boris Becker, Organisator der Reihe, betonte: Geht raus, sagt euren Freunden: Beim Grindhouse-Abend habt ihr Filmkunst gesehen! Und tatsächlich: Immerhin widmet Hans Gerhold in seiner Geschichte des französischen Kriminalfilms „Kino der Blicke“ eine ganze Seite dieser „kinematographischen Streitschrift“ wider Polizeiallgewalt: „So greift Yves Boisset in „Un Condé“/„Ein Bulle sieht rot“ die Austauschbarkeit von Polizei- und Gangstermethoden in einer Form an, die den Film zum Skandalereignis machte und ein zeitweiliges Verbot durch den Innenminister bewirkte, das auch einige Schnitte zur Folge hatte.“

Zunächst erleben wir den Tod eines Barbesitzers, der dem mächtigen Gangsterboss, genannt der Mandarin, kein Schutzgeld zahlen und keinen Schutzraum für Rauschgiftgeschäfte bieten wollte. Die Freunde des Ermordeten – Dan Rover und sein Kamerad aus der Fremdenlegion Viletti – begeben sich auf einen Feldzug gegen den Mandarin, der seine Finger überall in Stadtverwaltung und Polizei drin hat und deshalb juristisch unangreifbar ist. Nur einen anständigen Polizisten gibt es: Inspektor Barnero, der tut, was er kann, um den Mandarin und sein Killertrio zur Strecke zu bringen. Und der immer wieder gegen die Wand der Korruption bei seinen Vorgesetzten stößt. Sein Freund, Inspektor Favenin, unterstützt ihn – der sieht aus wie ein verklemmter Spießer, wurde aber schon disziplinarisch strafversetzt und ergeht sich in Zynismen. Als sich die beiden Parteien gegen den Mandarin kreuzen – anständige Polizei und anständige Unterwelt –, gibt es Tote: Der Gangster wird erschossen, und auch Barnero wird getötet, von Viletti. Barnero: der einzige, der das Gute verkörpert hat. Im weiteren Verlauf des Films ist jede Moral verdampft.

Favenin übernimmt die Methoden der Gangster, killt einen Killer kaltblütig, erpresst den anderen, um an den Mörder von Barnero zu kommen. Dan Rover auf der anderen Seite, der als Tatbeteiligter Schlimmstes befürchten muss, geht ebenfalls zum Angriff über – gegen die Gangster und voll Misstrauen gegen die Polizei. Misstrauen, das berechtigt ist. Denn nach der ersten wirklich verstörenden Szene, die über die übliche Gangster-Krimi-Gewalt hinausgeht – wenn Favenin ganz gemütlich eine Luger auspackt, den Schalldämpfer aufschraubt und kalt abdrückt auf den Killer des Mandarin, dem niemals etwas nachgewiesen konnte –, nach dieser mit kühler Selbstverständlichkeit daherkommenden Szene kommt eine zweite, noch bestürzendere. Dan Rover ist festgenommen, und wird oben unterm Dach gefangengehalten, da, wo es ruhig ist. Dort hängt er mit nacktem Oberkörper und blutüberströmt gefesselt an der Wand: Das war nicht Favenin in seinem Rächerrausch, das sind die üblichen Empfangsmethoden der Polizei.


Favenin ist nämlich nicht der Böse, obwohl wir seinen brutalen Racheanwandlungen folgen. Böse ist das gesamte System der Polizei, die sich mit Gangstern gemein macht. Vor diesem Hintergrund – weil von der Obrigkeit nichts zu erwarten ist – erzählt der Film zwei Revengestories, die quer zueinander verlaufen. Rache: Das ist eines der Hauptmotive im Grindhouse-Film. Wenn sie aber wie hier doppelt erzählt wird, in zweifacher Weise ineinander verschlungen und gegeneinander gesetzt: Dann wird daraus Kunst. Weil die Rache nicht mehr nur Handlung antreiben und Nervenkitzel generieren soll, sondern weil sie selbst zum Gegenstand des Films wird.

Dan Rover, der Killer der Killer, agiert vom Gefängnis aus, versucht, seine Kumpel zu schützen, lässt Favenin beschatten. Der seinerseits erschießt skrupellos Viletti, den Mörder von Bernero; und lässt auch danach nicht ab, verbittert vom Wissen über die Machenschaften der Partei- und Politikoberen. Es geht nicht „Dirty Harry“-like um einen Cop, der einen brutalen, aber (vom Film) letztlich gerechtfertigten Feldzug startet; sondern: Alle sind auf dem falschen Weg, und alle machen alles noch viel schlimmer.


Harald Mühlbeyer