Zirkelschlüsse

Evi Hallermayer: Filme analysieren – Kulturen verstehen. Über Akira Kurosawas „Yojimbo“ und seine beiden Remakes „Per un pugno di dollari“ und „Last man standing“. UVK, Konstanz 2008. 49,90 EUR.

Harald Steinwender





Dashiell Hammetts 1929 veröffentlichte hardboiled novel Red Harvest, Akira Kurosawas Chambara YOJIMBO (J 1961), Sergio Leones Western all’italiana PER UN PUGNO DI DOLLARI (FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR; I/E/BRD 1964) und Walter Hills Gangsterfilm LAST MAN STANDING (USA 1996): Alle diese Werke variieren eine auffallend ähnliche Geschichte, jeweils in verschiedenen Kulturen und zu unterschiedlichen Zeiten angesiedelt. Den Plot der filmischen Varianten könnte man anhand von sieben „Bausteinen“ zusammenfassen: (1.) Ein herumziehender Fremder erreicht eine verkommene Stadt. (2.) Er beweist in einer Prüfung sein Geschick, meist durch eine gewaltsame Aktion. (3.) Er trifft einen verwirrten oder weisen Mann, der ihm Rat oder Hilfestellung gibt. (4.) Er verkauft sich zum Schein an den Feind. (5.) Das Doppelspiel wird entdeckt, er wird gefoltert, erleidet dabei einen symbolischen Tod, kehrt aber vom Totenlager zurück. (6.) Er tötet den bzw. die Gegner und neutralisiert die Gewaltstrukturen in der Stadt. (7.) Er zieht weiter.

Im Kern besitzt diese Geschichte Züge einer mythischen zyklischen Erzählung: Der Weg des jeweils namenlosen Protagonisten aus einem diffusen Außen, in der Regel der Wüste, führt letztlich immer in diese zurück; dazwischen liegen Prüfungen, Tod und Auferstehung, Begegnungen mit „Schattenwesen“, die besiegt werden müssen (all die grotesken, oft körperlich entstellten Gegner des Helden). Da mythisches Erzählen immer auch Anspruch auf Universalität erhebt, verwundert es kaum, dass sich die Geschichte leicht in andere Kulturräume transferieren lässt: Ob der Fremde nun ein zynischer Continental Op[erator] ist wie bei Hammett, ein heruntergekommener Ronin wie bei Kurosawa, ein mysteriöser Revolvermann wie bei Leone oder dann bei Hill ein Gangster in der Depressionsära, das spielt für den Plot nur eine untergeordnete Rolle.

Die Wanderungen dieses Stoffs sind tatsächlich das Beispiel eines gut belegten Kulturtransfers: Kurosawa war von Hammetts Roman – und von George Stevens’ „Superwestern“ SHANE (USA 1953) – inspiriert, Leone inszenierte ein Remake von Kurosawas Film, wobei er weitere Verweise auf den US-Western integrierte, und Hill schließlich, der noch einmal Kurosawas Stoff variierte, ergänzte diesen um weitere Bezüge auf Leone und Hammett. Natürlich könnte man weitere Varianten dieser Geschichte anführen: Etwa John Sturges’ BAD DAY AT BLACK ROCK (USA 1955) und Jack Arnolds NO NAME ON THE BULLET (USA 1959), Stelvio Massis Gangsterfilm IL CONTO È CHIUSO (I 1976) oder Clint Eastwoods „Geisterwestern“ HIGH PLAINS DRIFTER (USA 1973) und PALE RIDER (USA 1985). Als Vorläufer in anderen Medien können Mark Twains Kurzgeschichte The Man That Corrupted Hadleyburg (1900) und Carlo Goldonis Lustspiel Il servitore di due padroni (1745) gelten, auch wenn diesen der Aspekt der personalen Gewalt abgeht, der in den filmischen Umsetzungen so prominent vertreten ist. Letztlich könnte man das Motiv der Namenlosigkeit des Protagonisten, das sich bei Twain und Hammett, Kurosawa, Leone und Hill findet, sogar bis auf Homers Odyssee zurückführen.

In Anbetracht dieser Wandlungen, Übernahmen und Variationen ist das Thema geradezu prädestiniert für eine cultural study, die dem Kulturtransfer und den darin wirksamen Techniken der Aneignung und Umformung nachspürt. Insoweit ist eine Studie wie Evi Hallermayers Filme analysieren – Kulturen verstehen durchaus begrüßenswert. Leider überzeugt die vorliegende Arbeit, die sich ausschließlich auf Kursosawas, Leones und Hills Varianten konzentriert, nur eingeschränkt. Ein Grund dafür ist, dass ihr Ziel weder ein Erkenntnisgewinn zum Transferprozess ist, noch zu den einzelnen Filmen. Die erklärte Absicht der vorliegenden Studie ist vielmehr, „dem Leser zu ermöglichen, möglichst viel über die jeweiligen Kulturen zu lernen“ (S. 14), also letztlich die Filme als Vehikel zu nutzen, um die japanische, italienische oder US-amerikanische Kultur zu erklären. Das grundsätzliche Vorgehen der Autorin ist der Vorgabe angepasst: Hallermayer referiert zunächst allgemeine Thesen zur jeweiligen Kultur und Hintergrundinformationen zur nationalen Filmgeschichte, zum entsprechenden Genre des Films und zu seinem Regisseur. In einem weiteren Schritt werden die zuvor dargestellten Aspekte dann an den Filmen aufgezeigt. Die Filmanalysen wirken entsprechend oft, also ob das Ergebnis schon zuvor feststand.

So sind die vielfältigen katholischen Bezüge in PER UN PUGNO DI DOLLARI sicherlich eine Reaktion Leones auf die Dominanz katholischer Zeichen in seiner Lebensumwelt. Dass sein Film jedoch ein katholischer Film ist, „da Leone noch unter dem Einfluss der Weisungen des ersten vatikanischen Konzils aufwuchs“ (S. 360), ist eine Vermutung, die im krassen Gegensatz zu Leones durchaus zwiespältigem Umgang mit dem Katholizismus steht. Noch deutlicher werden die Zirkelschlüsse in der Argumentation, wenn an LAST MAN STANDING die ebenfalls auffälligen katholischen Motive ausgeblendet werden. Folglich wird weitgehend ignoriert, dass der Film mit einer Szene beginnt, in der eine Mexikanerin in einer verfallenen Kirche betet, bevor der von Bruce Willis gespielte Protagonist auftritt. In diesem Kontext wäre es durchaus möglich, den Fremden als einen gewalttätigen Erlöser oder einen göttlichen Gesandten zu interpretieren – eine konträre Lesart, die gar nicht erst in Erwägung gezogen wird, denn, so drängt sich der Eindruck auf, Hill ist ja kein „katholischer Italiener“, sondern Amerikaner (S. 474).

Sicherlich ist es richtig, für das Verständnis eines filmischen Textes die Kenntnis seines kulturellen Kontexts vorauszusetzen. So ist z.B. Leones PER UN PUGNO DI DOLLARI unleugbar in vieler Beziehung geprägt von der italianità: Katholizismus, Commedia dell’arte, Oper und Puppenspiel; das alles sind fraglos bedeutende Einflussfaktoren auf Leones Stil. Doch Kulturräume sind keine hermetisch abgeschlossenen Gefäße – schon die sizilianischen Varianten des Puppentheaters, die dem Regisseur als Bezugspunkt galten, waren meist krude Pastiches der Hochkultur, wobei vor allem in der Renaissance ausländische Einflüsse absorbiert und in populäre Unterhaltung verwandelt wurden. Leones Bricolage-Film steht mit seinem Zugriff auf den US-Western ganz in dieser Tradition, was zumindest eine Darstellung außeritalienischer Einflüsse gerechtfertigt hätte, etwa der Bedeutung des intensiven künstlerischen Austauschs zwischen den Kulturräumen USA und Italien/Europa. Zudem die unübersehbaren internationalen Merkmale des Films auszublenden (sein Charakter als Koproduktion wird lediglich auf den Seiten 293ff. kurz angesprochen), zeugt doch von einer unglücklich eingeengten Perspektive, die lediglich dem Ziel folgt, die Filme als exklusive Vertreter ihrer Ursprungskulturen zu lesen.

Mit dem fragwürdigen Kulturbegriff dieser Arbeit, die Kulturräume gewissermaßen als statische, geschlossene Einheiten betrachtet, gehen pauschalisiert vorgetragenen Anmerkungen insbesondere zum japanischen Nationalcharakter einher. Da lesen wir z.B.: „Japaner erkennen sich nicht als konstante Subjekte“ (S. 20); oder: „Japanische Menschen [haben sich] […] zu unrationalen und ebenso schwer berechenbaren Individuen entwickelt“ (S. 200). Als Grund für solche vermeintlich „unumstößliche Wahrheit“ (S. 157) werden dann allen Ernstes klimatische Bedingungen angeführt (z.B. auf den Seiten 185-186).

Damit greift die Autorin auf einen seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Japan virulenten, oft nationalistisch geprägten Japandiskurs zurück, der aufgrund seines geografischen Determinismus wissenschaftlich spätestens seit den 70er Jahren nicht mehr ernst zu nehmen ist (in der vorliegenden Studie wird daran nicht einmal vorsichtige Kritik geäußert). Tatsächlich wird von solchen fragwürdigen Thesen ausgehend auf den ästhetischen Gehalt oder die Bedeutung der Figurenzeichnung in den Filmen geschlossen (etwa auf den S. 185-186 und 222).

So zweifelhaft diese Bezugnahmen erscheinen, so problematisch sind auch einige der filmhistorischen Abschnitte der Arbeit, wobei die in Kapitel 1 referierte Geschichte des japanischen Films durchaus gelungen ist, tatsächlich aber ähnlich in anderen Übersichtswerken nachgelesen werden kann. Der Abriss des italienischen Films wiederum ist äußerst knapp und z. T. fehlerhaft. Da heißt es z.B., dass in den 60er Jahren die „Zahl der politischen Filme drastisch ab[nahm]“ (S. 69), was ebenso unzutreffend ist wie die Behauptungen, die italienischen Sandalenfilme seien „zu einem Großteil […] an biblische Geschichten angelehnt“ (S. 70) oder „die italienischen Nachfolgewerke der amerikanischen Bibel- und Antikenfilme“ (S. 132). Tatsächlich begründeten die Italiener den Monumental- und Antikfilm in der Stummfilmära und die als Peplum bekannten europäischen Nachkriegsvarianten waren dann vor allem an die eigenen Stummfilmvorbilder, populäre Romane des 19. Jahrhunderts sowie Motive der humanistischen Bildung angelehnt. Auch gehen die zusammengestellten Bio- und Filmografien von Sergio Leone und Walter Hill kaum über den Wissensstand hinaus, den man sich mittels einer Online-Recherche via Wikipedia und IMDb zusammenstellen kann (konsequent wird Leones Todestag dann auch mit einem Wikipedia-Verweis belegt; vgl. S. 131). Gewiss stellt dies nicht das „Hintergrundwissen“ bereit, um sich den „wirklichen Intentionen und damit auch der wahren Bedeutung ihrer Filme zumindest annähern zu können“ (S. 101).

Das wesentlichste Problem der Arbeit aber stellt die unkritische Verwendung von Internetbelegen dar. Selbstverständlich lassen sich online verlässliche wissenschaftliche Quellen finden. Inakzeptabel ist es aber, wenn fast die gesamten Abschnitte zu Walter Hills Biografie und Werk (S. 143ff.) auf einem kurzen Eintrag auf www.prisma-online.de – einer Internet-Fernsehprogrammzeitschrift (!) – basieren oder die Tele-5-Homepage (!) als Beleg für eine Anmerkung zum japanischen Monsterfilm herhalten muss (S. 27). Auch für die filmkritische Rezeption von LAST MAN STANDING (S. 378ff.) werden, anstatt zeitgenössische Kritiken zu recherchieren, fast ausnahmslos Jahre später verfasste Online-Quellen herangezogen. Hier wird dann sogar die Plot-Zusammenfassung der IMDb (!) als Quelle ausgewiesen (S. 382).

Die genannten Beispiele sind wohlgemerkt keine Ausnahmen, sondern illustrieren einen wesentlichen Teil der „Methodik“ dieser Arbeit. So werden auch Grundbegriffe und Definitionen komplexer Zusammenhänge oft unkritisch aus allgemeinen Internet-Nachschlagewerken und Lexika übernommen. In „Filme analysieren – Kulturen verstehen“ dient die Wikipedia z.B. als Referenz für den herangezogenen Kulturbegriff (S. 4-5), für eine Inhaltsangabe von Sartres Geschlossene Gesellschaft (S. 196) und die Begriffe „Antiheld“ und „Hermeneutik“ (S. 15, 275). Eine Definition von Freiheit wird wiederum von www.wissen.de übernommen (S. 194), nach der gleich auch Kants Philosophie dargelegt wird (S. 197) etc. Unerträglich ist schließlich die Quelle einiger Bibelzitate: die Website www.was-sagt-die-bibel-zu.info (z.B. S. 359ff.), eine weltanschaulich geprägte private Homepage, die offensichtlich seit Jahren nicht mehr existiert (wie im übrigen viele der zitierten Internetquellen). Dass die Autorin in Vorwort und Postskriptum empfiehlt, ihr Werk an Schulen einzusetzen, „um damit die Entwicklung mündiger Rezipienten nach Kräften zu fördern“ (S. 509f.), wirkt vor diesem Hintergrund doppelt fragwürdig. Das erklärte Ziel der Arbeit, „möglichst tiefgründiges und wissenschaftlich fundiertes Wissen bereitzustellen, um so dem Leser zu ermöglichen, möglichst viel über die jeweiligen Kulturen zu lernen und für sich mitzunehmen“ (S. 14), ist mit ihrer dubiosen Quellenlage jedenfalls nicht vereinbar.

Solange in Deutschland keine Studien zu Leone und Hill vorliegen (was sich in absehbarer Zeit ändern wird), lohnt es sich, abzuwarten oder mit älteren Werken vorlieb zu nehmen. In Bezug auf Leone und den Italowestern wäre hier etwa Christopher Fraylings auf Englisch publiziertes Standardwerk Something To Do With Death oder die zumindest antiquarisch erhältliche, leider nicht sehr sorgfältig aus dem Italienischen übersetzte deutsche Ausgabe von Oreste De Fornaris Leone-Buch von 1984 zu empfehlen. Einen guten Überblick des Subgenres liefert auch der vom Studienkreis Film 1999 herausgegebene Reader Um sie weht der Hauch des Todes.