100 Jahre Adolf Hitler - Christoph-Schlingensief-Edition #6
von Harald Mühlbeyer
100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker
Deutschland 1989. Regie, Buch: Christoph Schlingensief. Kamera: Voxi Bärenklau. Musik: Tom Dokoupil. Produktion: Christoph Schlingensief, Christian Fürst, Ruth Bamberg
Darsteller: Udo Kier (Hitler), Alfred Edel (Göring), Brigitte Kausch (Eva Braun), Dietrich Kuhlbrodt (Goebbels), Andreas Kunze (Bormann), Volker Spengler (Fegelein), Marie-Lou Sellem (Tochter Goebbels). Länge: 55 Minuten. Anbieter: Filmgalerie 451.
Extras: Interview.
Untertitel: Englisch
Code Free
PAL s/w
4:3
Ton: lautes Mono
Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern findst du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
|: In gleichem Schritt und Tritt. :|
Alte Kameraden finden sich im Führerbunker wieder, eingesperrt für die Ewigkeit, die nur noch eine Stunde dauern wird. Schlingensief blickt in das Herz des untergehenden Dritten Reiches, und er findet dort nur Verrückte vor. Eine besondere Art der Frontkameradschaft, alte Weggefährten, die sich nach immerhin fast tausend Jahren gehörig auf den Sack gehen.
In sechzehn Stunden hat Schlingensief den Film gedreht, eine Kamera, ein Handscheinwerfer, ein Bunker, dessen Dunkelheit kaum ausgeleuchtet ist. Inszeniertes Chaos in beengtem Raum, Witz und Horror vereinigen sich zu einem absurden Mikrokosmos, eine Blase, die ganz abgeschlossen ist von Außen. Doch immer wieder auch zerstückelt Schlingensief diese Blase, zeigt einen Fernsehbildschirm, auf dem Wim Wenders bei der Preisverleihung in Cannes verkündet, die Bilder der Welt verbessern zu wollen, um damit die Welt zu verbessern. Und Franz Josef Strauß erklärt, warum die Deutschen so toll sind, gerade auch vor 1945, als sie all das aushalten mussten.
Jedes Einfinden in die Filmwelt wird verhindert, wenn Schlingensief die Filmklappe nicht wegschneidet oder wenn immer wieder das Mikrophon zu sehen ist. So wird im Formalen die Befremdung verstärk, wo sich doch schon inhaltlich eine irre Farce entwickelt. Im ersten Bild, nach der ersten Klappe, spielt Hitler mit einer Agfa-Videokassettenhülle, um sich dann an die Wand zu werfen, wo er eine Europakarte umarmt: eine erbärmliche Geste, die Chaplins Globus-Tanz ad absurdum führt: Hitler ist kein Ästhet, der Ballett tanzt, sondern einer, der seinen Arsch in die Farbschüssel hängt und einen Abdruck an die Wand produziert: Das ist die Kunst der Postkartenmalers Hitler.
Eine Kugel kam geflogen:
Gilt's mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt vor meinen Füßen
|: Als wär's ein Stück von mir:|
Neun Menschen sind eingeschlossen in einer klaustrophobischen WG, auf Gedeih und Verderb – eher auf Verderb. Im dumpfen Bunker sieht man das Ende einer dekadenten Gesellschaft, vollkommen degeneriert und pervertiert. Zurückgeführt auf die einfachsten Triebe: Fressen, Ficken, Intrigieren. Und dabei wird auch am 30. April noch Weihnachten gefeiert, gerne erklingt „Leise rieselt der Schnee“. „Ich hatt einen Kameraden“ bläst das Orchester auf dem Soundtrack, Stöhnen und Schreien und unartikulierte Geräusche kommen aus dem Mündern der Eingeschlossenen.
Das Fest von Liebe und Familie und Gemeinschaft wird beschworen in einer aussichtslos über dem Abgrund schwebenden Gesellschaft, die sich selbst zersetzt. Das Außen, das untergehende Deutschland, das Schicksal der Opfer, die heranrückenden Russen sind aus dem Film ausgeschlossen. Wie durch eine Lupe wird auf die lächerliche, verrückte Naziführungselite geblickt, nur, dass die zuvor schon vom Brennglas verbrutzelt wurde. Schlingensief lässt das Tabu der künstlerischen Hitler-Darstellung platzen, indem er den Führer mit heruntergelassenen Hosen dastehen lässt, indem er die Nazi-Elite sprichwörtlich nackt und bloß darstellt und sie als erbärmliche Würstchen zeigt, die in ihrem eigenen Sud kochen. (Der Metaphernsalat in diesen Sätzen mag einen Eindruck von Schlingensiefs Methode geben, die darauf abzielt, möglichst viele Referenzpunkte auf kleinstem Raum zusammenzupressen, um daraus eine Gemengelage von (scheinbarer) Bedeutung zu erhalten.)
Keine ästhetischen Bilder, keine Nachvollziehbarkeit von Handlung und Psychologie wie bei Eichingers/Hirschbiegels „Untergang“ . Keine Vermenschlichung der Nazis, die wenn auch keine Sympathie, dann doch Verständnis heischt. Sondern eine groteske Darbietung grotesker Gestalten. Interessanterweise scheint nun Dani Levy, der Regisseur anspruchsvollen Erzählkinos, als Gegenschlag zum „Untergang“ auf das Schlingensief-Konzept zurückzukommen, indem er in seinem „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ den alten Schlingensief-Weggefährten Helge Schneider den Gröfaz mimen lässt.
Vollkommen verzerrt und entstellt sind Schlingensiefs Figuren keine historischen Personen mehr, sondern nur noch Karikaturen von Karikaturen, die nichts mehr mit der geschichtlichen Wirklichkeit zu tun haben. Bei Schlingensief herrscht reiner Exzess, der eher nominell mit den Nazigranden zu tun hat.
Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad'.
"Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib du im ew'gen Leben
|: Mein guter Kamerad!" :|
Vielmehr zeigt er beispielhaft eine Gesellschaft, die sich selbst zerstört, die an sich selbst zugrunde geht. Göring als Ehrgeizling will unbedingt Reichskanzler werden, Goebbels vertreibt sich die Zeit mit seiner Tochter, beide zusammen mit Bormann hassen Fegelein, den Verräter mit Tourette-Syndrom („Ficken!“), der mit einer Prostituierten gesehen worden sein soll – der in Wirklichkeit eine Affäre mit Eva Braun hat. Die wiederum klebt sich nach Hitlers Tod ein Bärtchen an und heiratet Frau Goebbels; wer den Bart hat, hat die Führungsmacht.
Ein für allemal macht Schlingensief Schluss mit jeder beschönigenden Darstellung irgendeines Aspektes des Dritten Reiches – und seien es eingängige Bilder wie in Eichingers Kino. Und er spricht dabei keine Moral aus: Die Botschaft steckt im Nihilismus des Films.
Gleichzeitig abstrahiert Schlingensief seine Figuren, nimmt ihnen alles Menschliche und macht sie damit zu Chiffren von Verfall und Verkommenheit.
Er zitiert Wim Wenders’ naiven Traum von einer besseren Welt und zeigt, wie Franz Josef Strauß zwar nicht vom Herrenmenschen redet, ihn aber ziemlich laut denkt, während gleichzeitig eine von der sterbenden Frau Goebbels geborene Stoffpuppe als Moses im Fluss ausgesetzt wird. Damit beschreibt Schlingensief eine falsche Idylle im Schrecken, verbindet Gutmenschentum mit geistigem Durchfall und impliziert: Der Schoß ist furchtbar, aus dem das kroch.
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