Egomania - Christoph-Schlingensief-Edition #4
von Harald Mühlbeyer
Egomania – Insel ohne Hoffung
Deutschland 1986. Regie, Buch: Christoph Schlingensief. Kamera: Dominikus Probst. Musik: Helge Schneider, Tom Dokoupil, Christoph Schlingensief. Produktion: Wolfgang Schulte. Darsteller: Udo Kier (Baron), Tilda Swinton (Sally), Udo Fellensiek (William), Anna Fechter (Ria), Volker Bertzky (Anatol), Dietrich Kuhlbrodt (Rechtsgelehrter). Extras: Interview, Presseschau. Länge: 84 Minuten. Anbieter: Filmgalerie 451
Code Free
PAL Farbe
4:3
Dolby Digital 2.0
Schlingensief muss mit seinen Filmen nicht in der Darstellung von Ekel verbleiben: Nach „Menu Total“ drehte er auf der Nordsee-Hallig Langeneß einen stilisierten, mythischen, durchkomponierten, apokalyptischen Aphorismenfilm, ein Eifersuchtsdrama, die Zustandsbeschreibung einer von Egoismen geprägten Gesellschaft. Hexen wie aus „Macbeth“, Bilder wie von Caspar David Friedrich, dazwischen Udo Kier als Baron und Tilda Swinton als die Schöne. Und eine Menge symbolischer Bilder, die Kier mit dem Teufel konnotieren, wo Menschen von Ziegelsteinen erschlagen werden und ein Schiffwrack auf dem Trockenen liegt, eine Orgie wird darauf gefeiert. Volker Bertzky, mit langem zauseligem Bart, wird durch Eisschollen getragen, als wäre er ein Opfer – dabei ist er der Assistent des dämonischen Prinzips, das Udo Kier darstellt.
„Nagt an dir ein Gedanke – denk ihn weg“ mahnt eine Schrifttafel, Max Stirner zitierend, und die nächste: „… oder leide“. Und: „Zerstören wir nicht den Gedanken, so zerstört der Gedanke uns“, auch: „Der Vater verließ den Ort und ließ den Sohn im Stich, um dessen Glück zu treffen und jenen Kuss zu spüren, den man den Kuss der Freiheit nennt, der das Leben löscht, die Seele aber niederbrennt“: Gesprochen von einer bedeutungsvoll hallenden Erzählerstimme, die allein durch ihren Klang jedem Satz, jedem Wort den Anfangsverdacht von Sinn zuweist.
Oder der Rat des Rechtsgelehrten: „Daher bin ich der festen Überzeugung, dass jeder Kindermord, jede Vergewaltigung und jede Art von Nekrophilie zur Stabilisierung von Gesellschaftsformen führt, deren Ziel es ist, die Wirklichkeit zu erkämpfen oder notfalls dafür zu sterben.“
Oder die abrupt aufscheinenden Kapitelüberschriften: „Der Versuch, die Ordnung zu finden“, „Der Versuch, die Realität zu vergessen“, „Der Versuch zu kämpfen“, „Das Recht zu siegen“, „Der Wunsch nach Versöhnung“. Unterteilungen, die nur sporadisch vom Inhalt verifiziert werden können, denn eine Handlung gibt es kaum, nur assoziativ aufgebaute Bilder und Bilderfolgen, Töne, Geräusche, Worte und Dialog, die sich so anhören, als hätten sie etwas zu sagen. Der hier verkündete kategorische Imperativ zum Beispiel: „Handle, wie dir dein Dämon vorschreibt“. Hier mischen sich Immanuel Kant und Aleister Crowley zu einem Befehl, der die Individualität vorschreibt, an sich schon ein Paradox – und offenbar pure Ironie, wendet sich doch demgegenüber der Titel des Films in seiner Aussage gegen die Egomanie der Menschheit. Nach diesem kategorischen Imperativ schlingensiefscher Art frisst Udo Kier ein Baby, während Hexen kreischen und auf dem Soundtrack Helge Schneider singt.
Es ist dies eines der Grundprinzipien der Filme von Schlingensief: Dinge zeigen, die man auch so meinen könnte – die aber genausogut Ironie oder ganz und gar niederer Blödsinn sein können. Die Aphorismen, die das Grundskelett des Films ausmachen, sind allesamt volltönend – und vielleicht innerlich vollkommen leer. Manchmal wird der Film zu purem Kitsch, um dann wieder die orgiastische Degeneriertheit seiner Figuren herauszustellen und wieder in die symbolischen (oder zumindest pseudosymbolischen) Manierismen des bedeutungsvollen Experimentalfilmes zu verfallen.
Und doch schält sich hinter der glänzenden, bedeutungsvoll erscheinenden und doch wie eine falsche Fährte wirkenden Oberflächenschicht auch in „Egomania“ eine Thematik des Generationenkonfliktes heraus, in dem die Liebe der Jungen die Eifersucht der Alten auslöst, in denen das Prinzip Mutter und das Prinzip Vater zu Hexe und Teufel werden, die die jungen Liebenden wieder vereinnahmen in ihre Gesellschaftsordnung – oder verstoßen. Verführung und Gewalt sind die Mittel, die eigenen Denkstrukturen anderen aufzudrücken, ein Liebespaar zu trennen und damit den Status Quo des kontinuierlichen Niedergangs aufrechtzuerhalten. Am Ende gehen Udo Kier und Tilda Swinton, der Vereinnahmende und die Ausgebrochene, gemeinsam auf den rotgetränkten Sonnenuntergang zu: „Ein anderes Weltende wird es nicht geben.“
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