Der Filmkünstler Sebastian Linke


Meister der Mainzer Schule

von Bernd Zywietz

I.

Der Sammler steht in einem Keller und präsentiert der handgeführten Kamera die aufbewahrten gebrauchten Kondome in einem Schränkchen. Jedem ist eine Frau zugeordnet. Wobei eines der Präser den nachfolgenden Damen wie dem Sammler selbst – so erklärt dieser plötzlich ernst – das Leben gerettet hat.

Mit dem Aids-Aufklärungsspot „Der Sammler“ hat Sebastian Linke dieses Jahr den ersten Preis beim clip&klar-Wettbewerb der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gewonnen. Im Fernsehen war er daraufhin, in der Zeitung. Und gerade deshalb ist es fast schon billig, mit dem kleinen, schnodderigen und in dieser seiner Weise höchst gelungenen Film einen Bericht über Linke aufzumachen. Einfach, weil da mehr ist und war, schon vorher. Nicht nur in Mainz, aber auch dort oder besser: gerade hier.

Obwohl auch regelmäßiger Beitragslieferant für das Hamburger KurzFilmFestival ist Linke vor allem das, was man eine lokale „feste Größe“ nennen kann. Was soviel heißt wie: Mit ihm ist zu rechnen, auf dem FILMZ-Festival, Short Cuts oder dem Open Ohr Festival, auf dem er 2007 mit Gerald Haffke und „Das erste Mal“ den ersten Preis gewann.

Mehr noch aber ist Linke für Rheinland-Pfalz schlichtweg wichtig, weil er – bundes- oder weltweiter Erfolg hin oder her – jemand ist, den man (nun) stolz vorzeigen kann, der zeigt, was am Rhein möglich ist und auch geschieht, der aber zugleich als veritabler Kritiker auch in eben jene Richtung zielt. Linke kann mit Verve davon berichten, was hier prinzipiell schiefläuft. Das ist kein simples, wohlfeiles Lamentieren über zu kleine Fördertöpfe, sondern ein Verweis auf falsches Denken.

Das Problem, so der Autor, Regisseur, Produzent, Cutter u.v.m, sei, dass das sich selbst als Medienstadt verstehende Mainz samt dem Bundesland drumherum meint, sich in Sachen Film bei all seiner tatsächlichen Dimension zu sehr mit den Falschen, den Großen, messen zu müssen: mit Ludwigsburg, Berlin, mit Hollywood. Viele Entscheider in den Förderstellen und Auswahlgremien schielten entsprechend aufs Glatte, Gelackte und die kalkulierten inhaltlichen Trends, ohne zu erkennen, dass einerseits auch gewisse Filmhochschulen in Deutschland mit ihren technischen und finanziellen Möglichkeiten praktisch überfordert sind. Derweil – andererseits – sich im kleinen Mainz eine freie, authentische und spielerische Sprache entwickelt hat, die vor Ort schlichtweg nicht wahrgenommen wird. Sie hat das Zeug für einen eigenen anerkannten Stil, für Profil: Die Mainzer Schule – und Sebastian Linke selbst ist dafür Beleg und Repräsentant.

Solche Kritik klingt freilich immer erstmal nach chronisch missverstandener Künstlerei, der das Publikum zu dumm und die Förderer zu ignorant sind. Auch Linkes Plädoyer für gute Filmkunst als etwas, das offen sein darf, nicht alles erklären und bis zum Letzten durchkonzipiert sein muss, macht ihn dahingehend verdächtig.

Allerdings sind Linkes Filme allesamt zwar unterschiedlich ausgefallen, manchmal spröder, manchmal kalauernder, aber immer gelungen, sehbar und vor allem sehenswert – witzig und gewitzt.

Ein Einblick kann man sich auf der Homepage seiner Produktions„firma“ s-bust-show machen, auf der über dreißig seiner Filme zu sehen und dazu mit lohnenden Notizen versehen sind. Diese Anmerkungen, unterhaltsam geschrieben, geben Auskunft über die Entstehungsgeschichte und Realisierung der Filme, machen so das eine oder andere Manko verständlich (und den Film noch besser) und liefern nebenbei praktische Tipps, z.B. wie relativ einfach und doch verblüffend ein Gummiboot mit gekenterten Seeleuten auf hoher, sonniger See zu haben ist. Im trockenen Studio natürlich.





II.

Sebastian Linke, 1974 in Mainz geboren, studierte die letzten zehn Jahre an der Mainzer Kunstakademie, die er als Meisterschüler der Filmklasse nun verlassen hat. Mit familiärem Künstler-Background versehen, war für ihn klar, selbst auch die kreative Richtung einzuschlagen. Dass er nach einigen Irrwegen durch die Akademie und vorbei an ungeeigneten Dozenten schließlich beim Film landen würde, war eigentlich nur folgerichtig: Schon als Kind zeichnete und animierte er am Amiga 500 wie besessen Bilder und tobte sich mit Soundsamples aus.

Bildkreation, -bearbeitung und Montage, Tongestaltung und Musik, all diese Gestaltungstechniken fand Linke im und beim Film, den sinnvollen Rahmen dazu in der Filmklasse. „Film packt, fängt ein“, so Linke, eine Kunstform, die auf vielen Ebenen erzählt, welche sich wiederum multiplizieren.

Linkes Neugier gilt immer auch dem Blick auf die (Film-)Leinwand selbst. Er arbeitet, spielt und untersucht die Perspektive gegenüber des Films. Sowohl im Erzählen, als auch im Gestalten.

Der 10-minütige „Mangia“ (1998) persifliert nicht einfach nur die Elemente des Film Noir. Und „Carne Vale!“ (20 min., 2004), der brillante, spontan und schnell gedrehte Zombiefilm, in dem Untote guerillataktisch durch den Rosenmontagsumzug wanken und es damit zum eigenen DVD-Release schafften, ist nicht bloß einer der intelligentesten Beiträge dieses Horror-Genres, weil er dessen Regeln zelebriert.

Da klingelt es an der Wohnungstür, eine Figur öffnet. Keiner da. Ein Blick nach links und rechts den leeren Gang hinunter – und als die Figur den Kopf wieder geradeaus richtet, steht da – Buh! – plötzlich und unmittelbar vor ihr eine eklige Maskenfratze. Das ist nicht nur großartiger Mumpitz, effektiv und ungemein komisch, es zerlegt auch ganz konkret, leichthändig und ohne akademisch zu werden die Mechanismen der Manipulation und des film(künstlerischen) Blicks im Standard.

Was Linke wohl zum unseligen „Katze im Schrank“-Standard eingefallen wäre?

Allgemeiner und weiter geht er mit dem 3-minütigen Filmexperiment „the Art & the Audience“ (2005), das dem Kunstwahn nachgeht, genauer der leidigen Dauerfrage, ob, wie und wann Film Kunst ist und sein kann. In einer Reihe von „Einzelaufnahmen“ sind Besucher des Tages der offenen Tür (des „Rundgangs“ ) der Kunstakademie zu sehen, die im Rahmen einer Vorführung mit Irgendwas auf der Leinwand umzugehen versuchen. Tatsächlich hat Linke sie ohne nähere Angaben über Sinn und Dauer abwechselnd und ausschließlich schwarzen und weißen Bildern ausgesetzt – und dabei gefilmt. Ihre Reaktion auf dieser enervierenden Vorstellung wurde ihnen später vorgeführt. Mit deutlich gnädigeren Reaktionen.

Leider hat Linke, wie er selbst bemerkt, diese Präsentation nicht wiederum dokumentiert. Auch fehlt auf der Homepage noch der „echte“ Ausgangsfilm. Doch hier wie auch beim mit Gerald Haffke gedrehten „Gold“ (2008) wird deutlich, wie fatal eng Ulk und Ästhetik, Kunst und Kalauerei verwoben sind. Man kann auch sagen: wie Anspruch für sich und Aufklärung darüber hinaus doch auch und vor allem Spaß machen können und dürfen. Vielleicht gar: müssen.

Dem Erzählen selbst fühlt Linke folglich immer wieder auf den Zahn. Im „Heimatfilm“ „Rechts des Rheins…“ (2 min., 2004) lässt er einen Reiseführer einen genial doofen Mainz-Witz erzählen, der durch die reine Zelebrierung über sich hinausreicht. Auch findet sich bei ihm weiterer Pointenstoff wie „Wunschmaschien“ (2 min., 2003), eine Art Sketch auf höchstem „Badesalz“-Niveau oder dem frühen Horror-Thriller „Jesus zu Gast bei Gabi Schaf“ (30 min., 2003), bei dem – Achtung, Spoiler! - eine Frau dem mörderischen Wahnsinn verfallen ist, weil sie Jesus dereinst mit ihrem Cognac vergraulte. Empfehlenswerter noch ist das „Doku-Drama“ „Am Ende des Regensbogens“ (ca. 12 min., 2001), dessen Schluss vor allem im Wechselspiel mit seiner Gattungsform überrascht.

Neben diesen Pointen-Filmen finden sich bei Linke aber stets auch Meisterstückchen, die eine Art Auflösung verwehren und die gerade deshalb irritieren und verdutzen – schlicht weil man irgendwie das Gefühl hat, es müsse doch noch „was“ kommen (z.B. „Genesis“ (2005), „Babyshake“ (2006) „Das erste Mal“ ). Linke selbst sieht das anders: Alles, was zu sagen sei, sei eben gesagt. Und tatsächlich stehen diese Filme auf diese Weise als Erleben mehr und eindringlicher „für sich“ und bleiben so haften; ähnlich und doch jenseits eines Monty-Python-artigen Gags mit ohne Pointe. In diesen Situations- und Stimmungsfilmen, die weniger erzählen als miterleben lassen, ist Linke besonders in der immer etwas verkanteten Stimmung am besten. Alles ist witzig – so findet Linke. Man könnte auch sagen: Alles ist irgendwie – schräg.

Dazu passt die lebendige Kameraarbeit, die auf das Stativ verzichtet, um sich näher auf jenes Geschehen einlassen zu können, das sich vor ihr entfaltet. Das Zusammenspiel der Gestaltungselemente und Ebenen findet sich bei Linke – selbst Musiker – im Fluss von „Vis À Vis“ (3 min., 2001) und macht klar, warum er sich gut vorstellen kann (und sich dafür eignen würde), Musikvideos zu inszenieren.



III.

“Eine s-bust-show-Produktion“: das ist selbst bereits eine Sprachwitzelei mit Understatement. In ihr steckt jedoch eine Spur jenes bisweilen staubtrockenen Humors, dem in aller Ironie oder aber Freude am Absurden, am Surrealen oder dem reflektiert Plumpen und „Gefundenen“ bisweilen etwas Grimmiges innezuwohnen scheint. Etwas, das den Filmen Sebastian Linkes – bislang über 40 an der Zahl - eine ganz eigene Note verleiht. Unbehagen und Humor fallen bei Linke ohnehin manches Mal zusammen. Seine längsten Arbeiten, „Jesus zu Gast bei Gabi Schaf“ und „Carne Vale!“, widmen sich dem Unheimlichen – und so auch sein Abschlussfilm „Pilù oder das andere Leben” (24 min., 2007).

Für Linke bedeutet gutes Filmemachen, sich seinen vor allem auch technischen Möglichkeiten und Bedingungen bewusst zu sein. Daher auch der oft raue Charme der Filme. „Pilù“ zeichnet sich dagegen durch einen eher edleren, gleichwohl trügerischen Look aus. Der Film handelt von zwei nicht ganz unbedrohlichen Jugendlichen aus einer Drückerkolonne. Das Mädchen (gespielt von der eindrucksvollen Carolin Freund) und der Junge (Fabian Döring) landen bei einem etwas runtergekommenen Mann (Ulrich Cyran), der ihnen die alte Geschichte von der körperraubenden Hexe Pilù erzählt und beiden Unterschlupf gewährt...

Der Film führte Linke 2007 zum „Short Film Corner“ des Festivals in Cannes und wurde von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden mit dem „Prädikat Wertvoll” ausgezeichnet. In deren Begründung heißt es: Das „Umkippen des Films von einem modernen Vorstadtdrama in ein romantisches Schauermärchen gelingt dem jungen Filmemacher in seiner Abschlussarbeit mit altbewährten, dafür aber wirkungsvoll eingesetzten Mitteln. Die Räume wirken fremd, ihre Einrichtung passt nicht zu ihrem Bewohner und dieser wirkt, selbst wenn er bewusstlos zu Boden fällt, als würde er die Situation steuern und beherrschen.“

Das „altbewährt, aber wirkungsvoll“ schmeckt etwas unangenehm relativierend, und es gilt für „Pilù“ höchstens, wenn man ihn mit Linkes übrigen Filmen vergleicht. Tatsächlich zeichnet sich „Pilù“ durch etwas ganz Eigenes, Schräges unter der schönen (auf diese Weise nicht aber gelackten) Oberfläche aus. In dem Film geht es um mehr als nur „gut erzählen“, sondern darum, etwas Irritierendes in der sommerlichen Wohnsiedlung mitzuerleben, auf das man nie endgültig den Finger legen kann und vor allem nicht legen will.

Auch „Pilù“ zeichnet sich durch eine Pointe aus, fast einem Plottwist. Mag die Auflösung auch nicht gänzlich neu sein, gerät sie und damit der Film so originell und eindringlich, weil nicht alles explizit und auserzählt daherkommt. Als Zuschauer fröstelt man umso mehr, angesichts dieses eigenwillig direkten Blicks aus dem Augenwinkel.

Die Filmwelt ist Sebastian Linke mittlerweile zu klein geworden – zumindest, was sein geplantes Großprojekt „Das Akademion“ betrifft. Von einer Internet-Angelegenheit ist es über die Idee des überlangen Spielfilms nun zum Serienkonzept gereift. Inhalt: Der angehende Künstler Anton macht sich auf ins Königreich Akademion, wo ihn nicht nur fragwürdige Lehrmeister erwarten, sondern vor allem auch ein Endlager voller vergessener Kunstwerke aus allen Epochen und Herren Länder.

Mit dem „Akademion“ bleibt Linke sich im Sinne von „Gold“ & Co. treu: Nicht nur verspricht das Projekt mit seinem kaum zu bändigenden Potential, dem (Un-)Wesen der Kunst und ihrer Geschichte – auch lehrreich – auf den Zahn zu fühlen, sondern sich zudem ihren Betrieb zur Brust zu nehmen. Biographisch bedingte Seitenhiebe sind von Linke zu erwarten – und viel mehr dazu.

Produzenten, auf die „Das Akademion“ noch wartet, aber auch sonstigen Interessenten und einfach all jene, die ein wenig Zeit in sehenswerte Kurzfilme investieren oder in Kontakt mit ihrem „Macher“ treten wollen, seien noch mal auf die attraktiv aufgemachte Homepage Sebastian Linkes verwiesen:

http://www.s-bust-show.de

Dass er selbst nicht an die großen Filmhochschulen abgewandert ist (denn „da wollte schon jeder hin" ), sollte uns freuen.

Glück gehabt, Mainz.