Grindhouse-Nachlese April 2015: Katholiken-Horror und Hypnotisier-Kanone

Cinema Quadrat, Mannheim, 25. April 2015: 

„Hexensabbat“ / „The Sentinel“, USA 1977, Regie: Michael Winner

„Dr. M schlägt zu“, BRD/Spanien 1972, Regie: Jess Franco


Für „Kalter Hauch“, 1972, mit Charles Bronson und Jan-Michael „Airwolf“ Vincent wird Michael Winner auf immer und ewig im Filmgeschichts-Himmel residieren. Paar Jahre später „Death Wish“, in dem Bronson zum ersten Mal rot sah – Winner drehte dann in den 80ern auch noch die Teile 2 und 3 –, und dann kommt „Hexensabbat“ – der weder mit Hexen noch mit Sabbat zu tun hat. Vielmehr beginnen wir in Norditalien, wo sich eine geheime Bruderschaft von satanskundigen Priestern versammelt: Da sitzen sie und murmeln ein altertümliches Gebet – es stammt aus Miltons „Verlorenem Paradies“ –, und unvermutet springen wir nach New York. Zu einem jungen Pärchen, Alison und Michael, sie ist Fotomodel, er ist Anwalt, er will sie heiraten, sie will lieber Freiraum, und alles wirkt ein bisschen wie ein kleines Ehedrama mit emotionalen Schüben, vor allem, als Alisons Papa oben in Baltimore stirbt – und hier gelingt Winner dann tatsächlich eine Szene, die den Zuschauer gewinnt. Denn eine Erinnerung huscht an Alison vorbei, sie begegnet sich selbst in jüngeren Jahren, sie beobachtet sich, wie sie nach Hause kommt, ins Zimmer ihres Vaters tritt und ihn dort bei einer obszönen Orgie erwischt. Wie er ihr das Kruzifix von der Halskette reißt. Krampfanfall, Migräne sind die Folge. Und staunende Spannung beim Zuschauer, dass Winner tatsächlich schöne inszenatorische Ideen hat.

Ein Händchen für die Besetzung hat er auch. Kommende Stars finden sich: In einer Quasi-Statistenrolle tritt am Ende des Films Tom Berenger auf, zwischendurch Jeff Goldblum als Fotograf; und wie in Woody Allens „Stadtneurotiker“ tritt außer Goldblum auch Christopher Walken auf. Hatte der bei Allen schon die für seine spätere Leinwandpersona typische Düsternis in sich – wir erinnern uns: am liebsten würde er ja beim Autofahren einfach mal auf die Gegenspur rüberziehen, so ist das, wenn sich das Universum immer weiter ausdehnt –, so spielt er freilich in „Hexensabbat“ einen Jungspund von Cop. Mit rotem, nach hinten gegeltem Haar steht er in der Ecke und guckt, wie ein Cop gucken muss. Das macht er sehr, sehr gut, das ist weit weg von dem, was man von Walken erwarten würde, und als Dank gewährt ihm Michael Winner auch die eine oder andere Großaufnahme. Sein Chef übrigens ist Eli Wallach – womit wir bei den Altstars sind, die Winner aufbietet: etwa Martin Balsam als vertrottelter Professor, der etwas Lateinisches übersetzen muss; oder Burgess Meredith als alter, verquasselter, exzentrischer und latent perverser Nachbar mit Katze und Kanarienvogel. Allen voran aber Ava Gardner als tüchtige Maklerin, die Alison eine Wohnung zuschanzt, herrliche Lage, ein schönes efeubewachsenes Haus, „500 Dollar ist da nicht zu viel“, lockt sie, um im nächsten Satz runterzugehen mit dem Preis, für 400 Dollar wird Alison verführt zum Einzug.

Und Winner geht mit dem nun endlich greifbaren Motiv der jungen Frau alleine in einem unheimlichen Haus sehr souverän um: Weil er natürlich weiß, dass es das schon x Mal gegeben hat. Und hier trotzdem ein paar schöne Aspekte herausholt. Denn da sind diese Nachbarn, der mit Katze und Vogel, unten wohnen zwei Lesben, eine Ältere, eine Jüngere, letztere wichst sich bei Alisons Antrittsbesuch lustvoll einen ab. Die übrigen trifft sie bei einer nächtlichen Geburtstagsparty für die Katze, beispielsweise diese seltsame Alte: „Schwarzweiße Katze, schwarzweißer Kuchen!“, oder der verklemmte Ehemann, der nicht zu wissen scheint, wohin mit sich. Unversehens landen wir hier bei Fellini mit diesen grotesken Film-Wesen, Menschen und zugleich Karikaturen ihrer selbst, überbordenden Leiblichkeit, absurdes Benehmen – noch krasser in einer schwarz-weißen Traumsequenz, in der alle nackt erscheinen (übrigens eine der wirklich guten Traumsequenzen der Filmgeschichte, die nicht als Beleg, als Fingerzeig, der auf irgendwas hindeuten soll, fungieren, sondern tatsächlich aus der Lust der Bilder, der Bild(er)findung heraus leben).

Dass diese seltsamen Hausgäste nicht real sind, wird schnell klar. Halluzinationen? Traumgebilde? Tatsächlich werden sie identifiziert als Mörder und Psychopathen, die vor langen Zeiten schon auf diversen elektrischen Stühlen gebraten wurden… Alison ist irgendwie gefangen zwischen dem Jetzt und der Historie dieses Hauses, Psycho-Schocks hageln auf sie ein: Eines Nachts verhackstückt sie mit einem Messer die nackte lebende Leiche ihres Vaters, das ist der Moment, wo die Polizei eingeschaltet wird. Die umso mehr staunt, als kurz darauf tatsächlich eine verhackstückte Leiche gefunden wird, ganz woanders freilich… Dieser Tote aber hat Geschäftsverbindungen zu Alisons Verlobtem Michael, der immer mehr ins Zwielicht rückt, wie andererseits aber auch Alison durchaus ambivalent erscheint mit ihrer irgendwo zwischen Wirklichkeit und Fantasie angesiedelten geschundenen Seele; mehrere Suizidversuche hat sie schon hinter sich…

Die Polizei freilich kann nicht helfen. Dafür schleicht einer der sinistren Patres von der Anfangsszene herum; und oben im fünften Stock, da sitzt ein uralter blinder Priester und starrt zum Fenster raus. Und wahrscheinlich hat Michael seine erste Ehefrau ermorden lassen… Zumindest kennt er finstere Gestalten, mit einem Einbrecherkumpel steigt er bei der Diözese ein, weil er nun plötzlich und unvermutet zum Ermittler wird. Die Polizei ist im letzte Viertel abgemeldet, dafür weiß nun Michael Bescheid, und es ist für den Zuschauer sicherlich besser, nicht über Zusammenhänge und Logik nachzudenken. Sondern sich an den kunstvollen Verdrehungen und Umkehrungen zu erfreuen, die Winner aufbietet. Im Kleinen – und erst im Nachhinein erkennbar –, indem Christopher Walken gegen den Strich besetzt wird; im Größeren durch die surrealen Szenen im Alptraum-Haus; im ganz Großen dadurch, dass die Sinistren und Unheimlichen – die geheime Katholiken-Bruderschaft, die immer wieder um die Ecke lugt – eigentlich die Guten sind, und die, die wir – na ja, vielleicht nicht in Herz geschlossen haben, denen wir aber doch gerne folgen: Die sind eigentlich schlimme Teufelsmanifestationen. Und zum Finale bietet Winner dann alle Ausgeburten der Hölle auf: Missgestaltete in allen erdenklichen Urformen, Elefantenmenschen, Kleinwüchsige, Krüppel, die in schauerlichem Zug durchs Haus wanken, eine Horde, die Alison ein letztes Mal so richtig einheizen möchte, hier, direkt am Tor zur Hölle.

Nun erreicht Michael Winner sicherlich nicht die inszenatorische und atmosphärische Dichte polanskischer oder friedkinscher Prägung. Wie gut – zumindest im solide handwerklerischen Sinne, und sicherlich auch mit seinen gekonnten Ausflügen ins Absurd-Surreale – er aber an seinen Film herangeht, zeigt sich darin, dass man im Moment des Sehens und auch noch fünf Minuten nach Filmende all die kleinen Mängel gerne übersieht; die fundamentale Unlogik, die irgendwie auslaufenden Nebenplots, die paar Längen vor allem im ersten Drittel… Insbesondere aber das Kontrastprogramm dieses Abends macht wenn nicht die Kunst, so doch das Können von Michael Winner überdeutlich: Denn im zweiten Film dieser Grindhouse-Nacht ergibt nichts irgendeinen Sinn. Nichts. Keinen. Nirgends.

Jess Francos „Dr. M schlägt zu“ zeigt vor allem eines – und das ist etwas Hoffnungsvolles für jeden Menschen jeden Alters, der sich mit dem Gedanken trägt, irgendwie mal selbst als Regisseur so richtig Filme zu drehen. Denn „Dr. M schlägt zu“ macht eines klar: Keiner am Set und in der Postproduktion muss irgendein Talent vorweisen, keiner muss sich anstrengen, irgendwas Großes abzuliefern: Es wird trotzdem was draus, nämlich etwas, das ca. 45 Jahre nach Drehende noch einem verwegenen Häufchen Zuschauer Vergnügen bereiten wird. Tatsächlich kann Jess Franco keine guten Filme drehen. Das ist Fakt. Er kann es einfach nicht. Es geht nicht. Was er aber damit aufwiegt, dass er einfach Filme dreht. Und zwar haufenweise. Stetig. Immer mehr. Die Masse wiegt jeden Mangel auf. Seit er vor zwei Jahren verstorben ist, wird im Cinema Quadrat jeder April als Jess-Franco-Gedenkmonat gefeiert: Und klar sind alle Franco-Filme schlecht. Aber es gibt schlechte und schlechte. Und dieser hier gehört sicherlich der besseren der beiden Seiten an.

Einfach mal machen, ist doch wurscht! Hauptsache Film belichtet! Und wenn man dann wie Franco noch einigermaßen billig ist, dann sind auch die Großproduzenten zu überzeugen, einen zu engagieren. Wie beispielsweise Atze Brauner. Dessen CCC-Film hatte Anfang bis Mitte der 1960er als Antwort auf den Rialto-Edgar Wallace-Boom den Dr. Mabuse wiederbelebt, über den Fritz Lang in der Weimarer Republik ein paar Höhepunkte der deutschen Filmgeschichte inszeniert hat. Lang selbst konnte auch für das Revival gewonnen werden, nach sechs Filmen war aber 1964 doch auch schon wieder gut. Nur hatte Brauner noch ein paar Drehbücher und Mabuse-Motive in der Hosentasche, und die vergammeln zu lassen wäre ja auch schade gewesen. Also schnell was Billiges in die Kinos ballern, kurz: Jess Franco engagieren. Der haute aus dem Mabuse-Material ein Drehbuch zusammen, indem er eine Handlung aus einem seiner früheren Filme verwurstete, strich Mabuse freilich vollkommen und gänzlich raus; der überlebte nur als Anspielung im deutschen und ausgeschrieben im spanischen Titel: „La Venganza del Doctor Mabuse“. Womit vom Titel her klar ist, dass in dem Film nichts stimmt. Atze Brauner hat sich freilich nicht geschämt, sondern – weil sich kein Verleih für den Film interessierte, der sowieso erst zweieinhalb Jahre nach Dreh 1972 seine Uraufführung erlebte – den Film per CCC selbst zu vertreiben versucht. Ein Drehbuchcredit ging auch an ihn, Pseudonym: Art Bernd.

Wobei von Drehbuch im herkömmlichen Sinne eh nicht gesprochen werden kann. Von Handlung auch nicht, Darstellung, Mise en Scene, auch Schnitt, Rhythmus, Kohärenz, kurz: grundlegende Sinnhaftigkeit sucht man vergebens. Dafür findet man einen hünenhaften Glatzkopf, eine Billigversion der grotesken Bond-Bösewichter; wir finden eine Hypnotisier-Kanone, die in den Händen des schurkischen Dr. Krenko allerhand aus dessen Entführungsopfern rausfindet; wir treffen auf zwei Wildwest-Sheriffs (!), die nun gar nicht passen, aber immerhin verdeutlichen dass die „Handlung“ in USA spielt; Sheriffs, die übrigens keine Ahnung haben, wie sie in diesen Film reingerutscht sind und was sie da machen sollen; dann, später, tritt noch ein Vagabund auf, den wir erst sehen, wie er eine der Entführungen beobachtet, der dann später aus dem Fluss ein Damenhöschen fischt, um dann in laberndem Redeschwall bei der Polizei die Sachverhalte genau umgekehrt zu Protokoll zu geben, nicht wegen Lüge oder falscher Erinnerung, sondern weil die Filmmontage offensichtlich die Handlung rumpfuschend umgestellt hat, die Synchronisierung dabei aber nicht mitgekommen ist. Eine Stripperin zeigt beim Verhör Bein; der Vorgesetzte des Sheriffs – ja, so was gibt’s– ist sehr interessiert an den Fortschritten der Ermittlungen; wenige Szenen später erfährt der Zuschauer, dass dieser Sheriffs-Chef zur Schurken-Organisation gehöre, die Ermittlungen genug verzögert habe, jetzt aber im Wege stehe und deshalb mit einer Klapperschlange im Bett beseitigt werden müsse. Nie wieder hört man etwas von ihm im Film; auch nicht, dass oder ob er bei einem Klapperschlangen-Unfall irgendwie hopsgegangen sei. Auch hatten wir sowieso den Eindruck, dass er eigentlich vor allem den Handlungsfluss, aber nicht unmittelbar im Auftrag der Verbrecher die Suche nach ihnen sabotierte. Vielleicht hatte der Darsteller keine Lust mehr; vielleicht wurde auch einfach in der Postproduktion nochmal was gedreht. Vielleicht hat auch einfach keiner aufgepasst – das ist die wahrscheinliche Variante.

Dr. Krenko entführt die Mitarbeiterin des Instituts von Dr. Orloff; der macht irgendwas mit Laser. Die Hypnotisiermaschine funktioniert nicht so richtig, die Entführte wird getötet – nicht, ohne vom Hünen Andros befummelt zu werden. Die Pläne für die Waffe werden mit Hilfe von Giftgas auf offener Straße – „Nebel“, der per Fett auf die Kamera geschmiert wurde –, gestohlen; die Fahrer des überfallenen Lieferwagens haben durch das Gas die Erinnerung verloren, finden das alles auch irgendwie seltsam, aber nicht seltsam genug, um davon irgendwem Bericht zu erstatten. Leider lag den Plänen kein Verschlüsselungscode bei, die Gangster müssen weiter gangstern. So muss die Tochter von Orloff geraubt werden, der wiederum gekillt wird. Eine Stripteasetänzerin war Zeuge, die Polizei ist aber zu doof, die richtigen – nein: irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Dem Vagabunden, der die Bösen beobachtet hat, glaubt der Sheriff auch nicht; gleichwohl ist er der positive Held dieses Films. Am Ende schaufelt sich das Böse selbst das Grab, weil, wer hätte das geahnt, Andros, das Monster, zu schlecht behandelt wird und irgendwann zurückschlägt. Hinter dem ganzen steckt übrigens noch eine weit größere Verbrechensorganisation, und der Fantasie des Zuschauers ist es überlassen, als deren Oberhaupt den sagenhaften Mabuse sich vorzustellen.

Diese Handlung lässt sich mit viel Denkarbeit mühsam rekonstruieren; es hilft, dass einiges im Film doppelt und dreifach gesagt wird – meist aber nur Nebensächliches –, vor allem aber, dass ein geheimnisvoller Voice-Over-Erzähler ziemlich am Anfang all die Fakten über die Laser- und die Hypnotisierwaffe erklärt, während (!) sich der Schurke mit seiner rechten Hand über was ganz anderes unterhält.

Überraschenderweise ist nur einmal eine Nackige im Film zu sehen; „Dr. M schlägt zu“ ist eben noch total in den 60ern verhaftet mit all der Faszination an großen Verbrechen und großen Schurken. Das freilich trägt zum Trash-Charme des Filmes bei. Ein Film, der ja schon bei Fertigstellung veraltet war, der zu schlecht war für eine Kinoauswertung, in den Franco alles reinwarf, was er hatte – von seltsamen Kameraeinstellungen aus allen Ecken des filmischen Raumes bis zu alten, schon längst woanders abgelutschten Handlungs- und Szenenmotiven. Kurz: Genau das richtige Material, um Francos zweiten Todestag zu begehen. Spätestens im nächsten April mehr von ihm.


Harald Mühlbeyer