My Home Is My Castle - "Home" von Ursula Meier

von Harald Mühlbeyer



"Home". Schweiz/Frankreich/Belgien 2008. Regie: Ursula Meier. Buch: Ursula Meier, Antoine Jaccoud, Raphaëlle Valbrune, Gilles Taurand, Olivier Lorelle in Zusammenarbeit mit Alice Wincour. Kamera: Agnès Godard. Produktion: Elena Tatti, Thierry Spicher, Denis Delcampe, Denis Freyd.
Darsteller: Isabelle Huppert (Mutter), Olivier Gourmet (Vater), Adélaïde Leroux (Judith), Madeleine Budd (Marion), Kacey Mottet Klein (Julien).
Länge: 97 Minuten
Verleih: Arsenal
Start: 25.10.2008

„Georges Schwed, den Namen muss man sich merken!“, verkündet der begeisterte Sprecher des Autobahnradios zwischen den Verkehrsmeldungen im Sieben-Minuten-Takt. Denn Georges Schwed ist der erste, der auf den neu eröffneten Streckenabschnitt der E 57 aufgefahren ist, auf ein Stück Autobahn, das nach zehn Jahren jetzt endlich fertiggestellt wurde.
Zehn Jahre lang hat hier eine Familie glücklich gelebt, neben der unfertigen, verlassenen Fahrbahn, in einem kleinen Häuschen inklusive Gemüsegarten, Liegewiese und einem noch nicht ganz fertiggestellten Swimming Pool. Der Asphalt der unbenutzten Straße war Hockeyplatz und Rollschuhstrecke und vor allem eine Grenze zum Draußen: nur der Vater, wenn er morgens zur Arbeit fährt, und die zwei schulpflichtigen Kinder, wenn der Bus sie abholt, haben Kontakt zur Außenwelt.
Nun fährt auf dieser selbstgewählten Grenze täglich der Pendler Georges Schwed, und mit ihm viele tausende andere Autos: sie ist nun beinahe unüberbrückbar geworden. Und die Familie reagiert: mit Hass auf Lärm und Gestank und auf die lästigen Umstände. Die mittlere Tochter führt statistische Verkehrszählungen durch und wird zunehmend hypochondrisch-paranoid wegen Feinstaubs in der Luft. Und steckt mit ihrer Hysterie auch den jüngeren Bruder an, den sie irgendwann nur noch in Schutzanzug inkl. Taucherbrille und Schnorchel rauslässt. Die ältere Tochter trotzt der Situation und damit auch den Eltern: sie sonnt sich weiterhin in knappem Bikini zu Heavy Metal-Musik am Straßenrand. Die Mutter verschließt sich immer mehr. Und der Vater versucht sich zu arrangieren, bis in die letzte Konsequenz.

Isabelle Huppert spielt die Mutter, die so liebevoll zu ihrer Familie ist, und die, so scheint es, Mann und Kinder überhaupt erst in diese Situation gebracht hat, in die Flucht, in die Isolation. „Ich kann nicht wegziehen, ich schaff’s nicht! Ich kann nicht nochmal von vorn anfangen!“: da ist sie in ihrer Verzweiflung schon so gefangen, dass auch ihr Mann einsehen muss: es geht nicht mehr.
Ursula Meier hat in ihrem Debütfilm dieses Esgehtnichtmehr als parabelhafte Geschichte in mal kafkaesk-absurden, mal irrwitzig-komödiantischen, meist aber dramatisch-realen Bildern eingefangen. „Die Straße ist quasi eine Metapher der Welt, die ins Leben der Familie drängt. Doch fragt man sich zunehmend, ob die Verbissenheit im Ausharren nicht für alle die größere Gefahr darstellt als die Autobahn“, sagt Meier. Tatsächlich rührt die Familie nie an ihrer Grundsituation, ihrem Häuschen neben der Autobahn. Eine Ausgangslage, die dem Zuschauer ganz unprätentiös einfach vorgesetzt wird, mit der auch das Filmpublikum erst einmal fertig werden muss. Die Stärke des Filmes ist, dass er nach Interpretation schreit – eine solche aber nicht vorgibt. Seine Schwäche ist, dass er sich zunehmend selbst allzu ernst zu nehmen scheint und komische Elemente mehr und mehr zurückdrängt; womit auch Komplexität und Suggestivität nachlassen.