"Komm in meinen Wigwam", ein furioses Catholica-Mysterienspiel von Wenzel Storch

Ein Gastspiel im Mannheimer Nationaltheater: Wenzel Storchs „Komm in meinen Wigwam“, im Dortmunder Theater als „Pilgerreise in die wunderbare Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur“ inszeniert, wurde im Rahmen des 2. Mannheimer Bürgerbühnenfestivals aufgeführt. Ich hatte ja große Erwartungen; und die wurden voll erfüllt. „Komm in meinen Wigwam“, das sind: Ein schmieriger Moderator mit toupetiertem Haupt und vertrauenseinflößendem Schnurrbart; zwei Ministranten, ein alternder Kaplan, ein Mädel und ein Junge, direkt aus den katholischen Träumen der 50er Jahre entsprungen. Und ein Nonnenchor. Ab und zu tanzende schwellende Blütenkelche und sprießende Stengel, bunt kostümierte Manifestationen der zart-subtilen Metaphorik von Berthold Lutz, Starautor der katholischen Jugendliteratur der 1950er.

Lutz ist ein wichtiger Bestandteil von Storchs Universum: Einer der Eckpfosten seines abgesteckten Claims der philologischen Erforschung von Katholika-Trash. Sammler, Forscher und Fan ist Storch, wenn es um die literarischen Ergüsse geht, die in den tiefkatholischen Druckerzeugnissen der Nachkriegszeit darum ringen, die Jugend auf den rechten Pfad zu führen. Da werden deutlich, aber metaphorisch, explizit, aber subtil die Pubertät, der Geschlechtstrieb erklärt in blumiger Sprache von Leuten, die von Amts wegen keine Ahnung davon haben dürften. Wobei strenge Geschlechtertrennung herrscht, Bücher für Jungs, Bücher für Mädels: „Die goldene Straße“ etwa, oder „Das heimliche Königreich“, oder natürlich der Klassiker: „Peter legt die Latte höher“.

Storch ist Experte auf diesem Gebiet. Und er hat listiger- und lustigerweise sich selbst in sein Stück hineingeschrieben, ein Experte namens Baldrian begleitet die Show, gespielt von Thorsten Bigegue, der tatsächlich ein bisschen aussieht wie Wenzel Storch. Baldrian ist mit einem Strickblazer unvorteilhaft gekleidet, weiß nicht, wohin mit seinen Händen, kennt sich aber aus in allen Verzweigungen, die sich assoziativ in der Beschäftigung mit katholischen Erziehungs- und Entwicklungsratgebern ergeben. Baldrian ist die Wenzel-Storch-Figur, so wie sich auch Berthold Lutz in der „Goldenen Straße“ mit einer Kaplan-Figur einen Stellvertreter im lehrreichen Geschehen geschaffen hat. Dieses Buch ist so etwas wie der Fixpunkt von „Komm in meinen Wigwam“: Szenen daraus werden nachgespielt, von dem adretten Mädel, vom strammen Jungen, von den eifrigen Ministranten und von Kaplan Buffo, dem ältesten im Bistum.

Wobei das ganze Stück sozusagen gespielt ist: Angeblich ein moderiertes Laienspiel, ein bunter Abend im katholischen Gemeindehaus, mit herzlichem Dank an die Kolpingjugend, die die schönen Kostüme geschneidert hat (und heute Abend leider nicht dabei sein kann wegen dem großen Volleyballturnier, was will man machen). Die Doppelt- und Dreifachcodierung der Handlung als gespieltes Spiel, in dem wiederum auf einer Leinwand assoziative Fotos aus Storchs Sammlung und ab und zu auch ein Filmchen (beispielsweise die Popel-Sequenz aus seinem Debütfilm „Der Glanz dieser Tage“) projiziert werden: Das potenziert die Ebenen der Ironie, zumal dem Publikum auch noch Liedzettel verteilt werden, und zum Filmausschnitt gibt es Popcorn aus dem Klingelbeutel. Das Urkatholische, es wird gefeiert und verdammt, liebevoll dargestellt und bitterböse verarscht.

Zwischendurch tauchen Teddybären auf, weil auch der Petzi-Bär ein wichtiger Fixpunkt in Storchs Schaffen ist. Thomas Mann und Adalbert Stifter, selbstverständlich auch Arno Schmidt dürfen nicht fehlen, und wir sehen Theodor W. Adorno auf einer Faschingsfeier. Schlager werden eingespielt, und dass die Kastelruther Spatzen auf mal ein antizölibatäres Liedlein geträllert haben, ist auch eine Erkenntnis.

Kurz und gut: 75 Minuten großer Spaß. Multimedial. Und Klarheit darüber: Storch beherrscht Film, Literatur, Fotostory ebenso wie das Theater.

Harald Mühlbeyer

Fotos: Nationaltheater Mannheim