Scheitern und Schweigen: Ethan & Joel Coen beim 12. Mannheimer Filmseminar

„Film und Psychoanalyse im Dialog“ lautet das Motto der allfrühjährlichen Mannheimer Filmseminare im umtriebigen kommunalen Kino Cinema Quadrat. Und natürlich darf bei dieser Vorgabe der ödipale Konflikt bei der Filminterpretation nicht fehlen – den Manfred Riepe – Filmkritiker mit psychologischem Hintergrund – in seinem ausführlichen Eröffnungsvortrag denn auch plausibel in einigen der Coen-Werke nachweist: Aus der Konstellation von unzulänglichen Sohnes- und unglaubwürdigen Väter-Figuren, begleitet und geleitet immer wieder von einem „guten“ Vaterprinzip, steckt Riepe das Coen-Universum ab, zwischen falschen Entscheidungen, Irrtümern, logischen Fehlschlüssen, Missverständnissen, Zögerlichkeit, Überheblichkeit, Demütigung und immer wieder dem Zufall, der vielleicht die Erfüllung eines selbstverschuldeten Schicksals ist. „Blood Simple“, „Miller’s Crossing“ oder „Fargo“ führt er an für den „verspäteten ödipalen Aufstand“, den die Coens beschreiben. Eine These, die dagegen etwa in „No County for Old Men“ nicht so recht schlüssig erscheint, auch wenn Riepe hier den Vaterbezug der Tommy Lee Jones-Rolle anführt – der freilich recht nebensächlich wirkt (soweit es Nebensächlichkeiten bei den Coens gibt…).


Aber natürlich: Wenn es ums Scheitern geht, dann wird dieses bei den Coens oftmals weitergegeben, in anderer Form vielleicht, von einem Versagermentor zu einem Versagerlehrling; und oftmals begehrt diese Versager-Sohn-Type gegen die Versager-Vater-Type auf: Das steckt drin in dem haarsträubenden Gewirr von Intrigen, Gegenintrigen und Doppel-Hinterrücks-Zurückintrigen, die das dramaturgische Gerüst dieser Filme ausmachen. Ob es ein tragender Balken dieses Konstrukts ist, ist Sache des Betrachters. Riepe jedenfalls hat diesen Aspekt einleuchtend und überzeugend vorgetragen – und ist dabei nie der Versuchung erlegen, daraus eine universelle oder allgemeingültige Beschreibung dessen vozulegen, was einen Coen-Film ausmacht.

Dazu bräuchte es wahrscheinlich mehr als ein paar Filme und einige Vorträge aus dem psychologisch/psychoanalytischen Aspekt heraus, wie es dieses Filmwochenende leisten konnte; aber das Schöne an den Mannheimer Filmseminaren (im Frühjahr) und den Filmsymposien (im Herbst) ist ja, dass der Zuschauer eine Menge Denkanstöße bekommt, um sich selbst mit dem Thema zu befassen und vielleicht auch auf den für ihn jeweils schlüssigen Zugang zu kommen. Man kann sich aus den oftmals klugen Vorträgen dies und das herauspicken – Bausteine für die Coen-Rezeption. Unzulänglichkeit, Scheitern, schwache Figuren, die den fälligen Konflikt aus eigener Schwäche hinauszögern, verpasste Gelegenheiten oder kleine Fehlschlüsse, die mit Hebelwirkung eine Menge Unvorhergesehenes auslösen – das alles beschreibt Riepe sehr anschaulich.

Und der darauffolgende Vortrag der Psychoanalytikerin Mechthild Zeul lässt sich immerhin gut an, mit einem interessanten Ansatz: Sie geht nämlich in ihrem Referat über „Fargo“ von der „Erwartungsverletzung“ aus, wie sie in der psychologischen Säuglungsforschung beschrieben wird: Wenn man einem Baby den Breilöffel hinhält und aus Spaß wieder zurückzieht, dann lacht es – wenn man es richtig macht, mit dem richtigen Timing, mit der richtigen (selbst lachenden) Haltung. Oder aber es weint, weil es nichts zu essen zu bekommen befürchtet… Und ach, was hätte das für ein schöner Vortrag werden können, denn dass die Coens stets für eine Überraschung gut sind, ist ja essentieller Teil ihres Konzepts. Und dass sie Erwartungshaltungen lustvoll hintergehen, auch. Wie tun sie das? Warum reagiert das Publikum nicht mit Frust, sondern mit Lust? Und was sagt das aus über das Verhältnis von Künstler, Erzählung, Rezeption, oder auch werkimmanent: über die Beziehungen der Figuren zueinander?

Doch Zeul belässt es bei dieser anfänglichen grundsätzlichen Fragestellung und enttäuscht die Erwartungen mit einem Vortrag voller Platitüden (inklusiver allzu langer, noch dazu falscher Inhaltsangabe), Redundanzen (indem sie das schon Gesagte wieder und wieder wiederholt) und sogar Widersprüche (indem sie zunächst kurz ein gesellschaftlich-soziales Psychogramm des amerikanischen Volkes umreißt, um später – in einer Diskussion als Entgegnung auf eine ihr widersprechende Äußerung aus dem Publikum – mit Verve zu behaupten: „Das ist doch nur ein Film! Die Coens wollen doch nicht die amerikanische Gesellschaft abbilden! Es ist ja nur ein Film!“).

Traurig, dieser Vortrag; aber zumindest kommt man ins Nachdenken über Erwartungen und die Komik, die sich aus ihrer Subversion ergeben kann – und über das Grat, über das man wandern muss, um als Zuschauer nicht in Frust und Abwehr zu fallen. Das ist sicherlich konstitutiv bei den Coens mit ihren exzessiven Gewalttätigkeiten, die durch Überhöhung und Stilisierung komisch abgefedert werden, mit ihren lächerlichen Charakteren, die unerhört dumme Dinge tun und mit denen man trotzdem – mehr oder weniger, aber immerhin – mitfühlt.

Mit den Vorträgen zu „Barton Fink“ von Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger und Psychoanalytiker Stefan Hinz kommt man auf weitere Spuren: Stiglegger beschreibt den Film als „Meta-Noir“, der über sich selbst, über seine eigenen Neurosen, nachdenkt; Hinz bekennt seine Ratlosigkeit angesichts coenscher Rätsel und überdeterminierten Bildern. Weil beide im Film die Unfähigkeit der Figuren zum Zuhören, zur Kommunikation betonen; und weil man zuvor im Rahmen des Seminars „Fargo“ und „The Man Who Wasn’t There“ wiedergesehen hat; und weil darin sowohl Quasselkasper – ob Killer oder Friseur – als auch schweigende Täter – ob Friseur oder Killer – vorkommen, kommt man auf die Idee, ob nicht das Nicht-Zuhören, die Unfähigkeit zur Kommunikation und natürlich, weiter gefasst, die Einkapselung in Selbstbezug das sein könnte, was Riepe auch beschrieb: Entstammen Unzulänglichkeit und Unglaubwürdigkeit, Fehlleistungen und Scheitern vielleicht dem Eigen-Rumwurschteln dieser schrägen Coen-Figuren, die um sich selbst kreisen und gar nicht merken, dass sie andere nicht an sich ranlassen? Gerade im Gegensatz zu den „guten“ Figuren, der schwangeren Polizistin in „Fargo“, dem alten Sheriff in „No Country for Old Men“ oder dem toten Firmengründer in „Hudsucker“, den Riepe ebenfalls anführte – die immer wieder, aber beileibe nicht in allen Filmen, ein Gegengewicht bilden…

Und vielleicht kriegt man ja auch noch die Erwartungsverletzung unter diesen Hut: Weil die Figuren in ihrer Egomanie unberechenbar sind und haarscharf das Unlogische tun…

Und vielleicht ist das aber auch wieder nur so ein Gedanke, der den Coens nicht vollständig auf die Spur kommen kann; weil dabei natürlich die kunstvolle Inszenierung außen vor bleibt – auch hierzu nur Andeutungen von Zeul: Zur Komik, die sie konstatiert, aber nicht näher analysiert oder erläutert, sondern als eine Art ungreifbare Entität zu begreifen scheint… Dabei, auch das wird bei der massierten Beschäftigung im Rahmen des Seminars klar, arbeiten die Coens ganz massiv auf komik-generierende Kontrastwirkungen hin, zwischen Bild und Musik – immerhin das hat Zeul angesprochen –, aber auch immer weitergehend, auf allen Ebenen, von Sprache, von Figuren, von Tun und Nicht-Tun, von Filmzitaten und nostalischen Referenzen, von Philosophie und Nonsens etc…

Nein: Ratlos wie Stefan Hinz bin ich angesichts der Coens nicht. Man kann ja auch das ganze Konvolut, das die Coens mit jedem einzelnen Film, vor allem aber mit der Gesamtheit ihres Œuvres schaffen, umschauen, zu umfassen versuchen, Teilaspekte er- und vielleicht begreifen und das Ganze aber doch vor allem durch seine integrative Widersprüchlichkeit, durch sein kreatives Recyclingsystem, in dem aus Reminiszenzen nicht nur der Filmgeschichte originell Neues geschaffen wird, durch das Ödipale, die Säuglingspsychologie, die Mystifikation und die kommunikative Repräsentation der Kommunikationslosigkeit etcpp. [weitere Ausführungen unleserlich, Anm. d. Hrsg.]


Harald Mühlbeyer