Grindhouse-Nachlese März 2013 – „Die Gewalt bin ich“ und „Black Shampoo“

 Cinema Quadrat, Mannheim, 23. März 2013:
„Die Gewalt bin ich“ / „Il cinico, l’infame, il violento“, Italien 1977, Regie: Umberto Lenzi

„Black Shampoo“, USA 1976, Regie: Greydon Clark



Die Mannheimer Grindhouse-Nacht macht’s möglich: drei tolle Szenen, mindestens, in nur zwei Filmen – eine höhere Quote, als man sie von einem gestandenen Filmfestival erwarten kann. Zwei dieser exquisiten Szenen: Folter; in ganz verschiedenen Filmen.

Einmal ist ein Typ, der dem Verbrecheroberbösewicht einen Haufen Geld schuldet, im Garten von dessen geschmackvollen Anwesen festgebunden an Armen und Beinen, fünf Meter vor ihm der Gangster mit neun aufgereihten Golfbällen. Mit denen folgen Zielübungen – wobei der Schurke nicht viel proben muss, um dem armen Opfer voll in die Fresse zu ballern. Schließlich ist er dessen überdrüssig und lässt den armen Wicht von seinen Hunden zerfleischen.
Die Szene ist einer der Höhepunkte von „Die Gewalt bin ich“, einem Euro-Crime-Gangster-Polizei-Fetzen von Umberto Lenzi, der im Original leonehaft „Il acinico, l’infame, il violento“ heißt. Ein reichlich unausgegorenes Werk, würde man auf Sinn, Logik und Stringenz der Handlung schauen. Ein tougher Reißer, wenn man das Gesamtbild betrachtet.

Ständig wissen irgendwelche Leute mehr, als sie wissen dürften; der anfängliche tolldreiste Coup des Helden, Ex-Polizist Leonardo Tanzi, ist dem Rest des Films völlig wurscht: Dass er sich nämlich nach einem Attentat tot stellt, seine Beerdigung fingieren lässt und nun in Ruhe die Gangsterbanden aufmischen kann, spielt gar keine Rolle und wird als selbstverständlich genommen. Warum genau muss gegen Ende ein Heist-Movie-Topos eingebaut werden, in dem Tanzi mit einem seltsam aussehenden, dickbebrillten Männchen in den Tresorraum eines Notars eindringt, just bevor eine Abordnung der Gangster dort einbricht? Wird schon irgendeinen vorgeschobenen Anlass gehabt haben, der eigentliche Grund ist natürlich die Spannung. Dass die in dieser Szene der Lächerlichkeit preisgegeben ist, liegt daran, dass in den vergangenen Jahrzehnten einige Verbesserungen vollbracht wurden in Einbruchschutzsicherungsmaßnahmen wie auch in ihrer filmischen Gestaltung: Wegen Infrarot-Lichtschranken (heute bekannt als Laser-Bewegungsmelder, sieht aber genauso aus) müssen die beiden lustige rote Brillen aufsetzen, dann sieht man das scharfe rote Gitter aus Lichtstrahlen, das überwunden werden muss… Da die Kamera keine rote Brille aufhat, sieht man zwei lächerliche Männer bizarre Körperbiegungen vollbringen, um an unsichtbaren Schranken vorbeizurutschen.
Der Chinese ist der Bösewicht, Tomas Milian spielt ihn. Sein Gegenspieler: DiMaggio, John Saxon als Italoamerikaner, der die Unterwelt Roms beherrscht. In ihren Machtkampf schaltet sich Tanzi ein, der ist total schlagkräftig und haut gerne ein Fotostudio zusammen, oder einfach einen Typen, der eine Frau haut. Wobei auch Tanzi nicht vor Ohrfeigen für seine Gespielin zurückschlägt, damit sie wieder zur Vernunft kommt. Warum nochmal wird die Wäscherin am Ende von den Bösewichten halbtot geschlagen? Und warum eine Bombe auf ein Polizeiauto geworfen, just in dem Moment, in dem ein Gangster auf Tanzi anlegt? Egal: Immer weiter mit der Handlung, immer weiter voran; mit Fäusten, mit Schießeisen oder mit der treibenden Musik, die zu Anfang ziemlich cool wirkt, aber irgendwann dann doch eher wie eine Endlosschleife wirkt.

Viel besser ist die Musik in „Black Shampoo“, die ungefähr tausend Stilrichtungen abdeckt, und manche davon gleichzeitig. Speziell superb in der nächsten der drei grandiosen Szenen des Abends: Die drei Hanseln vom Gangsterboss nehmen einen Friseursalon auseinander; nicht in wilder Wut, nicht mit kalter Berechnung, sondern mit der kindlichen Lust an der Zerstörung. Eins nach dem anderen werden Regale umgeschmissen, Stühle geworfen, Shampooflakons zerstört – und das im feinen Rhythmus des laurelundhardyesken Slow Burn, mit einer Mickeymousing-Musik, wie sie jedem Cartoon bestens zu Gesicht stehen sollte. Dick und Doof trifft Disney in einer ballettartigen Choreographie des Destruktiven – so etwas Feines hat man selten gesehen.

Die dritte der tollen Szenen, die zweite Folterszene, auch aus diesem Film: Ein hyperschwuler Friseur soll verraten, wo sein Boss sich versteckt hält; und obwohl er den ganzen Film über rumgeschwuchtelt hat und im Übrigen ein weinerliches Weichei ist, hält er dicht. So dass der Schurke zum letzten Mittel greifen muss, zur Brennschere, schön lang und dick, genau richtig für eine anale Vergewaltigung. Uiiiihuuuuu!

„Black Shampoo“ handelt von Mr. Jonathan, einem angesehenen Friseurmeister; angesehen vor allem bei der Damenwelt, weil er gut ausgestattet stets alles Nötige dabei hat. Sprich: Er ist der Super-Stecher, der von seiner Kundschaft regelmäßig nicht nur für fürs Kämmen, sondern auch fürs richtig Durchbürsten in Anspruch genommen wird. Auf Anfrage auch Hausbesuche. Wenn die Dame nicht zu alt ist.
Dort wird er dann von deren verzogenen Töchtern empfangen, die seinen langen Fön bewundern, ihn und sich am Pool ausziehen und – dann kommt die Frau Mama, schmeißt die frechen Gören ins Wasser und lehrt die nackten Minderjährigen eine Lektion: indem sie sich auf Jonathan draufsetzt… Das im Übrigen schon der zweite Liebesakt für Jonathan an diesem Tag, ein dritter wird noch folgen.

Ein Softporno also zuu Anfang, der dann in eine Romanze mündet, als Jonathan und seine Empfangsdame Brenda sich zum Rendezvous treffen: „Can You Feel the Love“ säuselt der Schlager vom Soundtrack, ein Schmalzlied, das den größtmöglichen Gegensatz zum Funk, der auch zu hören ist, oder eben zum Cartoon-Gedudel in der Zerstörungsorgie steht. Da sitzen sie, zwei Silhouetten im Gegenlicht, in trauter Zweisamkeit ineinander versunken – und zack, zeigt sich die Billigkeit des Films, als eine Fliege über die Fensterscheibe krabbelt und ungewollt, aber gewaltig die ganze Stimmung, die Regisseur Greydon Clark mit allen Mitteln aufbauen will, kaputtmacht. Später eine Tretbootfahrt – was ein lahmer Film, in diesem Moment, Weiberzeug!!! Jonathan ist jetzt total verliebt und entwickelt sich zum veritablen Langweiler, was aber nicht so schlimm ist, weil Darsteller John Daniels ohnehin nicht so richtig weiß, wie er sich vor der Kamera bewegen und verhalten soll; und weil der Film dadurch wieder für ein paar mehr Lacher gut ist. Irgendwann reicht’s ihm, er geht Holzhacken in seine Waldhütte.

Zuvor freilich hat sich „Black Shampoo“ zum Gangsterfilm gemausert, Brenda ist Eigentum des Schurken Mr. Wilson, der hat ein geheimes Notizbuch, das sie ihm klaut, während sie gleichzeitig vorgibt, ihn so sehr zu lieben… Niemand sollte jemandem gehören, die Sklaverei ist längst abgeschafft – so ähnlich tönt es sozialkritisch und gesellschaftsbewusst aus Jonathans Mund, aber dann trifft ihn halt doch der Liebeskummer. Ein Barbecue auf einer Farm kann da auch nicht helfen – auch das ne dolle Szene, Heteros und Schwule, Nudisten und Tunten bei der uramerikanischen Tradition der Fleischzelebrierung in der Form eines Karnevals.
Naja: Jonathan im Wald, Brenda findet ihn, Liebe keimt wieder auf, die Gangster rücken an, und die beiden fliehen ins Gehölz, als Waffe nur eine starke Motorsäge (ja: Jonathan ist wieder potent!): Ist es möglich, dass jetzt tatsächlich Splatter-Horror noch dazukommt? Ja, es ist. Wie ohnehin alles möglich scheint in diesem Film. In diesen Grindhouse-Nächten.  

Harald Mühlbeyer